Die fliegenden Drachen der Vorwelt

Textdaten
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Autor: Christian Gottfried Giebel
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Titel: Die fliegenden Drachen der Vorwelt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 71–73
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die fliegenden Drachen der Vorwelt.
Von Prof. Dr. C. Giebel.

Alles, was der Urwelt angehört, muß wunderbar sein, mag es nun durch die Ungeheuerlichkeit seiner Größe und Masse oder durch die Seltsamkeit und Absonderlichkeit seiner Gestalt zum Wunder gestempelt sein. Wir nehmen das ohne Weiteres an, warum? – Weil die Urwelt räumlich und zeitlich unsern sinnlichen Augen entrückt, im tiefsten Dunkel des fernsten Alterthums gelegen ist, wohin nur die Phantasie, nicht der Blick reicht. Die Phantasie malt uns jene längst untergegangenen Wundergestalten mit den lebhaftesten Farben, wir sehen sie fast leibhaftig vor uns, die scheußlichen Drachengestalten des Uroceanes, der Urwälder und der Urlüfte, und können uns eines gewissen Grauens nicht erwehren, bei dem Gedanken, daß solche gräßlichen Ungeheuer einst den friedlichen Erdboden bevölkert haben sollen. In der That, was die glühendste Phantasie Ungeheuerliches, Grauen und Schauder Erregendes für die thierische Gestalt ersinnen konnte, das bürdete sie gerade den Drachen der Vorwelt auf. Aber nunmehr sind die Zeiten vorüber, in welchen die Phantasie allein die Wunder der Urwelt vorführt; die ruhige und sichere Methode der paläontologischen (urweltkundlichen) Forschung hat bereits all’ jene Wunder verscheucht und auf das Überzeugendste dargethan, daß die Pflanzen und Thiere, welche in den fernsten Schöpfungsperioden den Erdboden belebten, nach demselben Organisationsplane geschaffen waren, wie die heutigen, daß die vorweltlichen Thiere in keiner Weise und nach keiner Seite hin wunderbarer gestaltet waren, als die gegenwärtig lebenden. Zwar sind uns von den allermeisten Geschöpfen der Urwelt nur einzelne, mehr oder minder vollständige Körpertheile aufbewahrt und die ganze Gestalt, sowie Lebensweise und Naturell sind unserer unmittelbaren Beobachtung entzogen, allein die Thiere sind ja nach den strengsten, nach unabänderlichen und ewigen Gesetzen organisirt, und in ihrem Plane herrscht eine Einheit und Harmonie, welche uns befähigt, aus einem einzigen Körpertheile, aus einem Knochen, einem Zahne, einer Schuppe, einem Muschelstück, das ganze Thier und auch wie es lebte und waltete, zu ermitteln.

Die Paläontologie (Urweltkunde) hat die Aufgabe, aus den vereinzelten [72] und mannichfach umgeänderten Ueberresten der vorweltlichen Pflanzen und Thiere nach den Gesetzen, welche die gegenwärtige Schöpfung beherrschen, das eigenthümliche, reiche und vielgestaltige Leben früherer Schöpfungsperioden, in denen der Mensch noch nicht existirte, bis in alle Einzelnheiten zu erforschen, und sie hat bereits an die Stelle der phantastischen Wundergestalten die wirklichen, wahrhaftigen setzen können. Wir staunen und erschrecken nicht mehr über die Absonderlichkeit der urweltlichen Geschöpfe, wir bewundern vielmehr jetzt die Einfachheit und Unabänderlichkeit der Naturgesetze von dem ersten Augenblicke ihres Waltens an bis auf diesen Tag. Ich wähle, um den eben angedeuteten Unterschied zwischen den Phantasiegemälden und den wirklich erforschten Thiergestalten der Vorzeit an einem bestimmten Beispiele nachzuweisen, die fliegenden Drachen, die Pterodaktylen oder Flugsaurier, denn sie sollten ja wunderbar scheußliche Gestalten sein, der Schrecken von Allem, was lebte und webte, fliegende Ungeheuer, weder Vogel, noch Säugethier, noch Eidechse, sondern wahrhaftige Wundergestalten! Man dachte dabei an die Drachen in der Mythologie, die als teuflische Wesen auch in die christliche Kirche sich eingeschlichen haben, aber eben nur Phantasiegebilde sind und, so verschiedentlich sie auch bildlich und plastisch dargestellt worden, stets wahre Monstra, allen Gesetzen der natürlichen Organisation Hohn sprechende Gestalten sind.

