Die letzte Todte aus Weimars großer Zeit

Textdaten
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Autor: Fr. Helbig
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Titel: Die letzte Todte aus Weimars großer Zeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 700–704
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[700]
Die letzte Todte aus Weimars großer Zeit.

Auf dem Friedhofe zu Jena steht, geschützt durch ein Geländer, zwischen zwei reichentwickelten Cypressen, ein marmornes Kreuz, auf dessen nach Osten gekehrter Seite in vergoldeter Schrift man die Worte liest:

Sie irrte, litt, liebte,
verschied
im Glauben an Christum,
die erbarmende Liebe.“

Wer ist das Frauenherz, drängt es die Neugier des Lesers, das, nachdem es geirrt, gelitten und geliebt und dann mit dem Troste des Glaubens geschieden war, gebrochen unter diesen beiden dem Tode geheiligten Bäumen schlummert?

In diesem kurzen Grabspruch hat sie uns wohl ihr ganzes Leben geoffenbart: ja, es will uns bedünken, als habe sie in den drei Zuständen des Irrens, Leidens und Hebens den Inhalt unsers eigenen Lebens uns enthüllt. Mitten auf dieser Stätte des erstorbenen Lebens tritt die erschütternde Frage an uns heran, ob nicht unser Leben mit seinem ewigen Ringen nach vermeintlich hohen Zielen ein einziger großer Irrthum ist, an dem nichts wahr bleibt, als unser Leiden und unser Lieben!

Wer ist die Todte, die ihr Leben mit einer solchen Erkenntniß geschlossen? Wir wenden uns nach der gen Westen gewandten Seite des Kreuzes und finden dort halbverhüllt von den immergrünen Zweigen der Cypressen die Worte:

Hier ruht Caroline von Wolzogen.

[702] Unter diesem einfachen Kreuze, mitten unter allerlei Todten, in der gewöhnlichen Gräberreihe des Kirchhofs zu Jena, ruht die Schwägerin Schiller’s. Sie also war es, die ein Leben voll Irrthum, Leid und Liebe durchgekämpft hat – nach ihrem eigenen Geständniß, denn wir erfahren, daß sie die Kreuzesworte sich selbst gewählt und bestimmt hat.

Das Leben Carolinens ließ ich an meinem Geiste vorbeiziehen und ich fand, sie hatte Recht mit ihrem Bekenntnisse.

Schon früh beging Caroline von Lengefeld einen Irrthum – es war ihre Vermählung mit Herrn von Beulwitz. Wohl konnte dieser Mann Carolinen jene äußere Achtung abgewinnen, welche jeder Mann, der schlicht und einfach seinem Berufe und seiner Lebensstellung zu genügen strebt, verdient; aber eine innere Befriedigung konnte dies Verhältniß dem hohen Geiste Carolinens und ihrem Herzen, das „der Liebe bedurfte“, nicht gewähren. Nie aber hat Caroline um diesen Irrthum Klage erhoben. Sie hat das Martyrium dieser Ehe neun Jahre lang nicht mit dem demüthigen Duldersinn eines Weibes, sondern mit der starken Fassung eines Mannes getragen. Früh schon, vielleicht in und durch dies Verhältniß, hat sie gelernt, mit jenem feinen Takt, den die Frau vor dem Manne voraus hat und der ihr Ersatz giebt für den männlichen Verstand, die Leidenschaften und Wünsche ihres Herzens zu zügeln. Der Widerspruch zwischen ihrem innern und äußern Leben, der Irrthum ihres Herzens, drängte sie, wenn er nicht Blüthen des Humors trieb, ferner zur Reflexion, zu einer philosophischen Anschauung des Lebens, wozu es ihrem reichen Geiste nicht an Kraft gebrach. Aber auch der anfangs so übelgelaunte Genius ihres Lebens war nicht unversöhnlich. Er schuf ihrem unbefriedigten Geiste einen anfangs geringen, dann einen überreichen Ersatz und schützte ihn so vor der Verkommniß. Wir kommen zu Carolinens Liebe.

