Die englischen Hülfstruppen in der Türkei

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die englischen Hülfstruppen in der Türkei
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 312–315
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalsubtitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[312]
Die englischen Hülfstruppen in der Türkei.
Aus London.

Soldaten waren in England seit der großen Ausstellung, wo ich nach London kam, immer ein sehr untergeordnetes und für mich nur komisches Element des Lebens und Treibens hier. Die unförmlichen, langen, rothen Kerle mit einem Spazierstöckchen in der Hand, einer ganz kleinen, lahtschigen Frau oder Geliebten am andern Arme und einem von Bärenfell gebauten Straßburger Münster (das dicke Ende nach Oben) auf dem Kopfe oder einer kleinen Mütze, ganz weit herunter nach dem Ohre mit dem großen Teller derselben, zuweilen auch etwas „im Schuß“ mit sammt dem unvermeidlichen Anhängsel aus den Königreichen der Küche, diese krebsrothen Kolosse ragten immer nur sehr selten aus der stets wimmelnden schwarzen, backenbärtigen, vatermörderlichen und Oben ganz hutverfilzten Civilisation des Geschäfts und der Bürgerlichkeit hervor. Freilich wenn zufällig einmal ein solcher langenglischer Rothrock mit einem blauen Policeman zusammenstand – welch ein Stolz Englands, welch eine Garantie, eine breite Grundlage der bürgerlichen Freiheit. Jeder der seltenen, einzelnen Erscheinungen von Soldat, bewaffnet mit einem niedlichen, dünnen Kunstwerk von Stock-Meyer in Hamburg und der Policeman mit einer „Flöte“, außerdem decorirt mit der unerschöpflichen Bescheidenheit und Allwissenheit in der Kenntniß von Wegen und Straßen und „wat o Clock it is.“ Fragte ein mit riesigen Zeitungen beladener Junge nach der „Glocke“ oder dem Wege, so wurde das Bild noch beneidenswerther: der waffenlose Policeman zeigt der Presse den Weg, statt sie aufzuhalten. Die Engländer lachten, wenn ich sie auf solche kostbare Lebensbilder aufmerksam machte und meinten, das wäre bei ihnen ’ne alte Geschichte und das verstände sich doch ganz von selbst. Die Glücklichen, sie haben’s ganz vergessen, daß die englische Militär- und Polizeigewalt einst den Schriftstellern mehr Ohren abschnitt, als sie entbehren konnten. Ja, die Barbarei der englischen Geschichte ist stark mit Gras überwachsen. Gewehre und Säbel kommen entweder gar nicht oder nur als Hirschfänger und Jagdflinten freier Jäger vor. Kanonen waren seit undenklichen Zeiten blos vor Freude zu Geburtstagen oder Geburten am civilen Hofe losgegangen. Ich sah und merkte keine Spur von Militär- und Polizeigewalt. Erst als nach dem Staatsstreiche in Paris die Presse von „Invasion“ sprach und daß Napoleon eines schönen Morgens bei Hastings landen könne, schneller als Wilhelm der Eroberer vor 786 Jahren, entdeckte ich den ganz verborgenen militärischen Schatz Englands, der sich überall regte und zeigte und in Chobham ein Lager aufschlug, dergleichen die ganze Generation nicht gesehen. Es wurde wieder still und die kolossalen Rothröcke gingen wieder sehr einzeln mit Spazierstock-Meyer und je einer schönen Hälfte als Raritäten der geldmachenden Welthandelsstadt umher.