Ich muß gleich von vornherein einem weitverbreiteten Vorurtheil entgegentreten, dem nämlich, daß die wirklich existirenden Drachen große, ungeheuerliche Thiere sein sollen, sie sind im Gegentheil sehr kleine und ganz harmlose Eidechsen. Diese lebenden Drachen bewohnen die ostindischen Inseln in einigen Arten und erreichen mit ihrem langen dünnen Schwanze kaum einen Fuß Länge, meist aber sind sie viel kleiner und von Charakter und Naturell die friedfertigsten, scheuesten, sanftesten Eidechsen, welche langsam auf den Aesten der Bäume umherkriechen und Insecten fangen, andern Thieren niemals etwas zu Leide thun und dem Menschen, der sich mit ihnen abgeben will, auch nicht den geringsten Widerstand entgegensetzen. Sie können ebenso wenig wie irgend eine andere Echse, denn keine einzige hat in ihrem Naturell und Betragen etwas Grausiges und Schreckhaftes, das Vorbild des rein phantastischen Drachen gewesen sein. Auch die fliegenden Drachen der Urwelt waren solch’ ganz kleine Thiere, ein bis höchstens zwei Fuß lang; schon als fliegende Thiere konnten sie ja keine Riesen sein, da alle Bewohner der Lüfte überhaupt kleiner, leichter und zierlicher gebaut sind, als die am Boden lebenden Thiere; die eigentlichen Riesen im Thierreiche, wie die Walfische, Potfische, Haifische, sind Wasserbewohner. Man glaube ja nicht, daß überhaupt irgend ein Thier der Urwelt größer gewesen ist, als die eben erwähnten Riesen des heutigen Oceanes; man glaube auch nicht, daß etwa einzelne Vertreter noch lebender Thiergestalten in frühern Schöpfungsperioden riesig waren im Verhältniß zu ihren heutigen Nachkommen; das Mammuth war wirklich nicht größer als unser Elephant, Urbär, Urtiger, Urhyäne etc. keineswegs riesiger als die heutigen Bären, Tiger, Hyänen etc. Wir kennen von den meisten dieser früher als Riesen der Vorwelt bewunderten Thiere vollständige Knochengerüste, an welchen die Messung mit dem Zollstabe die Schätzung des ungeübten Augenmaßes berichtigt hat. Die Thiere und Pflanzen waren überhaupt, das hat die Paläontologische Forschung auf das Ueberzeugendste dargethan, zu keiner Zeit größer und riesiger, als sie es gegenwärtig sind, und alle Schilderungen von urweltlichen Riesengestalten sind bloße Faseleien, keine auf Beobachtungen und verläßlichen Untersuchungen beruhenden Wahrheiten.

Nun, wenn die fliegenden Drachen der Urwelt nicht durch ihre Größe Schrecken erregen können, so setzen sie wohl durch ihre absonderliche Gestalt und ihren räthselhaften Bau in Verwunderung? Auf den ersten Blick allerdings, und daß sie fliegende Eidechsen sind, erhöht noch das Schreckhafte des ersten Eindruckes. Sehen wir sie uns darauf näher an: der fünfte, bei allen Thieren und auch bei dem Menschen kleinste Finger ist hier der größte, ja er ist so lang wie der ganze Körper, also förmlich monströs vergrößert. Er spannte und bewegte ohne Zweifel eine große Hautfalte, welche an den Seiten des Körpers sich herabzog und vielleicht noch an den Hinterbeinen befestigt war. So das wichtigste Bewegungsorgan, verlieh der Flugfinger diesen Thieren auch den Namen Plerodaktylus. Ist nun aber diese riesenhafte Vergrößerung des kleinen Fingers wirklich etwas so beispiellos Absonderliches, daß es uns mit Verwunderung und gar mit Schrecken erfüllen kann?

