Die deutschen Genossenschaften

Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die deutschen Genossenschaften
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 797-799
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[797]
Die deutschen Genossenschaften.

Wiederum müssen wir des erfreulichen Aufschwungs gedenken, den die deutschen Erwerbs-Genossenschaften (Associationen) der Handwerker, Arbeiter und kleinen Gewerbtreibenden im verflossenen Jahre genommen haben, indem wir auf den deshalb erstatteten höchst interessanten Bericht ihres Förderers und Anwalts, Schulze-Delitzsch, wegen des Einzelnen verweisen.[1] Derselbe umfaßt diesmal die in den zwei Hauptarten der Genossenschaften, [798] den Vorschuß- und Credit-Vereinen und den Associationen in speciellen Handwerken, gewonnenen Resultate, welche zum Theil in übersichtlichen statistischen Tabellen gruppirt vorgeführt werden. Wir entnehmen daraus Folgendes.

Die verbreitetste und ihrem Geschäftsverkehr nach bisher bedeutendste Art der Genossenschaften sind noch immer die auf der Selbsthülfe der Creditbedürftigen aus dem kleinen und mittleren Gewerb- und Arbeiterstande beruhenden Vorschuß- und Creditvereine, welche diesen bisher thatsächlich vom eigentlichen Bankverkehr ausgeschlossenen Leuten die nöthige Baarschaft in ihren Geschäften zuführen. Das Specielle über ihre Einrichtung ergibt die bekannte Schrift ihres Gründers: „Vorschuß- und Creditvereine als Volksbanken. Zweite Auflage. Leipzig 1859, bei E. Keil.“ Als Marken, wodurch sich die hierher gehörigen Vereine von andern mehr oder weniger durch fremde Unterstützung gefristeten Instituten zu gleichem Zwecke unterscheiden, hebt der Bericht hervor:

„1) daß die Vorschußsuchenden selbst Träger und Leiter des auf Befriedigung ihres Creditbedürfnisses abzielenden Bank-Geschäftes, also Mitglieder des Vereins, und Risico wie Gewinn ihnen gemeinsam sind;

2) daß der durch den Verein vermittelte Geldverkehr überall auf geschäftlichem Fuße (Leistung und Gegenleistung) und nach den üblichen Bedingungen des Geldmarktes geregelt wird, daß also den Vereinsgläubigern durch die Vereinscasse, und der Vereinscasse durch die Vorschußnehmer die gewöhnlichen Zinsen und Provisionen gewährt, den Vereinsbeamten auch angemessene Besoldungen gezahlt werden;

3) daß durch sofortige Einzahlung oder allmählich durch fortlaufende geringe Beisteuern der Mitglieder Geschäftsantheile (Guthaben) derselben in der Vereinscasse von gewisser Höhe gebildet werden, welche, gleich Actien, den Stammfond des Vereins bilden und denen auch die Dividenden bis zur Erreichung der Normalhöhe zugeschrieben werden, wogegen die zum Betrieb der Bankgeschäfte noch außerdem erforderlichen fremden Gelder anlehnsweise auf den gemeinschaftlichen Credit und unter der Gesammthaft aller Mitglieder aufgenommen werden.“

Mit Recht legt der Bericht die größte Wichtigkeit auf den letzten Punkt. Wenn auch die eigene Capitalbildung der Mitglieder ein wesentliches, ganz unentbehrliches Element für die betreffenden Vereine ist, so kam es doch, wollte man dem wirklich vorhandenen Creditbedürfniß genügen, vor Allem darauf an, durch Organisation der Vereine eine Creditbasis zu schaffen, welche denselben fremde Capitalien ebenso gut zufließen machte, wie den Unternehmungen der Großindustrie, da durch die schaarweisen Ansammlungen unter den meist der unbemittelten Classe angehörigen Mitgliedern allein ein ausreichender Fond niemals beschafft werden wird. In wie ausreichender Weise dies durch die erwähnte Gesammt- oder Solidarhaft der Mitglieder für die Vereinsschulden gelungen ist, davon geben die beigebrachten Uebersichten und Rechnungsabschlüsse Zeugniß, in welchen die wenigen darunter mit begriffenen bloßen Sparvereine ganz außerordentlich hinter den andern zurückbleiben und sich nur innerhalb der engsten Verkehrsgrenzen bewegen. Dasselbe ist auch mit den auf Subvention von außenher beruhenden Vorschuß- und Hülfsvereinen der Fall, von denen der Bericht ebenfalls eine Anzahl Abschlüsse und in ihnen neue Belege für die vom Verfasser so oft verfochtene Ansicht bringt: daß auf dem Unterstützungswege niemals dem vorhandenen Bedürfniß der betheiligten Classen genügt werden könne.

