Textdaten
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Autor: Adrien Jarry de Mancy
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Titel: Die französische Akademie
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 14–18, S. 53, 57–59, 62–63, 66–67, 70–71
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: A. Jarry de Mancy: Atlas historique et chronologique des literatures anciennes et modernes, des sciences et des beaux arts, d’apres la méthode et sur le plan de l’atlas de A. Lesage et propre à informer le complément de cet ouvrage.
Quelle: Scans bei Commons
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[53]
Die französische Akademie. [1]

Die französische Akademie ist bekanntlich eine Schöpfung des Kardinals Richelieu. Ihre Stiftungsurkunde ist von Ludwig XIII unterzeichnet, und vom Januar 1635 datirt. Die innere Organisation, durch welche sie – besonders seit Ludwig XIV im J. 1672 sie für sich und seine Nachfolger unter unmittelbaren königlichen Schutz gestellt hatte – im Laufe eines Jahrhunderts zu dem höchsten Grade von Ansehen und politischer Wichtigkeit gedieh, gab ihr Richelieu, dessen Statuten erst unter Ludwig XV (May 1752) einige weitere Bestimmungen erhielten. Diese wie alle anderen spätern Reglements änderten nichts in dem ursprünglichen Plan und Zweck der Gesellschaft. Mit vollem Rechte führt sie daher das Bild ihres Stifters und auf der Kehrseite den Lorbeerkranz mit der Inschrift: „à l’Immortalité“ im Siegel.

Der tiefe Geist Richelieu’s ersah die Akademie zu einem Werkzeug für die Größe Frankreichs. Ein Staat, der keinen andern Glanz, als den Glanz der Waffen, keine Tugend, als die kriegerische Tapferkeit, keine Kunst, als die Kunst Schlachten zu gewinnen, kennt; der seine Ansprüche auf Macht mehr von seiner physischen Kraft, als von der Ueberlegenheit der Intelligenz ableitet, kann sich, beseelt vom Hauche des Genie’s, wie es die Natur auch ohne Bildung zuweilen hervorbringt, zu einer augenblicklichen Größe erheben, wovon aber in Ermangelung des geistigen Prinzips bald wieder nichts übrig bleibt, als eine träge Masse, die sich nicht selbst bewegen kann; der Schwung, dagegen, welchen Kunst und Wissenschaft der menschlichen Gesellschaft geben, die reichen Hülfsquellen, welche diese in der Vervielfältigung, Ausbildung und zweckmäßigen Benützung geistiger und physischer Kräfte findet, können, nach ihrem Werthe beachtet, auch einem kleineren Staate ein Uebergewicht über den größern verschaffen, so wie ihre Nichtachtung den Verfall und endlichen Sturz des größten herbeiführen müssen. Die Urkunde Ludwig XIII erkennt es als eines der ruhmvollsten Zeichen des öffentlichen Wohls, wenn die Künste blühen, und die Wissenschaften so hoch geachtet sind, als die Waffen. Gewiß verdankt Frankreich die glänzende Stelle im europäischen Staatensysteme, die es seit zwei Jahrhunderten einnimmt, neben seinen kriegerischen Erfolgen zum großen Theile der geistigen Kultur, worin es lange Europa und der Welt vorgeleuchtet, worin auch jetzt noch kein anderer Staat es ihm zuvorgethan hat.