Da „Nachts um die zwölfte Stunde verläßt der Tambour sein Grab“ und trommelt die ganze Christenheit und Türkenheit aus dem Friedensschlafe. John Bull, der während der vierzig Friedensjahre fabelhaft viel Geld zusammengeschachert hat, fängt an ernstlich zu untersuchen, ob seine feuerfesten Geldspinden und Handels-Comptoire in aller Welt umher mit Schlüsseln versehen sind, die Sicherheit gewähren gegen den zur „Kirche von Bethlehem“, welcher als erster Aufwiegler zum allgemeinen Kriege emporgehalten ward und als ein Allerwelts-Dieterich alles Privateigenthum von Europa und Asien, so sehr es auch gegen Feuer-, Hagel- und Mottenschaden versichert sein mochte, unsicher machte. John Bull, sagt ein jovialer, friedlicher Kerl, versteht in dieser Beziehung nicht den geringsten Spaß und glaubte es dem friedlichen, greisen, weisen Aberdeen nicht, wenn er sagte, daß Alles nur Spaß sei. Und als gar der Weiseste der Weisen, Palmerston, das Parlament im vorigen Herbste mit der Versicherung entließ, daß Rußland, welches über den Pruth gegangen, seiner Ehre wegen jedenfalls von selbst wieder zurückgehen werde, sagte er Etwas, das kein Tertianer in seiner Ferienarbeit hätte wagen können, ohne daß ihm der Rektor gesagt haben würde, er möge abgehen und Gänsejunge werden, da er zum Studiren keinen Kopf habe. John Bull, obgleich kein Genie, glaubte nicht an den diplomatischen Schäker und wühlte in allen Kriegshäfen herum, untersuchte alle Schiffe und Casernen und schmolz und goß Eisen und baute Schiffe und machte Flinten und Säbel und rüstete und rüstete, wie er es noch nie gethan, und stellte ein Paar Flotten hin, wie sie die Welt noch nie gesehen und rüstete eine Flotte „nach“, als wollt’ er nicht blos die Erde, sondern auch den Mond erobern. Hat 5000 Kanonen auf dem baltischen und schwarzen Meere schwimmen mit manchen eine deutsche Meile weit tragenden Sechsundachtzigpfündern. Ohne die Enten des Charles Napier und von Dundas und die in allen Häfen der Welt zerstreut liegenden Kriegsschiffe sind unterdessen in den vier englischen Häfen von Portsmouth[WS 1], Devonport, Chatam und Sheerneß nicht weniger als 161 Kriegsfahrzeuge mit 6807 Kanonen, theils ganz fertig geworden, theils auf dem Wege naher Vollendung. Außer diesen 161 werden noch fünf in Portsmouth, sieben in Devonport, eins in Sheerneß, sechs in Chatam, eilf in Pembroke, vier in Deptfort, vier in Woolwich und eins in Millwall – zusammen 39, gebaut, so daß, wenn die baltische und schwarze Meer-Flotte bis auf Mann und Maus zerstört würden,

[313]
Englische Hülfstruppen in der Türkei.

 Leichte Infanterie.   Officier vom 13. leichten Dragoner-Regiment.
39. Regiment Hochländer.       Offizier vom 6. Dragon.-Reg. (Inniskilling.)
Erstes Grenadier-Regiment.       Artillerieoffizier in Feld-Uniform.       Offizier vom 11. Husaren-Regiment.

rasch eine neue Kriegsflotte von 200 Schiffen mit beinahe 8000 Kanonen vom Stapel laufen konnte, um unsern geschäftlichen John Bull die Geschäfte und die Geldspinden in aller Welt zu sichern.

Und dabei bezahlt er Alles baar, beide Flotten und die Reserveflotte und die Bürgersoldaten zu Hause und die Hülfstruppen für die Türkei und die Schulen und den Unterhalt für die ungeheuere Masse Weiber und Kinder, welche die Soldaten zurückgelassen haben. Und dabei ist kein einziger Soldat gepreßt worden – Alles freiwillig, während noch für Wellington die Leute von organisirten Banden im ganzen Lande umher gestohlen, geraubt, durch List geworben und gekauft, nicht selten im Schlafe überfallen wurden.