Zuerst war es ein edler Jüngling, den eine Ahnung von dem reichen Geistesschatz, der in ihr verborgen lag, zu ihr hindrängte, ihr eigner Vetter, Wilhelm von Wolzogen. Dem zwar nicht selbstschöpferischen, aber für das Ideale im Leben begeisterten und in gleichem Maße mit dem Gebotenen unzufriedenen, daher nach Jenem suchenden Manne öffnet die nach Mittheilung lechzende junge Frau den ganzen Reichthum ihres Geistes und Herzens. Als aber der von dieser Entdeckung berauschte Jüngling nicht mehr auf der hohen See des Geisteslebens treiben will, sondern stürmisch nach Hafen und Land begehrt, da wußte sie von den genannten Eigenschaften ihres Charakters und von jener „Kraft“ Gebrauch zu machen, welche, wie sie dem Freund schreibt, in der Seele des Menschen ist, ihn vor allzu heftigen Eindrücken zu schützen, vor ungestümen Wünschen und streben nach Allem, was nicht in dem Preise seines Wirkens ist, abzuhalten. „O,“ rief sie aus, „unser ganzes Leben dient dazu, diese Kraft zu üben! Denn wie selten werden unsere Wünsche erhört! Suchen Sie, mein Theurer, durch diese Kraft Ihr Herz zu mehrerer Ruhe zu stimmen.“ Ach, sie hat diese Kraft selbst noch härter üben müssen – der leidenschaftliche Vetter ist indeß damit noch nicht abgeschreckt. Jede warme Aeußerung „sieht er mit dem Vergrößerungsglas der Liebe an“, und es bedarf erst einer umfassendern Auseinanderlegung der Verhältnisse und Begriffe, um sein und wohl auch das eigne Herz zur Ruhe zu philosophiren.

Bald aber kam ein Größerer – vor ihm mußte nunmehr der einfache Jüngling weichen. Von der Gewalt seiner Liebe zeugt sein an die Freundin gerichtetes „Lebewohl“ – „Lebe wohl, mit unbegreiflicher Wehmuth sage ich Dir Lebewohl – Du bist glücklich, denn dieses Lebewohl fühlst Du nicht. Lebe wohl, Caroline –“ Es war ihre und seine erste Liebe.

Im Sommer 1788 begann die Annäherung Schiller’s an beide Schwestern Lengefeld. Carolinens Schwester Charlotte war vielfach der Gegensatz ihrer Schwester. Hatte Caroline mehr Männliches, im Urtheile Gereiftes, so repräsentirt Lotte das rein Weibliche, die Sanftmuth und Liebe, die Anmuth und Naivetät. Dort Urtheil und Reflexion, hier das natürliche Gefühl, fast wie der von Schiller gefundene Gegensatz zwischen naiver und sentimentaler Dichtung – so erscheinen sie Beide, und wunderbar, Beider Wesen findet vereinigt sich wieder in – Schiller. Mit mehr oder weniger Nuancen findet sich dieser Gegensatz in allen spätern Frauengestalten des Dichters wieder. Schon im Don Carlos die Eboli und Elisabeth dann Thekla und die Terzka, Marie Stuart und Elisabeth, Agnes Sorel und die Jungfrau, Beatrice und Isabelle – Charlotte und Caroline.

Und so geschah es, daß zwischen den Dreien, zwischen Schiller und den beiden Schwestern, ein so seltenes Verhältniß sich entwickelte, daß ein geistvoller Professor der Theologie meint, es habe sich im Reiche der Geister das vollführt, was die Volkssage von dem Ehebett des Grafen von Gleichen erzählt.

Vorsichtig aber und mit heiliger Scheu muß man eintreten in das Heiligthum, in welchem sich der gemeinsame Cultus dieser drei Seelen vollzog.

„Unser himmlisches Leben wird ein Geheimniß für die Menschen bleiben, auch wenn sie Zeugen wären,“ schreibt Schiller. Das vollenden konnte eben nur er, der Glückliche, dem es gelang, ewig im Reiche der Ideale zu leben, und hinter dem „im wesenlosen Scheine lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine“! Wie beglückend für Carolinen, für alle Drei war diese Liebe! In der gleich empfundenen Verehrung des Hohen und Schönen fand sie ihren Aufgang, in der gemeinsamen Pflege desselben ihre Nahrung. Darin fand sie auch ihre natürliche Wächterin. Wie herrlich klingt die Analyse dieser Liebe in Schiller’s Feder: „Das ist das höchste Glück in unserer Verbindung, daß sie auf sich selbst beruht und sich in einem einfachen Kreise ewig um sich selbst bewegt. Unsre Liebe braucht keine Wachsamkeit, keine Aengstlichkeit. Wie könnte ich meiner eignen Seele immer genug bleiben, wenn meine Gefühle für Euch Beiden, für jedes von Euch nicht die süße Sicherheit hätten, daß ich dem Andern nicht entziehe, was ich dem Einen bin. Frei und sicher bewegt sich meine Seele unter Euch und immer liebevoller kommt sie von Einem zu dem Andern zurück, derselbe Lichtstrahl, der nur verschieden wiederscheint aus verschiedenen Spiegeln. Eure Liebe ist das Licht meines Lebens.“ Dahin darf man wohl auch die Worte Carolinens deuten, die sich in einem ihrer Romane finden: „Unter Menschen, die sich nicht fremdartig, vielmehr durch gleiche Liebe zum Schönen und Guten miteinander verschwistert sind, kommt früh oder spät ein Moment der inngsten Annäherung.“ Die Anforderungen der Verhältnisse, die Vorurtheile des Lebens, mehr noch aber die Rechte des Herzens verlangten indeß bald, daß diese Annäherung eine reale, von der Sitte geweihte Seite gewinne. Schiller fühlte dies lebhafter, als seine Anstellung in Jena eine räumliche Trennung zwischen ihm und den Schwestern beanspruchte.