Ohne gerade den Satz unbedingt zu behaupten, daß nur dann die Wissenschaften aufkommen können, wenn sie von königlichen Akademien gepflegt werden, so trägt doch die politische Repräsentation, die ihnen durch diese zu Theil wird, sehr wesentlich dazu bei, daß ihr Verdienst geachtet und ihre Resultate unmittelbaren Einfluß auf’s Leben gewinnen; wenn man davon gar nicht reden will, daß umfassendere Forschungen in manchen Gebieten nur durch Zusammenwirken großer Vereine und das Mitwirken der Macht, der die bedeutendsten Mittel zu Gebote stehen, möglich werden. – Als die französische Literatur in Sachen des guten Geschmacks eine europäische Diktatur errang, war es zwar nicht ausschließlich die Akademie, von der diese gewaltige und folgenreiche Wirkung ausging; denn viele der ausgezeichneten Literatoren waren keine Akademiker, viele wünschten es nie zu werden – aber der Hauptgrund dieser auffallenden Erscheinung lag ohne Zweifel entweder unmittelbar in der Akademie und in ihrer Achtung gebietenden Stellung im Staate, die einer Seits jeden Ehrgeiz der Gelehrten zu befriedigen, anderer Seits nur großen und anerkannten Verdiensten zu huldigen schien, oder er lag in dem umfassenden Verstande der französischen Staatskunst, welche den Werth geistiger Eroberungen richtig zu schätzen wußte. Mit der Pflege und Aufmunterung, die man den Wissenschaften und schönen Künsten in Frankreich selbst angedeihen ließ, verband sich das Bestreben, der französischen Sprache und Literatur auch außerhalb Frankreich Anerkennung zu verschaffen.

Wahrlich, jene Pensionen Ludwigs XIV, womit auch er eben nicht zu freigebig war, haben sich gut verzinst; indem sie dazu beitrugen, Frankreich zum ersten Staate der Welt, Paris zur Hauptstadt Europa’s zu machen.

[57] Schon die erste Einrichtung, welche die Akademie von Richelieu erhielt, erhob sie zu einem wichtigen politischen Körper, gab ihr Einfluß auf die Nation und sicherte ihre Fortdauer. Er bestimmte die Zahl der Mitglieder auf [58] vierzig, eine Zahl, die hinreichend war, um den ausgezeichnetsten Schriftstellern Frankreichs ehrenvolle Aussichten zu eröffnen, Aufforderung genug, eine anständige Haltung, der Regierung gegenüber zu beobachten, um deren Mißfallen nicht auf sich zu ziehen, und in Folge desselben jener Aussichten verlustig zu werden. Er gab der Akademie drei Beamte, einen Direktor, Kanzler und Sekretär, welche sie selbst wählte. Nach dem Reglement Ludwig XV wurden die beiden ersteren Stellen von drei zu drei Monaten durchs Loos besetzt, die letztere dagegen war bleibend. Jener Wechsel der Vorstände brachte eine dem Gedeihen der Wissenschaft förderliche Gleichheit unter die Mitglieder; die Perpetuität des Sekretärs bewirkte Regelmäßigkeit des Geschäftsgangs.

