Die heilige Nacht (Gemälde der Dresdener Gallerie)
Außer der Sixtinischen Madonna von Raphael giebt es vielleicht in der ganzen Malerei aller Zeiten und Schulen kein Gemälde, welches einen solchen Weltruhm besitzt, als Correggio’s „heilige Nacht“, das schönste Bild dieses Malers. Correggio malte dasselbe im Jahre 1528 für die Familie Pratoneri zu Reggio, von welcher das große Werk in die dortige Kirche von San Prospero gegeben wurde. Anno 1640 kam dasselbe in die Gallerie zu Modena und fünf Jahre später wars, daß August III. Kurfürst von Sachsen mit mehren andern Gemälden die „heilige Nacht“ erstand. Den Original-Carton bewahrt die königliche Gallerie zu München.
[325] Das herrliche Bild stellt den neugebornen Heiland der Welt, auf das Stroh der Krippe gebettet und von den Armen der Mutter umschlungen dar, welche vor der Krippe kniet. Die Hirten kommen, um das Kind anzubeten, und oben rauschen die geflügelten Heerschaaren des allmächtigen Herrn, um den himmlischen Gesang anzustimmen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen! Es ist der Welt heute der Heiland geboren, welcher ist Christus in der Stadt Davids!
Der Stern welcher aufging im Morgenlande, um die in tiefer Finsterniß begrabene Welt zu erleuchten, ist der Punkt des Gemäldes, nach welchem das Auge, gleichwie durch einen Zauber gehalten, sich immer wieder wendet. Alles Licht geht von dem göttlichen Kinde aus; ein magischer Glanz stralt um dasselbe, welcher voll auf das Gesicht der heiligen Jungfrau fällt; deren entzücktes Lächeln überirdische Schönheit und hinreißende Anmuth athmet. Links im Vordergrunde entblößt der bärtige Hirt im zottigen Mantel das Haupt; die Athletengestalt hält den knotigen Hirtenstab in der Hand; der getreue Wolfshund drängt sich neben ihm hervor. Der jüngere Hirt sieht zu dem Bärtigen, auf dessen Knie derselbe die Hand legt, mit einem Blicke empor, der bezeugt, daß Worte zu schwach sind, um sein Entzücken über das Wunder vor ihm auszudrücken. Die Hirtenfrau bringt Turteltauben zum Opfer; sie erträgt kaum den Glanz des Gotteskindes und erhebt die Hand zum Schutz für das Auge, um nicht geblendet zu werden. Die Engel oben, diese Lichtgestalten, sind dunkel gegen die Stralen des ewigen Lichts des Messias; in heiliger, anbetender Begeisterung bringen sie dem Gottsohne ihre Huldigung dar. Im Hintergrunde sieht man Joseph, welcher den Esel aus dem Stalle führt und die noch unter Palmen schlafenden, oder erst halbwachen Hirten.
Der Gedanke dieses Bildes ist von erhabenstem Schwung, und in der Darstellung desselben hat Allegri Correggio mit schlagendster Wirkung seine unübertroffene Meisterschaft in der Behandlung von Licht und Schatten bewiesen. Die Abstufungen der Farbentöne sind bewundernswerth, und das Wogen der Nacht und der Finsterniß, welche dem Lichtmeere weicht, ist nur beim Anblick des gefeierten Gemäldes selbst zu begreifen. Die höchste Kunst in Schwarz und Weiß wird stets machtlos bleiben und nur die Grundzüge dieser Composition des begeisterten Genies wiedergeben können. Die Zeichnung ist namentlich in der Engelgruppe so kühn und dennoch so graziös, wie sie Correggio kaum früher oder später erreichte.