Die fränkische Leuchte und fränkischer Rittertrotz

Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Die fränkische Leuchte und fränkischer Rittertrotz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 112–115
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die fränkische Leuchte und fränkischer Rittertrotz.


Ein deutsches Geschichtsbild. Von Friedrich Hofmann.


I.


„Sechzig Mark löthigen Silbers Strafe setzte der deutsche König und römische Kaiser Maximilian der Zweite auf dem Reichstag zu Speier am 24. September 1570 auf die Beschimpfung eines jeden Einwohners von Gotha, und dennoch, wo sich im Reiche Gothaner sehen ließen, traf sie Schimpf und Spott, weil sie einen Verrath der Treue gegen ihren Landesherrn begangen hätten.“ So melden es Chronik und Geschichte. Welch Ungeheures mußte man in Gotha damals verbrochen haben, um das Ehr- und Treugefühl des deutschen Volkes so tief zu verletzen, daß ein solches „kaiserliches Pönalmandat“ gegen die Aeußerungen der allgemeinen Entrüstung nöthig wurde? Einem Ritter in Franken widerfährt von seinem Lehnsherrn, dem Bischof, bitteres Unrecht, und da er vergeblich auf friedlichem Wege nach seinem Rechte sucht, so greift er zum Schwert des Faustrechts und will sich der Person seines Feindes bemächtigen. Da wird dieser aus Mißverständniß getödtet: der Mord eines Bischofs und Lehnsherrn, diese schwere Blutschuld fällt auf ihn und damit des Reiches Acht auf sein Haupt. Nun späht er bei den Fürsten nach einer helfenden Hand und er findet sie: ein Reichsfürst fühlt sich durch Kaiser und Reich in seinen angeborenen Rechten gekränkt und schmiedet Pläne, das Verlorene, und wäre es mit Gewalt, wieder zu erringen. Das gleiche Schicksal führt Fürst und Ritter zusammen, ein wunderreicher Aberglaube verlockt sie bis zum äußersten Wagniß, bis zu offenem Krieg gegen Kaiser und Reich. Vom Feinde in seiner Hauptstadt belagert und bedrängt, wird der Fürst auch von seinen Bürgern verlassen, weil er vom Aechter nicht lassen will – und so wurden Beide ihren Feinden und deren Gerechtigkeit überantwortet. Das war die Untreue, welche das deutsche Treupflichtgefühl so verletzte, und weil die Strafe für Beide das Maß überschritt, so wandte ihnen auch das Mitleid seine Theilnahme zu. Trotz alledem ist dieses Ereigniß aus dem Gedächtniß unseres Volkes verschwunden. Man muß abseits vom großen Strom der Geschichte suchen, um diese Begebenheit zu finden, und ebenso war es abseits des großen Stroms des Verkehrs unserer Tage, wo ich auf einer verfallenden Bergveste plötzlich vor den steinernen Häuptern jener beiden Männer stand, die im unbändigen Trotz gegen Kaiser und Reich und Freunde und Lieben ihren jammervollen Untergang gefunden haben.

Vier Stunden südlich von Hildburghausen liegt auf einem kegelförmigen, aus Basaltklingstein bestehenden, schön bewachsenen und schön geformten Berge die Veste Heldburg. Seitdem die Werrabahn den Reisenden in ihrem Thale dahinführt, hat er keine Gelegenheit mehr, auf der Höhe des allen Fuhrleuten in Mitteldeutschland einst übelbekannten Hildburghäuser Stadtberges den Schwager Postillon nach dem Namen der Burg zu fragen, die links von der näheren Ruine Straufhain hinter fernem Waldesgrün herüberschaut. Wer von dort je die zahlreichen Fenster des hochragenden Gebäudekranzes bei Sonnen-Auf- und Untergang hat strahlen gesehen, der versteht auch den Ehrennamen, den die Heldburg von alten Zeiten her trägt: die fränkische Leuchte.