Wir heben einige fernere Momente aus, um Richelieus Werk richtig zu würdigen. Einmal legte er in die Akademie die Keime zu einem wahrhaft geistigen, in stetem Fortschreiten begriffenen Leben: er machte sie zur treuen Bewahrerin und Pflegerin des Höchsten und Tiefsten in der Wissenschaft. Man ward nicht Mitglied der Akademie überhaupt, sondern man trat in die besondere Stelle eines bestimmten Vorgängers, so daß man nicht sich allein, sondern dessen Person gleichsam perennirend repräsentirte, dessen Gedächtniß feierlich huldigte, dessen Verdienst fortzupflanzen übernahm. So erhalten jene akademischen Lobreden auf verstorbene Vorgänger eine schöne Bedeutung; sie sind ernste Mahnungen zur Nachfolge auf der Bahn der Unsterblichkeit, auf der jene vorangegangen. Indem der Redner die Nachwelt vertritt und in ihrem Namen dem Vollendeten die Palme reicht, gedenkt er wohl auch der Zeit, wo ihn selbst das Todtengericht erwartet, und ein solcher Augenblick der höhern Weihe erweitert den Gesichtskreis über alle kleinlichen egoistischen Motive. Sodann – und dadurch suchte Richelieu die Selbstständigkeit der Wissenschaft mit den Zwecken des Staats in Einklang zu bringen – gewann die Gesellschaft durch die persönlichen Immunitäten ihrer Mitglieder, welche die Urkunde Ludwigs XIII, so wie durch die Wahlfreiheit und Selbstergänzung, welche die Reglemens des Kardinals Protektors bewilligten, das Ansehen einer ehrenvollen Unabhängigkeit; zugleich aber wurde durch die Bedingungen der Wahlfreiheit, nämlich daß Keiner zugelassen werden sollte, der nicht den Beifall des Protektorats hätte, und daß (Reglem. Art. XXII) keine politische oder sittliche Wahrheit im Widerspruch mit der Autorität des Fürsten, dem Gange der Regierung und den Gesetzen des Reiches verhandelt werden sollte, jeder störenden unbesonnenen Opposition vorgebeugt und den Wissenschaften eine strenge dem Geiste des Ganzen angemessene Bahn vorgezeichnet. Drittens bewahrte der Kardinal sein Institut vor unnützen und gefährlichen Streitigkeiten, indem er die Theologie ausschloß (Reglem. art. XXI en délibération, aucune matière concernant la religion.) In einem Lande, wo der Katholicismus Staatsreligion ist, oder überhaupt, wo es eine herrschende Kirche gibt, kann die wissenschaftliche Forschung nicht ohne Nachtheil für die wissenschaftliche Freiheit auf Gegenstände des Glaubens angewendet werden. Beide Fälle sind gleich unstatthaft, sey es, daß die Wissenschaft der Religion, oder daß die Religion der Wissenschaft fröhne: beides erzeugt Vorurtheil und Einseitigkeit. Aber lasse man die Lichtstrahlen, die von beiden ausgehen, in freier Richtung sich ergießen, ohne sie in eine künstliche Verbindung zwängen zu wollen, so wird die Wahrheit sich von selbst zusammenfinden. Bedürfniß ist es dem menschlichen Geiste, Wissen und Seyn, Denken und Glauben als Eins zu setzen; aber die Wissenschaft, welche diese Totalität nicht auf ihrem Wege, sondern erst am Ziele findet, fordert Anerkennung des Selbstwerths und Selbstzwecks jeder einzelnen Darstellung, und sie wird förmlich vernichtet, so wie sie sich neben eine Autorität stellt, die mit dem Zweifel auch die Forschung ausschließt. Der Kardinal ging als Stifter einer forschenden Akademie von einem Grundsatze aus, der sich dem praktischen Sinn der Britten bei der Bildung einer lernenden Akademie empfahl. Die neue Londner Universität erhält keine theologische Fakultät. Will man die Religion als Wissenschaft behandeln, so macht man sie immer mehr zu dem, was sie nicht ist, zum Schema und zur Formel, oder man macht umgekehrt die Wissenschaft zum Glaubensartikel oder zum Anathem.

Als vornehmste Bestimmung der Akademie erklärten die Reglements des Kardinals (art. XXIV) die Feststellung sicherer Regeln für die Sprache, wodurch diese beredter und für die Behandlung der Wissenschaften und Künste geschickter gemacht werden sollte, und zu dem Ende ward (art. XXVI) die Herausgabe eines Dictionnärs, einer Grammatik, Rhetorik und Poëtik beschlossen. Die Herausgabe des Dictionnärs erheischte eine Arbeit von 60 Jahren; es erschien 1694, und seitdem in mehreren Auflagen. 1803 wurde, um ein neues Dictionnär auszuarbeiten, eine besondere Kommission niedergesetzt.

