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Titel: Die Wallfahrt zu Birkenstein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 302–306
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Wallfahrt zu Birkenstein.


Wieder einmal ein Bild aus dem bairischen Hochlande, eine Capuzinerpredigt zu Birkenstein. Dieses Oertchen liegt im Miesbacher Gericht, ganz nahe bei dem Dorfe Fischbachau, an den Füßen des almenreichen Breitensteins, der ein Nachbar des gefeierten Wendelsteins ist. Unten im Thale fließt die Leizach, ein rascher Bergbach, der von Bairisch-Zell herausrinnt. Gegen Abend, über dem Romberg drüben, fluthet der rühmlichst bekannte Schliersee, an welchem Schliers, das alte Dorf, liegt. Wer eine gute Karte zur Hand hat, wird das betreffende Oertlein nach diesen Angaben leicht zu finden wissen, wer nicht so wohl versehen, der muß sich mit dem Bewußtsein begnügen, daß er jetzt in die Gegend zwischen der Isar und dem Inn geführt wird.

Diese Gegend ist eigentlich das bairische Arkadien. Land und Leute sind hier noch eines alpenhaften Schlags. Ersteres, das Land nämlich, wird dieses Gepräge wohl immer bewahren, obwohl die neu erstehenden Villen, Fabriken und Hüttenwerke dem bäuerlichen Aussehen der Landschaft doch etwas Eintrag thun. Wie es nachgerade mit den Leuten gehen wird, ist eine andere Frage, doch muß man zugestehen, daß sie trotz des Fremdentrosses, der jeden Sommer durch ihre Thäler wimmelt, bisher noch immer nicht merklich aus der Art geschlagen sind. Hier ist der Ursitz des Haberfeldtreibens, jenes bäuerischen Vehmgerichts, das, einst so geachtet und gefürchtet, erst in den letzten Zeiten zu roher Ausgelassenheit heruntersank und vor wenigen Jahren mit sanfter Gewalt unterdrückt wurde.

Seit etlichen Jahren geht eine Eisenbahn von München

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Capuzinerpredigt zu Birkenstein.
Nach der Natur aufgenommen von L. Braun in München.

[304] über Holzkirchen nach Miesbach und Schliers. Der bewegliche Münchener genießt jetzt das lang ersehnte Vergnügen, in drei kurzen Stunden mitten im bairischen Hochlande zu sein. Doch sprechen wir zunächst von Miesbach, dem trefflichen Markte an der Schlierach.

Wer ein altes Oertlein in junger Blüthe zu sehen wünscht, der muß eigentlich nach Miesbach gehen. Da ist in den letzten Jahren, seit nämlich die Eisenbahn an dem Markte vorüberzieht, ein schwer zu zählender Haufe neuer Häuser aus dem Boden gewachsen, fast alle im zierlichen Alpenstile, alle mit sanft gesenkten Dächern, mit grünen Altanen, mit grünen Fensterläden, alle so jugendlich, so heiter und lachend, daß man sie kichern zu hören glaubt. Wie sich von selbst versteht, haben sich auch die Gasthäuser und die Wohnungen für die Sommergäste in dieser Zeit entsprechend gemehrt und vergrößert. Jetzt herrschen da in den schönen Monaten noch die biedern Münchener, welche die Nähe, die Billigkeit des Ortes und die gute Luft anzieht, doch werden auch andere anständige Deutsche, ja sogar Engländer und Amerikaner zugelassen. Socialer Herd und Horst des aufstrebenden Fleckens ist aber der Frau Waitzinger ehrenwerther Gasthof, welcher an dem schönen Marktplatze steht. Frau Waitzinger theilt mit ihrer berühmten Collegin, der Frau Ruch, genannt Tiefenbrunner, zu Kitzbichel, den guten Ruf, eine treffliche Wirthin zu sein – mit dieser theilt sie aber auch einen leisen Widerwillen gegen ihr eigenes, nämlich gegen das schöne Geschlecht, wie es jetzt die Welt durchläuft, ein Gefühl, an das ich mich, wenn ich Wirthin wäre, vielleicht auch bald anschließen würde. Wenn den Herren, heißt es, in der Frühe die Schuhe gewichst oder geschmiert sind, so hört man den ganzen Tag nichts mehr von ihnen, die Damen aber läuten alle fünf Minuten. Frau Ruch-Tiefenbrunner sieht ihren Schwestern aus Berlin, Hamburg oder Bremen, wenn sie im Reisewagen daherrollen, von Weitem schon an, ob sie viel oder wenig Prätensionen machen werden. Besorgt sie Ersteres, so spricht sie einfach: Kein Quartier, und dreht sich um, auch wenn das ganze Haus noch leer wäre.

