Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Die neue Geisterwelt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 59–63
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die neue Geisterwelt.

Eine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert von Friedrich Gerstäcker.

Beim Maurermeister Brummhuber war Gesellschaft gewesen und es verstand sich von selbst, daß die Tische, als sie sonst ihre Dienste geleistet, und um ebenfalls etwas mit zur Unterhaltung beizutragen, sich drehen mußten zuletzt, wie es jetzt einmal Mode ist. Die Versuche mit den eben auftauchenden Klopfgeistern gelangen dabei so vollkommen, daß ein Theil der Gesellschaft, je mehr die Tische mit ihren Beinen klopften, desto mehr mit den Köpfen schüttelte und ein anderer Theil vor Staunen und innerem Grausen starr wirklich nicht wußte, was er sagen und denken sollte.

Nur einige junge Leute, besonders Anna, die Tochter vom Haus, die den schwersten Tisch blos zu berühren brauchte, um ihn ihrem Willen zu unterwerfen, waren übrigens wirklich aktiv bei dem ganzen Versuch geblieben, von dem alle Anderen bald als „störende Kräfte“ zurücktreten mußten.

Nur ein kleiner Spiegeltisch und ein Nähtisch ließen sich nicht, selbst durch sie, in Gang bringen, während dagegen ein schmaler, sehr elegant gearbeiteter Mahagoni-Theetisch mit einer Säule und vier unten auslaufenden Füßen ihrer leisesten Berührung auf unbegreifliche Weise folgte.

Die Aufregung der Gesellschaft stieg dadurch zu einem immer höhern Grad.

„Ich wollte, ich hätte jetzt den Geheimrath Nurnorden hier oben,“ rief der Maurermeister Brummhuber aus, „den könnten wir jetzt schön überführen mit seinem ewigen Schimpfen auf’s Tischrücken – aber wo’s Brei regnet, hat er gewiß keinen Löffel – jetzt könnt’ er sich überzeugen.“

Der Mann war ganz außer sich, so hatten ihn die unerwarteten Erfolge gepackt und er schwelgte in einem förmlichen Meer von unheimlicher Wonne.

Selbst die Dienstmädchen vergaßen fast Küche und Aufwartung, sich nur immer, wo sich die mindeste Gelegenheit bot, zur Thüre drängend, und Fanny, das Stubenmädchen, ein niedliches, blauäugiges Kind von siebzehn oder achtzehn Jahren, brannte ordentlich vor Verlangen, Theil mit nehmen zu dürfen an dem wunderlichen Spiel, und ihre Kraft zu versuchen an den Tischen. Aber das arme Mädchen durfte es nicht wagen, sich zwischen die Honoratioren zu drängen und nur verstohlen durfte sie zuschauen und sich mit hinanwünschen an den Tisch.

Bis um eilf Uhr etwa dauerte der Lärm, und wie die Leute endlich selber ermüdeten, schienen auch die Tische lässig zu werden und die Fragen lau zu beantworten. Hier und da brach schon Einer oder der Andere der Gäste nach Hause auf, und einmal begonnen, fanden bald Alle, daß es Zeit sei, zu Bette zu gehen.

Eine Viertelstunde später kam das Mädchen, das die Hausthüre hinter den Gästen geschlossen, langsam die Treppe herauf – unten auf dem ersten Absatz blieb sie stehen, setzte das Licht auf den Eckständer und zählte die Zwei- und Viergroschenstückchen, die sie eben eingenommen, schob, vorsichtig nach oben sehend, einen Theil in ihre Tasche, den Rest mit den Uebrigen zu theilen, und verschwand dann in der Küche, an die anschließend sich ihr Zimmer befand.




In dem großen, vor kaum einer halben Stunde noch so lebhaften Saale war es indessen gar still und öde geworden. Unordentlich standen noch die Tische und Stühle umher, wie sie von den Gästen verlassen worden – morgen früh mußte ja doch aufgeräumt werden, was sollte sich die Christel da noch heute Abend bemühen – nur der Mond stahl sich durch die nachlässig offen gelassenen Gardinen in den unheimlich öden Raum, und blitzte von der hellen Politur des Theetisches wider und blinzte nach dem breiten Spiegel hinüber, der ihm gerade gegenüber, über dem Sopha hing. –000000000000000000

„Ach,“ seufzte da eine leise feine Stimme, und sie klang klar und deutlich durch den ganzen Saal. Wohl eine halbe Stunde hatte tiefes, auch durch keinen Laut unterbrochenes Schweigen auf dem düstern Raum gelegen, und selbst dieser leise Seufzer schien sich zu scheuen, den fast unheimlichen Frieden zu stören, und stahl sich nach allen vier Ecken hinauf, einen heimlichen Schlupfwinkel zu finden und Niemandem ahnen zu lassen, daß er es gewesen, der eben solch einen entsetzlichen Spektakel in dem Heiligthum vollführt.