Von Koburg wie von Hildburghausen führen jetzt Poststraßen nach dem Städtchen Heldburg, das am Fuß des Berges liegt, und zur Veste hinauf winden sich und steigen die Wege nach des Wanderers Wahl, je nachdem er klettern oder lustwandeln will. Wer seine Freude an der Natur hat, muß zur Zeit der Baumblüthe hierher. Den ganzen Berg bedeckt der üppigste Obstwald, und besonders wenn der Kirschbaum in Blüthe steht, ist’s, als hätte der Berg einen bis zu seinem Fuß herniederfallenden weißen Krönungsmantel umgehangen oder glänzte die fränkische Leuchte über einem blüthenweißen Riesenstrauß, bewimmelt von Tausenden buntester Käferchen, die wir in der Nähe als fröhliche Menschen erkennen. Denn zu solcher Zeit blühen auch die Bergfeste der Bergveste und locken aus Nah und Fern das kräftige Geschlecht der Franken zu seiner Lieblingslust herbei, zu Bratwurst und Bier, Gesang, Musik und Tanz.

Ein solches Volksfest, ein Sängerfest, zu welchem von Stadt und Dorf aus Thüringen und Franken die Vereine mit ihren Fahnen heranzogen, führte mich nach Jahren einmal wieder auf die Heldburg. Mit reichem Flaggenschmuck von ihren Thürmen und mit Böllerschüssen und Musik begrüßte sie ihre Gäste, die über ein Halbtausend Mann stark den Berg hinauf- und zum Thore hineinzogen, umwogt von den bunten Haufen des Stadt- und Landvolks, lauter himmelhellen Festgesichtern.

Ich zog nicht gleich mit zum Thore hinein, mich lockte es erst zu der wunderschönen Umgebung, aus welcher die Burgpaläste sich emporheben. Liebliche Gänge unter prächtigen Bäumen oder an wohlgepflegten Aprikosen- und Weinspalieren vorüber führen zu verschiedenen Plätzen. Das war einst der Hain, die geheiligte Einfriedigung aller Burghöhen, wo früher altgermanischer Cult stattgefunden. Noch jetzt nennt man den ältesten Theil der Heldburg den „Heidenbau“ und schätzt darnach ihr Alter.

Schon der Gang um die Veste herum öffnet uns manchen Durch- und Ausblick in die weit ausgespannte Ferne. Zur freiesten Rundschau ladet uns aber der freundlich dazu eingerichtete Thorthurm ein, zu dem ich nun vor Allem eilte. In die Burg führen zwei Eingänge: das Hauptthor an der Südseite und ein zweites Thor vom Hain her. Letzteres wählen wir, denn sobald wir seine Steile überwunden und den Hof betreten haben, – stehen wir vor unserer Illustration. In der Ecke steht der Thurm; die Treppensteine und oben das Estrich der Gänge hängen freilich hier und dort ein Bischen schief; „weil sie aber so tief ausgetreten sind, so haben sie sicherlich schon lange gehalten und werden uns auch noch tragen“ – so pflegt die Volkslogik hier zu sprechen und wir vertrauen ihr. Die Aussicht unter dem schützenden Wetterdache entschädigt für Besorgniß und Mühe; sie wetteifert in die Ferne mit der der Veste Koburg – der Heldburg durch Eisenbahn und Fürstengunst bevorzugte Schwester, die stolz im Osten als „fränkische Krone“ thront – denn sie umfaßt nach Süden die Haßberge nach dem Main hin, nach Westen die Rhön, im Norden beherrscht sie den Kamm des Thüringer Waldes und reicht den Frankenwald entlang bis zum Fichtelgebirg, wo der Blick wieder zu den östlichen Mainbergen hinübergleitet. Innerhalb dieses Gebirgsrahmens sind etwa dreißig sichtbare Ortschaften zerstreut, fünfzehn Schlösser, Burgen, Bergkirchen und Ruinen ragen dazwischen und dahinter auf, wie Schloß Kallenberg und Veste Koburg, die Schlösser Banz und Giech, die Altenburg bei Bamberg, Ruine Altenstein im Baunachgrund, Wallfahrtscapelle St. Ursula bei Königshofen im Grabfeld; – und wählen wir von den bedeutendsten Höhenpunkten nur die bekanntesten, so sehen wir, von beiden Gleichbergen bei Römhild ausgehend, welche unsere Abbildung in der Ferne zeigt, in der Wendung nach rechts den Dolmar bei Meiningen, den Hildburghäuser Stadtberg, den Thüringer Beerberg, Schneekopf und Finsterberg, den Waldstein des Fichtelgebirges mit seinem Häuschen, den Staffelberg am Main mit seinem Klösterchen, den heiligen Kreuzberg der Rhön und die Geba, einen Rhönvorposten gegen das Werrathal.