Der Zahl nach übersteigen die nach dem von Schulze-Delitzsch vertretenen System operirenden Vorschußvereine gegenwärtig 200, von denen 183 in einer dem Bericht beigefügten Liste namhaft gemacht sind, die indessen seit dem Druck einigen Berichtigungen und Ergänzungen unterliegt, welche von einer späteren Veröffentlichung zu erwarten sind. Am dichtesten sind die Vereine im preußischen Herzogthum Sachsen, dem eigentlichen Heerd der ganzen Genossenschaftsbewegung, nebst den anhaltischen Ländern, und in dem Königreich Sachsen, indem ersteres allein 30, letzteres 34, das kleine Dessau-Cöthen aber bereits 8 aufzuweisen hat, eine Zahl, die jetzt bereits überschritten ist. Von 80 Vereinen gibt eine dem Bericht angehängte statistische Tabelle die Rechnungsabschlüsse pro 1859, welche wahrhaft überraschende Resultate nachweist. Obschon 28 unter diesen 80 Vereinen, die erst Ende 1858 und im Laufe 1859 gestiftet sind, nur den ersten, meist nicht einmal ein volles Jahr umfassenden Abschluß geben, oder natürlich unter dem durchschnittlichen Verkehrsumfang, wie er sich erst in den folgenden Jahren entwickelt, weit zurückbleibt, so beträgt die Gesammtsumme der von allen, meist bis zu 3 Monaten im Jahre 1859 gewährten Vorschüsse und Prolongationen doch bereits 4,131,430 Thaler, das aufgesammelte eigene Capital der Mitglieder in den Vereinscassen 276,846 Thaler in 246,000 Thaler Geschäftsanteilen, 30,846 Thaler Reserven, während an fremden Capitalien in den Vereinscassen zusammen 1,014,145 Thaler am Jahresschlüsse befindlich waren. Dagegen betrugen die Verluste bei sämmtlichen 80 Vereinen im genannten Jahre nur 470 Thaler, der Nettogewinn aber 22,173 Thlr., welcher zum Theil der Reserve, meist den Geschäftsantheilen der Mitglieder zugeschrieben ist.

Hiernach wird man, wenn man die in der Tabelle fehlenden Abschlüsse aller solcher 1859 bereits thätigen Vereine, deren Zahl der Bericht auf circa 150 schätzt, in Anschlag bringt, den auf 6 Millionen Thaler angeschlagenen Gesammtverkehr derselben sicher nicht zu hoch finden, welcher im laufenden Jahre, wenn man aus einigen schon mitgetheilten Viertel- und Halbjahrabschlüssen einen Schluß ziehen darf, sich auf 10–12 Millionen Thaler steigern dürfte. In der That sind dies Anfänge, welche an der Lösung der Aufgabe, dem kleinen Gewerbe- und Arbeiterstande durch Zuführung des erforderlichen Capitals das allmähliche Einlenken in die von der neuern Industrie eröffneten Bahnen zu ermöglichen und ihm dadurch seine Selbstständigkeit zu erhalten, nicht verzweifeln lassen.