Man sieht, es ist jetzt den Engländern Ernst, was sich der Dorfbarbier und alle Andern, die barbieren oder sich barbieren lassen, zu Herzen nehmen mögen. Daß sie nicht blind drein schlagen, zeigt mir, daß es ihnen noch mehr kaltblütiger, gründlicher Ernst ist. Sie haben eben Alles mit der größten Gründlichkeit vorbereitet und nach allen Seiten gedeckt und geschützt, um furchtbar sicher zu gehen. Die englische Courage renommirt nicht und [314] bemüht sich kein Ruhmes-Flittergold anzuhängen. Wer ruhig mitten auf dem neutralen Boden sitzt und seit Monaten alle Tage wieder liest, daß die entscheidende Schlacht noch nicht geschlagen und selbst Spielereien von kriegerischem Mord und Todtschlag sich nicht immer bestätigen, dem geht seine strategische Weisheit aus und er ruft muth- und unwillig, wie die Buben von der Gallerie: „Anfangen! Anfangen! Vorhang auf! Schießen Se los!“

Ich rufe auch mit, denn ich bin kein strategisches Genie, der hinterm Vorhange Bescheid weiß, aber so viel habe ich gesehen, daß man mit der furchtbarsten, kolossalsten Thätigkeit bei Tag und Nacht doch ungeheuer viel Zeit brauchte, um mit 20,000 Mann und dem nöthigen Proviant für Menschen, Pferde und Weiber (die in ziemlicher Anzahl mitfuhren), der nöthigen Munition, den nöthigen Kohlen u. s. w. von England bis nach Gallipoli und Scutari zu kommen. Man sehe sich die Entfernung mal auf der Karte an, denke sich die Hunderte von Meilen einzeln und dann zusammen und dann, daß eine an gutes Essen und Trinken gewöhnte Armee, eine Land-, Fuß- und Pferde-Armee zu Wasser aus dem Abendlande in das Morgenland zu bringen war – so haben wir mit Hülfe dieses leicht skizzirten Vorder- und Hauptgrundes wohl Stoff genug zur richtigen Beurtheilung der englischen Hülfstrnppen in der Türkei. Da sie nicht „in einem Futter“ hinkommen konnten, sondern auf Malta übernachten mußten, bekamen wir im Wesentlichen drei dramatische Hauptbilder, in welchen wir ihre nähere Bekanntschaft machen: Abreisebilder in England, Rasttage auf Malta, Landungs- und Aufenthaltsscenen in Gallipoli und Scutari.

Es ist nach Mitternacht. Selbst in Londons Hauptstraßen ist Leere und die Lampenreihen beleuchten blos einsame Gestalten männlichen und leider auch weiblichen Geschlechts. Nur auf dem Trafalgar-Platze wimmelt und murmelt es um Karls I. Reiterstatue und die hohe Nelson-Säule herum immer lauter und dichter, je näher der Morgen kömmt, größtentheils von Weibern und Kindern, welche in den Armen der Mütter schlafen, aber es diese Nacht sehr oft vorzuziehen scheinen, unbarmherzig zu schreien. Die Erwachsenen verhalten sich ruhig und beruhigen Kinder und Erwachsene. Ihr zäher Geduldfaden reicht durch die ganze kalte Nacht hindurch bis acht Uhr Morgens. Die Garde, welche von hier aus Abschied nehmen wollte, um nach dem Osten abzugehen, hatte schon um vier Uhr fertig sein sollen, und die Frauen, Verwandten und Geliebten deshalb gleich nach Mitternacht zum letzten Stelldichein gebeten. Aber ehe ein englischer Soldat mit Sack und Pack, diesmal in fürchterlichster Vollständigkeit, fertig wird, vergehen die strengsten Ordres auf Zeit wie Spreu. Muß er nicht auch jeden Morgen frisch rasirt sein? Bis acht Uhr hatten sich also die kolossalen Rothröcke mit weißbordirten rothen Leibrocksklappen hinten, fürchterlichen Pelzmützen auf dem Kopfe und sechsfach mit Lederzeug zugeschnürter Brust alle durch die Weiber und Kinder und Enthusiasten, die wiederholt jauchzten und Mützen schwangen, hindurch gedrängt und jeder Weib und Kinder zum letzten Male an das Lederzeug gedrückt. Es mußte angetreten werden. Die Musik schmetterte und donnerte, die Leute jauchzten und heulten und mit gleichem, schwerem, langbeinigem, sonst aber ziemlich ungenirtem und bequemem Schritt marschirte das Regiment ab nach der Eisenbahn, die es zunächst nach der Hafenstadt bringen sollte, wo man Wochen lang unaufhörlich an der Ausrüstung des Schiffes gearbeitet. Das war noch nicht der hundertste Theil. Und mit welchen Schwierigkeiten mußten zum Theil die andern 99 vorbereitet und zu Schiffe und zu Lande oft Hunderte von Meilen weit her bis zum Hafen geschafft werden, von Ireland, von den schottischen Hochlanden und sonst aus unzähligen innern Theilen her! Die Grenadier-Garde, die Füsilier-Garde, die Coldstreams (von Monk in dem Orte Coldstream, Schottland, gegründet und seitdem am Reichlichsten mit militärischem Ruhm bedeckt) das 41ste, 47ste, 49ste, 88ste Linienregiment, das 33ste, 37ste, 77ste der Linien-Infanterie, die beinkleiderlosen Hochländer (39ste) und einige andere Infanterie-Bestandtheile mit ihren Aerzten, Apotheken, Krankenwagen, neuen Testamenten und Bierkrügen, dann die zwei Brigaden leichte und schwere Cavallerie, letztere aus der vierten irländischen Escadron Garde-Dragoner, der fünften „der Prinzessin von Wales“, der ersten Königlichen Dragoner und der sechsten „Inniskilling“, erstere aus der achten „Königs königlichen irländischen Husaren“, der eilften „Prinz Albert’s eigenen Husaren“, der dreizehnten leichter Dragoner und der siebenzehnten Lanziers (zusammen 2000) bestehend, mußten alle gründlich vorbereitet, ausgestattet, zusammen- und nach dem Hafen gebracht, flott gemacht und so nach und nach in’s Morgenland spedirt werden. Zwanzigtausend Mann für den Krieg, mit Pulver, Blei, Eisen, Pferden, Decken, Wäsche, Testamenten und gutem Rasirzeug!

