Die Welfen in Braunschweig

Textdaten
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Autor: K. R.
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Titel: Die Welfen in Braunschweig
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 760–762
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Welfen in Braunschweig.

Das Haus der Welfen ist eines der ältesten und war in einer gewissen Periode der deutschen Geschichte weitaus das mächtigste unter allen deutschen Fürstenhäusern. Schon unter Karl dem Großen will man die ersten Spuren dieses Geschlechts finden. Der Stammvater des Hauses soll seine Tochter Jutta mit des großen Kaisers Sohne, Ludwig dem Frommen, vermählt haben. Seine Nachkommen zeigten und bethätigten ihre Macht und ihren Ehrgeiz, wie damals leider so viele der großen Vasallen, häufiger in Kämpfen mit den deutschen Kaisern, als im Anschluß an diese.

Als unter Kaiser Heinrich III. das Haus der Welfen im Aussterben begriffen war, wurde es erneuert und zugleich verstärkt durch Verschwägerung mit dem mächtigen Hause der Este in Oberitalien, das ebenso hervorragende Helden und Führer für die Kreuzzüge, wie feinsinnige Fürsten lieferte, unter deren Schutz am Hofe zu Ferrara die Künste blühten und ein Tasso sein unsterbliches Lied vom befreiten Jerusalem sang, in welchem er jene Vereinigung der deutschen und der italienischen Welfen oder Guelfen, zugleich die spätere Größe des Hauses verherrlichte.

Allmählich erstieg das Haus Welf Este eine Staffel dieser Größe nach der andern. Schon durch Kaiser Heinrich IV. mit dem Herzogthum Bayern belehnt, dehnte es durch zweimalige glückliche Heirath mit Erbtöchtern sächsischer Großen sich auch nach dem Norden Deutschlands aus, und Heinrich dem Stolzen verlieh der kaiserliche Schwiegervater Lothar bei seiner Besteigung des Kaiserthrons das bisher von ihm selbst regierte Herzogthum Sachsen. Niemals war bisher ein so großer und so wohl abgerundeter Länderbesitz vereint in der Hand eines einzigen deutschen Fürsten. Derselbe erstreckte sich von der Nord- und Ostsee bis an’s Adriatische Meer, von der Elbe bis zum Rhein.

Des Stolzen Sohn, Heinrich der Löwe, brachte zu diesem gewaltigen Erbe an Land und an Macht einen ebenso gewaltigen Geist mit, durch den er dasselbe vergrößerte, namentlich aber auch ausgiebig machte nicht blos für die Interessen seines Hauses, sondern ebenso für die Interessen des Reichs. Mit seiner alleinigen Kraft, ohne Hülfe vom Reiche, wehrte er Dänen und Slaven von den Nordgrenzen Deutschlands ab, ja gewann er von letzteren bedeutende Landstriche und ward so auf eigene Hand ein „Mehrer des Reichs“. Ein kräftiger Beschützer und Förderer von Handel und Gewerbe, ebenso wie von Wissenschaft und Kunst, schuf er zwei wichtige Verkehrscentren, Lübeck im Norden, München im Süden. Der römischen Kirche gegenüber hielt er streng auf sein Recht als Landesherr; ja er brachte es dahin, daß die Bischöfe in seinen Herzogthümern von ihm die Belehnung mit Ring und Stab empfangen mußten, während selbst der mächtige Hohenstaufenkaiser Friedrich I. den Machtvergrößerungsgelüsten des Papstthums nur einen unzureichenden Widerstand entgegensetzte.

Einseitige Bewunderer der Hohenstaufen und ihrer italienischen Politik haben Heinrich den Löwen wie einen Verräther an Kaiser und Reich behandelt, weil er, nachdem er viermal dem Kaiser Barbarossa Heeresfolge zu seinen Feldzügen nach Italien geleistet (Feldzügen, die weit mehr das Hausinteresse der Hohenstaufen, als das Interesse des Reichs berührten), beim fünften endlich seine weiteren Dienste versagte. Aber eine Pflicht gegen Kaiser und Reich verletzte er dadurch nicht, denn die großen Vasallen waren durch ihren Lehnseid nur zu Einer „Römerfahrt“ verpflichtet (um dem deutschen Könige die römische Kaiserkrone zu holen), nicht zu beliebigen Kriegszügen nach Wunsch und Vortheil des einzelnen Kaisers. Und Heinrich der Löwe hatte die richtige Einsicht, daß diese Kämpfe mit den italienischen Städten und mit dem Papste selbst um die Herrschaft in einem nichtdeutschen Lande, Italien, dem Reiche viel weniger Nutzen brächten, als eine Behauptung und Erweiterung der Grenzen des Reichs nach dem [762] Norden und Osten hin, wo es galt, die an Cultur hinter den Deutschen zurückstehenden Slaven zu germanisiren. Die neuere Geschichtsforschung ist dem großen Sachsen- und Bayernherzoge gerecht geworden und hat sein Bild von jenem unverdienten Makel rein gewaschen.

