Die neue Glocke auf dem Michaelisthurm zu Hildesheim
[788] Die neue Glocke auf dem Michaelisthurm zu Hildesheim.
„Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt!“
Unwillkürlich muß man dieser Verse aus Schillers „Lied von der Glocke“ gedenken beim Anblick des Vorgangs, welchen der Zeichner in unserem Bildchen festgehalten hat. An einem Septembertage dieses Jahres wurde auf den uralt ehrwürdigen Ostthurm der Hildesheimer Michaeliskirche, eines der bedeutendsten romanischen Baudenkmäler unseres Heimathlandes, eine neue Glocke aufgezogen. Es war das keine einfache Arbeit, denn da der Bau des Thurmes und die Lage des Geläutes ein Aufziehen im Innern nicht gestattete, so mußte man die nicht weniger als 3510 kg schwere und am unteren Rande etwa 2 m im Durchmesser haltende Glocke an der Außenseite heraufwinden. Das geschah denn auch unter Beisein des Kirchenvorstands und eines zahlreichen Publikums, das dem feierlich-ängstlichen Werke mit Spannung folgte.
Die neue Glocke ist hervorgegangen aus der Glockengießerei von J. J. Radler und Söhne in Hildesheim. Sie trägt am oberen Rande zwischen zwei Blattfriesen auf der einen Seite die Inschrift: „Es ist vollbracht!“, auf der andern: „Ich rufe euch zum Dienst des Herrn, o Menschenkinder, höret gern!“ Am unteren Rande sind die Namen des Kirchenvorstandes und des Gießers sowie die Jahreszahl des Gusses, 1891, angebracht. Den mittleren Theil des Glockenmantels verzieren zwei Reliefdarstellungen, die Kreuzigung Christi und das Bildniß Luthers.
Am 26. September fand zum ersten Mal ein Probeläuten statt und nun tönt bei jeder feierlichen Veranlassung der schöne Amoll-Accord a
c e, welchen die neue Glocke mit ihren älteren Schwestern bildet, über die altersgraue Stadt Hildesheim hin. Mögen an ihr auch die Schlußworte der Schillerschen Glocke in Erfüllung gehen:„Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute!“