Die heilige Ursula und die elftausend Jungfrauen

Textdaten
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Autor: Heinrich Pröhle
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Titel: Die heilige Ursula und die elftausend Jungfrauen
Untertitel:
aus: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten, S. 199–204
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Tonger & Greven
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans eines Exemplares der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin, Signatur 19 H 104 auf Commons; E-Text nach Deutsche Märchen und Sagen
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Die heilige Ursula und die elftausend Jungfrauen.

In christlicher Zeit, da bereits die Enden der Erde sich zu Gott bekehret hatten, lebte in Britannia ein König, der hieß Deonotus; der erfüllte getreulich jeden Brauch des katholischen Glaubens und regierete seine Unterthanen also, daß er alle Zeit gedachte, wie er selber wieder Gott unterthan sein müsse.

Deonotus hatte eine Gemahlin, die war ihm gleich an Adel und Glanz der Tugenden. Diese beiden Eheleute warteten mit Sehnsucht eines Sohnes, doch schenkte ihnen Gott eine Tochter.

Diese Tochter sollte einst wie David einen Bären, ursum, erschlagen, nämlich den Teufel: darum hat Gott es gefügt, daß sie schon bei der Taufe Ursula genannt wurde.

Ursula ward in königlichen Ehren erzogen, doch däuchte ihr die Welt nur geringe, und sie sann dem Gesetze des Herren nach Tag und Nacht. Darum schien es schon damals, als würde der himmlische Vater diesen Edelstein schleifen zu einem herrlichen Schmucke der Kirche, und als hätte er ihr schon damals verkündiget: „Höre, Tochter, und neige Dein Ohr zu mir, denn ich habe Deine Schöne lieb gewonnen.“

Es war aber nicht bloß ihre Seele schön, sondern auch ihr Leib gar [200] anmutig. Der Ruf ihrer Lieblichkeit drang weit umher, und so vernahm von ihren Reizen und ihren Tugenden auch ein wilder Fürst der Heiden; der gedachte alsbald, wie er sie wohl mit seinem Sohne vermählen könnte. So sandte er denn Boten an den Vater der Jungfrau mit reichen Geschenken und noch reicheren Versprechungen nach Britannia, aber auch mit Drohungen für den Fall, daß seine Bitte um die Hand der Ursula für seinen Sohn nicht erfüllt werden sollte.

Die Abgesandten des Fürsten der Heiden trugen ihr Anliegen dem Könige Deonotus vor. Ihm aber schien es unwürdig, seine Tochter, welche dem himmlischen Bräutigam verlobt war, aus dessen Armen zu reißen und einer nicht nur irdischen, sondern sogar heidnischen Ehe unterwürfig zu machen. Doch war er nicht mächtig genug, den Heiden zu trotzen. Deshalb sah er im Geiste schon voraus sein Land verwüstet, die Tempel entweihet, seine Krieger niedergemetzelt und die gläubigen Frauen und Jungfrauen in der Gefangenschaft der Ungläubigen.

Ursulen ging das Leid des frommen Königes ihres Herrn Vaters sehr zu Herzen. Wie einst die heilige Judith und Esther, so lag auch sie für die Befreiung ihres Vaterlandes in Fasten und Beten auf den Knieen, auf daß sie die Worte ihres himmlischen Bräutigams vernähme, mit welchem sie schon längst eine einzige Seele geworden war.

Endlich sank sie ermattet in einen Schlummer. Da erleuchtete sie Gott durch ein Gesicht, zeigte ihr im voraus den ferneren Gang ihres Lebens, die Palme des Märtyrertodes und die Zahl ihrer Genossen, was Alles durch den endlichen Ausgang zuletzt bestätigt ist.

Zuletzt dämmerte der Morgen. Da kam sie zu ihrem trauernden Herrn Vater mit Freude strahlendem Antlitze und sprach: „Wirf Dein Anliegen auf den Herrn, er wird es wohl machen. Er wird Dich versorgen und wird den Gerechten nicht ewiglich in Unruhe lassen. Achte meine Worte für weiser als meine Jahre. Denn der Herr hat durch ein Gesicht mir kund gethan, daß Du im Einvernehmen mit dem Jünglinge, der mein begehrt, zehn Jungfrauen, durch Adel und Schönheit ausgezeichnet, erlesest und einer jeglichen und mir je tausend, elf Schiffe rüstest und drei Jahre Zeit gönnest, nach deren Verlaufe geschehe, was des Herren Wille ist.“

Darüber war der König hoch erfreut. Er ließ die Boten herbeikommen [201] und verkündigte ihnen, was die Jungfrau forderte. Er setzte die Frist bis zur Hochzeit fest, auf daß der Königssohn Zeit hätte durch Unterricht und durch das Bad der Taufe des katholischen Glaubens teilhaft zu werden.