Alles war wieder ruhig geworden, und nur das regelmäßige Ticktack der großen Bronzeuhr und das leise Bohren eines Holzkäfers klangen durch die Nacht, und es war fast. als ob der Käfer nach dem Takt der Uhr seine Arbeit fortsetzte, so genau hielt er das Zeitmaaß nach den scharfen abgemessenen Tönen.

„Ach,“ tönte da noch einmal derselbe Seufzer, lauter fast als vorher, und der Ton kam augenscheinlich von dem schön polirten Theetisch her, der noch, wie ihn die Gesellschaft verlassen, mitten in der Stube stand.

„Na, was ist denn das für ein Gewinsel da drüben,“ brummte da plötzlich eine etwas derbere Stimme von dem Secretair herüber, „soll man denn heute Nacht auch nicht einen Augenblick Ruhe haben? Gebt’s jetzt einmal Frieden da unten!“

„Ach,“ seufzte es vom Tische aus wieder, dem Gebot zum Trotz, und im Mondenstrahl war es, als ob eine klare, wunderliche [60] Gestalt von kaum sechs Zoll Höhe auf der Platte säße, und das lockige Köpfchen gar schwermüthig in die Hand gestützt hielt.

„Und Sie haben ganz recht, Herr Secretair,“ sagte da die Chiffonniere, „das ist jetzt gerade zum Politur verlieren, was das seit den letzten sechs Wochen hier für eine Wirthschaft im Hause geworden“ – auf der Chiffonniere wurde eine runde winzige Frauengestalt in einem braunen Röckchen mit gelben Knöpfen, die an beiden Seiten wie Schubladenzieher saßen, sichtbar – „ich will nichts von mir selber sagen, ich weiß, zu welcher Klasse der Gesellschaft ich gehöre, und daß wir nicht „verrückt“ werden können, aber es ist auch schon ein Skandal, das nun in einem fort mit ansehen zu müssen, und der Schreibtisch sollte sich da alles Ernstes einmal hineinlegen und die alte Ordnung wieder herstellen.“

„Ganz Ihrer Meinung, Frau Base, ganz Ihrer Meinung,“ flüsterte der eine Rohrstuhl, der rechts neben ihr stand. „ich habe mich auch schon lange gewundert, daß der Herr Secretair, der so lange geduldig zugesehen hat, wie sie’s hier trieben und noch treiben; ich bin zwar nur ein Stuhl, aber die Galle ist mir wahrhaftig schon ein paar Mal übergelaufen, und ich genirte mich nur selber mit allen vier Beinen dagegen aufzutreten, so lange der Herr Secretair und die Frau Base zu dem ganzen Schwindel schwiegen.“

„Prosaische Gestelle!“ rief da endlich der Tisch, und das kleine Wesen sprang in der Erregung des Augenblicks empor, es war eine schlanke, zierliche Jünglingsgestalt mit braunem Teint wohl, aber lebendig blitzenden Augen und einem eigenen seelenvollen Ausdruck in den schönen, zartgeformten Zügen – „nüchterne Alltagsgebilde, die Ihr zürnt und grollt, daß die ertödtende Monotonie Eurer Existenz endlich einmal aufgerüttelt wurde zu That und Leben. Die Hand, die Euch hinsetzt, wohin es ihr beliebt, die Euch benutzt, wie sie es für gut findet, und Euch nur sauber und blank hält und vor Nässe oder Sonnenstrahlen bewahrt, duldet Ihr und lobt sie, lehnt Euch dann in starrem Hochmuth an die Tapete und blast aus allen Schlüssellöchern Eure Zufriedenheit heraus – aber dieselbe Hand, die Euch Gefühl und Seele geben will, die den Geist über Euch bringt, und Eure Poren mit zuckendem Leben füllt, die stoßt Ihr zurück, rümpft die Leisten und schreit über Revolution und Aufruhr.“

„Ei seht doch den Gelbschnabel,“ zürnte der Secretair, und auch auf ihm regte es sich, daß die dunklen Umrisse einer kleinen Figur in recht hochfahrender Stellung und mit sehr weißem Busenstreif und Manschette, mit Brille und Goldkette sichtbar wurden, „weil ihn jede neue Bewegung mit fortreißt, glaubt er sich das Recht herausnehmen zu dürfen über andere – vernünftigere Leute, die Gott sei Dank Gewicht in der Welt haben, loszuziehen, und ihnen am Ende gar vorzuwerfen, daß sie nicht auch seinen Tarantellewahnsinn theilen.“

„Das würde sich wohl von unser Einem schicken, wenn er mit den Beinen klopfte oder hinten ausscharrte,“ sagte die Chiffonniere.

„Ich bin überzeugt, ich bräche,“ lispelte der Glasschrank.

