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Titel: Die jonischen Inseln
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aus: Das Ausland, Nr. 25; 28; S.  97–98, 115–116.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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[97]

Die jonischen Inseln.

Der Sirocco. Maitland, Adams und Guilford.

Ein kürzlich erschienenes englisches Werk[1] enthält sehr anziehende Schilderungen eines, von Nationalvorurtheilen ziemlich freien brittischen Reisenden, über diese schönen Besitzungen, welche weder die Gewalt der Waffen, noch freie Wahl, sondern die Intriguen der Politik und die Siege des Kabinets, der Oberherrschaft Englands unterworfen haben. – Alles ist herrlich in Corfu (sagt unser Reisender) soferne man nicht genöthigt ist in einem der abscheulichen Wirthshäuser zu wohnen, oder soferne nicht der furchtbare Sirocco weht. Dem erstern Uebel entging ich glücklich, aber keine Gastfreundschaft konnte mich vor dem zweiten schützen. Der Einfluß dieses Windes ist so groß, daß selbst Personen von der stärksten Constitution sich plötzlich ermattet fühlen, als wären sie von der schwersten Krankheit befallen, ja daß selbst die Einwohner der Gegenden, in denen er am häufigsten weht, nicht immer von seinen furchtbaren Wirkungen verschont bleiben. In dem Augenblicke, als er, zum erstenmal seit meiner Ankunft auf der Insel, zu wehen begann, ward ich aus tiefem Schlafe erweckt, und fühlte die Veränderung, die plötzlich in der ganzen Atmosphäre vorging. Meine Brust ward beklommen; es bemächtigte sich meiner das peinliche Gefühl eines Menschen, der zu ersticken fürchtet; es war mir also ob ein brennender, schwefliger Liquor durch meine Adern drängt; mein ganzes Wesen befand sich in der äußersten Abspannung. Glücklicherweise ist das Uebel nur vorübergehend, und hat man es überstanden, so freut man sich doppelt des schönen Lebens, das ringsum dieser glückliche Himmel darbietet.

Mit Freuden bemerkt man in Corfu überall die steigenden Fortschritte der Civilisation. Straßen die noch vor kurzem völlig unwegsam waren, sind nach Mac Adams Methode hergestellt, und bequeme Wohnungen, in einem bessern Style gebaut, treten an die Stelle der alten, den Einsturz drohenden Hütten. In der Stadt selbst verdrängt Reinlichkeit und Ordnung mehr und mehr den einst so ekelhaften Schmutz. Die Abschaffung eines alten auf dem Grundeigenthum lastenden Gesetzes, nach welchem ein Theil der Insel ausschließlich mit Oelbäumen bepflanzt seyn mußte, woher es kam, daß beständige Nebel daselbst herrschten, hat sehr wohlthätig auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung gewirkt. Zugleich ward dadurch ein beträchtlicher Theil des Bodens für eine weit vortheilhaftere Benützung gewonnen. Diese Maßregel ist eine von den Wohlthaten der Verwaltung des Sir Frederik Adams, der zum Glück der Jonier Nachfolger des despotischen und übermüthigen Sir Thomas Maitland wurde.