Die zweite ebenfalls höchst wichtige, wenn auch noch nicht in demselben Grade verbreitete Art der Genossenschaften, welche der Bericht aufführt, sind die Associationen von Meistern eines einzelnen Handwerks, z. B. der Schuhmacher, Tischler, Schneider, Weber, Buchbinder u. A., über deren Einrichtung die Schrift des Verfassers: Associationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter, Leipzig 1853, bei E. Keil, Auskunft gibt. Dieselben haben zunächst den gemeinschaftlichen Ankauf der zu verarbeitenden Rohstoffe im Großen und aus der ersten Hand zum Zweck, wodurch man in einem Associationslager den unvermögenden Mitgliedern auch bei Entnahme kleiner Partieen den Vortheil der Engrospreise sowie die beste Qualität zur Auswahl und somit die ersten Bedingungen zum lohnenden Geschäftsbetrieb sichert. Und nicht blos, daß die Mitglieder auf diese Weise der Ausbeutung durch die Zwischenhändler entzogen werden, welche ihnen durch Lieferung schlechter Waare zu theuren Preisen oft den besten Theil ihres Arbeitsverdienstes entzogen, bilden sie sich noch durch den in Form von Dividenden auf sie fallenden Gewinn des Associationsgeschäfts allmählich eigne Capitalien, die als Geschäftsanteile in der Associationscasse bleiben und einen Theil ihrer künftigen Altersversorgung bilden. Der Haupthebel auch bei dieser Art der Genossenschaft ist aber wiederum die Solidarschaft der Mitglieder für die Vereinsschulden als Creditbasis, welche ihnen, wie bei den Vorschußbanken, fremdes Capital in ausreichender Menge zuführt und den Credit bei den Fabrikanten auf das Entgegenkommendste flüssig macht.

Ist dieser erste Schritt zur Erprobung der großen Macht des genossenschaftlichen Zusammenwirkens für den Kleinerwerb einmal gethan, so führt er bald zu weiteren. Da associirt man sich zur gemeinschaftlichen Anschaffung von kostbaren Arbeitsvorrichtungen, Maschinen u. dergl., zum gemeinschaftlichen Verkauf der gefertigten Waaren in Associationsbuden und Magazinen, in welche die Einzelnen ihre Producte für ihre Rechnung einstellen. Und wo an gewissen Orten und in gewissen Industriezweigen das Publicum stehende Läden fertiger Waaren verlangt, geht man endlich hier und da zu der höchsten Stufe der Genossenschaft, zur Production für gemeinsame Rechnung über. Wie in den reinen Rohstoffvereinen aus leicht erklärlichen Gründen (den theuern Lederpreisen) das ehrsame Gewerk der Schuhmacher allen übrigen vorangeht, sind es in der gemeinschaftlichen Production die Schneider und Tischler, bei welchen das Bedürfniß nach Kleider- und Möbelmagazinen am meisten drängt. Dabei ist aber diesen Associationen Eins für Bezeichnung des deutschen Standpunktes, im Gegensatz zu den englischen und französischen gleicher Art eigenthümlich. Während in den letzteren die Mitglieder ihre selbstständige Stellung zu Gunsten des Associationsgeschäfts völlig aufgeben und lediglich als Arbeiter in dasselbe [799] eintreten, behalten unsere Handwerksmeister meist ihre Separatgeschäfte für ihre Einzelrechnung bei und betreiben nur das Associationsgeschäft noch außerdem auf gemeinsame Rechnung, indem sie in dem letztern meist nur dann Arbeit suchen, wenn es ihnen selbst an Bestellungen mangelt. Ob dies auf die Länge durchzuführen und für den Aufschwung des Associationsgeschäfts gedeihlich ist, mag hier dahingestellt bleiben, jedenfalls ist es der für unsere Verhältnisse passendste Uebergang, was schon darin seine Bestätigung findet, daß da, wo man in Deutschland sofort sich nach englischem Muster associirte, ohne erst den echten Associationsgeist in den niedern Stufen der Vereinigung auszubilden, die Vereine (z.B. die Schneiderassociationen in mehrern großen Städten) in kurzer Zeit sich wieder auflösten.

Die Zahl solcher Handwerker-Associationen schätzt der Bericht, obschon die Statistik hierbei weit mangelhafter ist, als bei den Vorschußvereinen, jedenfalls über 100, hauptsächlich im deutschen Norden, von denen vielleicht der sechste Theil zur gemeinsamen Production und Magazinirung überging, und 67 davon werden namentlich aufgeführt. Die Mitgliederzahl mag zwischen 5000–6000 betragen, und der Gesammtumsatz im letzten Jahre circa 400–500,000 Thaler. Eine dem Bericht beigegebene Tabelle stellt die Rechnungsabschlüsse des letzten Jahres von 15 solchen Genossenschaften zusammen, von denen 13 sich auf das Rohstoffgeschäft beschränkten, 2 gemeinschaftlich producirten und magazinirten. Dieselben hatten am Jahresschlusse 764 Mitglieder, einen Umsatz von circa 100,000 Thalern und circa 2600 Thaler Reingewinn.