„Laß sie reden,“ wandte sich aber jetzt der Spieltisch, eine untersetzte breitkräftige Gestalt, zu seinem also plötzlich angegriffenen Kameraden, „sie verstehen uns doch nicht, wenn wir es ihnen auch erklären wollten, was für ein eigenes seliges Gefühl es ist, das neue kaum früher geahnte Wesen in sich überströmen zu fühlen, laß sie reden, sie sind doch nur arm, mit all ihrer Breite und Höhe, denn sie werden das nun und nimmer begreifen.“

„Ach geahnt hab’ ich es wohl schon in früherer Zeit,“ seufzte der Theetisch wieder, „wie eine Erinnerung an den alten rauschenden Wald ist es mir schon manchmal durch die Poren gezogen, wenn sie ihre Hand auf meine Fläche legte, oder ihr kleines Köpfchen sinnend gegen mich gelehnt, darin stützte.“

„Na nu bitte ich aber zu grüßen,“ knarrte ein dreiwinkliger Eckschrank, der sich zwischen zwei Blumentische eingezwängt hatte, und jedesmal, wenn er aufgemacht wurde, mit der linken Klappe – denn die rechte war festgeriegelt – nach den Epheuzweigen hinüberschlug, die an ihm hinaufranken wollten (er konnte die Blumen nicht leiden), „da möchte man ja wahrhaftig gleich aus dem Leime gehen über solchen Unsinn. Ich habe außerdem den schlechtesten Platz in der ganzen Gesellschaft und alle Klappen voll zu thun, das Schmarotzerzeug hier von mir abzuwehren, und dann auch noch solch ein langweiliges Geschmachte mit anhören zu müssen – es ist zum Verzweifeln.“

„Nein, die Arroganz ärgert mich nur, das Geschmachte möchte noch angehn,“ sagte die Chiffonniere, „ganz auf einmal klüger sein zu wollen als der Herr Secretair und selbst der Schreibtisch und andere ältere Stücken – der Schreibtisch hat doch eine Menge geheime Gefache und er sagt nichts; da sieht man’s, wie sich Leute zu verhalten haben, die etwas in der Welt gelten und auf ihre Würde zu sehen wissen.“

Jetzt nahm sich aber der Spieltisch wieder seines Nachbars an, denn dieser schien auf das Zanken der übrigen Meubeln gar nicht zu achten und wirklich ganz in seinem Schmerz versunken zu sein.

„Was Schreibtisch und Secretair,“ sagte er verächtlich, „leere Gefache sind’s, die er hat, höchstens mit der Weisheit Anderer gefüllt – der mag recht nützlich sein, etwas nachzuerzählen oder aufzubewahren, was man ihm aufgeschrieben hat, aber was um ihn her vorgeht und was in der Welt passirt, davon weiß er Nichts. Geht mir mit seinem gelehrten Meubel.“

„Das ist recht, der Grünschnabel muß auch sein Maul dabei verbrennen,“ sagte die Chiffonniere, „glaubt, weil er inwendig und auswendig polirt ist, sei er allein klug, aber die Fußbank selbst hat gelacht, wie Ihr Euch da im Kreise herumgedreht und geknarrt, geschnarrt und geklopft habt.“

„Als ob etwas daran läge, wenn eine Fußbank lacht,“ sagte der Spieltisch.

„Der Spieltisch thut jetzt auch so, als ob er prophezeihen könnte,“ ließ sich jetzt noch eine neue Stimme hören, „und dann verlangt er auch noch, daß man es glauben soll“ – es war der Spiegel, der über einem kleinen Säulentisch zwischen zwei Fenstern stand.

„Und hab’ ich Euch nicht den Beweis gegeben, daß ich es kann?“ rief der Spieltisch, ärgerlich zu ihm aufblickend.

„Ich habe gesehen, wie der eine Student gedrückt hat“ sagte der Spiegel.

„Wenn Du noch einmal solch eine Lüge weiter erzählst,“ brummte dieser aber, „so laufe ich das nächste Mal in Dich hinein.“

„Das ist die Art aller gemeinen Naturen, gleich mit Zerstörung zu droben,“ sagte der Glasschrank, „die Stärke thut’s freilich nicht; und wenn ich von Eisenblech wäre, ich würde keinem Schwächern drohen; alles Schwache ist edel.“

„Sein Sie nur ruhig, Jungfer Glasschrank,“ nahm aber hier ein kleines Pfeilertischchen die Partie des Spieltisches, „Ihr Edelmuth ist auch nicht so weit her, denn wie wir vor einem Jahr hier einzogen, und das Hausmädchen unten in der Flur eine arme entfernte Verwandte von Ihnen, die Stalllaterne, zu Ihnen hinsetzte, wollten Sie gar nichts von der wissen, und bließen sich so auf, daß zwei Scheiben sprangen.“

„Nun ich drehe mich nicht,“ sagte der Glasschrank.

„Ja, das glaub’ ich,“ lachte aber der kleine Pfeilertisch ein wenig boshaft zurück, „die Leute, bei denen der ganze Glanz und Flitter draußen sitzt – ich will auf Niemanden anspielen – und die hinten eben nur weißes Tannenholz haben, die drehen sich Alle nicht, so viel haben wir bis jetzt herausbekommen.“

„Es ist schändlich, einem sittsamen Frauenzimmer so etwas in’s Gesicht zu sagen,“ rief der Glasschrank.

„Sie sorgen wenigstens dafür, daß man nicht hinter Ihrem Rücken von Ihnen reden kann,“ sagte der Pfeilertisch.

