Die erste Nacht im Grabe
[314] Die erste Nacht im Grabe.*[1] (Mit Abbildung, S. 310.) Es war noch Morgendämmerung, als mich der Herzensdrang nach einer stillen Feier zur Grabstätte unseres todten Meisters trieb. Gestern Abend haben sie ihn bestattet, den Wilhelm Kaulbach! Es war eine Feier, wie sie der Kampfgeist unserer geharnischten Zeit erforderte und wie sein eigenes Herz sie nicht anders hätte wünschen können. Wie ein Wallfahrtsheiligthum lag das Grab unter seinem Blumenbaldachin, umstanden von den erhabensten Priestern der Wahrheit und Schönheit und den tapfersten Rittern der Freiheit und des Rechts: ihnen gebührte der Altardienst bei dieser Feier des deutschen Genius. Und ringsumher in endlosen Kreisen lauschte voll Andacht das Volk als freie große Gemeinde der Verherrlichung eines Unsterblichen aus seiner Mitte. Es war Dämmerung geworden, ehe die Schaaren wie die vorüberbrausende Sturmfluth verronnen waren, und es war gut, daß die Nacht die Spuren bedeckte, die sie auf Tausenden von Gräbern hinterlassen hatten. Ueber sie hin schritt ich im Morgengrauen zur Schlummerstätte des Meisters. Die erste Nacht im Grabe – sie war kaum vorüber, und schon hatte die Liebe und Verehrung den kränzereichen Hügel mit neuen frischen Blumen geschmückt. Ebenbilder jener Goethe’schen Frauengestalten, die des Meisters Griffel verewigt hat, kamen aus der dunklen Umrahmung des Grabes mir entgegen; sie waren noch vor der Sonne hier gewesen mit den sinnigen Spenden ihrer Huldigung und ihres Dankes. So wie sie das theure Grab verlassen haben, so, dachte ich, mußt du es den Freunden der Gartenlaube vor Augen stellen, überwölbt von seiner Blumenlaube, von der Liebe geschmückt und begrüßt vom ersten Morgen, der über ihm aufging.
- ↑ * Selbstverständlich beschränkt die Gartenlaube ihre Todtenfeier Kaulbach’s nicht auf diese nur vorläufige Mittheilung; ein des großen Meisters würdiger Nachruf wird bald folgen.D. Red.