Textdaten
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Autor: H. Sch.
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Titel: Die belagerte Köchin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 323
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Besprochenes Werk im Volltext: Gallica
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[323] Die belagerte Köchin. Als Nachzügler des sehr umfänglichen Schriftenthums, welches unser letzter großer Kampf um den Rhein in Deutschland, Frankreich, England, selbst in Schweden und Rußland hervorgerufen hat, erscheint soeben ein Büchlein von wenigen Bogen nur, aber von so charakteristischem und jedenfalls bis jetzt in seiner Art einzigem Inhalt, daß wir uns gedrungen fühlen, mit einigen Worten von der literarischen Curiosität Notiz zu nehmen.

Eine Pariser Hausfrau hat sich nämlich, für etwa vorkommende ähnliche Eventualitäten, veranlaßt gesehen, unter dem Titel „Die belagerte Köchin“La Cuisinière assiégée – eine Anleitung zu veröffentlichen über „die Kunst in Belagerungszeiten zu leben“ und darin eine Anzahl von Speiserecepten mitzutheilen, wie sie wohl noch in keinem Kochbuche gestanden haben.

Daß die Verfasserin – „eine intelligente und praktische Haushälterin“, heißt es in der Vorrede – als gute Französin die phrasenhafte Selbstüberhebung ihrer kämpfenden und nicht kämpfenden Landsleute theilt, „der heroischen Vertheidigung von Paris, der ganz Europa voller Bewunderung zugesehen habe,“ den erforderlichen Weihrauch streut und die „heldenmüthige Resignation“, mit welcher der verwöhnte Pariser die seltsamen Schüsseln hingenommen, und das „erstaunliche Talent, mit dem er das ungenießbarste Material zu neuen Triumphen seiner weltberühmten Kochkunst umgeschaffen habe,“ nicht genug zu preisen weiß, darf uns nicht befremden, kommt auch hier nicht in Betracht.

Uns interessiren allein die absonderlichen Belagerungsschüsseln und was die „belagerte Köchin“ über deren Trefflichkeit oder Verdienstlichkeit anführt, behauptend, daß viele der von der Noth gebotenen Gerichte einer Einbürgerung auch in die nicht belagerte Küche werth seien. Zugleich erfahren wir, daß die Vertheilung von Rind-, Hammel-, Schweinefleisch nur bis zum 22. November möglich geworden und daß von da ab das Pferd – „unser energischer und kühner Verbündeter auf dem Schlachtfelde und unsere substantiellste und wohlschmeckendste Nahrung während der Cernirung“ – der Hauptbestandtheil in der gewaltigen Hekatombe gewesen sei, „welche man auf dem Altar des Vaterlandes geopfert habe.“

Die Anordnung des Stoffes ist eine alphabetische, und so kommt zuerst der EselL’âne – an die Reihe, der sich „durch die Zartheit seines Fleisches“ zu einem Festgerichte für die reichste Tafel eignet. Das Eselfleisch ist, nach der Verfasserin, „weit feiner als das des Rindes und verträgt gleich dem des Maulthiers, das ebenfalls in permanentem Gebrauche zu bleiben verdient, jedwede Art von Behandlung.“

Von der Katze wird gesagt: „Dieses Hausthier, die Zierde und der Trost der Dachstube und der glückliche Liebling des eleganten Salons, ist eines der gesuchtesten und darum seltenen Belagerungsgerichte geworden. Das Fleisch der Katze ist weiß, fein und zart, nur muß es, bevor es auf die Tafel kommt, achtundvierzig Stunden lang gebeizt werden. Man kann es wie den Hasen als Ragout oder Pfefferfleisch oder als Braten zubereiten.“

Das Pferdefleisch „sieht aus und schmeckt völlig wie Rindfleisch; gut gekocht, ist es von dem letztern nicht nur kaum zu unterscheiden, sondern demselben sogar vorzuziehen. Nur muß es gleich dem der Katze vorher gebeizt, am besten sechsunddreißig Stunden lang in Essig, Oel, Salz und Pfeffer gelegt werden.“ Nun folgt eine ganze Speisekarte voller Pferdegerichte: Pferde-pot-au-feu, gekochtes Pferdefleisch, Pferdeschmorbraten, Cheval à la Parisienne, Cheval à la Mode, Pferderagout, Pferdehaché, Pferdesteak, Pferdegehirn u. m. a., zu welchen appetitlichen Speisen unsere belagerte Köchin die detaillirtesten Recepte enthüllt, auf die wir unsere deutschen Hausfrauen hierdurch aufmerksam zu machen uns erlauben.

Das Hundefleisch, wenn es zuvor achtundvierzig Stunden hindurch gebrüht worden ist, ähnelt in Aussehen und Geschmack dem Hammelfleische ungemein; ebenso lange marinirt, kann es als Reh passiren. Leider, meint die Verfasserin des merkwürdigen Büchleins, sei man bei der Vertheilung des Hundefleisches nicht rationell zu Werke gegangen, so daß dasselbe nicht die Ressourcen dargeboten habe, die man von ihm erwarten durfte. Von den verschiedenen Hundefleischzubereitungen, welche die „Belagerte“ aufzählt, erwähnen wir blos Hundecoteletten, Hundefilet mit Gemüse, Hundemilz und Hundeschnitzel.

Vom Maulthier gilt dasselbe wie vom Esel; nur ist es nicht ganz so zart wie dieser letztere; „unter allen Umständen indeß steht sein Fleisch keinem der in unserer gewöhnlichen Küche üblichen nach.“

Endlich wird auch die Ratte nicht vergessen, indeß bemerkt, daß man sich derselben nur mit großer Vorsicht als Nahrungsmittel bedienen dürfe, obwohl ihr Fleisch höchst wohlschmeckend sei. Sie enthalte eine Menge Würmer und trichinenartiges Ungeziefer, welche die Gesundheit des Menschen in hohem Grade gefährden können. Ganz vortrefflich hingegen sei in jeder Beziehung das Fleisch der Antilopen – was sich leicht begreifen läßt – und der Kameele; da jedoch dergleichen Thiere kaum jemals anders als unter so ungewöhnlichen Umständen wie die jüngste Belagerung von Paris für unsern Küchenbedarf in Requisition gesetzt werden dürften, so kann von einer Mittheilung von Recepten zu ihrer Zubereitung füglich abgesehen werden.

Ob die Verfasserin des Werkchens ihre Absicht erreichen wird: „die Küche durch eine Anzahl von Gerichten dauernd zu bereichern, welche die Noth improvisiren ließ,“ vermögen wir nicht zu entscheiden. Sonder Zweifel aber hat das Schriftchen als ein bezeichnendes Andenken an eine hochbedeutsame Zeit auch jenseits der Kochherd- und Bratofenkreise Anspruch auf Interesse.
H. Sch.