Vergleichen wir zunächst unsere zierliche lebende Flugechse und ihr Flugorgan. Auch sie hat auf jeder Seite des Leibes eine große Hautfalte, einen Schirm, der von Knochenfäden gespannt wird, und bei der anatomischen Untersuchung ergeben sich diese Knochen als die letzten sogenannten falschen Rippen. Die Rippen haben doch eigentlich den Zweck, die Lungen im Brustkasten zu schützen und die zur Athembewegung dienenden Muskeln aufzunehmen, sie gehören also zum Respirationsorgan, und doch reißt die Natur dem Drachen einen Theil derselben, und zwar den unbedeutendsten, die kürzesten und falschen Rippen, förmlich aus dem Leibe heraus, vergrößert sie und verwendet sie als Bewegungsorgan. Das ist doch wahrlich noch verkehrter und wunderlicher, als wenn die Hausfrau in Ermangelung eines Durchschlags gleich das Sitzbret eines Rohrstuhls statt dessen gebraucht. Aber die Natur macht sich aus solchen Gewaltthaten nichts. Reißt sie doch den Schildkröten sogar sämmtliche Rippen aus dem Leibe, um sie zur Verstärkung des knöchernen Panzers zu verwenden; dadurch werden dieselben natürlich unbeweglich und somit auch die Thoraxmuskeln zur Athembewegung überflüssig, die Schildkröten sind deshalb genöthigt die zum Athmen bedürftige Luft schluckweise zu trinken. Noch eine Gewaltthat ganz anderer Art mußte sich der Elephant gefallen lassen. Die Nase ist bekanntlich Geruchsorgan, allein der Kopf des Elephanten ist doch zu groß und schwer, um auf einem langen beweglichen Halse sitzen zu können, der Leib zu massig, als daß die Beine zu andern Verrichtungen als blos zur beweglichen Stütze dienen könnten; was thut die Natur, um dem Koloß das Ergreifen und Auswählen der Nahrung und die Vertheidigung zu erleichtern? sie verlängert seine Nase in einen ungeheuer langen, überaus beweglichen, muskelstarken und sehr fein tastenden Rüssel. Das Geruchsorgan des Elephanten ist zugleich Tast- und Greifapparat und Waffe geworden. Ich könnte noch viele derartige Beispiele aus der heutigen Thierwelt aufführen, die nach menschlichen Ansichten wahrhaftige Wunder sind, in der Natur aber, die dem Grundsätze huldigt, daß der Zweck das Mittel heiligt, die Bedeutung der Wunder verlieren.

Kann uns nun nach solchen wundersamen Einrichtungen bei lebenden Thieren der Flugfinger der vorweltlichen Pterodaktylen noch in Staunen versetzen? Gewiß nicht, der Finger ist ja an sich schon Bewegungsorgan und übernimmt hier nur eine andere und zwar eine mehr untergeordnete Bewegungsweise, als die übrigen Finger. Wir finden ein fast ähnliches Verhältniß bei dem Pinguin, der seine Flügel nicht wie andere Vögel zum Fluge, sondern nur als Ruder beim Schwimmen gebrauchen kann, also auch keine Schwungfedern daran hat.