Wenn eine solche Regulirung der Sprache einer weitern Fortbildung derselben und noch mehr der Hervorbringung originell gedachter und stilisirter Geisteswerke ungünstig ist, indem die normale Form der Sprache keinen vollkommenen Ausdruck für den individuellen Charakter des Schriftstellers hat, sofern jede Individualität, als solche, mehr oder weniger eine Abweichung von dem Normaltypus ist, so wird dieser Nachtheil doch durch anderweitige Vortheile mehr als aufgewogen. Die französische Literatur, die dem Gesetze der Deutlichkeit und der logischen Ordnung folgt, kann sich einer Reinheit und Korrektheit rühmen, von welcher die deutsche Literatur himmelweit entfernt ist. Indem es den Mitgliedern der Akademie (Reglem. art. XLIII und LXIV) zur Pflicht gemacht wurde, in ihren Schriften sich nach den von der Akademie aufgestellten Regeln, welche sich bis auf die Orthographie erstreckten, zu richten, so gewöhnte sich der Sinn der Franzosen so sehr an die Form der größtentheils von der Akademie ausgegangenen Musterwerke, daß eine Abweichung davon nicht nur für eine unverzeihliche Sünde gegen den guten Geschmack und den feinen Ton gehalten wurde, sondern auch mehr oder weniger die Nichtachtung von Seiten des Publikums zur Folge hatte. Mag auch die neuere Zeit die stereotypen Formen der französischen Literatur erschüttert haben, so ist doch die Achtung der Franzosen für die Reinheit und Eleganz des Stils auch bei der größern Freiheit, welche die Sprache der Revolution verdankt, in sofern ungeschwächt [59] geblieben, als es noch immer Grundsatz ist, daß niemand für geistreich gilt, der nicht auch gut spricht und schreibt; während es in Deutschland geistreiche Männer genug gibt, die entweder gar nicht schreiben können, oder, wenn sie schreiben, einen Jargon hervorbringen, der die trefflichsten Gedanken völlig ungenießbar macht. In Deutschland – so scheint es – bekümmern sich die Schriftsteller nicht sehr um das Publikum, dem sie nur zu oft das dunkelste und unverständlichste Geschwätz als Tiefsinn und Genialität anbieten; in Frankreich erträgt bizarre, gezwungene, abentheuerliche Formen und Wendungen der Gedanken, wie der Worte, schon die Sprache nicht. Beide Länder stehen in einem ganz verschiedenen Verhältniße zu ihrer Literatur; in Frankreich ist fast alles Nationalliteratur; in Deutschland schreiben Viele, ja die Meisten nur für Gelehrte; die Kunst der allgemeinen Verständlichkeit ist ihnen fremd, oft verächtlich. Deutschland hat vielleicht die tiefsinnigsten Sprachforscher; bei alle dem herrscht aber eine wahrhaft zügellose Anarchie unter den Schriftstellern in Versen und Prosa, von welchen fast jeder seine eignen gramatischen oder stilistischen Regeln hat, viele in der vollständigen Regellosigkeit sich zu gefallen scheinen.

[62] In Frankreich hat das Ansehen der Akademie alle Sprachstreitigkeiten geschlichtet. Das Verzeichniß der Schriften, die wegen der Akademie geschrieben worden, ist zahlreich; die vielseitigsten Erörterungen über streitige Materien wurden dadurch herbeigeführt, aber der Streit konnte nicht endlos werden, da geachtete und imposante Autoritäten ein competentes Forum bildeten. Hierher gehören die von Tallemant († 1712) redigirten décisions sur la langue française und die Observations sur les remarques de Vaugelas von T. Corneille († 1709) und mehrere andere Werke. So wie auf diese Weise die Akademie den Begriff von Classicität festgestellt hat, so können ihre Preisaufgaben für Beredsamkeit und Poesie, die sich von 1671, dem vorletzten Jahre des Seguier’schen Protektorats datiren, als Maßstab dienen, um den Stand der geistigen Bildung in den verschiedenen Perioden und die Fortschritte des Geschmacks zu bezeichnen. Von 1671 bis 1824 hat die Akademie 79 Redepreise, und in derselben Zeit 78 poetische Preise ausgetheilt. – Im Zeitalter Ludwigs XIV († 1715) haben Poesie und Beredsamkeit eine bestimmte Beziehung auf Gott und den König; die Beredsamkeit ist fromm, die Poesie royalistisch. Der Ernst der Prosa schien dem Lobe des Schöpfers am angemessensten. Der höchste Schwung der Lyra war für die Verherrlichung des großen Königs kaum erhaben genug. Das Motto: „Non nobis, Domine, non nobis: sed nomini tuo!“ mit welchem die erste Preisschrift für die Beredsamkeit (1671) bezeichnet war, könnte als allgemeiner Wahlspruch angesehen werden.

Am Hofe Ludwigs XIV kannte man fast keinen Unterschied mehr zwischen dem Dienste des Herrn des Himmels und der Erde, und des Herrn von Frankreich. Das Motto bezog sich auf beide. Der Ruhm des Königs diente ja blos zur Ehre Gottes.