Unser Bild sagt, wie sie aussehen. Zum Theil fabelhaft kostspielig, und weniger zum Theil geschmacklos und unpraktisch uniformirt und überladen. Am Malerischsten sieht noch der hochschottische Infanterist ohne Beinkleider aus. Er hat doch wenigstens etwas Schottischkarrirtes, Nationales an sich. Es ist eine Art historischer Styl an ihm. Die gewöhnliche englische Infanterie hat sich durchweg einen furchtbaren schwarzen Bären auf den Kopf gebunden, auf dessen Fell die Sonne der Levante gar lieblich warm scheinen muß. Der Soldat kann sich sein Rostbeef unter der Mütze schmoren. Seine krebsrothe, eng zugeknöpfte, weißbelitzte Uniform schimmert in der Sonne sehr weit, so daß ihn der Russe gut treffen kann, zumal da das dreifach über die Brust gespannte und geschnürte weiße Lederzeug die Brust zu einer guten, gefelderten Schießscheibe macht. Die leichte Infanterie hat zum Theil Bären auf dem Kopfe, zum Theil Czako’s in dem alten preußischen Styl mit Sternen und je einem großen Balle darauf.

Die Artillerie, von der eine noch nicht abgeschlossene Zahl hinübergeschafft ward und wird, ist blau und golden und auch beczakot. Am Stolzesten sind die Engländer auf die Roß-Garde, die Leibgarde der Königin, wo jeder Mann zu Pferde für 700 bis 1000 Thaler Kleidung und Schmuck an und unter sich (ohne das Pferd) haben soll. Demnächst sind ihre Augenweide die leichten Dragoner, husarenartig behangen und mit einem breitgeformten Bärenpelze bedeckt, aus dem eine Kugel, aus der Kugel ein schwerer, metallener Halter und aus dem Halter ein fliegender Flederwisch hervorragt. Die Presse hat sich über das Geschmacklose, Schwerfällige, den Muth in der Brust Zusammendrückende, dem Kopfe Verbrennende oder Zerquetschende, das niederträchtig Krebsrothe u. s. w. der englischen Militär-Kleidungsstücke die Finger wund geschrieben: es hat nichts geholfen. Man traut dem Soldaten einmal Alles Gute zu und ist fest überzeugt, daß ein Engländer gleich drei Franzosen gleich zehn Türken gleich vierhundert Russen und überhaupt unvergleichlich sei. Von sachverständigen Militärs habe ich gehört, daß der englische Soldat im sogenannten „kleinen Dienste“, in Scharmützeln und Attaken, überhaupt da, wo es gilt, persönlichen Muth zu zeigen, unvergleichlich, dagegen in der großen Schlacht, in weiten, großen Evolutionen den Russen durchaus weit untergeordnet sei. Sonst versteh’ ich nichts davon; ich will denselben Vorzug des guten Bürgerthums, das die „Bürgerwehr“ wohl vergessen haben wird, bei dem Leser voraussetzen.