Von besonderer Wichtigkeit für die weitere Entwickelung des Genossenschaftswesens, welche mit jedem Jahre sich steigert, ist aber namentlich, daß Herr Schulze-Delitzsch den von uns (vergl. Nr. 23 der Gartenlaube) mehrfach befürworteten Verhandlungen einer Anzahl Associationen nachgegeben hat, und seine ganze Thätigkeit für dieselben hoffentlich auf die Dauer gewonnen ist. Zwar beträgt nach der Zusammenstellung des betreffenden Comité das demselben pro 1859 durch 1/2–2 Procent vom jährlichen Reingewinn der einzelnen Vereine gewährte Salair einschließlich der Bureaukosten nur 250 Thaler, indeß hat sich die Anzahl der beitretenden Vereine vermehrt, sodaß für das laufende Jahr die Verdoppelung dieser Summe in Aussicht steht, und in den folgenden Jahren sicher soviel herauskommt, um dem Manne, der seine ganze Zeit und Kraft der Sache widmen muß, einigermaßen eine Existenz zu gewähren, die es ihm ermöglicht, von einer Anstellung im Staats- oder Privatdienst abzusehen, wie sie ihm gegenwärtig kaum entgehen könnte. Bedarf doch gerade die große Anzahl der neuentstehenden Vereine am meisten seines Rathes und seiner Beihülfe, und es ist nicht anzunehmen, daß die Genossenschaften im Allgemeinen ihr Interesse so sehr verkennen sollten, sich einen solchen Anwalt entgehen zu lassen, besonders da es sich um eine so äußerst geringfügige Aufwendung für sie handelt. Hat sich doch seine Thätigkeit neuerdings wieder durch den von ihm dem letzten Vereinstag der Vorschußvereine in Gotha vorgelegten Gesetzentwurf zur Erleichterung der Legitimation der Vereine bei Rechtsgeschäften und Processen bewährt, welcher die Billigung des volkswirtschaftlichen Congresses in Cöln erhielt und demnächst bei den gesetzgebenden Körpern der deutschen Einzelstaaten, im Petitionswege eingebracht werden soll. Ebenso sind durch ihn den im Verbände stehenden Vereinen werthvolle Beziehungen im Geldverkehr mit größeren Bankinstituten und sonst vermittelt und Geschäftsverbindungen angebahnt, wie sie den betheiligten Instituten in jeder Hinsicht förderlich werden müssen. – Die Anmeldung neuer Vereine bei dem Centralbüreau erfolgt übrigens gegenwärtig bei Herrn Schulze in Delitzsch selbst, nicht mehr bei dem bisherigen Comité in Luckenwalde, welches vielmehr seine Functionen beendet hat.

So möchten wir denn schließlich nur noch unsern Handwerkern die Worte am Ende des Berichts zur Beherzigung empfehlen, damit sie in der zunehmenden Bedrängniß, in welche sie das riesige Wachsthum der Fabrikindustrie versetzt, von der unglücklichen Idee des Polizeischutzes in der Rückkehr zu den alten Gewerbsbeschränkungen zurück- und auf den Weg kommen, wo einzig für sie das Heil liegt: „sich die Mächte, welche der Großindustrie die Ueberlegenheit über ihre Betriebsweise verleihen (Capital und Intelligenz), selbst dienstbar zu machen, um mit derselben auf ihrem eignen Felde zu concurriren, anstatt sich im vergeblichen Kampfe dagegen aufzureiben. Dies aber wird nur mittelst der Genossenschaft ihnen möglich, deren wirtschaftliche und gewerbliche Tragweite sie nur erst einmal recht erproben mögen, um von ihren unfruchtbaren, auf die Dauer unmöglichen Zunftbestrebungen für immer geheilt zu werden.“



  1. Jahresbericht für 1859 über die auf dem Princip der Selbsthülfe der Betheiligten beruhenden deutschen Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter.       Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1860.