Die erste Geistererscheinung des neunzehnten Jahrhunderts

Textdaten
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Autor: Ferdinand Dieffenbach
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Titel: Die erste Geistererscheinung des neunzehnten Jahrhunderts
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 408–410
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[408]
Die erste Geistererscheinung des neunzehnten Jahrhunderts.


Von Ferdinand Dieffenbach in Darmstadt.


Zwischen heute und dem Anfange unseres Jahrhunderts liegt, wenn wir die Culturentwickelung der letzten Jahrzehnte in Betracht ziehen, ein ungeheurer, unschätzbarer Zwischenraum. Heute können wir mit allen Vorurtheilen nicht eilig genug aufräumen, und selbst die Ehrfurcht schwindet, mit welcher wir seither die Reste unserer Hinterbliebenen betrachteten. Damals fand noch die Lüge der Alchemie ihre Gläubigen; der Glaube an Geister und Gespenster spukte noch in den Köpfen, und die Literatur besitzt aus jener Zeit noch dicke Bücher über Hexen und Zauberwesen. Den Lesern der „Gartenlaube“ erzählte ich bereits von jener, der hiesigen Hofbibliothek einverleibten, merkwürdigen Wunderlich’schen Bibliothek, in welcher der alte Sonderling während seines langen Lebens so ziemlich die gesammte alchemistische und kabbalistische Literatur aufhäufte und so ziemlich Alles, was im Laufe der Jahrhunderte über Geister, Gespenster und Hexen geschrieben wurde, sammelte. Diese Bibliothek steht vielleicht auf der ganzen Welt als ein Unicum da, und der alte Sonderling hat sich durch ihre Gründung ein Verdienst erworben, von dessen Größe er wohl selbst nie eine Ahnung hatte.

Die großherzoglich darmstädtische Hofbibliothek stellt diese Büchersammlung Jedermann mit der größten Bereitwilligkeit zur Verfügung, und mit besonderem Behagen habe auch ich von derselben Gebrauch gemacht. Anfänglich ist das Durchstöbern dieser Folianten zwar keine besonders erquickliche Beschäftigung, denn die Logik des Unsinns ist nicht sofort für Jeden faßbar, allein mit der Zeit gewinnt der Humor dem anfangs widerlichen Gegenstand seine heiteren Seiten ab, und auch die falsche Weisheit erscheint in einer anziehenden Gestalt. Eine große Wahrheit aber bestätigt diese Sammlung, die Wahrheit des alten Spruchs: Es ist nichts so verkehrt, das nicht schon von einem Gelehrten vertheidigt worden wäre. Die Sammlung liefert uns hierfür manches erheiternde Beispiel.

Wir erwähnen nicht die zahlreichen Inauguraldissertationen, welche die wunderlichsten Themata behandeln. „Von den Besessenen“ und „vom Teufelaustreiben“, von Hexen und Zauberern und ähnlichen Gegenständen. Noch im Jahre 1706 disputirte in Rostock ein gewisser Michael Schilberg über die Frage: „Ob man den Sterbenden einen Gruß an die Seinigen in der andern Welt mitgeben könne?“ Aus dem Jahre 1735 ist noch eine Abhandlung: „Von dem Kauen und Schmatzen der Todten in den Gräbern“ vorhanden, im Wesentlichen eine Wiederholung einer Leipziger Dissertation von 1725: „De masticatione [409] mortuorum in tumultis“, welche zwar gegen den Unsinn der Lehre von den Vampyren ankämpfte, aber immer noch genug sonderbare Ansichten vertritt. Eine der unterhaltendsten Schriften dieser Art stammt jedoch aus dem Anfange unseres Jahrhunderts. Es erschien im Jahre 1805 in der Jacobäer’schen Buchhandlung in Chemnitz ein Buch, welches ungemein viel von sich reden machte. Es führte den Titel: „Meiner Gattin wirkliche Erscheinung nach ihrem Tode von Dr. K. J. W.“

Das Aufsehen war um so größer, als die Schrift, welche alsbald in zweiter Auflage erschien, dem aufgeklärten Herzog Karl August von Sachsen-Weimar gewidmet war und es alsbald bekannt wurde, daß ihr Verfasser ein gewisser Dr. Karl Wötzel in Leipzig sei, der als philosophischer Fachschriftsteller schon mehrfach angetreten war und den strengwissenschaftlichen Kreisen angehörte.