Die Preise der Beredsamkeit haben meist allgemein religiöse oder sittliche Wahrheiten, auch Sätze aus der christlichen Klugheitslehre zum Gegenstande; wenn man aber einen Blick auf die Geschichte der Kirche in jenem Zeitraum wirft, so findet man nicht selten Beziehungen auf sie, und man sieht, daß die Akademie, die nach dem Grundsatze ihres Stifters der Dogmatik fremd bleiben sollte, sich doch nicht von allem Antheil an den politisch-religiösen Bewegungen Frankreichs frei zu erhalten wußte. Die poetischen Preisaufgaben veranlaßten eine Reihe panegyrischer Gelegenheitsgedichte, worin das Privat- und öffentliche Leben des Königs von den verschiedensten Seiten beleuchtet wurde. Auch das schöne Geschlecht sonnte sich am Ruhme des Königs; fünf Damen lieferten preiswürdige Gedichte. Der König erschien ihnen eben so groß als liebenswürdig. Seine Frömmigkeit, seine Rechtschaffenheit als Mensch neben seiner Größe als Monarch, sein Verdienst als glücklicher Familienvater, als Erzieher des Dauphin, die Gelassenheit, mit der er auch widerwärtige Ereignisse erträgt, seine ruhige Haltung, die ihn bei der rastlosesten Thätigkeit nicht verläßt, die Bescheidenheit, mit der er dem Lobe ausweicht, je mehr er Lob verdient, die Liebe seiner Völker, die ihn furchtbarer macht, als der Glanz seiner Waffen, die Huldigungen, die ihm fremde Nationen darbringen – alles Gegenstände für Preisaufgaben der Akademie. Was er für die katholische Religion that, wie er für die Erziehung seines Adels sorgte, welche Schlachten er gewann und wie er durch den Sieg nur noch friedlicher wurde, wie er die Wissenschaften beschützte, welche Ehre er der Akademie erwies, als er das Protektorat annahm – konnte nicht vergessen bleiben. Zu diesen Bestrebungen der Akademie, welche für das Zeitalter Ludwigs XIV charakteristisch sind, liefern die ersten Jahre nach seinem Tode noch einige Nachträge. Eine vierzigjährige Angewöhnung konnte man sich so leicht nicht abgewöhnen. Die Beredsamkeit sprach indessen jetzt schon nicht mehr von den Pflichten der Könige gegen Gott allein, sondern auch gegen die Menschen, sie fing bereits an auch auf dem nicht theologischen Standpunkte zu philosophiren, und so trat sie immer mehr aus der Dienstbarkeit heraus, zuerst in das Gebiet der Moral und Psychologie – und endlich in das Gebiet der eigentlichen Wissenschaft.

Auch die Huldigungen der Poesie, die früher persönlich gewesen waren, gingen allmählig auf die Wissenschaft über, die durch den Schutz ihres Helden geblüht hatte, deren Blüthe man ihm verdankte. Vom Jahre 1725–1744 finden wir zehen Aufgaben, welche die Fortschritte der Astronomie, der Malerei, der Bildhauerei, der Schifffahrt, des Ingenieurwesens, des komischen und des tragischen Theaters, der Musik, der Redekunst, die Vergrößerung der [63] königlichen Bibliothek unter Ludwig XIV zum Gegenstande hatten. Aber nun war es Zeit, auch von seinem Nachfolger etwas zu sagen: doch zeigte hier der immer allgemeiner um sich greifende Leichtsinn bald seinen Einfluß. War in dem einen Jahr die Aufgabe: „die Liebe der Franzosen zu ihrem Könige,“ so konnte die nächste Aufgabe vom Spiel, von dem Reich der Mode handeln. Vom Jahre 1755 an scheint die redende und die dichtende Akademie sich ganz der Leitung des Zeitgeistes hinzugeben. Die Poesie wurde philosophisch und die Beredsamkeit beschäftigte sich mit den Verdiensten großer Männer.