Ich bemerke noch, daß Lord Raglan, Sprößling einer alten sächsischen Familie, mit hoher Stirn, die durch etwas Kahlköpfigkeit noch erhöht erscheint, Schnurrbart und etwas Haarwuchs zwischen Unterlippe und Kinn, wodurch er sich vortheilhaft vor den englischen Durchschnitts-Physiognomien unterscheidet, Chef-Commandeur der englischen Hilfsstruppen und Ritter des russischen St. Annen-Ordens ist und in dem prächtigen Palaste des russischen Gesandten zu Constantinopel wohnt. Earl of Lucan ist Commandeur der Cavallerie, der Herzog von Cambridge, ein großer, schöner Lebemann im höchsten Style, von dem es früher einmal hieß, daß er statt des Prinzen Albert von der Königin gewählt werden würde, commandirt die Infanterie. Wer das General-Commando über beide vereinigten Heere erhalten soll, ob ein Franzose oder Engländer, war bei dem Niederschreiben dieser Zeilen noch eine große Streitfrage in Varna. Wahrscheinlich giebt England „nach“: die Franzosen sind sehr eifersüchtig und eitel. Fanden sich doch die Engländer schon genöthigt, ihre Fahnen, die mit Waterloo und dergleichen historischen Reminiscenzen decorirt sind, zu verhüllen.

Nun einen kleinen Abstecher auf Malta, das wir dem Leser schon früher gezeigt haben. Lavaletta sieht jetzt aus wie ein Feldlager. Mit den eingebornen Malteser Inselsoldaten finden wir 10 Regimenter (alle sehr klein im Vergleich zu dem continentalen Begriffe von Regiment, ich glaube 6–800 Mann jedes) Engländer, drei Bataillons Garde, zwei Compagnien „Rifle“-Soldaten und vier Compagnien Artillerie, schottische Füsiliere, „Buffs“ (drittes Regiment) Grenadiergarde u. s. w., die alle in ihren verschieden gescheckten Uniformen die Straßen, Kaffee- und Speisehäuser und andere Häuser erfüllen und mit komischem Staunen die seltsamen [315] Costume und die dunkeln Gesichter der Malteser und Malteserinnen, die schnurrbärtigen Kaufleute, die Priester und Soldatenmönche, die barfuß mit Stricken gebunden, umherwandeln, anstarren. Die scharfen Kehltöne der braunen Malteserinnen und die scharfen Blicke aus ihren mandelkernförmigen Augen, das Geklimper der Kirchenglocken, das Trommeln und Signalschießen von Nah und Fern, das Landen und In-See-Gehen von ganzen Regimentern, das Gedränge, der Lärm und die Confusion allenthalben, die schon die Hochschottländer nöthigte, sich zwischen den Bastionen unter ihren Zelten häuslich niederzulassen – das Alles zusammen giebt ein kaleidoskopisches, dramatisches, malerisches Leben, von dessen ewig frischem Farbenwechsel man sich kaum einen Begriff machen kann. Ganze Regimenter Rothröcke, die niemals etwas von verbesserten Schießgewehren gesehen, müssen sich täglich mit den neuen „minié rifles“ üben. Dazu kommen eine unendliche Menge Offiziere und einzelne Soldaten, welche so glücklich waren, sich Colt’sche „Revolvers“ zu verschaffen (es sind schon Tausende nach der Türkei abgegangen) und welche nun einzeln überall umherknattern, daß den Maltesern die Mäuler weit offen stehen. Dabei herrscht strenge Disciplin. Namentlich passen die höheren Offiziere scharf auf Kleider und den Bart auf, der jeden Morgen rein weggeschabt werden muß. Nur einzelne Abtheilungen der Cavallerie haben etwas Feld für Bartcultur. Hoffentlich werden später die Russen warten, bis sich die Armee immer ordentlich rassirt hat. In diesem gebildeten Jahrhundert wird auch der Russe einsehen, daß es besser ist, gut rasirte Menschen todt zu schießen, statt halbbarbarischer Individuen, die das Rasirmesser nicht als das erste aller Civilisationsinstrumente verehren.