Die Boten gingen fröhlich heim zu ihrem Herrn und verkündigten dem Könige der Heiden und seinem Sohne die Antwort des christlichen Fürsten und der christlichen Jungfrau. Da war große Freude bei Hofe und im ganzen Lande.

Die Mägdlein wurden zu Hofe geführet und herrlich geschmücket. Auch wurden die Schiffe gezieret und bereitet, und viele geschäftige Hände gerieten in Bewegung.

Bald waren die Fahrzeuge fertig, und die Jungfrauen waren versammelt.

Pinnosa hieß die edelste unter den edeln, und diese zog den geschmückten Mägdlein voran zur Königin, der Gemahlin des Deonotus.

Da trat die heilige Ursula unter das Heer der elftausend Jungfrauen, dankte und lobete Gott und ermahnte die Kampfgenossinnen zur Liebe des Herrn und zum Gehorsam gegen Gottes Gebote.

Die Jungfrauen lauschten solcher Rede, erhoben die Herzen zu Gott, schwuren gleichsam ihren Fahneneid und gelobten die Treue gegen Christus und seine heilige Lehre.

Das Meer war nahe, und auf ein Zeichen flogen sie zu den Schiffen, gingen in See und begannen ihre Übung bald zusammen, bald geteilt, und bald wie Angriff, bald wie Flucht.

Also thaten sie Tag für Tag. Der fromme König und die Großen des Reiches aber stunden während solcher Übungen dabei, und das neugierige Volk jubelte den jungfräulichen Spielen zu.

Mit diesem Vorspiele der heiligen Marter waren drei Jahre hingebracht, da erschien der angelobte Hochzeitstag.

Nun ward Ursulen bange. Sie bat ihre Genossinnen, daß sie stärker klopfen sollten an die Thüre der göttlichen Barmherzigkeit. Ursula ermahnte ihre Freundinnen, nicht das Rüstzeug der Keuschheit zu verlieren, mit welchem sie drei Jahre lang dem himmlischen Könige ohne Tadel gedienet hätten. Die elftausend Jungfrauen aber hinwiederum riefen weinend gen Himmel, daß ihre Königin nicht zu grunde gehen möchte.

[202] Gott erhörte ihr Flehen. Er sandte einen Wind, der wehte einen Tag und eine Nacht. Er entführte die Schiffe aus der Gegend der heidnischen Lande und brachte sie glücklich und wohlbehalten nach Köln. Daselbst war Ursula bereits sicher vor der erzwungenen Hochzeit. Errettet wie einst die Juden vor Pharaos Heere stimmten die elftausend Jungfrauen das himmlische Brautlied an. Jubelnd stieg es zum Himmel und zu den Ohren Zebaoths auf.

Allein noch weiter sollten sie entfliehen von den Grenzen der Lande, da ein heidnisches Volk die Ursula als Gemahlin für den Königssohn begehrte. In der Nacht aber, da sie zu Köln schliefen, da erschien der Ursula ein Mann im Traume mit englischer Klarheit. Dessen erschrak sie, aber der Mann tröstete sie und sprach: „Wisse, meine Tochter, Du sollst mit Deinem Heere gen Rom ziehen, allda beten und wieder nach Köln kommen in Frieden. Euer keiner soll vorher umkommen. Denn in Köln ist Euch Ruhe bestimmt in Ewigkeit. Ihr habet einen guten Kampf gekämpfet, darum sollet Ihr zu Köln ablegen die Last Euerer Leiber und mit der Glorie der himmlischen Märtyrer eingehen in das himmlische Brautgemach.“

So sprach der Mann und verschwand. Im Morgengrauen berief die heilige Ursula die elftausend Jungfrauen zur Versammlung und erzählte ihnen Alles. Sie aber jubelten, daß sie gewürdigt seien, für Christi Namen Schmach zu leiden, opferten Dankopfer, zogen stromauf nach Basel, banden ihre Schiffe daselbst an und kletterten zu Fuße über die Alpenpässe hinweg als Pilgerinnen nach Rom.

Daselbst besuchten sie alle Tempel der Heiligen und durchwachten in ihnen betend die Nächte. Darauf zogen sie nach Basel zurück auf derselben Straße, bestiegen ihre Schiffe von neuem und kamen glücklich wieder bis Köln.

