Die Wiener „Concordia“
[763] Die Wiener „Concordia“. Am 19. October beging der Wiener Journalisten- und Schriftstellerverein „Concordia“ das Fest seines fünfundzwanzigjährigen Bestandes. Man ist gegen Jubiläen ein wenig mißtrauisch geworden, und zwar mit Recht, denn es hat sich mit der Wucht einer Epidemie die Sitte eingenistet, jeden irgendwie numerisch bemerkenswerthen Abschnitt in der Existenz einer Persönlichkeit oder einer Vereinigung zu öffentlichen Kundgebungen zu gebrauchen – in manchen Fällen zu mißbrauchen. Diesmal aber handelt es sich um ein Jubiläum, welches in der That das theilnahmsvolle Interesse aller Gebildeten verdient, eine Behauptung, die keineswegs parteiisch ist, obwohl sie aus der Feder eines Mitgliedes der „Concordia“ kommt. Wenn man zurückschaut auf die Geschichte der österreichischen Presse, welche seit fünfundzwanzig Jahren identisch ist mit der Geschichte der „Concordia“, so gewinnt man rasch und sicher die Ueberzeugung, daß das Vierteljahrhundert, welches der genannte Verein beschlossen hat, reich ist an wichtigen Momenten für das ganze geistige Leben der Oesterreicher.
Bis zum Jahre 1848 existirte in Wien – und in diesem besonderen Falle ist unter Wien die ganze Monarchie zu begreifen – keine Tagespresse in dem Sinne, wie man heute dieses Wort gebraucht. Der „Humorist“, die „Theaterzeitung“, der „Sammler“ und ähnliche Blätter nährten sich vom Theaterklatsch. Das in Fesseln gehaltene Volk sollte so wenig als möglich erfahren von dem, was „draußen“ vorging, es sollte seine Aufmerksamkeit auf Opern, Lustspiele und Possen concentriren – das Theater galt den damaligen Regierungskünstlern als ein Sicherheitsventil. In den Tagen der Bewegung schossen dann die Blätter wie Pilze aus der Erde; viele, um nur einen Tag lang zu leben, diese kurze Zeit hindurch allerdings frei und zügellos. Dann kam die Reaction. Die Presse lag in Banden, und nur allmählich streifte sie einen Theil derselben ab – nur einen Theil, denn noch heute haftet ihr ein Stück der Eierschale an, aus der sie hervorgeschlüpft: der Zeitungsstempel, das Verbot der Colportage, das sogenannte „objective Verfahren“ – welches eine Art Verurtheilung ohne Proceß in sich begreift – und noch manches andere Ueberbleibsel aus der sogenannten „guten alten Zeit“. Aber mit Stolz darf die österreichische Presse, die in ihrer heutigen Form noch so jung ist, sich der seither gewonnenen Errungenschaften erinnern. Derzeit ist sie in der That, was Bluntschli als die Wesenheit der Journalistik bezeichnet: sie gleicht dem Chorus der alten Tragödie, sie begleitet mit ihrer Rede die Action, und kein großes Ereigniß entschlüpft ihrem Richterspruche. Ueberdies hat die Wiener Presse sich in Inhalt und Form in aufsteigender Linie tüchtig bewährt, und eine ihrer meist genannten Partien: das Feuilleton – man verzeihe mir dieses gewagte Lob pro domo – genießt eines glänzenden Rufes, dessen Bedeutung ich nicht untersuchen will.
Wie Beaumarchais darf sie sagen: „Mein Leben ist ein Kampf“. Die Entwickelung wurde ihr nicht leicht gemacht, und gerade in unseren Tagen hat sie, soweit sie der Sache des wahren Liberalismus und des Deutschthums dient, wieder vollauf zu thun, um jeden Zollbreit ihres Bodens zu behaupten.
In diesem Ringen war die „Concordia“ allezeit voran, war sie Führerin, Anwalt und Dolmetsch. Sie entstand unter dem Eindrucke eines Momentes, in welchem die Herzen höher schlugen in dem geheiligten Andenken an einen unsterblichen Vorkämpfer der Gedankenfreiheit.
Im Jahre 1859 veranstaltete Wien die Säcularfeier von Schiller’s Geburt. Ein Festzug war behördlich gestattet worden, zündende Reden zu Ehren Schiller’s wurden gehalten, die Stadt schwamm in einem Freudenrausche, man nannte Schiller, und man meinte so vieles Andere. – Der Augenblick war herrlich schön, und man glaubte, aus ihm das Recht auf einen freudigen Ausblick in das Kommende schöpfen zu dürfen.
Damals, in diesen Vorbereitungen, that sich ein Häuflein Journalisten zur Gründung der „Concordia“ zusammen und faßte all’ die Ziele in’s Auge, welche allerdings nur langsamen Schrittes, nach und nach, wirklich erreicht werden konnten: Wahrung der Standesinteressen, thatkräftige Wehr gegen die Bedrückung der Presse, materielle Versorgung alter oder invalid gewordener Mitglieder, Sicherstellung des Looses von Wittwen und Waisen.
Bei der ersten Generalversammlung zählte der Verein 75 Mitglieder, nun sind ihrer nahezu 300; damals war sein Besitzthum verschwindend klein, heute nennt er etwa eine Million Gulden sein eigen und gewährt Pensionen, wie keine andere literarische Gesellschaft sie ihren Mitgliedern zu bieten vermag. Von Anfang an legte die „Concordia“ das Hauptgewicht ihrer Thätigkeit auf die Fürsorge für den Journalisten; den Schriftsteller, den Dichter versetzte sie in die zweite Linie – nicht etwa aus Mangel an Pietät gegen die eigentlich producirenden Kräfte, sondern aus inneren Gründen, die bei Gelegenheit des Jubiläums erwähnt werden müssen.