[66] Die französische Akademie unterlag der Revolution. Ein Dekret des National-Konvents vom 8 August 1793 befahl ihre Auflösung; schon 1795 wurde sie neu organisirt als ein Theil des Nationalinstituts, dessen dritte Klasse unter dem Namen „Littérateurs et artistes“ die alte Akademie in sich aufnahm. Das Nationalinstitut erhielt 1803 eine neue Eintheilung in vier Klassen, wovon die zweite „langue et litterature française“ an die nämliche Stelle trat. Endlich stellte das Restaurations-Jahr 1816 die alten Formen mit den alten Namen wieder her.

Bei der Organisation Napoleons saßen zwölf Mitglieder von der alten Akademie auf den neuen Fauteuils; die übrigen Stellen wurden neu besetzt; die Purification der Bourbonen schloß von den Napoleon’schen Akademikern eilf, nämlich den Herzog von Bassano, Garat, Cambaceres, Maury, Merlin, Sieyes, Röderer, Arnault, Lucian Bonaparte, Etienne, Regnaud de Saint Jean d’Angely, aus; statt derselben wurden durch königl. Ordonnanz kreirt: die Herzoge von Levis, von Richelieu, von Montesquiou, die Marquis Ferrand, Lally Tollendal, die Vicomtes Bonald, Lainé, Kardinal Bausset, Choiseul-Gouffier; gewählt von der Akademie: Laplace und Auger. Ludwig XVIII gab hierauf der Akademie die Wahlfreiheit zurück.

Die republikanische Periode der französischen Akademie hat sich wenig ausgezeichnet. Während die Welt im Schwanken war, konnte die Wissenschaft keine feste Basis gewinnen. Die Erwerbungen, welche die französischen Eroberer im Gebiete der Kunst und des Alterthums gemacht haben, gehören weniger der Akademie, als der Geschichte der Nation, oder, wenn man will, der Geschichte der Akademie der Inschriften an. Gewissermaßen wurden aber beide Akademien, ob sie gleich besondere Klassen im Nationalinstitut bildeten, in einander verschmolzen: die französische Akademie, als die Klasse der Literatur und der schönen Künste, und die Akademie der Inschriften, als die Klasse der politischen und moralischen Wissenschaften. Von beiden Klassen hat man eilf Preisaufgaben aus diesem Zeitraum: einen poetischen über die Gründung der Republik; vier rhetorische, über den Einfluß der Malerei auf die Sitten, über das Studium der lateinischen und griechischen Sprache, über die alte Bildhauerei und über Leichenzeremonien; sechs wissenschaftliche, über den Einfluß der Zeichen auf die Bildung der Ideen, über die Erweckung des Wetteifers in der Erziehung, über den Geist der Freiheit unter Franz I, über den Einfluß der Gewohnheit aufs Denken, über die Jury, über Auflagen.

Der philosophische Geist des 18ten Jahrhunderts dauerte auch in der Napoleon’schen Akademie fort, nur auf einer weitern Basis. Die Redepreise schließen sich an die letzten vor der Revolution an, und haben meist die Verdienste großer Männer zu Gegenstand. Die poetischen Aufgaben, die schon vom Jahr 1754 an das panegyrische Feld verlassen haben, werden immer mehr wirklich poetisch, indem sie ihren Stoff aus der freien Anschauung des Großen und Herrlichen schöpfen, was jede Zeit hervorbringt, und was das Leben veredelt und verschönert. Die neue französische Akademie von 1816 ist dem Geiste nach eine bloße Fortsetzung des Nationalinstituts, nur daß sie eine gewisse constitutionelle Farbe trägt; sie feiert einen Montesquieu, einen de Thou, die Beredsamkeit der Tribune und des Tribunals in Reden, – die Jury, den wechselseitigen Unterricht, den Muth der französischen Aerzte in Barcelona, die Abschaffung des Sklavenhandels in Gedichten.