Um aber wieder in unser Miesbach zurückzukehren, so hat man in neuerer Zeit gefunden, daß daselbst eine vortreffliche Luft wehe; namentlich überarbeitete Geschäftsleute und Staatsmänner, die an geschwächten Nerven leiden, erhalten hier rasch wieder die alte Frische. Mit Stolz erzählt man, daß ein berühmter Professor der Würzburger Hochschule einst, an seinem Wiederaufkommen fast verzweifelnd, so schwach bei Frau Waitzinger angekommen sei, daß man ihn in seine Stube tragen mußte, und dennoch drei Wochen später so rüstig auf die rothe Wand, über sechstausend Fuß hoch, gestiegen sei, daß ihm selbst jüngere Leute kaum nachkommen konnten. Hierher und nur hierher, meint man, sollte unser Bismarck kommen – nur hier würde er seine Kraft und Schlagfertigkeit wiederfinden, an welcher dem ganzen deutschen Reiche so viel gelegen ist. Wenn man nur eine Zeitung fände, die ihn darauf aufmerksam machen wollte! – Auch der ehrwürdige Clerus hiesiger Gegend würde auf seine Anwesenheit nicht störend einwirken, da er Charaktergröße nicht nur an sich selber, sondern auch an Anderen zu ehren weiß.

Von Miesbach fährt man in einer starken Viertelstunde nach Schliers am Schliersee, der zweiten Hauptstation, der wir einige Aufmerksamkeit erweisen müssen.

Der Stamm, der diese idyllische Gegend bewohnt, ist ein Kernvolk; schlank und hochgewachsen, im Ganzen wohlgestaltet, hält der Schlierser wie die Schlierserin sehr viel auf ein sauberes Feiertagsgewand und weiß sich überhaupt gut zu präsentiren. Er ist ehrlich und menschenfreundlich, auch viel weniger roh, als der Bauer im Flachlande. Er theilt zwar die cholerische Natur der Bajuvaren überhaupt, allein er ist auch versöhnlich. Am Sonntag Abend, wenn das Nationalgetränk zu wirken beginnt, kommt es zwar nicht selten zu heftigen Reden, welche leicht zu Thätlichkeiten führen; allein die handelnden Personen des Dramas stechen nicht mit dem Messer zu, wie anderswo, sondern hauen sich ein paar Püffe um die Ohren, setzen sich dann wieder zusammen und gehen in alter unerschütterter Freundschaft auseinander.

Die Untugenden, die man diesem Völklein vorwerfen möchte, fallen nicht schwer in’s Gewicht. So soll es z. B. etwas bequem sein und die Ruhe der Arbeit merklich vorziehen, allein da Getreidebau nicht getrieben wird und die Viehzucht weniger anstrengt, so hat man sich hier auch nicht so zu plagen, wie im Unterland. Die viele Muße erlaubt in der That ein menschenwürdiges Dasein und giebt selbst Raum für literarische Beschäftigung. Man wendet hier nämlich manche Stunde an die Zeitungen, und die Postexpedition zu Schliers giebt täglich über fünfzig Blätter aus. Auch die Gartenlaube ist da nicht unbekannt. Manche bäuerliche Hofherren in dieser Gegend kaufen sich sogar Bücher und lesen sie – ein Brauch, der in der Stadt so selten vorkommt, daß er auf dem Lande um so mehr überrascht.

Für eine andere Untugend möchte man die etwas stark hervortretende Lebenslust ansehen. Zwar führt der Bauer annoch einen sehr einfachen Tisch, begnügt sich die ganze Woche, wie sein Hausgesinde, mit Milch- und Mehlspeisen, Butter, Schmalz und Brod, nimmt an Sonntagen im Wirthshause zwar gern ein Würstchen zu sich, weil dies die Sitte mild beurtheilt, hält sich aber von theuren Speisen, als z. B. von Kalbs- und Schweinebraten fern, weil ihr Genuß als eine Verschwendung gilt, die dem Landmanne nicht wohl anstehe. Das edle Trinkvergnügen wird dagegen an Sonn- und Feiertagen mit großer Beflissenheit sowie ohne bestimmtes Maß betrieben, und auch der Minderbemittelte nimmt daran redlich Theil, was ihm um so eher erschwinglich, als selbst der Tagelöhner täglich sich fast auf drei Gulden hinaufarbeiten kann.