„Laßt sie gehen,“ legte sich aber hier der Theetisch, der durch den Zank der Uebrigen erst auf den um ihn her immer lauter werdenden Lärm aufmerksam geworden war, in das Wort, „sie verstehen uns doch nicht, und es wäre deshalb auch vergeblich, ihnen das ganze Selige unserer Empfindung begreiflich machen zu wollen. Wir aber haben das Bewußtsein einer erstehenden Existenz in uns; nicht mehr nur die seelenlosen Träger der Lasten unserer Herren, sind wir plötzlich ihre Freunde, ihre Rathgeber geworden, von ihrer eigenen Kraft, ihrem Lebenstrieb theilen sie uns mit, die schon fast vertrockneten Poren saugen es gierig ein, und wir Geister des Waldes, die wir den liebgewordenen Aufenthalt unserer alten Stämme selbst dann nicht verlassen wollten, als wir niedergeworfen und verstümmelt in die Welt hinaus gestreut wurden, jauchzen in bebender Lust dem kaum mehr gehofften und doch o so heiß ersehnten neugewonnenen Dasein frisch und fröhlich entgegen“

„Es ist zum Verzweifeln.“ sagte der Secretair.

[61] „Warum nur der Spiegel- und Nähtisch sich nicht rühren wollten?“ frug der Pfeilertisch.

„Der arme Nähtisch ist taubstumm,“ sagte der Theetisch, „ich kannte seine Aeltern in Mittel-Amerika, eine muthwillige Axt hatte ihn frühzeitig verstümmelt und er ist jetzt auch, trotz des glänzenden Aeußern, durch und durch wurmstichig, und der Spiegeltisch darf nicht,“ flüsterte er dann dem Pfeilertisch unter die Platte, „der Spiegel hat ihn einmal unter dem Daumen und läßt ihm seinen freien Willen nicht; aber ich bin darum dem Spiegel nicht gram, er ist zwar grob, aber doch ehrlich, und sagt’s frei vom Quecksilber heraus, wie es ihm gerade vor das Glas kommt.“

„Das eben ärgert mich so an dem Glasschrank,“ erwiederte der Pfeilertisch, „die Mamsell möchte am liebsten allen Andern Sand in die Augen streuen. Was sie hat, rückt sie vorn zur Schau und mit dem Spiegelglas dahinter thut sie, als ob’s gerade noch einmal so viel wäre, und faßt man sie nur an, so klirrt und klappert die ganze Bescheerung.“

„Ich bin furchtbar angegriffen heut’ Abend,“ sagte der Theetisch und knarrte, „ich fürchte fast, ich habe mir Schaden gethan.“

„Das geschieht Dir ganz recht, mit Deiner albernen Aufregung,“ brummte der Spiegel, „s’ist ja zum Zerspringen, nur so etwas mit ansehen zu müssen.“

„Ach, wenn es nur erst wieder Abend wäre,“ seufzte aber der Theetisch, ohne ihn weiter einer Antwort zu würdigen, „daß ich die weiche Hand wieder auf meiner Fläche fühle. Schon als Baum draußen kannte ich solch ein süßes liebes braunes Kind, das lag auch so gern in meinem Schatten, und ich flüsterte ihm aus den Zweigen manch holdes Liebeswort herunter und streute ihm Blüthen und Blätter über Stirn und Schläfe, es ist aber nun lange todt,“ setzte er seufzend hinzu, „und Jahre lang vorher, ehe der gierige Zahn der Axt meinen Stamm angriff, gruben sie ihm ein Grab zwischen meinen Wurzeln. O, die liebe, liebe Zeit!“

„Pst, da kommt Jemand!“ flüsterte der Pfeilertisch, der ein sehr feines Gehör hatte, und die Geister der Meubeln horchten einen Augenblick und glitten dann schweigend unter ihr Fournier zurück; nur der Mond lag auf den blitzenden Flächen und warf breite wunderliche Schatten in das stille Gemach.

Da öffnete sich leise und vorsichtig die Thür, und Fanny steckte schüchtern und ängstlich den Kopf herein. Die Tische standen noch alle wie sie verlassen worden. Kein Laut ließ sich hören und unschlüssig blieb sie auf der Schwelle stehen. Es sah auch gar so still und unheimlich aus in dem weiten Raum, und kein Wunder war’s, wenn das arme Kind den Ort zu betreten fürchtete, der noch vor kurzer Zeit der Schauplatz so geheimnißvollen, unbegreiflichen Lebens und Schaffens gewesen. Es ist wahr, nichts Feindseliges, Drohendes oder Gefährliches ließ sich irgendwo entdecken. Dort stand noch derselbe Theetisch auf allen vier Beinen, wie jeder andere harmlose Tisch auf der weiten Gotteswelt und nur die krankhaft erhitzte Einbildungskraft eines tollen Menschenkindes wäre im Stande gewesen, Unheimliches aus der blanken polirten Fläche des Mahagoni herauszulesen – und doch, doch lag eben jenes unheimliche Schweigen, jene sprechende Stille über dem Gemach, die das Herz des jungen Mädchens ängstlich klopfen machte. Endlich aber bezwang sie doch das Grauen, das ihr fast unwillkürlich die Brust beengen wollte, und mehr fast noch eine Ueberraschung von außen fürchtend, warf sie scheu den Blick über die Schulter zurück, den weiten, düstern Gang entlang, den sie eben gekommen, und dann, als sie dort alles ruhig sah, heimlich und still in’s Zimmer schlüpfend, drückte sie vorsichtig und geräuschlos die Thür wieder hinter sich in’s Schloß.