Landungen und Landleben in Scutari und Gallipoli, das von englischen Correspondenten an Ort und Stelle auf die reichste Weise ausgemalt und täglich frisch nach London geschickt wird, schildern wir wohl gelegentlich in besondern Gruppen. Hier nur das gemeinsame Bild. Ein Soldatenschiff erscheint in der Ferne. Man schießt hin und her zur Freude. Boote laufen aus, um die Schiffe zu leeren. Die Landungsplätze füllen sich mit türkischen Unterthanen aller Farben und Formen und in jedem Costüm, unter denen das der Lumbacivagabunden und Barfüßler das hervorstechendste ist. Die Boote kommen an und mit gravitätischer Höflichkeit und Galanterie reichen die Türken jedem Rothrock die Hand, als wär’ er eine zarte Dame, um ihm beim Aussteigen behülflich zu sein und beladet sich diensteifrig mit seinem Gepäck und wird für eine Weile zur Salzsäule des Erstaunens, wenn ihm auf einmal[WS 2] eine der vielen Soldatenfrauen die Hand reicht, um sich ebenfalls aus dem Boote helfen zu lassen. Die kunterbuntesten Züge vom tiefsten Schwarz bis zum frischen Käseweiß in den Gesichtern setzen sich nun in Bewegung durch den schon gräßlich entweihten Cypressenhain, wo die Türken ihre Todten begruben, nach den riesigen Selimskasernen bei Scutari, einer der geräumigsten Paläste, der je für Soldaten gebaut ward, und sucht sich unter der Verwirrung aller Sprachen Gehör, Platz und Bequemlichkeit zu verschaffen. Viele mußten inzwischen in Lagern untergebracht werden. Im Ganzen sieht’s bei den Landungen in Gallipoli ähnlich aus. Von Erhaltung der „Integrität der Türkei“ ist so wenig die Rede, daß überall sofort das Gegentheil hervortritt. Namentlich fingen die Franzosen an, überall, da, wo sie in eine Stadt kamen, die Straßen mit französischen Namenschildern zu decoriren und die Häuser zu numeriren, mit Türken Wein zu trinken und mit Türkinnen zu schäkern. Sie trinken den Kaffee „ohne Satz“ und mit Zucker, sie machen Wege durch die größten Heiligthümer der Türken, die Cypressenhaine ihrer Todten, sie legen sich nicht auf Divans, sondern setzen sich auf Stühle, sie werfen Handküsse in die Harems und exerciren die Türken in französischer Sprache ein.

Die Türken staunen und schlagen die Hände über dem Kopfe zusammen und sagen nur, wenn sie hören, daß man ihnen helfen und sie von den Russen befreien wolle: Inshallah! (Gott geb’ es!) Inshallah ist ein merkwürdiges Wort. Der Türke ruft es aus im höchsten Entzücken und im höchsten Schmerz. Es ist die Interjection des türkischen Glaubens, der in allen Lagen und Stimmungen, die sein Gleichgewicht stören, ihm seine Ruhe nehmen, den großen Allah herbeiruft. Die französischen und englischen Freunde haben ihm seine Ruhe genommen, den Glauben an sie und sich. Und so hört man überall bis Varna und Silistria, bis wohin die vereinigten Hülfstruppen vorgedrungen sind, in Freude und Schmerz tausendfach ausrufen: Inshallah! Inshallah!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Portsmuth
  2. Vorlage: eimal