Wohin fiel nun die Wahl?

Sein Geist zog ihn zu Carolinen, sein Herz zu Charlotten. „Caroline,“ gesteht er später selbst, „ist mir näher im Alter und darum auch gleicher in der Form unsrer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur Sprache gebracht als Du, Lotte. Aber ich wünschte nicht, daß es anders wäre, daß Du anders wärest. Was Caroline vor Dir voraus hat, mußt Du von mir empfangen, Deine Seele muß sich in meiner Liebe entfalten und mein Geschöpf mußt Du sein.“ Mit dem feinen Treffersinn des Genies fand er so das Rechte. Nicht die geistig mit thätige, weit mehr die mit empfindende und empfängliche Frau, die, ohne die Wiege des schlummernden Kindes zu verlassen, dem schaffenden Genius lauscht, ist die ihn ehelich wahrhaft beglückende. Und sie hat es im reichen Maße bewährt, Lotte, die Dulderin. Ihr, die mit der ganzen Innigkeit ihres Gemüths Schiller liebte, war auch die Kraft zur Entsagung nicht so verliehen, wie der geistesstärkern Schwester. Auch ohne den sie bindenden Irrthum ihrer Ehe fiel Carolinen, welche mit der Leidenschaft ihres Herzens Haus zu halten verstand, die schon geübte Rolle der Resignation zu: Charlotten wäre das Herz gebrochen. Caroline that aber noch mehr, als daß sie mit der Resignation sich begnügte. Schiller rang lang mit dem Geständnisse. Mit der jeder zarten, reinen Liebe innewohnenden Scheu wurde von beiden Seiten der Entdeckung des süßen Geheimnisses ausgewichen. Lolo ängstet sich mit dem Gedanken, daß Caroline Schiller mehr sein könne als sie. Schiller klagt die Umstände, die Meinung der Welt an, klagt, daß er gewisse Verhältnisse nicht umkehren könne. Doch das rechte Wort will sich nicht finden. Immer bleibt es der von der Form ewig fliehende Gedanke. Da tritt die hochherzige Schwester selbstthätig auf, als der „gute Engel, der Schiller’s furchtsamem Geheimniß so schön entgegenkam“. Sie führt die Entscheidung herbei. Hier tritt sie am höchsten in die Erscheinung und es war nur ein Reflex dieser Erscheinung, wenn sie am Spätabend ihres Lebens an den leidenschaftlichen Stellen von Schiller’s Briefen ihren Namen [703] zu tilgen und den ihrer Schwester dafür einzusetzen suchte. Als nun das Wort gesprochen und der Herzensbund zwischen Schiller und Lotte geschlossen war, ist Schiller noch glücklich, daß er mit dem Besitze der Einen auch den Besitz der Andern sich gesichert habe. „Eueres Besitzes bewußt werde ich mit Allem, was mich umgiebt, versöhnt. In Euch zu leben und Ihr in mir, das ist ein Dasein!“ jubelt er. Aber mit dem Gürtel und dem Schleier mußte naturgemäß die Wendung kommen.

Schon in dem letzten Briefe an Beide, kurz vor der Hochzeit mit Lotten, ist das gemeinsame Element aufgelöst in die beiden vom Leben geweihten Begriffsformen Braut und Schwägerin.