Es war, als ob das arme Mädchen etwas Böses begangen, und doch schaute das von der Angst wohl etwas gebleichte aber liebe und freundliche Gesichtchen so vertrauungsvoll und unschuldig in das milde Licht des Mondes auf; man hätte ihm, nicht um’s Leben, etwas Unrechtes zutrauen können.

Jetzt schien sie sich auch endlich von ihrer ersten Befangenheit erholt zu haben, denn plötzlich blieb sie stehen, strich sich das dunkelbraune volle Haar aus der Stirn und ging dann mit festem Schritt gerade auf den in der Mitte des Zimmers stehenden ovalen Theetisch zu.

Hier aber war es, als ob aufs Neue eine gewaltige innere Bewegung sie ergriff; scheu und zitternd stand sie noch einen vollen Schritt von dem Tisch entfernt, und wagte nicht, ihn zu berühren.

„Ob er mir denn aber auch wohl Rede und Antwort stehen wird, wie dem Fräulein?“ flüsterte sie da leise und wie zweifelnd vor sich hin: „ob er mir sagen wird, um was ich ihn so gerne fragen möchte?“

Hui, wie das plötzlich knisterte und knatterte in dem Holz. Sie schaute erschreckt empor, um sich her – aber Alles war ruhig, und nur Täuschung gewesen.

„Das Holz hat sich gezogen,“ sagte sie leise, wie um sich zu beruhigen, vor sich hin, „aber ich wag’s,“ setzte sie dann etwas lauter und entschlossener hinzu, „ich wag’s, und wenn ich ihn recht fest halte und warm, wird er mir ja auch wohl Kunde geben von dem, was er weiß, was er wissen muß, – wie ja fast jeder Tisch jetzt im ganzen Haus; er muß reden.“

Mit den Worten fast trat sie dicht hinan zu dem Tisch und ihre beiden warmen Hände flach und fest auf den blitzenden Mahagoni pressend, daß ein zarter Hauch unter dem Rand der Hand fort über die Fläche schoß, wie sich die Eisblumen in Winterzeit an den Fenstern bilden, stand sie und schaute still und lautlos vor sich nieder.

Da begann es wieder. Still wie festgewurzelt noch stand der Tisch, aber wie zu dem warmen Körper gehörig, der sich ihm anschmiegte, bebte er, bis in seine innersten Poren, und wie knitternde Funken sog sich der schimmernde Glanz in das Mondlicht ein.

„O mein Gott!“ stöhnte das erschreckte Kind, und in sich zusammenbrechend, sank sie auf einen daneben stehenden Stuhl und breitete die Arme aus, auf deren rechtem ihr Haupt ruhte, und Brust und Arme berührten die Platte.

Da regte und hob es sich in dem Holz, da quoll und drängte es in jenem eigenen geheimnißvollen, wunderbaren Leben durch die trockenen Fasertheile des Tisches, und des Mädchens Augen blitzten jetzt lebendiger in dem freudigen. Bewußtsein, die Kraft zu haben über jenes wunderbare Wesen, das in dem leblosen Tische da schaffe und treibe und zu dem Menschen in seiner eignen Sprache redet.

„Und willst Du mir eine Frage beantworten?“ flüsterte sie, „willst Du mir Rede stehen, jetzt, wie dem Fräulein Anna?“

„Frage nicht, frage nicht!“ tönte und zitterte es da um sie her, „tollkühnes Menschenkind, frage nicht! Du bist unser, Du bist unser, und wenn Du es wagst, und wie Du uns jetzt drängst und umspannst, umsponnen wir Dich in dem engen Haus, und Du schläfst tief, tief hinein in den sonstigen Tag.“

„Wie ist mir denn nur, träume ich denn oder wach’ ich?“ rief da das Mädchen, „das ganze Zimmer wird lebendig und regt sich und räuspert und knistert, mir fängt’s an zu grausen.“

„Frage nicht, frage nicht!“ rief’s da mit mürrischem, warnendem Ton vom Secretair nieder, und dem erstaunten Mädchen kam es vor, als ob es sich auch dort oben regte und hob, und der kleine wunderliche Geist lief auf und ab auf seinem Sims und schüttelte seinen kleinen Kopf und die Frackschöße, und rückte mit der Brille und scharrte mit den winzigen Füßen. „frage nicht, Unsinn. Tisch ist trunken, hat den ganzen Abend gesogen und gesogen, bis er toll und voll war und sich drehen mußte, frage nicht.“