Damals freilich mußte er schwer dafür büßen, daß er gewagt hatte, der italienischen Hohenstaufenpolitik seine Hülfe zu verweigern. Sein Sohn Otto setzte, als Gegenkaiser Philipp’s von Schwaben (unter dem Namen Otto IV.), den Kampf der Welfen oder Guelfen gegen die Ghibellinen (ein Beiname der Hohenstaufen) noch länger fort. Auch in Italien wogte eine Zeit lang der gleiche Kampf heftig hin und her; dort waren die Guelfen Anhänger des Papstes und der mit ihm gegen die deutschen Kaiser verbündeten oberitalienischen Städte, die Ghibellinen Anhänger der Kaiser.

Die Geschichte des Welfenhauses in Deutschland bewegt sich seit dem Tode Otto’s IV. in dem engen Rahmen der braunschweigischen Lande. Zwei Hauptlinien treten hier allmählich hervor, Braunschweig-Wolfenbüttel (das heutige Braunschweig) und Braunschweig-Lüneburg oder Hannover, jenes die ältere, dieses die jüngere Linie. Die jüngere überholte die ältere mit der Zeit an äußerem Glanze: sie gelangte 1692 in den Besitz des Kurhutes, 1714 gar auf den englischen Thron, letzteres in Folge der Heirath Ernst August’s von Hannover mit der Enkelin Jacob’s I. von England.

Ungleich bescheidener spinnen sich die Geschicke der älteren, wolfenbütteler, Linie ab. Mit der großen Politik hat sie nichts zu thun; selbst in den deutschen Reichsangelegenheiten spielt sie keine hervorragende Rolle; dafür widmen nicht wenige ihrer Fürsten ihre Kraft entweder einer besonders sorgsamen Pflege der Volksinteressen, oder der Kunst und Wissenschaft, oder zeichnen sich als Heldenführer im Kriege aus und bringen so oder so den braunschweigischen Namen zu Ehren.

Am Ende des Dreißigjährigen Krieges, als es galt, die furchtbaren Wunden, die dieser den Ländern geschlagen, nach Kräften zu heilen, glänzt unter den wenigen deutschen Fürsten, die dies redlich thaten, an erster Stelle August von Braunschweig, der „göttliche Greis“, wie seine Zeitgenossen ihn verehrungsvoll nannten. Er ist auch der Stifter jener Wolfenbütteler Bibliothek, durch deren Besitz es einem seiner Nachkommen möglich ward, den Namen Lessing’s mit dem Namen des braunschweigischen Landes dauernd in ehrender Weise zu verknüpfen.

Die Löwensäule in Braunschweig, 1166 errichtet von Heinrich dem Löwen.

Zwei andere wissenschaftliche Stiftungen verdankt das Land Braunschweig seinen Fürsten, die der Universität Helmstedt (1575), die bis zu ihrem Eingehen im Jahre 1809 sich eines hohen Rufes erfreute, und des Carolinums in der Stadt Braunschweig (1745), einer höheren, zwischen Gymnasium und Universität stehenden, 1861 in ein Polytechnicum verwandelten Lehranstalt. Mit dem Verdienste eines warmen Gönners der schönen Wissenschaften, des Freundes eines Lessing und eines Mendelssohn vereinigte später der Herzog Karl Wilhelm Ferdinand den Ruf eines tüchtigen Feldherrn im Siebenjährigen Kriege, er, den der große König selbst so werth hielt, daß er in seiner Geschichte dieses Krieges ihn rühmend erwähnte und sogar eine Ode auf ihn dichtete. Leider erfuhr der Feldherrnruf Karl Wilhelm Ferdinand’s eine Trübung schon in dem Kriege von 1792 gegen Frankreich, wo er die preußischen Truppen nicht glücklich führte, mehr noch 1806, wo er, ein Greis von einundsiebenzig Jahren, noch einmal an die Spitze des Heeres gestellt ward. Die unglückliche Schlacht bei Auerstädt kostete ihm das Leben. Wie er, fiel sein Sohn Friedrich Wilhelm, der „schwarze Herzog“, auf dem Felde der Ehre im Kampfe für Deutschlands Freiheit; er starb bei Quatrebras den Heldentod. Er war der Vater des jetzt verschiedenen Herzogs Wilhelm. Das Schicksal des älteren Bruders Karl, des „Diamantenherzogs“, ist zu bekannt und ehrenleer, als daß man es überhaupt noch berühren möchte.