Das Andenken des „Königs Tom,“ wie die Inselbewohner den Sir Thomas nennen, wird von allen verwünscht, und noch gegenwärtig sprechen sie von ihm nur mit Schrecken und Abscheu. Er hatte die Kunst, sich bei all denen, die unter seiner Verwaltung standen, von Grund auf verhaßt zu machen, bis auf den höchsten Grad gebracht. Doch möchte ich diesen Haß mehr auf Rechnung der rohen und beleidigenden Art, mit der er seine Gewalt ausübte, als auf Rechnung von Handlungen positiver Unterdrückung setzen. So z. B. fiel es ihm einmal ein, den gesetzgebenden Körper in seinen eigenen Palast zu berufen, und vor den Repräsentanten des Volks ohne Rock, im bloßen Hemde zu erscheinen. Nie sprach er von den Joniern, ohne ein unanständiges, seine Verachtung ausdrückendes Beiwort beizufügen. Ein solcher Mann war nicht geeignet seine Person oder seine Maßregeln populär zu machen. Zuweilen begegnete es ihm sogar, seine eigenen Anordnungen zu verletzen, was diesen noch mehr das Siegel einer rein willkürlichen Tyrannei aufdrückte. Ungeachtet er z. B. alle aus Albanien kommenden Schiffe einer sehr strengen, dem Handel der Insel höchst beschwerlich fallenden Quarantaine unterworfen hatte, kehrte er sich doch, als er selbst von einem Besuche bei Ali Pascha zurückkam, so wenig an sein eigenes Gesetz, daß er gleich vom ersten Tage seiner Ausschiffung an, mit dem Pelze, den er vom Pascha von Janina zum Geschenk erhalten hatte, spazieren ging. Noch bis auf diesen Tag müssen die Reisenden und der Handel die nachtheiligen Folgen dieses Benehmens empfinden; die neapolitanische Regierung sah sich dadurch veranlaßt, die Quarantainezeit der von den Inseln kommenden Schiffe um mehrere Tage zu verlängern, und bis jetzt konnte es dem englischen Einflusse nicht gelingen, die Zurücknahme dieser Maßregel zu bewirken.

Der gegenwärtige Gouverneur der Sieben Inseln, Sir Frederik Adams, genießt eine wohlverdiente Popularität; und es möchte auch schwer seyn, die Pflichten des ihm anvertrauten Postens mit größerem Eifer zu erfüllen. Seine Verheirathung mit einer jungen Insulanerin hat [98] viel dazu beigetragen, ihm die allgemeine Zuneigung zu gewinnen. Er wendet, in Vereinigung mit Lord Guilford, dem Gründer der Universität in Corfu, alles an, um die gegenseitige Abneigung und Absonderung, die zwischen den Engländern und den Eingebornen herrscht, nach und nach zu mildern. Lord Guilford wird von den Joniern verehrt, als gehörte seine Erscheinung noch der alten Herrlichkeit ihres Vaterlandes an. Die Philanthropie dieses ausgezeichneten Mannes hat nichts von der Kälte des Klimas angenommen, unter dem er geboren wurde. Mit feuriger Seele hat er seine Zeit, sein Vermögen, jeden seiner Gedanken dem Glücke dieser so tief von ihrem früheren Glanz und Ruhme herabgesunkenen Inseln geweiht.[2]

[115] Sittenverderbniß. Die Universität in Corfu.