Gemeinsam mit der bräutlich geschmückten Schwester trat Caroline noch ein in das Kirchlein von Wenigenjena, aber mit der dort am 20. Februar 1700 vollzogenen Trauung Schiller’s vollzog sich auch die Trennung. Lotte wurde nicht blos sein Geschöpf, sie wurde der gute Engel seines Hauses und seines Lebens. Sie nahm nun seine Liebe ganz für sich, und duldend und opfernd hat sie in den fünfzehn an Schmerz und Seligkeit überaus reichen Jahren ihrer Ehe und über sein frühes Grab hinaus diese Liebe treu bewahrt. Doch noch einmal schloß sich der Geisterbund – am Sterbebette Schiller’s. Und wie dort Charlotte gebrochenen Herzens auf den Knieen liegt, während Caroline aufrecht starken Geistes mit dem Arzt am Fuße des Lagers steht und die Füße des Sterbenden hülfreich in Kissen hüllt, so ist es das charakteristische Bild von beiden Schwestern.

Nach der Trennung des Dreibundes fühlte Caroline mehr als je das Drückende ihres Ehebündnisses mit Beulwitz. Schiller übernahm es die Ehetrennung herbeizuführen.

Aber die „Angelegenheit“, wie sie Schiller nennt, verzögerte sich und kam erst nach vier Jahren zur Ordnung. Caroline hat in dieser Zeit viel gelitten. Sie half sich dabei zum Theil mit dem Goethe’schen Mittel. Wie dieser seine innere Verstimmung oft in ein poetisches Product ergoß und so von sich ablöste, so schrieb Caroline damals einen Roman, „Agnes von Lilien“, in welchem sie ihr eignes Leben zum treuen Spiegel nahm. Dann wendet sie ihr liebebedürstig Herz wieder zu einem Verlassenen: Wilhelm von Wolzogen. Derselbe war inzwischen hinausgezogen in die Welt, hatte dort seine Leidenschaft gefühlt, seinen Geist gebildet. Er, der von der Leidenschaft Freigewordene, bot der von dem Irrthum Freigewordenen seine Hand und sie beschloß den Abend ihres Lebens „mit ihm zu verleben“.

So war Carolinens Liebe.

Schon hier konnte sie sagen: ich irrte, litt und liebte; denn wie immer Liebe lohnt mit Leide, hat sie schon da, wenn auch kein laut geklagtes, aber tief verschlossenes Leid erfahren. Ihr tiefstes Leid war ihr aber noch aufgespart.

Der Zufall führte mich an den Ort, darin es ihr geschah, und ließ es mich dort erfahren. Da die Verhältnisse wohl nicht sehr bekannt sein dürften, verstatte ich mir eine genauere Erzählung.

Zwischen Arnstadt und Rudolstadt liegt das zum Großherzogthum Weimar gehörige Dorf Bösleben. Der Drang, meinen lieben Freund R–n, der dahin als Pfarrer versetzt war, einmal wieder zu sehen, war es allein, der mich vor nun schon länger als zwei Jahren an den vorher unbekannten Ort führte.

Bald mußte ich erfahren, daß ich mich daselbst nicht blos auf einem durch eine reiche historische Vergangenheit, sondern auch durch allerhand Berührungspunkte mit Weimars classischer Zeit bemerkenswerthen Boden befand – eine Entdeckung, welche mich und meine Reisegenossen für den Mangel materiellen Genusses entschädigte, an dem das damals noch der waltenden Hausfrau entbehrende Pfarrhaus litt.

Von der Pfarrei grad über lag mit der Breitseite der Straße zugekehrt ein stattlich Gebäude, gegenwärtig die Schule des Ortes. Das Haus war einst das Herrenhaus des von Wolzogen’schen Gutes.

Auf allen Gassen konnte ich nun bald erzählen hören von „Geheimraths von Wolzogen“, von Carolinen, von dem unglücklichen Tode ihres einzigen Sohnes, von Schiller. Ja, auch Schiller sollte dort zum öftern gewesen sein. Ein gekritzelter Namenszug in einem Fenster des Hauses sollte von ihm herrühren. Wahr oder unwahr: die guten Bösleber hielten auf das Fenster als ein Ortsheiligthum.[1] In der südöstlichen Ecke des an das Schulhaus anstoßenden Gartens begrenzten vier Steinwürfel eine Grabstätte, an deren mittägiger Seite sich ein hohes eisernes Kreuz auf steinernem Sockel erhebt. Die ausgestreckten Kreuzesarme tragen die Worte: „Friede sei mit Euch“, während es auf der Nordseite des Sockels heißt: „Hier ruhet Adolf Freiherr von Vollzogen. Er starb im Glauben, Lieben und Hoffen seines Erlösers! Im 30. Jahre den 10. September 1825.“

Dieses Kreuz hat Carolinens tiefsten Schmerz gesehen, diese vier Leichensteine halten ihr herbstes Leid umschlossen.