Herzog Wilhelm war am 25. April 1806 geboren und ist am 18. October 1884 gestorben; er hat nahezu die Mitte des 79. Jahres erreicht und über ein halbes Jahrhundert sein Land regiert, oder vielmehr regieren lassen. Denn direct hat sich Herzog Wilhelm an den Regierungsgeschäften schon deshalb wenig betheiligen können, weil er häufig außer Landes verweilte, bald auf seinen großen schlesischen Besitzungen, bald im Süden; aber er hatte das Glück, viele gute Minister zu besitzen, und er ließ diese, als aufrichtig constitutioneller Fürst, ruhig gewähren. Das Verhältniß zwischen Regierung und Ständen war, kleine Differenzen abgerechnet, im Ganzen ein befriedigendes; insbesondere aber hat Braunschweig sowohl die Zeit der stürmischen Bewegung von 1848 als die der darauf folgenden Reaction ohne bedenkliche Erschütterungen durchgemacht.

In nationalen Angelegenheiten bethätigte der Herzog, im Einklange mit der Bevölkerung seines Landes, sich allzeit als gut deutsch und hat seine Pflichten als deutscher Fürst stets redlich erfüllt, Regierung und Volk gern den einmal geregelten Gang ungestört gehen lassend. Dabei liebte er es, den Schranken des Hofceremoniells zu entfliehen, und selbst den treu und aufrichtig gemeinten Huldigungen bei Gelegenheit seines fünfzigjährigen Regierungsjubiläums entzog er sich, sehr zum Mißvergnügen seiner Braunschweiger. Dem Geräusch der Welt entrückt, führte er in den verschwiegenen traulichen Räumen seiner Villen und Schlösser in Braunschweig und Sibyllenort ein freies Junggesellenleben, seinem Hoftheater und namentlich dem Ballet eine ganz besondere Fürsorge widmend.

Man sprach im Allgemeinen wenig von ihm, den um sein Privatleben gezogenen Schleier nicht lüftend, aber nach seinem Tode erregte das aufgefundene, wichtige Landesinteressen, sowie die Zukunft einer ganzen Classe von Hofbeamten, des Hoftheaters, der Kunstschätze des Braunschweiger Museums außer Acht lassende Testament einen argen Sturm, und so werden denn beide Testamente der letzten braunschweiger Herzöge, die über Millionen verfügten, ohne ihres Landes zu gedenken, lange unvergeßlich bleiben!

Der Tod des letzten Welfenherrschers hat das Volk Braunschweigs in augenblickliche Sorge um seine staatliche Zukunft versetzt, doch giebt des Landes Zugehörigkeit zum Deutschen Reiche ihm die Zuversicht, daß kein undeutsches Haupt jemals Braunschweigs Herzogskrone tragen wird.

So endete das einst so große und mächtige Haus der Welfen, dessen Häupter in Deutschland einst so hoch emporragten, daß die Kaiserkrone für sie nicht zu hoch stand. Herzog Wilhelm starb fern von seinem Thron und seinem angestammten Lande, und seine Leiche sank als die des letzten Welfenherzogs in die Gruft zu Braunschweig. Der jüngere Welfenzweig von Braunschweig-Lüneburg hat seit der Gründung des Norddeutschen Bundes aufgehört in Deutschland zu regieren und wird auch in England dem deutschen Hause Sachsen-Coburg weichen, das bereits in Belgien und Portugal neue Fürstenstämme gegründet hat.K. R.