Ich habe schon oft bedauert, daß ich so wenig von jener Gewandtheit des Geistes besitze, welche die Natur manchen Menschen zugetheilt zu haben scheint, und durch welche es diesen möglich wird, in ein paar Stunden nicht nur alles zu entdecken, was auf den Boden, die Produktion, den Handel und die Finanzen der Länder, die sie bereisen, Bezug hat, sondern auch alles, was die Sitten, die religiösen Meinungen und den ganzen moralischen Zustand der Bewohner charakterisirt. Dergleichen geschickte Beobachter fällen, wenn sie zu Dover ans Land steigen, auch sogleich das umfassendste Urtheil über die Ausdehnung des brittischen Handels, und ein Spaziergang in den Straßen von Portsmouth ist ihnen hinreichend, um sofort den Grad der Sittlichkeit der englischen Frauen zu bestimmen. Da ich also, wie gesagt, nicht so glücklich begabt bin, wandte ich mich sogleich bei meiner Ankunft, statt mich auf meine eigenen Beobachtungen zu verlassen, an diejenigen von meinen Landsleuten, die schon seit langer Zeit sich in Corfu aufhielten. Nach ihrer Behauptung sind die jonischen Inselbewohner eben so abergläubisch als sittenlos, letzteres besonders in Hinsicht der ehelichen Treue. Das zurückgezogene Leben, zu dem die jungen Mädchen verurtheilt sind, ihre schlechte Erziehung, die fast allgemeine Gewohnheit der Eltern, bei Knüpfung des ehelichen Bandes keine Rücksicht auf die Neigung ihrer Kinder zu nehmen, endlich der Einfluß gewisser religiöser Meinungen und die leichtsinnige Nachsicht der Priester, erklären jenes Sittenverderbniß, welches auf den Sieben Inseln herrschend seyn soll, hinlänglich. Viel versprach man sich von der Gegenwart einer großen Anzahl englischer Damen und dem Beispiele ihrer strengen Tugend; aber es liegt nicht in der Art unsrer Landsleute, daß sie schnell Bekanntschaft mit Fremden machen. Ein Franzose ist kaum ans Land gestiegen, so steht er schon mit einem Theil der Einwohner, die am Ufer versammelt sind, auf vertrautem Fuße: er nimmt eine [116] Prise oder reicht seine eigene Dose herum, schwatzt mit den Männern und tanzt mit den Frauen, als wär’ er ein alter, längstbekannter Freund. Ein Engländer hingegen steigt mit ernsthaftem Gesichte aus seinem Schiffe; sein Gang ist langsam und voll von dem Bewußtseyn seiner Würde; man möchte sagen, er bilde sich ein, den Leuten, die er anredet, oder dem Boden, den er betritt, eine besondere Ehre dadurch zu erweisen. Aeußerst selten legen die Engländer diesen ungeselligen Stolz ab, und verrathen ihn, selbst wenn sie sich noch so lange in einem Lande aufgehalten haben, durch die Mühe, die es sie kostet, auch nur die unbedeutendste ihrer Eigenheiten aufzugeben. Man darf sich daher nicht darüber wundern, wenn die Frauen unsres stolzen Englands durchaus kein vertrautes Band in diesem Lande anknüpfen, und überhaupt nur höchst selten die häuslichen oder geselligen Kreise der Jonier besuchen. Die Verschiedenheit der Sprache, der Sitten, und hauptsächlich ein in die Augen fallender Leichtsinn, welcher gleich im ersten Augenblicke unsere spröden Damen beleidigt – alles muß sie von einander entfernen.

Der schon früher erwähnte Lord Guilford hatte bereits auf mehreren der Inseln eine große Anzahl von Schulen gegründet, als es ihm endlich, unterstützt von der englischen Regierung, gelang, seinen Lieblingsentwurf, die Errichtung einer griechischen Universität auf Corfu, zur Ausführung zu bringen. Die Schwierigkeiten waren groß, und konnten nur durch die glücklichste Vereinigung von Vermögen, Rang, Talenten und Charakter überwunden werden. Jeder andere, dem eine dieser Eigenschaften gefehlt hätte, würde sich bald genöthigt gesehen haben, auf die Unternehmung zu verzichten. Zwar verlieh England den Sieben Inseln eine sogenannte freie Verfassung; dem Lord Ober-Commissär aber ward dabei eine ungeheure Gewalt vorbehalten, und Sir Thomas Maitland versäumte nicht leicht eine Gelegenheit, jene Gewalt gegen jedes Projekt, das nicht unmittelbar von ihm ausging, oder das nicht wenigstens seine unbedingte Billigung erhalten hatte, in Anwendung zu bringen. Schwerlich zeigte je ein Despot eine tiefere Verachtung gegen seine Sklaven als „König Tom“ gegen die seiner Administration anvertrauten Inselbewohner; so konnte denn auch eine Institution, welche die Wohlthat der Bildung und Aufklärung verbreiten sollte, nur eine höchst laue Unterstützung finden. Trotz dieser entmuthigenden Auspizien, und trotz mancher übelwollenden Schritte des Gouverneurs, brachte es Lord Guilford bei dem Parlament von Corfu doch endlich dahin, daß es sich zur Unterhaltung der Universität verbindlich machte, sobald die ersten Bedingungen der Gründung erfüllt seyn würden. Vor allem mußten Professoren aufgefunden und für die verschiedenen Funktionen vorbereitet werden. Diese Aufgabe war nichts weniger als leicht. Unter den Griechen selbst fanden sich keine Männer, die einen umfassenden Unterricht zu ertheilen vermochten, und unter den Ausländern war das Neugriechische wenigen so geläufig, um ihre Vorlesungen in dieser Sprache halten zu können. Man mußte also damit beginnen, erst die Lehrer zu bilden. Oft aber, wenn die Ausbildung derselben ganz vollendet schien, vereitelte das Anerbieten einer vortheilhafteren Stelle im Auslande, oder eine Heirath, ein Todesfall wieder alle Opfer und Anstrengungen des edlen Lords.