Eigenthümlich ist allerdings der Flugfinger ausschließlich den vorweltlichen Flugechsen, ebenso sehr wie dem lebenden Drachen die von den falschen Rippen gespannte Flughaut; andere Bewohner der Lüfte fliegen und flattern mit anderen Organen. So haben die Käfer, Fliegen, Schmetterlinge, kurz die Insecten überhaupt, ein oder zwei Flügelpaare, welche den Beinen gegenüber an der Rückseite der Brustringe eingelenkt sind, und wenn auch nur bloße Hautausbreitungen, sind dieselben doch in Anlage und Ausführung durchaus eigenthümliche Organe, welche andere Thiere schon vermöge der Anlage ihres Körpers gar nicht besitzen können. Eine Eidechse mit Flügeln, wie der Drache dargestellt wird, oder eine menschliche Gestalt mit Flügeln am Rücken, wie in den Abbildungen von Engeln, sind vom zoologischen Standpunkte aus betrachtet wirkliche Wundergestalten, denn nicht einmal Andeutungen dafür sind in der Natur aufzufinden. Alle Thiere mit innerem Knochengerüst, alle Wirbelthiere können höchstens nur zwei Paar Gliedmaßen zur Bewegung haben; wollen sie also fliegen, so müssen sie das eine Paar, und zwar das vordere, in Flügel verwandeln. So vergrößert unter den Fischen der fliegende Hecht zu diesem Behufe seine Brustflossen und schwingt sich damit hoch über das Wasser empor. Der Vogelflügel gleicht in der Anlage ganz den Beinen, und besonders den vorderen, der Säugethiere, d. h. er besteht im Knochengerüst aus Schulterblatt und Schlüsselbeinen, aus Oberarm, Unterarm und Handtheil mit Finger, zweien oder dreien. An diesen Knochen sind die großen Schwungfedern befestigt, welche, wie die Haare, bloße hornige Hautgebilde, also äußerlich angefesselt sind und den Fächer des Flügels bilden. Der eingliedrige Daumen hat bei vielen Vögeln noch einen wirklichen, unter den Federn versteckten Nagel und beweist damit auch äußerlich, daß er an einer Hand sitzt. Es ist also der Vogelflügel nur in der Ausführung, nicht in der Anlage seiner Theile von den Vorderbeinen der Amphibien [73] und Säugethiere verschieden. Unter letzteren fliegen die Fledermäuse wiederum mit anderen Flügeln als die Vögel. Sie verlängern nämlich ihre Arm- und Fingerknochen ungemein und spannen zwischen den Fingern eine große Flughaut aus, welche am Arme entlang, an den Seiten des Leibes fort bis an die Hinterbeine reicht und oft auch zwischen den Hinterbeinen und dem Schwanze noch ausgespannt ist. Hier wird also die Flatterhaut von allen Fingern, mit Ausnahme des Daumens, gespannt, bei den vorweltlichen Pterodaktylen nur vom vergrößerten fünften Finger. Der Unterschied zwischen diesen beiden Flugorganen ist also nur ein relativer, kein absoluter, und das hat seinen Grund darin, daß bei den Fledermäusen der Flug die hauptsächliche und vorherrschende Bewegungsweise ist, bei den Pterodaktylen, wie wir bald sehen werden, die flatternde Bewegung der kletternden ganz untergeordnet war. Unter den Säugethieren finden wir noch andere Flug- oder vielmehr bloße Flatterorgane bei dem fliegenden Maki, dem Flugbeutler und den fliegenden Eichhörnchen. Bei all diesen ist eigentlich nur ein Fallschirm vorhanden, der sie befähigt, von höheren Aesten auf entfernte niedere sich herabzulassen. Er besteht aus einer behaarten Hautfalte zu jeder Seite des Leibes, von den Armen bis zu den Beinen reichend.