Es ist die Grabstätte ihres einzigen Kindes, welches in den Blüthenjahren des Menschenlebens an jener Stelle einen ungewöhnlichen Tod gefunden. Der vier Jahre nach Schiller auch heimgegangene Gatte hatte ihr nur einen Sohn hinterlassen. Der zu schönen Hoffnungen berechtigende Jüngling hatte in den Strapazen des Feldzugs von 1813 bis 1815, denen er beiwohnte, oder wohl auch im Uebermaß des Lebensgenusses den Keim einer zehrenden Krankheit in sich gelegt. Die besorgte Mutter zieht ihn zur Erholung zu sich in die ländliche Stille des väterlichen Erbgutes. Dort fällt er in eine schwere Krankheit. Wieder im Genesen, steigt er an dem sonnighellen Herbsttage vom Krankenlager auf und tritt mit seiner von neuer Hoffnung belebten Mutter in’s Freie. Ueber den Garten hinaus, weit in die Felder, trägt ihn der frischgekräftigte Schritt. Bei der Heimkehr bemerkt er an der Gartenthür einen Zug Feldhühner. Er heischt nach einer Flinte. Als ihm diese sein Diener gebracht und sich kaum gewendet, vernimmt er einen Schuß – und der junge Herr liegt am Gartenzaun in seinem Blute. Das Kirchenbuch des Ortes erzählt von dem Vorfall: „Während er (Adolf v. W.) geht, verwirrt sich sein Mantel im Gebüsche, er, noch schwach, wankt, das Gewehr geht los und trifft ihn in die linke Brust. Tags darauf endete er sein Leben.“

Das Volksgerücht, immer geschäftig, jedem Ereigniß eine düstere Seite abzugewinnen, hat wohl dem Todten eine Versündigung gegen sich selbst angedichtet. Der seinen Herrn begleitende Diener, welcher erst vor Kurzem heimgegangen ist, hat mir und Andern gegenüber dieser Deutung entschieden widersprochen. Das tiefe Weh über diesen Verlust des einzigen Kindes raubte Carolinen fast die eigne Kraft zum Leben. Jahre lang zitterte es noch nach in ihrem Herzen. Länger als ein halb Jahr darnach schreibt sie in ihrem Tagebuch:

„An dem Schreibtisch, wo ich einst leicht und fröhlich die Blumen der Dichtkunst pflückte und streute, als vier liebe Augen nach mir schauten und mir ein neues Leben in dem Deinigen aufging, geliebtes Kind, hier sitzt die Einsame, verödet im harten Schmerz Untergegangene.“ Und im Jahre 1827: „Wie ist Alles verödet um mich her! Wie war Alles voll Hoffnung, als Deine Augen, geliebtes Kind, dem Lichte offen waren!“ Und am dritten Jahrestage des Todes: „Heute vor drei Jahren legte ich mich zum letzten Male mit Lebenshoffnungen nieder. O, mein Gott, daß du mich im unsäglichsten Jammer bei Sinnen erhieltest, war Gnade, Gnade.“ Dann noch im Jahre 1832: „Nur Lichtblicke der Liebe treffen mich zu Zeiten in der Erinnerung an meinen Adolf. Sein Bild steht vor Allem.“ Die äußern Zeichen der Trauer legte sie nie wieder ab.

[704] Das war Carolinens Leiden.

Der Ort Bösleben war ihr verleidet. Sie verkaufte das Gut an den Fürsten von Schwarzburg, von dem es dann die Gemeinde zur Einrichtung einer Schule erwarb. Dem Andenken des Sohnes aber errichtete sie eine noch jetzt in Ehren gehaltene Stiftung, der zufolge an dem nach dem Todestage des Sohnes folgenden Sonntage eine kirchliche Feier an dem Grabe stattfindet, zwei arme Knaben neu gekleidet und die Schulkinder mit Schulsachen beschenkt werden. In von der Stifterin sinnig erdachter Weise tragen die beschenkten Knaben und die beiden ersten Schulmädchen dem Zuge der Kinder voran Kränze und hängen sie dann als Todtenopfer an die vier Marksteine des Grabes, statt der im Jahreslauf verwelkten und verwehten: ein Symbol der sich ewig erneuernden Erinnerung. Im nächsten Jahre nach des Sohnes Tode brach auch das treue Schwesterherz Charlottens, zu Bonn am Rhein.