Nach mehreren Jahren unermüdlicher Sorge und Beharrlichkeit, nachdem man mit großem Kostenaufwande eine Menge junger Leute auf mehrere Universitäten Europa’s gesandt, hatte man endlich eine hinlängliche Zahl von Professoren zusammengebracht, um die Arbeiten beginnen zu können. Die Entwürfe Lord Guilford’s wurden der definitiven Sanktion des jonischen Parlaments unterworfen; dann wurden Statuten verfaßt, die Besoldungen bestimmt, und im November 1823 der Lord einstimmig zum Kanzler der neuen Universität ernannt.

Da Sir Thomas Maitland sich einen neuen prachtvollen Palast hatte erbauen lassen, so wurde das in der Citadelle gelegene alte Gouvernementsgebäude der Universität überlassen. Die Studirenden haben ihre Wohnungen nicht in dem Gebäude, sondern in der Stadt.

Die Kleidung ist für alle Studirenden gleich, und nirgends existiren jene demüthigenden Unterscheidungen wie in Oxford und Cambridge; der Adeliche wird wie der Bürgerliche, der Reiche wie der Arme behandelt.

Die Professoren der Universität halten täglich jeder Eine Vorlesung, und empfangen etwa 140 Gulden monatlich. Im Englischen wird unentgeldlicher Unterricht ertheilt. Die Ausgaben eines Philologos (Studirenden) beschränken sich auf die nothwendigen Lebensbedürfnisse, und selbst in dieser Hinsicht wacht die Universität darüber, daß keine Verschwendung Platz greife. Der Preis eines Mittagessens darf 20 Obolen (20 Sols), und an Festtägen 25 bis 30 nicht übersteigen. Der ganze Kosten der Pension und des Unterrichts beträgt etwa 40 Pfd. Sterling (480 fl.) jährlich.

Die Zahl der Studirenden hat seit der Eröffnung der Universität rasch zugenommen. Im ersten Jahre waren es nur 47, im zweiten 87, in der Mitte des Jahre 1826 aber bereits 211. Von diesen hatte Corfu 80 gesandt, Cephalonia 28, Ithaka 2, Zante 11, Paros 4, Santa Maura 2, Cerigo 2, England 1, und das griechische Festland 63. Diese letztere Zahl beweist, (wenn man die unglückliche Lage Griechenlands und die strenge Quarantaine von 25 Tagen mit in Betracht zieht) welche Achtung sich die junge Universität bereits daselbst erworben hat.

Auch die Vorbereitungsschule ist sehr besucht. Die Zahl der Schüler übersteigt bereits die der Studirenden. Um ein Philologos zu werden, muß der Schüler das 14te Jahr erreicht haben, und ein strenges Examen im Griechischen, Lateinischen, der Religionslehre und der Arithmetik bestehen. Nach drei Jahren findet ein neues Examen für den Grad des Baccalaureus statt, bei welcher Gelegenheit der Archimandrit der griechischen Kirche mit gegenwärtig ist.

Nach Verfluß einer bestimmten Zeit erlangt der Baccalaureus die Magisterwürde. Alle diese Grade aber sind zu Erlangung gewisser Aemter, namentlich der geistlichen, unumgänglich nothwendig.

Die Costüme der Universität – der Professoren, wie der Studirenden – wurden nach antiken Mustern gewählt, und nur nach den veränderten Ansichten unsrer Zeit über Zweckmäßigkeit und Anstand etwas modifizirt.


  1. Ionian Islands, letters of a english Voyager. London 1827.
  2. Bekanntlich ist der edle Carl of Guilford vor kurzem verstorben.