Nicht ohne Absicht wurde der Titel der Gesellschaft gefaßt: „Journalisten- und Schriftsteller-Verein“. Speciell in Oesterreich hatten die hervorragendsten Vertreter seiner Literatur Staatsanstellungen: Grillparzer, Halm, Mosenthal etc. Der Poet, der, losgelöst von den Zeitereignissen, schafft, darf ungescheut Gaben annehmen von Regierungen, Potentaten, von fürstlichen Mäcenen. Anders der eigentliche „Zeitungsmensch“. Völlige Unabhängigkeit ist für ihn die Vorbedingung einer gedeihlichen Thätigkeit, Unabhängigkeit in der Gegenwart und in späteren Zeitläuften.
Die Gründer der „Concordia“ erkannten diese Wahrheit, daher wandte man seine Fürsorge in erster Linie den Journalisten zu, und so kam es, daß der Verein immer mehr und mehr darnach trachtete, die materielle Seite seiner Wirksamkeit zu betreiben. Die im Jahre 1872 erfolgte Errichtung des Pensionsfonds war der entscheidendste Schritt. Der derzeitige Abgeordnete der Brünner Handelskammer im österreichischen Reichsrathe, Herr Joseph Neuwirth, ehemals einer der Redacteure der „Neuen freien Presse“, darf als der Schöpfer dieser Abtheilung der „Concordia“ betrachtet werden. Er hat sich um uns Alle, die wir der österreichischen Presse angehören, unvergängliche Verdienste erworben.
Ueber den finanziellen Interessen sind aber die geistigen niemals vergessen worden. Die bisher im Amte gewesenen Präsidenten – Dr. Franz Schuselka, Dr. Leopold Wittelshöfer, Wilhelm von Wiener, J. K. Lecher, Johannes Nordmann – und der noch functionirende Josef von Weilen waren allezeit, unterstützt von Vorstand und Ausschuß, bemüht, die „Concordia“ nicht auf das Niveau eines bloßen Versorgungsvereins herabsinken zu lassen. Braucht man doch nur an die von der „Concordia“ veranstalteten Lese-Abende zu erinnern, um das zu erhärten. Heinrich Brugsch, Franz von Holtzendorff, Dr. Nachtigal, Franz Dingelstedt, Ernst Häckel, Alfred Brehm, Max Maria von Weber, Moriz Lazarus, Berthold Auerbach, Rudolf von Gottschall, Friedrich Bodenstedt, Paul Lindau und noch eine Reihe von Vortragenden mit weithin tönenden Namen betheiligten sich. Aus ihrer stillen Wirksamkeit trat die „Concordia“ immer entschiedener in die Oeffentlichkeit. Bei freudigen wie bei traurigen Anlässen vernehmen wir ihre Stimme. Sie trägt zu Denkmalen berühmter Persönlichkeiten bei und bekundet ihre Theilnahme bei dem Ableben verdienstvoller Zeitgenossen. Sie übte im Jahre 1881 gegen den „Deutschen Schriftstellerverband“ und gegen den „Congrès littéraire international“ herzliche Gastfreundschaft. Sie gab zu wohlthätigen Zwecken 1880 das Festblatt „Vindobona“ heraus, dessen Erträgniß ein überaus reiches, und 1882 veranstaltete sie, im Verein mit anderen Genossenschaften, wieder zum Besten von Nothleidenden ein originell ersonnenes Maskenfest.
Im Laufe der Jahre that sie bei dem Parlament so manchen Schritt, um eine Reform der Preßgesetzgebung zu erwirken. Im Innern der Corporation schuf sie das Institut des Ehrengerichtes, um dem ganzen Stande einen neuen moralischen Halt zu geben. Diese wenigen Daten greife ich auf gut Glück aus der Geschichte der „Concordia“ heraus, um an der Hand von Thatsachen zu beweisen, daß sie sich nicht damit genügen ließ, ihren Angehörigen finanzielle Vortheile zu bieten. Aber diese letzteren haben einen so großen ethischen Werth, daß bei reiflicher Erwägung Niemand bestreiten kann, die „Concordia“ erfülle eine edle und schöne Mission, sie fördere die Presse in ihren höchsten Interessen, wenn sie dem Journalisten die Sicherheit gewährt, daß er ruhig in die eigene Zukunft und in die seiner Lieben blicken, daß er aber auch momentan in den Fällen schwerer Krankheit oder drückender Nothlage auf ausgiebige Hülfe rechnen darf. Wer sich dem aufreibenden Berufe widmet, die Geschichte des Tages zu schreiben und sich dabei als Vertreter seiner Principien in die Bresche zu stellen, soll davor bewahrt bleiben, auch nur einen Augenblick lang der Versuchung, die ihn von seinem Platze hinweglocken will, Gehör zu schenken, und solche Sicherung strebt die „Concordia“ mit stets wachsender Machtfülle an.
Der 19. October gab den Wiener Journalisten und Schriftstellern begründeten Anlaß, in Feststimmung der letzten fünfundzwanzig Jahre zu gedenken. Eine feierliche Generalversammlung und ein Bankett bildeten das Programm des Tages. Ernst und Scherz kamen zu wirksamer Geltung. Man durfte zum Schlusse sich mit Genugthuung daran mahnen lassen, daß der Verein seinen Namen in jenen unvergeßlichen Schiller-Tagen 1859 aus dem „Lied von der Glocke“ geholt:
„Concordia soll ihr Name sein,
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Versammle sie die liebende Gemeine.“
Ferdinand Groß.