So war Schiller todt, der Gatte und der Sohn todt, die Schwester gestorben – Caroline war vereinsamt. Ihr Herz, wie immer das Herz der Einsamen, kehrte sich zum Glauben: „Das Licht auf Erden ist erloschen, nur das von oben kann auf mich herniederleuchten.“

So warf sie sich, nachdem sie geirrt, gelitten und geliebt, in die Arme der allerbarmenden Liebe.

Längere Zeit wohnte Caroline in Schiller’s ehemaligem Gartenhaus in Jena.

Als dies für anderweite Zwecke bestimmt war, zog sie auf ein auf der Nordseite der Stadt vor dem Thore gelegenes Landgut (das sogenannte Meister’sche Gut), das noch heute mit ihrer Gedenktafel geziert ist. In dem Gärtchen am Hause wandelte sie oft am Arme ihrer treuen Dienerin. Und ich erinnere mich aus meiner Kinderzeit, als mich der Weg in meiner Eltern Garten oft dort vorbeiführte, des tiefen Eindruckes noch, den die ehrwürdige Greisin auf den Knaben, der weder die Bedeutung, noch das Schicksal der Frau kannte, blos durch ihre äußere, ehrfurchterweckende Erscheinung machte. Ihr Leben nährte und fristete sich an den großen Erinnerungen aus ihrer Vergangenheit, von denen sie einen Theil niederlegte in ihrem Leben Schiller’s.

Fürsten- und Gelehrtenhuld umgab sie. Indeß starben nacheinander alle ihre großen Freunde und Freundinnen. Unter den Ersten der Großherzog Karl August, dann bald auch der große Meister Goethe – und als im Beginn des Jahres 1847 auch ihr Herz brach – war sie die letzte Todte aus Weimars großer Zeit. Auf dem Friedhof zu Jena ruht das irrende, leidende und liebende Herz Carolinens, drei Meilen gen Westen in der Fürstengruft zu Weimar ruht das Herz ihres großen Freundes Schiller, aber weit entrückt an den Ufern des Rheines ruht Charlotte. Die einst im Leben Eins gewesen in der Liebe, sie sind im Tode weit voneinander getrennt. Und doch haben sie alle Drei eine gemeinsame Ruhestätte – in dem Herzen des deutschen Volkes.

Wie im Volksmund lebt die Sage vom Grafen von Gleichen, also wird nach Jahrhunderten noch im Herzensschooß des deutschen Volkes die Sage erklingen von der Dreieinigkeit ihrer edlen Seelen.
Fr. Helbig.

  1. Von Schiller’s Besuch in Bösleben wird bestimmt folgende Einzelheit dort erzählt. Vor dem Ort erhebt sich nach dem Dorfe Willersleben zu eine lebhaft ansteigende Ebene, weshalb es geschehen kann, daß bei heftigen Regengüssen das Wasser stark gegen das Dorf andrängt. Als nun einmal Schiller im Frühjahr mit seiner Familie bei „Geheimraths“ zum Besuch war, strömte da auch in Folge eines raschen Thauwetters das Wasser mächtig in das freiliegende „Herrenhaus“. Die im Hause befindlichen Damen – es war zahlreicher Besuch von Weimar da – fingen an, sich darob sehr zu ängstigen und den Einsturz des Hauses zu fürchten. Sie ließen sich deshalb auf den Rücken einiger stämmiger Bauernbursche durch das Wasser über den Fahrweg hinüber in ein geschützter gelegenen Bauernhaus tragen.
    Nur Schiller harrte muthig aus auf dem Posten, spottete zum großen Aerger der furchtsamen Damenwelt sehr lustig und ausgelassen über dies wahrhaft tragikomische Ereigniß und erließ vom offenen Fenster herab ergötzliche Anrufe und Anreden, ganz im Stile seines Kapuziners in Wallenstein’s Lager.
    Seinen dann aus dem Geisterseher citirten Beschwörungsformeln gelang es hierauf auch bald, das aufgeregte Wasser zu besänftigen, und die Damen konnten trockenen Fußen wieder in’s Haus zurückkehren, um sich von Schiller wegen ihrer Furchtsamkeit auslachen zu lassen. Sehr gelehrte Forscher wollen behaupten, Schiller habe aus diesem Vorfalle die Motive zum Taucher, zu Hero und Leander und der Stelle im Graf von Habsburg, wo dieser das Pfäfflein über den reißenden Bach trägt, entnommen.