Der Flugfinger der vorweltlichen Pterodaktylen erscheint nach solchen vergleichenden Betrachtungen weder als etwas Wunderbares, noch beispiellos Absonderliches, da die lebenden Thiere noch größere Absonderlichkeiten aufzuweisen haben. In ihrer ganzen übrigen Organisation nun sind die Pterodaktylen echte Eidechsen, abweichend von den lebenden nur insoweit, als der Bau der eigenthümlich flatternden und kletternden Lebensweise sich anbequemen mußte. Wir dürfen von vornherein vermuthen, daß diese Abweichung in einer Annäherung an die Vögel bestehen wird. Die Vögel bedürfen zum Flügelschlage sehr großer Brustmuskeln, deren Anheftung ein sehr breites Brustbein voraussetzt; dem annähernd ähnlich ist denn auch bei den Pterodaktylen das Brustbein beträchtlich breiter und kürzer, als bei allen andern Echsen, lebenden und vorweltlichen, breiter als bei allen Säugethieren. Luftthiere haben im Verhältniß zu Land- und Wasserbewohnern immer eine lebhaftere, mehr energische Respiration, bei den Vögeln ist daher der ganze Rumpf fast nur Brustkasten, der Bauch tritt ganz zurück, ebenso bei den vorweltlichen Flugechsen, welche dreizehn bis sechzehn Rippenpaare und dahinter nur zwei bis drei rippenlose Lendenwirbel besitzen. Der Schädel der Pterodaktylen erscheint in seinen allgemeinen Umrissen so vogelähnlich, daß man anfangs die Thiere deshalb Ornithocephalus, Vogelkopf, nannte, allein die Vergleichung der einzelnen Schädelknochen, die Anwesenheit dreier Stirnbeine, die Umgrenzung der Nasen- und Augenhöhlen, die Knochen der Gaumen- und Schläfengegend machen die Echsenverwandtschaft ganz unzweifelhaft und entfernen die Flugsaurier weit von den Vögeln. Sind doch auch die Kiefer mit starken scharfspitzigen Zähnen bewaffnet, die kein einziger Vogel aufzuweisen hat. Allerdings hat man bei einem Flugsaurier an der Kieferspitze noch Andeutungen dahin gefunden, daß vielleicht das bezahnte Maul vorn in einen hornigen Schnabel ausging, also Vogelschnabel und Krokodilrachen hier vereint gewesen könnten. Ich sage absichtlich Krokodilrachen und nicht Eidechsenrachen, denn die Pterodaktylen haben in Alveolen (Zahnfächer) eingekeilte Zähne, wie die Krokodile, und nicht auf- oder angewachsene, wie die Eidechsen. Der große Schädel und die starken Zähne setzen eine sehr kräftige Muskulatur am Kopfe voraus und daß solche vorhanden war, beweisen die starken Leisten und Kämme an der hintern Schädelgegend und nicht minder die ungeheuer kräftigen Halswirbel. Durch letztere weichen die Pterodaktylen wieder von allen lebenden Eidechsen und Vögeln ebenso auffallend ab, wie durch ihren Flugfinger.