Wie aber hat wohl die Heldburg in der ganz alten Zeit ausgesehen? Als Balthasar von Thüringen 1374 Herr derselben

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Im Hof der Veste Heldburg.
Nach der Natur aufgenommen von Alfred Schröder.

[114] wurde, bestand sie nur aus einer Kemnate (wahrscheinlich dem Heidenbau) mit Wall und Ringmauer, einer Cisterne und einer Zugbrücke. In diesem ziemlich beschränkten Raume fand dennoch Friedrich der Weise sammt Philipp von Hessen und Herzog Johann von Sachsen Platz, die Anno 1520 mit dreihundertvierundsechszig Pferden zum Thore hereinritten. Dann erst kam der Fürst, dem die Burg die Gestalt verdankt, in der wir sie, im Aeußern wenigstens, größtentheils heute noch sehen, der Herzog Johann Friedrich, genannt der Mittlere.

Die Arbeiter in den Steinbrüchen von Streufdorf und in den Schieferbrüchen bei Lehesten merkten’s im Jahr 1558 zuerst, daß der Herzog etwas Großes vorhabe. In der That baute er sich eine neue Residenz mit allen Einrichtungen zu einer stattlichen Hofhaltung. Als Hauptgebäude prangt noch heute in seinem Renaissancestil mit den beiden Erkern voll reichster Ornamentik und dem schlanken Schneckenthurm das Schloß, gewöhnlich der französische Bau genannt, der Schmucktheil unserer Abbildung. Das weitläufige Gebäude mit seinen Nebenflügeln enthielt nicht nur zahlreiche Gemächer, sondern, wie die meisten gleichzeitigen Schlösser, auch einen „Riesensaal“ und eine Kirche. Für das zahlreiche Beamten- und Dienstpersonal war der Commandantenbau und ein Küchenbau errichtet und auch der Heidenbau, ein stilloser Steinkoloß, ist mit nutzdienlich gemacht worden. Alle diese Gebäude stehen noch, bis auf den Küchenbau, der die freie Aussicht nach rechts (Westen) hin beschränkte und als baufällig fallen mußte. Zu den Sehenswürdigkeiten gehört noch heute der Brunnen vor dem Hauptthore: hundert Fuß tiefer, als der Berg sich über das Thal erhebt, war er von Saalfelder Bergleuten durch den Felsen gehauen, und trotzdem die Unklugheit der Gäste seine Tiefe seit mehr als hundert Jahren durch Hinabwerfen von Steinen bemißt, ist er noch immer etwa dreihundertdreißig Fuß tief.