Diese philanthropischen Aufgaben erinnern an die letzten vor der Revolution, wo z. B. Preise auf die rednerische Schilderung der Uebel des Kriegs, der Vortheile des Friedens, Preise auf die poetische Darstellung der in den Domänen Ludwigs XVI abgeschafften Leibeigenschaft, des 1787 zu Gunsten der Nichtkatholiken erlassenen Edikts, der heldenmüthigen Aufopferung Leopolds von Braunschweig ausgesetzt waren. So ward 1815 die Einführung der Kuhpocken eines poetischen Preises gewürdigt. In der neuesten Zeit gewinnt die französische Akademie immer mehr den Charakter einer ehrenvollen Unabhängigkeit, die sie besonders durch Delavignes und kürzlich durch Royer-Collard’s Wahl erprobt hat. Ausser den gewöhnlichen Preisaufgaben, neun und siebenzig rednerischen und acht und siebenzig poetischen, ist noch zu bemerken, daß von einem Privatmanne, Montyon, Preise für das nützlichste Werk der [67] Sittenlehre gestiftet worden sind, deren die Akademie von 1783–1825 sechszehn vergab.

[70] Die französische Akademie zählt seit ihrem Bestehen bis 1826 8 Protektoren, 12 beständige Sekretäre (seit 1815 Raynouard), 351 ernannte oder erwählte Mitglieder; ausgeschlossene Mitglieder, die noch am Leben sind, 8. Mitglieder waren 1 Prinz von Geblüt, 13 Kardinäle, 4 Erzbischöfe von Paris, 15 Prinzenerzieher, 6 Marschälle von Frankreich, eine große Anzahl Staatsminister.

Die Akademie der Inschriften. Wichtiger für den Anbau der tiefern Wissenschaften als die französische Akademie ist die Akademie der Inschriften und der schönen Künste. Gleichwie sie ihre Forschungen nicht auf Frankreich beschränkt, so bietet sie auch den ausgezeichnetsten Gelehrten aller Ländern freundlich die Hand. Eine wahrhaft königliche Idee, welche Ludwig XIV in der Stiftung dieser Akademie verwirklichte! Ohne das oft so eitle Gepränge der französischen Akademie, hat die Akademie der Inschriften mehr für die Wissenschaften gethan als irgend eine gelehrte Gesellschaft von sich rühmen kann.

Für gelehrte Bearbeitung von Inschriften, Münzen, Alterthümer u.s.w. wählte Ludwig XIV i.J. 1663 vier Mitglieder der französischen Akademie, deren Zahl später auf acht, in der Folge noch mehr erhöht wurde. Man nannte diese Gesellschaft die kleine Akademie. Als Akademie der Inschriften und Münzen (den Titel Akademie der schönen Künste verlieh ihr 1716 der Regent) wurde sie organisirt durch das Reglement Ludwig XIV 1701, und durch das Stiftungsdiplom 1713; neue Reglemens gaben die Könige Ludwig XVI und XVIII, 1785 und 1816. In ihrem Sigel ist das Brustbild Ludwigs XIV mit der Devise: VETAT MORI. Das Reglement Ludwigs XIV setzte die Zahl der Mitglieder auf vierzig fest, nämlich 10 Ehren-Mitglieder (honoraires), 10 besoldete (pensionnaires), 10 unbesoldete Mitglieder (associés), und 10 Zöglinge (élèves), welche letztere 1716 in Mitglieder verwandelt wurden. An die Stelle der vormaligen Ehrenmitglieder traten in der Folge die freien Akademiker. Die Zahl der auswärtigen Mitglieder wurde durch das Reglement von 1816 auf 8 festgesetzt.

Die Zahl der Mitglieder der Akademie der Inschriften von 1663 bis 1793, wo sie aufgelöst wurde, beträgt 255. Von der Wiederherstellung der Akademie als der dritten Klasse des Nationalinstituts unter dem Namen „für alte Sprachen und Literatur,“ 1803 bis 1826, zählen wir 54 einheimische und 17 auswärtige Mitglieder. Bei der Purification [71] 1816 wurden 5 Mitglieder, darunter Joseph Bonaparte und Gregoire, durch eine k. Ordonnanz ausgeschlossen und auf demselben Wege wieder ersetzt. Der gleichfalls ausgeschlossene Mongez wurde später wieder gewählt. Im Jahr 1826 hatte die Gesellschaft im In- und Auslande 41 Correspondenten, worunter 3 in Deutschland, 3 in England, 3 in Rußland und Polen, 4 in Asien und Afrika, 2 in Italien, 2 in Genf u. s. w.