Der Kopf der Flugsaurier hat so ziemlich die Größe des Rumpfes, der Hals die Länge des Rumpfes und zugleich sind seine Wirbel auffallend viel größer und dicker, als die in der Brustwirbelsäule, welche schnell kleiner werden bis in die Beckengegend, wo, wiederum abweichend von allen lebenden Eidechsen und Amphibien überhaupt, dagegen vogel- und säugethierähnlich, ein aus sechs Wirbeln bestehendes Kreuzbein sich findet. Hinter diesem läuft die Wirbelsäule meist in einen kurzen feinen Schwanz aus. Welche Bewegungsweise nun kann ein Thier gehabt haben, dessen Kopf und Hals kolossaler und schwerer als der ganze übrige Leib war? Die ersten Beobachter der Pterodaktylen dachten bei der Betrachtung des übermäßig langen Fingers an schwimmende Bewegung, allein hätte dieser Finger zum Rudern gedient: so wären seine Knochen nicht drehrund walzig, sondern, wie bei rudernden Säugethieren, Vögeln und Amphibien, flachgedrückt, und es müßten starke Leisten an den Armknochen vorhanden sein, an welche sich die zu seiner Bewegung erforderlichen großen Muskeln ansetzten. Der Finger spannte vielmehr, ähnlich wie die vier Finger bei den Fledermäusen, eine große Flughaut, aber weder so anhaltend, noch so gewandt, geschickt und leicht, wie jene, konnten die Flugsaurier fliegen. Beim Fluge hält das Thier den Körper in vorgeneigter bis wagerechter Stellung; das war den Pterodaktylen unmöglich, da der Schwerpunkt ihres Körpers vor die Mitte auf Hals und Kopf fällt. Sie hätten stets mit dem Kopfe unten, den Schwanz oben fliegen müssen, und dann war die Muskulatur des Flugfingers immer noch zu schwach, um durch Flügelschlag den Körper zu heben. Die eigenthümliche Form der Krallen an den ganz normal gebildeten vier vordern Fingern und an den Hinterzehen, die ganz flach gedrückt, stark gekrümmt und spitzig sind, stimmt genau überein mit der Krallenform des kletternden Maki und anderer ausgezeichneter Kletterer. Die Hauptbewegung der Pterodaktylen konnte wegen dieser Krallenform nur Klettern sein, und auf dem Gipfel eines Baumes angekommen, ließen sie sich durch Ausspannen ihrer Flatterhaut wie mittelst eines Fallschirmes auf die untern Aeste oder auf den Boden nieder. Der ganze Knochenbau der Pterodaktylen spricht entschieden dagegen, daß diese Thiere wie die Fledermäuse anhaltend in der Luft umherschwirrten, er spricht ebenso entschieden auch dagegen, daß sie, wie man ganz neuerdings noch zu beweisen suchte, aufrecht am Boden umherspazierten. Sie fingen kletternd und von höhern Aesten sich herabstürzend Insecten, nicht anders als die noch gegenwärtig lebenden Drachen, waren aber, nach ihrem starken Gebiß und kräftigen Knochenbau in der vordern Leibeshälfte zu schließen, viel gefräßiger, als diese, und bedurften daher auch eines größeren Fallschirmes.

Man hat bereits eine ziemliche Anzahl von Arten der Flugsaurier unterscheiden können, aber keine einzige derselben war häufig, ihre Ueberreste gehören in den Sammlungen noch immer zu den seltensten und kostbarsten Versteinerungen, so sehr aufmerksam man auch in den Steinbrüchen, wo sie vorkommen, auf sie achtet. Die Unterschiede, welche sie im Bau unter einander bieten, sind sehr erheblich. So trennt man eine Art von den übrigen ab, weil ihr Flugfinger nur zweigliedrig statt viergliedrig ist; einige andere Arten haben einen über körperlangen, sehr steifen, unbeweglichen Schwanz und kurzen Hals, und nur diese scheinen eine hornige Schnabelspitze, womit sie vielleicht Insectenbaue aufwühlten, besessen zu haben; die übrigen endlich sondern sich in solche mit vier- und in solche mit fünfzehigen Füßen und unterscheiden sich weiter noch nach der Anzahl und Form der Zähne und andern Eigenthümlichkeiten.

Die Schöpfungsperiode, während welcher die Flugsaurier lebten, war die jurassische. Ihre Ueberreste lagern spärlich im Lias Englands, Würtembergs und bei Banz in Baiern, dann im braunen Jura bei Stonesfield und am zahlreichsten bei Solenhofen in den weltberühmten Steinbrüchen des lithographischen Kalkes, die jüngsten endlich noch in der Kreideformation Englands. So sind die Pterodaktylen also Zeitgenossen der kolossalen, plumpen Riesensaurier oder Landsaurier und der ungleich seltsameren Meeresdrachen oder der Ichthyosauren und Plesiosauren. Diese drei gänzlich untergegangenen Saurierfamilien vertraten während der Jura- und Kreideperiode die erst in der folgenden tertiären Schöpfungsperiode erscheinenden Säugethiere und Vögel, denen sie sich in Lebensweise und Knochenbau mehr näherten, als irgend ein gegenwärtig lebendes Amphibium, ohne daß sie deshalb aber in ihren wesentlichsten und allgemeinsten Merkmalen von dem Amphibien-Typus abwichen.