Herr Dr. Karl Wötzel erzählt uns in dieser Schrift, daß seine Frau, welche, nebenbei bemerkt, angeblich von den Aerzten falsch behandelt wurde, an der Wassersucht gestorben und ihr dieser Tod durch einen Traum gewissermaßen voraus verkündigt worden sei. Es habe ihr geträumt, sie sei mit ihrem Manne und ihren beiden Hündchen spazieren gegangen und in einen tiefen Wassergraben am Wege gefallen. Ihm (Wötzel) habe zu gleicher Zeit dasselbe geträumt, nur mit dem kleinen Unterschiede, daß nicht blos seine Frau, sondern auch das eine Hündchen „Diana“ in’s Wasser gefallen sei. „Er habe nie an Träume geglaubt“, und diese beiden Träume hätten auch damals keinen Eindruck auf ihn gemacht, allein zur Lichtmeß 1803 habe die Diana plötzlich ihr Leben geendigt und habe ihn, da sie auf das gefrorene Wasser zufällig begraben wurde, in sonderbarer Weise an jenen fatalen Traum erinnert.

Herr Dr. Wötzel erzählt nun weiter, wie er sich mit seiner Frau oft über die Unsterblichkeit unterhalten habe. Er und seine Frau seien Beide so begierig gewesen, darüber in’s Klare zu kommen, daß sie sich gegenseitig einst das Versprechen gegeben hätten, dasjenige, welches zuerst sterben würde, sollte dem anderen nach seinem Tode wieder erscheinen und ihm, um einen parlamentarischen Ausdruck zu wählen, gewissermaßen über das Jenseits Bericht erstatten. Noch auf ihrem Sterbebette erinnerte er seine Frau an dieses Versprechen und pflegte sie dann treulich bis auf ihren letzten Augenblick.

„Lebe wohl,“ rief sie und reichte ihm lächelnd die Hand, „und gieb mir noch ein Bischen Baumöl!“

„Hier ist es; nimm so viel Du willst!“

„Nun dank’ ich Dir; jetzt muß ich scheiden,“ rief sie und starb.

Der Leser vermuthet wohl, weil wir diese Episode mit so großer Ausführlichkeit behandeln, daß wir ein besonderes Wohlgefallen daran hätten, die Pietät Wötzel’s in einem komischen Lichte erscheinen zu lassen; dem ist aber nicht so, denn gerade dieser Vorgang, namentlich das „Baumöl“, ist von großer Wichtigkeit für die weitere Entwickelung unserer Darstellung.

Es war am 16. Juli Morgens halb acht Uhr, wo Frau Dr. Wötzel starb. Am 31. Juli Abends bemerkte Dr. Wötzel das erste Anzeichen der bevorstehenden Geistererscheinung. Ein Licht, das sich in der ehemaligen Schlafkammer seiner Frau befand, zeigte eine eigenthümlich flackernde Bewegung.

Am 2. August Nachts fühlte er eine eigenthümliche Bewegung unter seinem Deckbett (!) und ein eiskalter Wind blies ihm auf den Rücken. Es schien ihm, als ob ihm Jemand das Deckbett, das er mit beiden Händen zu halten hatte, entreißen wollte. Er denkt sofort, seine selige Frau „möge sich einen kleinen Scherz mit ihm erlauben“, und fragt: „Hannchen, bist Du es?“

Allein Hannchen antwortete nicht, und auch mehrere längere Reden verhallten erfolglos in der leeren Stube.

Erst drei Nächte später, als er zwar spät, gegen zwölf Uhr, aber, wie er sagt, „ohne im geringsten von hitzigen Getränken berauscht zu sein“, nach Hause zurückkehrte, sollte sein Verlangen befriedigt und er von der Unsterblichkeit Hannchens überzeugt werden. Er begab sich gegen halb ein Uhr zur Ruhe und als er ungefähr eine halbe Stunde gewacht, öffnete sich plötzlich das Fensterchen seines Alkovens, ein schwacher Strahl erhellte den Raum und „vor mir stand wirklich eine weißliche Figur in der Lebensgröße meiner verewigten Gattin, welche mit sanfter, aber für mich vernehmbarer Stimme sagte: ‚Karl, ich bin unsterblich. Erst einst sehen wir uns wieder.‘“

Pfeilschnell sprang Wötzel auf und versuchte seine Gattin zu umfassen, allein die Gestalt zerfloß in Nebel und gleichwie von einem starken elektrischen Schlage wurde er zurückgeschleudert.