„Warne Dich, warne Dich, Kind,“ knarrte es von der Chiffonniere, „hab Acht, hab Acht, bist hier in unserm Bereich, warne Dich, warne Dich, hab Acht.“

„Trauen Sie dem Tisch nicht, Liebwertheste,“ wisperte es aus dem Glasschrank herüber, „er ist falsch, er ist falsch. lange schon hat er sich um mich gedreht, aber er lügt, er lügt.“

„S’ist doch merkwürdig, wie Einem das bloße Handauflegen so durch die Nerven zuckt,“ flüsterte das Mädchen, sich ängstlich dabei nach allen Seiten umschauend, „in den Armen und Fingerspitzen kitzelt’s und dehnt’s, und vor den Ohren summt mir’s wie menschliche Stimmen und Worte, wenn er sich nicht bald dreht, lauf ich davon; aber wahrhaftig, er fängt an, ich fühl’s, ich fühl’s, er regt sich schon, er kommt.“

„Frage nur, frage nur!“ zischte und wisperte es da um sie hin, vom Spieltisch und Pfeilertisch her, „frage nur, furchtsames Kind, die Zeit ist günstig, die Geister sind wach, und wir Alle dienen Dir, helfen Dir, frage nur.“

Der Tisch fing sich jetzt mehr und mehr an zu regen und zu [62] drehen, und das Mädchen mit klopfendem Herzen und fliegenden Pulsen folgte seiner Bahn.

„Ich habe große Lust, mich da mitten hineinzuwerfen in den Unsinn,“ kreischte da der Eckschrank, und stieß seine eine Klappe auf, gegen den Epheu, „ich kann mich so oben abheben! Prahlhans von einem Tisch, Prahlhans!“

„Er geht,“ jubelte Fanny, „ich habe die Kraft,“ und sie fühlte dabei, wie die Platte unter ihrem Tisch Leben und Weiche gewann und sich hob und drängte. „Frage nur,“ knisterte und wisperte es dann wieder vor ihrem Ohr, „frage, wie alt Du bist und den Datum, die Hausnummer und die Bilder an den Wänden, frage uns nach Reisen und Wiederkehr, nach Namen und Ehen und Briefen, wir wissen Alles, Alles, frage nur, frage nur!“

„Jetzt aber hab’ ich’s satt,“ schrie der Secretair, und all seine Fugen knackten und knarrten und unter seinen Füßen stöhnte der Boden. Und in dem Glasschrank klirrte und klapperte es, von rechts und links herüber zischten und summten die Laute.

„Ach, ich fürchte mich wahrhaftig,“ flüsterte das junge Mädchen vor sich hin, „das ganze Zimmer ist wie lebendig, und der Tisch dreht sich, daß ich anfange schwindlig zu werden; ob ich ihn frage? Ich wag’s, ich versuch’s, der Augenblick kehrt im Leben nicht wieder. Wenn er nur nicht die Dielen aus einander reißt. Willst Du mir antworten, Tisch?“

Es war, als ob ein elektrischer Schlag durch die Platte zucke, denn mit einem plötzlichen Ruck, daß die Fugen knackten, blieb er stehen, und sich auf zwei seiner Beine hebend, klappte er wieder nieder und zwar so bestimmt, so zuversichtlich, als ob er hätte sagen wollen: „Na, das versteht sich doch jetzt wohl von selbst.“

So unerwartet kam dabei dem jungen Mädchen diese entschiedene Bewegung, daß sie mit einem leisen Schrei in die Knie sank.

„Ha ha ha ha,“ lachte da und schüttelte sich die kleine Gestalt auf dem Secretair. und winkte und nickte nach der Chiffonniere hinüber, „närrisch Ding, närrisch Ding, hab’s mir wohl gedacht, wie es kommen würde. So geht’s, wenn man sich einläßt mit den wahnsinnigen Tischen und dem Unsinn das Ohr leiht; tolles Zeug, tolles Zeug.“

„Sie wird nicht ruhen, bis ihr alle Schiebladen verklommen sind,“ sagte die Chiffonniere, „und die Tische tragen nachher die Schuld mit ihrer unzeitigen Bewegung. Das kommt von den Neuerungen, da lob ich mir meine Ruhe.“

„Der Tisch fängt wahrhaftig an sich wieder zu bewegen,“ sagte der Glasschrank – „wenn er nur nicht in mich hineinläuft.“

„Das geschieht ihr aber recht“ knurrte der Eckschrank – „jetzt freut mich erst mein Leben. Aber ich will den Unsinn auch gar nicht mehr mit ansehen – es wird überhaupt kalt hier im Zimmer.“

Und er schloß seine Klappe wieder, daß das Schloß einschnappte, und lehnte sich schweigend in die Ecke.

Aber nur der erste Schreck hatte die Fragende überrascht; scheu den Blick zurück über die Schulter werfend, richtete sie sich wieder auf und mit den mehr gehauchten als gesprochenen Worten – „so stehe mir Rede“ – hielt der Tisch regungslos an, und schien die Frage seht förmlich zu erwarten.