Eine andere Sehenswürdigkeit ist wenige Schritte rechts über Steingetrümmer zu erreichen: der Eingang zum Hexenthurm. Welch schauerliches Verließ! Oben im Gewölbe steckt noch der eiserne Haken, durch den das Seil lief, an welchem man die armen Opfer des Wahns in die Tiefe hinabließ. Ein eisernes Kreuz verschließt die runde Oeffnung. Ein Kreuz mußte es sein, um dem Teufel den Ein- und Ausgang zu verwehren. Es ist eine furchtbare Wahrheit, daß unter keinem andern Zeichen der Welt so gräßlich gesündigt worden ist, wie unter dem Kreuz. – Von wie viel Jammer konnten nur die Actenstöße der Hexenprocesse des Archivs und die Folterwerkzeuge der Marterkammer erzählen![1] Das Archiv ist zu Düten verarbeitet, die Marterkammer steht, wie die ehemalige Rüstkammer, leer. Aber dieser Thurm ragt aus jenen Tagen der Finsterniß in unsere hellere Gegenwart als trotziger Mahner.

Voll und kräftig erscholl in jenem Augenblick, als ich aus dem Hexenthurm herabstieg, das erste Lied der Sängerschaaren im Burghof, ich schlich durch die lauschenden Gruppen im Hain und im Hof zum Schloß hinauf; die frischaufblühende Vaterlandsbegeisterung hob sichtlich die Herzen, es war eine Freude, zu athmen in diesem Licht, – und dennoch konnte ich den finstern Mahner nicht los werden: mitten durch die herzerwärmende Melodie drang es mir wie ein Wehschrei der Gepeinigten in’s Herz, und gerade in diesem Augenblick stand ich vor der hohen Bogenthür zu den ehemaligen Prachtgemächern, über welcher die zwei steinernen Häupter herausragen als ein Denkmal, daß Fürstentrotz den Rittertrotz noch gewaltig überboten. Denn der Eine ist der Herzog Johann Friedrich der Mittlere, der Reichsfürst, und der Andere – Wilhelm von Grumbach, der Reichsgeächtete! Und wie lebend stiegen die Gestalten Beider, des Herzogs und des Ritters, vor mir auf, und beide auf dem letzten Gange, der Eine, um sich für’s ganze Leben in Fesseln schlagen, und der Andere, um sich viertheilen zu lassen.

Ja, wir stehen hier, auf unserer alten schönen Heldburg, auf einem Verherrlichungs- und Wendepunkt jenes Dramas, das man die „Grumbach’schen Händel“ nennt und dessen Personenreichthum so groß ist, wie dessen Schauplatz, der sich über ganz Deutschland erstreckte und selbst Frankreich, England, Dänemark und Schweden mit in sein Bereich zog.

Um die Großartigkeit desselben anzudeuten, muß ich im Voraus bemerken, daß der einfache Racheact des fränkischen Ritters gegen seinen geistlichen Lehnsherrn und das Bestreben des Reichsfürsten, sein verlorenes Erbe und die Kurwürde wieder zu erlangen, durch den Bund Beider sich bis zu dem Plan und der Gefahr aufthürmte, daß durch eine allgemeine deutsche Adelsrevolution der Herzog zum Kaiser und der Ritter zum Herzog von Franken erhoben werden könne und solle. Das allein zeigt genügend an, in wie viel Interessen diese Händel eingriffen, wie Reichsfürsten und Geistlichkeit, Reichsstädte und Ritter und die Kaisermacht selbst mit in dieselben hineingerissen wurden. Dazu die Gelüste des Auslandes und der Einfluß eines noch allherrschenden Aberglaubens – und dies Alles nach den hunderterlei Parteistandpunkten aufgefaßt, absichtlich verdreht und so gedruckt und geschrieben niedergelegt – war es da zu verwundern, daß dieses Stück deutscher Geschichte fast nur in Zerrbildern auf die Nachwelt kam und Recht und Unrecht so lange nicht geschieden werden konnten?