Es ist in den jüngsten Zeiten aufgefallen, daß unsere Hochländer, die doch so frisch und aufgeweckt sind und nur liberale Zeitungen lesen, beim letzten Wahlkampf für’s deutsche Reich sich auf die Schattenseite stellten. In der Nähe betrachtet, sieht aber die Sache nicht so seltsam aus. Kaiser und Reich und die Hauptstadt Berlin, sie liegen dem Bauern noch ziemlich fern. Die letzten drei Jahre haben noch nicht viel vermocht gegen die Traditionen eines fast tausendjährigen Particularismus. Die Dinge, die sich im entlegenen Norden abspielen, sie erregen den Landmann nicht dergestalt, daß er sich bewogen fühlte, eine bestimmte Stellung zu ihnen einzunehmen. Er hätte am Ende auch liberal gewählt, wenn man zur rechten Zeit etwas dazu gethan hätte. So kam aber der Clerus den Liberalen zuvor, schlug mit Meisterschaft die große Trommel und rief: Nicht lutherisch werden! Dieses Mal haben es übrigens die Frauen durchgesetzt. Auf der Kanzel und im Beichtstuhl wurden die weiblichen Herzen durch den bevorstehenden Einsturz der katholischen Religion beängstigt, welcher nur beschworen werden könne, wenn die gläubigen Lande ihre gläubigsten Vertreter nach Berlin entsenden würden.

Vor dem Tage der Wahl gingen die geistlichen Herren noch von einem Hause zum andern, spielten die letzten Schrecknisse aus und ließen in den Händen der Hausfrau den rettenden Wahlzettel zurück. Die Frauen lagen dann den Männern an, setzten ihnen die politisch-religiöse Lage nach jenen Offenbarungen auseinander und baten sie schluchzend und weinend, nicht mit den Ketzern zu gehen, sondern zum Herrn Pfarrer zu halten, von dem der Wettersegen, Kindstaufe, Hochzeit und letzte Oelung abhänge. So gaben denn die meisten Männer nach und erklärten öffentlich, das heißt im Wirthshause: am Hausfrieden sei ihnen mehr gelegen, als an der Reichstagswahl. Auch den Wirthen wurde erheblich zugesetzt. Sie sind ohnedem schon lange das Augenmerk der ultramontanen Agitationen. „Wenn Ihr diese und diese Zeitung nicht abschafft,“ heißt es, „so werden wir Euer Herrenstübel nicht mehr mit unserm Besuche beehren, und wenn Ihr öffentlich zu den Liberalen haltet, so werden wir Euch heimlich in unaufsichtlichen Bann thun.“ Der Wirth hält auf sein Herrenstübel und auf sein Gewerbe natürlich auch viel mehr, als auf die Reichstagswahl, und so schließt er sich, obwohl widerwillig, dem großen Haufen an. „Als Staatsbürger,“ sagt er dann unter vier Augen, „bin ich liberal, aber als Geschäftsmann darf ich’s mit dem Pfarrer nicht verderben.“

Am kürzesten hat sich neulich ein Landmann folgendermaßen ausgedrückt: „Liberal sind wir wohl Alle, aber wählen thun wir schwarz.“ In den kleineren Städten und Märkten wird ohnedem jeder Gewerbsmann und jeder Händler bald den geistlichen Herren in die Hände gefallen sein, da die katholischen Casinos, die man überall gegründet hat oder zu gründen sucht, immer auch Handel und Wandel katholisiren und die Hartnäckigen, die nicht beigehen wollen, auch vom commerciellen Verkehre ausschließen.

[305] Ein angenehmer Gegensatz zu jenen Casino’s sind die Veteranenvereine, die jetzt allenthalben entstehen. Gewöhnlich vereinigen sich zwei oder drei Dörfer, stellen den Brüdern, die im letzten Kriege gefallen, im Friedhofe oder auch im grünen Walde ein Denkmal auf, ziehen zu dessen Enthüllung mit Musik und Fahnen hinaus, stellen sich in Parade auf, halten ihre Reden, setzen sich dann zusammen, toastiren auf Kaiser und Reich und schließen die Feier mit Gesang und Tanz, um sie nächstes Jahr in ähnlicher Weise zu wiederholen. Diese Vereine wären ein Band, das die reichsfreundlichen Kräfte im Lande trefflich zusammenhalten könnte, allein es ist nicht zu bemerken, daß ihnen die gebildeten Liberalen oder die Behörde irgend eine Ehre oder Aufmerksamkeit erweisen. Niemand scheint zu ahnen, welche Bedeutung ihnen mit geringer Mühe zu verleihen wäre.