Dr. Wötzel unterhielt sich nun in den nächsten Wochen auf das Lebhafteste mit befreundeten Personen über die merkwürdige Erscheinung; allein seine Frau, „die ihn in den ersten vier Wochen wie ein Schutzgeist bis zu Ende des halben Trauerjahres umschwebte“, erschien ihm noch einmal, um ihn zu beruhigen. Er lag, gerade im Begriffe seinen Mittagsschlaf zu halten, auf dem Sopha seiner Studirstube, „als sich die Thür öffnete und die Verewigte erschien mir in eben der Gestalt, wie ehedem in der Nacht und wie sie im Sarge aussah, mit demselben weißen Anzuge und freundlichen Blicke (?), mit dem sie leise, aber doch vernehmlich sagte:

‚Karl, beruhige Dich! Ich bin unsterblich! Mehr vermag ich Dir nicht zu offenbaren. Bis auf einstiges Wiedersehen lebe wohl!‘“

Daß dieser Geist derjenige seiner Frau war und nicht etwa eine trügerische Erscheinung, wurde dieses Mal Herrn Dr. Wötzel noch durch ein anderes Zeichen unzweideutig dargethan. Der Schoßhund seiner Frau, „Mignon“, welcher neben Dr. Wötzel auf dem Sopha lag, „wedelte mit dem Schwanze, zum Zeichen der Freude über das Wiedersehen der guten Frau“.

„Seit dieser Zeit habe ich weder was Aehnliches von der Verewigten gesehen noch gehört,“ beschließt Wötzel seine Darstellung.

Ist diese Gespenstergeschichte an sich schon ergötzlich, so ist es noch mehr die von Herrn Dr. Karl Wötzel hinzugefügte physikalische Erklärung der Erscheinung. Er sagt:

„Als Embryo im Mutterleibe lebt der Mensch im Wasser, ist also sozusagen ein Wasserthier. Nach seiner Geburt ist die Luft und das Licht eines seiner wesentlichen Lebenserfordernisse, und er verwandelt sich aus einem Wasserthier in ein Luftthier, das seine Nahrung aus der Luft und dem Lichte nimmt. Dieser verschiedenen Zusammensetzung und Ernährung des menschlichen Körpers entsprechen verschiedene Hüllen, eine irdische, eine wässerige und eine unsichtbare Luft- und Lichthülle, welche die Seele umgeben. Sobald sich nun nach dem physischen Tode alle gröberen Stoffe und Körperhüllen von der wesentlichen Grundlage aller Theile der menschlichen Natur, folglich von dem Lichtstoffe trennen, so muß der Lichtstoff, welcher mit der sich aus ihm entwickelnden Seele nur ein unzertrennliches Ganze bildet, noch ebensowohl als vorher einen ganzen Menschen vorstellen und seinen Raum erfüllen, zwar nicht mehr der Dichtigkeit, aber doch der Ausdehnung nach.

Auf diese Art muß man einen solchen von allen gröberen Stoffen bis auf den Lichtstoff entkleideten und verdünnten Menschen in Lebensgröße sehen können, weil er jetzt der Ausdehnung nach ebensowohl als vorher seinen Raum erfüllt, nur jetzt weniger dicht als ehedem.“

Diese Schrift Wötzel’s rief eine wahre Fluth von Entgegnungen hervor, in welcher sich zum Theil die Satire mit vielem Geschicke der in ihr enthaltenen Albernheiten bemächtigte, wie zum Beispiel in den beiden Broschüren „Meines Gatten wirkliche Erscheinung nach seinem Tode“ und „Kilian, ich komme wieder, oder meiner Gattin wirkliche Erscheinung nach ihrem Tode, von Dr. Kilian Zebedäus Spitznagel“.

Wötzel konnte nicht umhin, sich zu rechtfertigen, und er versuchte dies in einer weiteren von ihm herausgegebenen Schrift „Nähere Erklärung und Aufschlüsse über meine Schrift ‚Meiner Gattin wirkliche Erscheinung nach ihrem Tode‘“. Seine Rechtfertigung war jedoch, obwohl sie mit einer gewissen nicht ungeschickten Rabulistik abgefaßt war, der Hauptsache nach ebenso albern wie seine erste Schrift. Er wiederholte in derselben ausführlicher die von ihm aufgestellte Gespenstertheorie, ohne durch dieselbe über den Vorfall selbst Licht zu verbreiten. Besser als von ihm wurde diese seine Theorie von dem pseudonymen „Dr. Kilian Zebedäus Spitznagel“ ausgebaut und angewandt. Derselbe schreibt im Geiste Wötzel’s wie folgt:

[410] „Der Mensch besteht aus Wasserstoff und Lichtstoff. Diese zwei Stoffe machen die menschliche Substanz aus. Wenn nun der Lichtstoff nach dem Tode als entzündbarer Stoff fortbrennt, so erscheinen die Weiber wieder. Wie macht man es aber, daß jener Stoff, nämlich der Lichtstoff, nach dem Tode fortbrennt?

Recept. Nimm zwei Loth Baumöl oder auch ein Achtel guten Branntwein, mische es wohl untereinander, thue es in einen silbernen oder blechernen Löffel und gieb ein- oder zweimal davon Deiner Frau vor ihrem Tode ein. Item es hilft und sie wird wiedererscheinen.“