„Sage mir denn“ flüsterte das schüchterne Kind, und das Blut schoß ihr dabei in Stirn und Schläfe – „ob er bald Aktuar werden wird, wie wir es lang, ach lang erwartet?“

Der Tisch hob sich rasch und entschieden und schlug wieder nieder als „Ja!“

„In wie viel Jahren?“ drängte sie da, und die Augen blitzten ihr ordentlich in freudiger Erwartung.

„Eins, zwei, drei, vier, fünf!“

Halblaut zählte sie, immer ängstlicher werdend mit, und als der merkwürdige Antworter stehen blieb und sich, wie zum Zeichen, daß seine Rede beendet, ein klein wenig nach ihr hindrehte, seufzte sie wehmüthig und recht aus voller Brust.

„Ach, das ist gar so entsetzlich lang’ noch, Du böser, böser Tisch, und da gäbe es ja doch nur ein Mittel, dem zu begegnen auf der weiten Welt.“

Und die Platte unter ihr regte und drehte sich rasch jetzt und immer rascher, als ob sie ihre Bereitwilligkeit wolle zu erkennen geben, dabei zu helfen.

„Und weißt Du schon, was ich meine?“ flüsterte scheu und ängstlich das Mädchen.

Wieder stand der Tisch und hob sich rasch und entschieden zu einem „Ja.“

„Und willst Du mir helfen?“

Heftig hob sich der Tisch und stampfte bejahend, und wie von unten herauf klopfte es plötzlich noch eins, zwei, drei Mal, der Antwort gewissermaßen Bestätigung gebend, daß die Fragende erschreckt aufhorchte nach den fremden ungeahnten Lauten; aber diese verstummten wieder und das Mädchen flüsterte jetzt rasch und heimlich:

„Wenn Du denn weißt, was uns allein nur helfen kann, so nenne mir die Zahl – nenne mir die Nummer des Looses, das uns frei macht von jeder Noth – die Tausende erst, dann die Hunderte und die Einer nach, und nun klopf’ mein Tisch, klopf’ und antworte, antworte mir – ich frage Dich!“

„Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs,“ hob sich der Tisch in raschen bestimmten Schlägen, die beiden Füße sich nur immer wenige Zoll vom Boden hebend, aber genug, einen klaren Laut zu geben – „sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn“ – weiter, weiter und weiter und in ängstlicher, aufmerksamer Spannung lauschte und zählte da Fanny.

„Klopf, klopf, klopf!“ kam es von unten dazwischen, als ob die Geister der Tiefe dem Treiben zürnten, und Einspruch thun wollten in das kecke Begehr: „klopf, klopf, klopf!“

„Ich werde irr’“, flüsterte ängstlich die Zählende, „dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn.“

„Klopf, klopf, klopf, klopf, klopf –“

„Vier und zwanzig, fünf, sechs, sieben, achtundzwanzig – Heiliger Gott – mir schwindelt es schon von dem tollen doppelten Zählen“ – aber weiter klopfte der Tisch, immer weiter und unverdrossen fort, und das unheimliche Echo unten schwieg eine Zeitlang, wie besiegt von dem eisernen Willen der oben arbeitenden Kraft.

„Sieben und dreißig –“ und der Tisch drehte sich knarrend auf einem Bein, während es unter seinen Füßen wieder zu toben und rühren begann.

„Sieben und dreißig Tausend“ – jubelte Fanny, kaum im Stande, ihre laute Freude zu unterdrücken, und der Secretair knarrte und ächzte wieder, und in der Chiffonniere war es, als ob ihr der ganze Rücktheil geplatzt wäre vor lauter Aerger, aber sie sagte kein Wort mehr, und wenn sie sich hätte ein Schlüsselloch abbeißen sollen.

„Und nun die Hunderte“, bat das Mädchen mit dringender Stimme.

Und „eins, zwei, drei, vier, fünf“ – begann wieder der Tisch und drehte sich.

„Also fünfhundert, und nun die Einer!“ bat die fragende mit flehender Stimme, und wieder begann der Tisch:

„Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht“ – unten war es still und ruhig geworden, er hatte den Sieg davon getragen – neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn –“

„Himmel, was war das?“ – Draußen am Vorsaal riß es an der Klingel, als ob es die Glocke ausreißen wollte mit dem Drahte.

„Achtzehn, neunzehn, zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig“.

„Tischchen dreh’ Dich, Tischchen dreh’ Dich!“ spottete es von der Chiffonniere herunter, „kommt Besuch, kommt Besuch!“ und der Glasschrank klirrte und klapperte wieder, und der Schmied, der auf der bronzenen Uhr stand, hob seinen Hammer und fing an drohend die Zeit zu schlagen auf dem silbernen Ambos – es war zwölf – und die Geister ringsum regten und reckten sich wieder und horchten hinüber nach dem noch immer wild und rastlos zählenden Tisch.