„Nur nicht lutherisch werden!“ hallt es jetzt aus allen Winkeln der Kirche. Nur schade, daß wir’s schon sind oder wenigstens schon in einer ganz protestantischen Atmosphäre leben! Wir erinnern nicht an die mächtigen Ketzerschaaren in unserer Hauptstadt, aber auf dem Lande, ja selbst in Miesbach, in Schliersee, wo immer eine Fabrik, ein Hüttenwerk, eine größere oder kleinere Unternehmung ersteht, sind die Vorstände, die Verwalter, die Leiter, alle die, die gute einträgliche Stellen einnehmen, entweder aus dem protestantischen Franken, aus Württemberg oder aus Norddeutschland. Die katholische Erziehung in Altbaiern liefert diese Gattung nicht. In der dreihundertjährigen geistigen Erstarrung, welche die Jesuiten bekanntlich über das Land verbreitet, ist das Nationalgenie in der That etwas eingeschlummert. Bis zum Anbruche der Reformation ging Altbaiern auf den Wegen der deutschen Kunst und Wissenschaft freudig mit; seitdem die Väter Jesu in’s Land kamen, ist es in allen Fächern zurückgeblieben und vom Auslande abhängig geworden. König Max der Erste hat die Dickhaut nur Etwas aufgeschürft; Ludwig des Ersten Seltsamkeiten und Max des Zweiten Milde ließ sie gemüthlich wieder zuheilen. Altbaiern führt wohl sein Nationalgetränk in’s Ausland, aber geistige Erübrigungen hat es nie versandt. Es mußte vielmehr seine Blößen immer mit Berufungen decken. Unter den Kurfürsten führte man die Gelehrten und die Künstler aus Frankreich und Italien ein; unter den Königen fing man an, sie aus dem protestantischen Deutschland zu verschreiben. Letzteres war den frommen Patrioten immer ein Dorn im Auge; aber das sichere Mittel dagegen ist doch noch unheimlicher als das Uebel. Man müßte dem Volke nämlich die Augen öffnen, es etwas denken lehren, es innerlich und äußerlich erziehen, es an Kunst und Wissenschaft gewöhnen (denn der „ordentliche“ Altbaier weiß zur Zeit mit Liebig so wenig anzufangen wie mit Kaulbach), kurz, man müßte es geistig heben und eine andere geistige Luft schaffen, als es jetzt athmen muß. Dann würde es vielleicht selbstständig werden und keine Fremden mehr brauchen, vielmehr sogar eigene Celebritäten exportiren können. Aber wo käme nach einer solchen Hebung die jetzige Kirche mit allen ihren Mißbräuchen hin, wo die Infallibilität, die unbefleckte Empfängniß und die schönen, genußreichen Wallfahrten nach Birkenstein, nach Altenötting oder gar zum Judenmord in Deggendorf? Auch möchte wohl manches Kirchenlicht erwägen, daß jetzt noch die Flagge die Waare deckt, während die kritischen Augen einer späteren Zeit in seinem Wesen leicht Mängel entdecken möchten, die zum Besten der Kirche besser verhüllt bleiben. Darum lassen wir’s lieber beim Alten.

Unter solchen Betrachtungen sind wir nach Birkenstein gekommen. Dort steht also unter alten und jungen Birken eine Wallfahrtskirche, welche nach dem Muster des Heiligthums zu Loreto gebaut sein soll. Das heilige Haus zu Loreto ist aber dasselbe, in welchem Maria zu Nazareth wohnte, dasselbe, welches von den Engeln bekanntlich einmal aus Galiläa dahin getragen wurde, wo es jetzt die Pilger zur Andacht ladet. Ihren Ursprung verdankt aber die Kirche zu Birkenstein einem Traumgesichte, welches 1663 drei Männer zu Fischbachau, der Pfarrer, der Wirth und ein Bauer, zu gleicher Zeit erlebten. Es erschien ihnen nämlich die allerseligste Jungfrau und theilte ihnen mit, daß sie auf dem Birkenstein verehrt sein wollte. Dem frommen Wirthe mag wohl die heilige Mahnung am tiefsten zu Herzen gegangen sein, denn ein guter Wirth gedeiht nirgends besser als bei einer guten Wallfahrt. Und so kam nach manchen Hindernissen die Capelle zu Stande.