Dazu rechne und bedenke man die bis in die Gegenwart noch nicht völlig beseitigte Unsitte und Engherzigkeit, dem Geschichtsforscher die Benutzung besonders der Staatsarchive möglichst zu erschweren. Wie konnte die Wahrheit an den Tag kommen, wenn die eigenen Aussagen und Niederschriften der Hauptbetheiligten des verwickeltsten und verwirrtesten aller deutschen Ereignisse nicht an das Licht der Prüfung und Vergleichung kommen durften? – Erst seit wenigen Jahren können wir mit Stolz behaupten, daß diese Arbeit für die Grumbach’schen Händel endlich und in anerkennenswerthester Weise, soweit eben die Archive dazu benutzbar waren, vollbracht ist. Dr. Friedrich Ortloff, wirklicher geheimer Rath und Präsident des Gesammtoberappellationsgerichts zu Jena, hat in vier stattlichen Bänden diese mühselige Arbeit vollendet.[2] Der hohen, einflußreichen und verantwortlichen Stellung dieses Gelehrten verdanken wir es ohne Zweifel, daß vor ihm mancher sonst verschlossene Archivschrank aufging. Und welche Fülle von Material war zu überwinden! Er selbst giebt als die zu seinem Werke benutzten Quellen über fünfhundert Actenfascikel aus den Archiven von Dresden, Koburg, Weimar, Würzburg etc. an, dazu viele geschriebene Chroniken und andere Handschriften, Aufzeichnungen von Zeitgenossen im Besitz historischer Vereine und Bibliotheken, zahlreiche gleichzeitige Druckschriften, öffentliche Anklage- und Vertheidigungsschriften, Briefe, gesammelte Urkunden, Lob- und Spottgedichte in deutscher und lateinischer Sprache, Lebensgeschichten von Hauptbetheiligten und endlich noch eine Reihe früherer Bearbeitungen der Grumbach’schen Händel. Den daraus gewonnenen Inhalt seines Werkes können wir hier natürlich nur in den äußersten Umrissen angeben.

Sollen aber auch unsere nichtsächsischen Leser eine klare Anschauung von der Möglichkeit erhalten, daß ein einfacher Ritter einen der ersten Fürsten des Reichs so eng an sein Verhängniß ketten konnte, daß dieser mit ihm stehen und fallen mußte, so müssen sie uns ein paar Schritte rückwärts in der Geschichte des Wettiner Fürstenstammes folgen. Die durch Kunz von Kaufungen’s Prinzenraub allbekannt gewordenen Söhne des Kurfürsten Friedrich’s des Sanftmüthigen (gestorben 1464), Ernst und Albert, wurden die Stifter der beiden sächsischen Linien, der Ernestinischen und der Albertinischen, welche beide, jene in dem Großherzogthum [115] Weimar und in den Herzogthümern Meiningen, Koburg-Gotha und Altenburg, diese in dem Königreich Sachsen, noch heute bestehen. Ihr Gesammtgebiet dehnte sich in Mittel- und Norddeutschland zwischen dem Erzgebirge, dem Harz, der Rhön und zu beiden Seiten des Thüringer Waldes aus und hatte unter Ernst’s Söhnen, Friedrich dem Weisen und dessen Bruder Johann dem Beständigen, alle Anwartschaft, für das deutsche Reich die Macht zu werden, welche später Preußen geworden ist.