„Dreiundfünfzig, vierundfünfzig, fünfund –“

„Klingglinglinglingling!“

Das ganze Haus dröhnte von dem Reißen der Schelle, und Thüren klappten und Pantoffeln schlurrten über den Vorsaal, und das Mädchen ließ den Tisch los, barg ihr todtenbleiches Antlitz in den Händen und stöhnte verzweifelnd: „Vorbei – vorbei!“

Es war in diesem Augenblick todtenstill im Gemach, und geräuschlos glitten die Geister zurück in ihre Schlupfwinkel, nur der Schmied hämmerte ruhig und unbekümmert seine Schläge fort, [63] bis er den zwölften gethan – er hatte ein gutes Gewissen – und dann ließ er den Hammer wieder ruhen und horchte aufmerksam nach dem Räderwerk nieder, das unter ihm schnarrte und rollte, das Zeichen abzuwarten, das ihn nach einer halben Stunde zu neuer Thätigkeit rufen würde.

Jetzt öffnete sich draußen die Thür, und mit einem „Himmel Heiland Donnerwetter!“ wurde eine Stimme laut, der die nächtliche Tischrückerin mit ängstlich klopfendem Herzen lauschte, und dabei die Klinke der Nachbarkammer ergriff, sich durch die Flucht, sobald es nöthig sein sollte, jeder Entdeckung zu entziehen.

„Aber mein Gott, Herr Geheimrath?“ sagte draußen die Stimme des Maurermeister Brummbuber – „und verdank ich denn die unverhoffte –“

„Herr, zum Donnerwetter!“ unterbrach ihn aber in wildem Zorn der späte vornehme Besuch – „geben Sie denn die ganze Nacht keine Ruhe mit ihrem unseligen Tischklopfen und Rütteln und Scharren?“

„Aber ich begreife nicht“ – stotterte der Ueberraschte, der eben im ersten Schlafe gelegen.

„Ach was, begreifen – den ganzen Kalk habe ich mir unten von meiner Decke gestoßen, daß das verdammte Klopfen hier oben aufhören soll – aber Gott bewahre! Herr, das ist zum wahnsinnig werden, und gerade über meinem Schlafzimmer – je mehr ich klopfte, desto toller wurd’s.“

„Aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort –“

„Was hilft mir Ihr Ehrenwort, wenn mein ganzes Zimmer voll Kalk jetzt liegt, und der Teufel hier los ist halbe Nächte lang über die Polizeistunde hinaus?“

„Aber ich liege ja schon mit meiner ganzen Familie zwei Glockenstunden im Bette, und muß mir jetzt hier in dem dünnen Anzug den Tod holen vor Erkältung.“

„Ueber meinem Schlafzimmer war’s!“ trotzte aber der Geheimrath, in seinen warmen Schlafrock gehüllt, die Mütze halb über die Ohren gezogen – „und ich kündige meine ganze Etage morgen, wenn mir der Skandal noch einmal vorfällt.“

„Hier ist das Zimmer, das über ihrem Schlafzimmer liegt!“ rief jetzt der Steuerrevisor in allerdings noch immer respektvoller, aber doch auch gerechter, sich seiner Unschuld bewußter Entrüstung, und riß in dem nämlichen Augenblick die Thür auf, als Fanny durch die gegenüberliegende verschwand – „wenn hier ein Tisch geklopft hat, Herr Geheimrath, so hat er mit sich selber gesprochen – und nach den heutigen Vorgängen wäre das allerdings nicht unmöglich – aber ich versichere Sie –“

„Mit sich selber gesprochen!“ rief der Geheimrath in unbeschreiblicher Verachtung, und zog sich die Nachtmütze bis über die Ohren – „mit sich selber gesprochen –“ und über den Saal schlurrte er hin und warf die Saalthür hinter sich in’s Schloß, daß die Scheiben klirrten und brummte und knurrte die Treppe hinunter – „mit sich selber gesprochen – toll, toll, toll werden sie im Kopf oben, im Schädel und unten in den Tischen – toll, reine toll – mit sich selber gesprochen.“

Und die Schritte verhallten unten im Haus – man hörte eine Thür öffnen und schließen – der Maurermeister Brummhuber war schon lange wieder in sein Bett gekrochen und hatte über den brummigen Miethsmann geschimpft, der ihm den Tod werde angethan haben mit Rheumatismus und Schnupfen. –

Auf ihrem Bett aber, das thränenfeuchte Antlitz fest in das Kissen gedrückt, lag Fanny und seufzte und schluchzte still vor sich hin.

„Vorbei – vorbei – siebenunddreißig Tausend fünfhundert und Gott weiß, welche andere Zahl. – O, der unglückselige Geheimrath – und noch fünf Jahre warten, ehe er Aktuar wird.“

Und der Schmied auf der bronzenen Uhr im Zimmer hob wieder aus, ließ den Hammer einmal klingend auf den silbernen Ambos nieder schlagen und horchte bedächtig nach unten – aber kein Laut ließ sich hören weiter wie das regelmäßige Ticktack der Wanduhr und das leise Bohren des Holzkäfers, der nach dem Takt der Uhr seine Arbeit fortsetzte – so genau hielt er das Zeitmaß nach den scharfen, abgemessenen Tönen.