Der Zweck der Akademie wird in den Reglemens von 1785 und 1816 folgendermaßen bestimmt:

„Da der Haupt-Gegenstand der Akademie die Geschichte ist, d. h. die Kenntniß der Menschen und der Ereignisse, der Zeiten und der Länder, der Sitten, Gebräuche, Gesetze, Künste, Wissenschaften und Literatur aller Völker, so beschäftigt sich die Akademie hauptsächlich: 1) mit dem Studium der Sprachen, namentlich der alten, in den verschiedenen Theilen der Erde; 2) mit der Chronologie und Geographie; 3) mit Denkmalen, Münzen, Inschriften etc., welche sich auf die alte und die mittlere Geschichte beziehen; 4) mit der Aufklärung alter Aktenstücke und Urkunden aus der Geschichte Frankreichs und anderer Länder, deren politische Verhältnisse in die Interessen Frankreichs eingreifen; 5) mit den Wissenschaften, Künsten und Gewerben der Alten, indem sie zwischen ihnen und den Neuern Vergleichungen anstellt; es darf endlich 6) kein Zweig der Literatur der Akademie fremde seyn; sie verbindet mit der Gelehrsamkeit, welche Thatsachen und Autoritäten sammelt, die Kritik, die wählt, zusammenstellt, würdigt, und die Reinigung des Geschmacks, indem sie die besten Muster zur Nachahmung aufstellt.“ – Zahlreiche Werke beurkunden die Thätigkeit der Akademie. Ihre Memoiren, redigirt von ihren beständigen Sekretären (von Tallemant bis auf Dacier sind deren im Ganzen 7) sind in 50 Quartanten erschienen; 5 Quartanten hat die 1795 an der Stelle der Akademie errichtete zweite Klasse des Nationalinstituts „für moralische und politische Wissenschaften“ geliefert. Man verdankt ihr große Sammlungen, z. B. die Ordonnanzen der Könige von der dritten Raçe bis 1473 in 10 BB.; eine Litterärgeschichte Frankreichs bis 1210 in 16 BB.; eine Geschichte von Gallien und Frankreich bis 1226 in 18 BB.; Notizen aus den Handschriften der königl. Bibliothek in 10 BB.

Die Akademie hatte das Glück, daß zahlreiche Preise für sie gestiftet wurden, z. B. von Noinville, Caylus, Chalut, Raynal und Andern; 1820 ein neuer für die asiatischen Sprachen von Bolney. Von 1734 bis 1825 zählt man 106 gekrönte Preisschriften; bei 9 Aufgaben erhielten zwei Bewerber Preise. Unter den Preisschriften sind 9 über altfranzösische und gallische Geschichte, 8 über die französische Literärgeschichte des Mittelalters, deren Herausgabe wir von Mancy zu erwarten haben, 11 über griechische Geschichte, Gesetzgebung, Kolonialwesen, Erziehung u. s. w., 7 über römische Staatsverfassung, Politik, Verwaltung, Ackerbau und Handel, 21 über Religion, Priesterthum und Opferdienst der Egypter, Griechen und Römer, 3 über die Religionen des Zoroasters, Confucius und Mahommed, 6 über egyptische Alterthümer und Geschichte, 8 über alte Erdebeschreibung, Kunst und Wissenschaft. Was die übrigen Preisschriften betrifft, worunter noch mehrere merkwürdig sind, z. B. eine über die Galater in Kleinasien, so verweisen wir auf Mancy’s Atlas, welcher sie der Zeitfolge nach, mit den Namen der Verfasser angibt.


  1. Atlas historique et chronologique des literatures anciennes et modernes, des sciences et des beaux arts, d’apres la méthode et sur le plan de l’atlas de A. Lesage et propre à informer le complément de cet ouvrage, par A. Jarry de Mancy. I. Livraison.