Die Kurwürde kam bei jener Theilung an die Ernestinische Linie. Da brach, unter Friedrich dem Weisen, die Reformation aus und hob die Ernestinischen Fürsten an die Spitze dieser welterschütternden Bewegung, begründete aber zugleich in den Habsburgischen Kaisern jenen Haß gegen dieselben, der, im Bunde mit Gewalt und List, schon dem vierten Ernestinischen Kurfürsten die Kurwürde sammt Land und Freiheit raubte. Dies geschah Johann Friedrich dem Großmüthigen, dem Sohne Johann’s des Beständigen, nach der Entscheidungsschlacht des Schmalkaldischen Kriegs bei Mühlberg (1547). Es war nicht die Schuld des Kaisers, daß auf dem bereits aufgerichteten Schaffot des Besiegten Haupt nicht fiel, sondern Brandenburgs Einspruch bewirkte dies. Nach fünfjähriger Gefangenschaft kehrte er heim – aber in welches Land! Von dem einstigen kurfürstlichen Gebiet war seinen Kindern nichts geblieben, als das, was annähernd jetzt noch die „Ernestinischen Lande“ ausmacht; alles Uebrige (etwa die jetzige preußische Provinz Sachsen) mit der Universität Wittenberg erhielt sammt der Kurwürde als kaiserlichen Lohn für seinen Verrath an seinen Stammverwandten der Albertiner Moritz, der erste deutsche Fürst, der zu seinem zweiten Verrath, gegen den Kaiser selbst, auf die Hülfe desselben Frankreichs speculirte, das dritthalbhundert Jahre später auf den albertinischen Kurhut eine Königskrone setzte.

Der Sohn dieses unglücklichen Fürsten war unser Herzog Johann Friedrich der Mittlere. Durch diesen kurzen geschichtlichen Rückblick ist dem Leser sicherlich wenigstens die eine Möglichkeit erklärt: daß der Sohn eines geächteten Fürsten aus Theilnahme und Schicksalsverwandtschaft der Beschützer eines geächteten Ritters werden konnte. Wie aber dieses Beschützerverhältniß sich in einen so engen Bund verwandelte, daß der Fürst den Geächteten, dem Reich und Kaiser zum Trotz, auf seiner Heldburg vor aller Welt mit und neben sich bildlich verherrlichen und sich bis zu den kühnsten gemeinschaftlichen Racheplänen hinreißen lassen konnte, das wollen wir in einem zweiten Artikel darlegen.




  1. Ich besitze selbst einen Heldburger Hexenproceß, in welchem ein vierzehnjähriger Knabe gegen seine Mutter zeugen soll. Die Anklage gegen dieselbe lautet: sie habe ihm zwei Mal ein krummes Maul angemacht, weil er von ihr das Hexenhandwerk nicht habe lernen wollen. Die Zeugenaussage des Knaben liegt, von seiner Hand geschrieben, in dem Actenband; der Schluß derselben lautet in Bezug auf die Anklage gegen seine Mutter buchstäblich so: „Das ist in ewigkeit nicht war, meine Mutter hat gesagt ich sol ein erlich Hand Werck lernen, ich mög doch nicht hart arbeiten, so haben die Leut das Hecksen Handwerck daraus gemacht, Das ist in Ewigkeit nicht war, so war als got gott ist, daß sie mich was böses hat woln ler, sie hat mich Zum Guten gereitzet vnd angetrieben. Den 28 Februari Valtinus Rücker Anno 1663.“ Diese Kindesaussage ist das einzige Vernünftige in dem ganzen Proceß, der vollständig, von der ersten Anklage bis zur letzten Scharfrichters- und Baderrechnung, vor mir liegt. Die arme Frau hatte zwei Male, jedes Mal acht Stunden, die Tortur ausgehalten. In Folge derselben mußten ihr an Händen und Füßen vier Glieder abgelöst werden. Trotz ihrer heldenhaften Ausdauer wurde sie, nun zum Krüppel geworden, des Landes verwiesen! – Und welcher Fürst hat diese Urtheile der „Verordneten Dechant, Senior und anderer Doctores des Schöppenstuels zu Jehna“ in eigenhändig unterzeichneten Rescripten auszuführen befohlen? – Herzog Be-Ernst! Ernst der Fromme, von dem seine Bewunderer sagen: „Sein Leben war ein fortgehendes zusammenhängendes Gebet: ‚O Gott, lehr’ erkennen dich und mich!‘ und sein Tod war das Amen dazu.“
  2. Geschichte der Grumbach’schen Händel. Jena, Friedrich Frommann. Erster Theil 1868, zweiter und dritter Theil 1869, vierter Theil 1870.