Vor dieser Stadt aber lagen gerade jetzt die Hunnen. Dem Heidenkönige im Norden war Ursula entflohen, nun sollte sie dem großen Könige der Heiden im Süden in die Hände fallen.

Den Jungfrauen war die Milde der Bewohner von Köln schon vorher kund geworden. Arglos stiegen sie aus und wollten zur Stadt gehen. Da fiel plötzlich das Volk der Hunnen über sie her, wie Wölfe in Schafhürden einbrechen, und vertilgten eine unabsehbare Menge mit unmenschlicher [203] Grausamkeit, kaum daß eine oder mehrere wie Kordula sich wieder auf ein Schiff zurückzogen und dort noch einen Tag verborgen hielten.

Zuletzt kamen die Würger am ersten Tage auch zur heiligen Ursula. Da war Attila, ihr Fürst, vom Zauber ihrer Schönheit gerührt; wie vom Blitze getroffen, bequemte er sich zu schmeicheln und trug ihr an, den Besieger von Europa zum Gemahl zu nehmen. Solchen Bräutigam aber wies die Gott geweihte Jungfrau ab, als ob es der Fürst der Finsternis wäre.

Da ergrimmte der Heide Attila und befahl, sie zu töten. Vom Pfeile durchbohrt, sank sie zu der herrlichen Schar ihrer Genossinnen nieder, als ein himmlischer Edelstein, und abermals getauft in der Bluttaufe zog sie gekrönt mit der Märtyrerkrone nebst den singenden Scharen der elftausend Jungfrauen zur himmlischen Burg.

Welch eine Freude ward an diesem Tage im Himmel den Aposteln und Märtyrern und allen himmlischen Bürgern zu teil! Köln aber, die selige, noch seliger durch den unvergleichlichen Schatz der Reliquien, die ihr durch den Tod der heiligen Ursula bestimmt waren, sollte durch die Befreiung der elftausend Jungfrauen von allen Erdennöten erfahren, wie der Tod der Heiligen wert gehalten wird vor dem Herrn. Den Hunnen nämlich erschienen so viele Reihen Bewaffneter, als sie Jungfrauen gemordet hatten. Von solchen Reihen der Bewaffneten wurden die Feinde verfolgt. Diese aber konnten ihnen nicht widerstehen und liefen in wilder Flucht davon.

Erst jetzt vermochten die Kölner aus den Thoren zu gehen, wo sie dann die Leichen der Jungfrauen fanden, die ihnen schon von ehedem bekannt waren. Sie suchen die zerstreuten Glieder zusammen, sie bedecken dieselbigen, sie graben diese ein, legen jene in Särge, und bald, wie es noch heute zu sehen ist, ruhen die Überreste der heiligsten Jungfrauen zum ewigen Ruhme Kölns im Frieden.

Niemand wagte seit der Zeit im Umkreise der jungfräulichen Grabstätte einen Leichnam zu beerdigen. Später aber kam ein gottseliger Mann mit Namen Clementius, durch göttliche Gesichter ermahnt, wie ein Gesandter der heiligen Jungfrau aus dem fernen Osten, der erbaute eine Kirche der elftausend Jungfrauen.

Es war aber unter dem heiligen Heere eine Jungfrau mit Namen [204] Kordula, diese hatte sich an jenem Tage allein in einem Schiffe verborgen, am anderen Tage freiwillig mit männlichem Mute gestellet. Also war sie mit gleichem Rechte der triumphierenden Schar der Märtyrer gefolget.

Lange Zeit nachher erschien diese heilige Kordula der frommen Helentrut, über menschliche Kunst wunderbar gekleidet, einen Kranz von Lilien mit Rosen durchwebt auf dem Haupte. „Ich bin eine jener heiligen Kölnischen Jungfrauen“, so sprach sie, „die den Tag des Triumphes überlebten und am folgenden Tage sich freiwillig dem Henker gestellt haben. In Christo sterbend, habe ich weder die Genossinen verlassen noch meine Märtyrerkrone verloren. Doch wird meines Namens nicht gedacht. Darum bin ich hier, daß man sich meiner am folgenden Tage erinnere.“

Als Helentrut nach ihrem Namen gefragt, hat die Heilige erwidert, sie solle ihr nach der Stirne schauen, da stände er eingeschrieben. Sie sah und las genau den Namen Kordula.

Darum jauchze, Jerusalem in der Höhe, das die Märtyrer empfangen! es jauchze Britannia, das sie geboren hat! es jauchze Germania, das die erwählten Blumen des Ozeans aufgenommen hat! Es jauchze Rom, das sie zurückgesendet! Es jauchze Köln, daß es solchen Schatz bei sich birgt!