Unser heutiges kunstreiches Bild, das Herr L. Braun aufgenommen hat, zeigt uns die Capelle mit ihrem Thürmchen und dem hölzernen Umgang, der ihr vorgebaut ist. Vom Thurme weht eine Flagge, wahrscheinlich in den baierischen Farben; die Vorderseite des Kirchleins und die Tragbalken des Umgangs sind mit Blumengewinden verziert. Es scheint ein großes Fest, ein Frauentag, eine Kirchweih, ein Jubiläum gefeiert zu werden.

Vielleicht giebt es Leute, welche es für überflüssig halten, sich eigens aufzumachen und nach Birkenstein zu gehen, denn wenn Gott überall allmächtig und allgegenwärtig ist, warum soll er in Birkenstein noch mächtiger und noch näher sein als anderswo? Allein so ist die Sache nicht aufzufassen, sondern vielmehr ganz anders. Der liebe Gott ist nämlich dem katholischen Landvolke ein unbekanntes, tief im dunklen Hintergrunde schwebendes Wesen, mit dem es persönlich keinen Verkehr unterhält. Es wendet sich nur an seinen Hofstaat, an die allerseligste Jungfrau, gleichsam die Königin-Mutter, und an die lieben Heiligen. Daß diese nicht allmächtig sind, ist ziemlich gewiß; ob sie allgegenwärtig, ist eher zweifelhaft. Man bietet ihnen daher auf dieser Erde gewisse Heiligthümer an, die sie gleichsam als ihre Wohnung beziehen und wo sie immer sicher zu sprechen sind. Dort trägt man ihnen dann vor, was man auf dem Herzen hat, und bittet sie um ihre Verwendung bei dem unbekannten Gott.

Uebrigens trägt zur Blüthe der Wallfahrten auch die germanische Wanderlust bei. Nicht alle können nach Maria-Einsiedeln oder gar nach Loreto pilgern; aber ein Ausflug, der nur einen oder zwei Tage beansprucht, ist für Männlein und Weiblein leicht erschwinglich. Kommt also die schöne Sommerszeit, so erwacht die Sehnsucht nach der blauen Ferne, und der Bauer, die Bäuerin, die Söhne und die Töchter freuen sich auf eine Wallfahrt nach Birkenstein ebenso herzlich, wie sich ein gebildeter Berliner oder Hamburger auf den Rigi oder auf den Comersee freut.

Diese Wanderlust können wir auch aus den weiblichen Trachten, die das Bild uns bietet, mit ziemlicher Sicherheit herauslesen. Die ländlichen Schönen mit dem kegelförmigen Hütchen, welches eine Goldschnur einfaßt, sind freilich nicht weit her, da dies die jetzige Mode der Miesbacher Gegend ist; aber die Figur, die gerade unter dem Prediger steht, mit dem niedrigen Hute, von dem zwei breite Bänder wallen, sie mag schon eine halbe Tagereise weit gegangen sein, denn dieser Hut deutet auf die Gegend von Audorf oder Brannenburg im Innthal. Den Weitpreis unter den Anwesenden erhält aber jedenfalls die breitschulterige Person, die vorn im Grase sitzt. Die Grenadiermütze, die sie schmückt, ist nämlich eine sogenannte Schwazerhaube, ein uraltes tirolisches Wahrzeichen, das schon die Heldinnen von Anno Neun geführt. Leicht möglich, daß diese Dame in dieser Versammlung auch die Ehre der Alterspräsidentin ansprechen dürfte, denn die Schwazerhauben sind in Nordtirol jetzt fast verschwunden und werden als Andenken an die gute alte Zeit nur noch von hochbetagten Mütterchen getragen.

Auf der Laube steht ein Capuziner und predigt. Was mag er vortragen? Als August von Platen vor bald sechszig Jahren eines Sonntags nach Birkenstein gekommen war, wurde da auch gepredigt, und zwar von den Wunderkräften des heiligen Scapuliers und von den gräßlichen Qualen des Fegefeuers, aus welchen die heilige Jungfrau alle Samstage eine Anzahl Seelen zu erlösen pflege. Das Scapulier, die lodene Schulterdecke, die in ihre Ausläufern vorn bis auf die Füße heruntergeht, ist ein wichtiges Kleidungsstück in der Geschichte des Carmeliterordens. Ein Prior desselben soll nämlich zur Zeit der Hohenstaufen ein besonderes Exemplar aus den eigenen Händen der heiligen Jungfrau Maria und damit die Versicherung empfangen haben, daß, wer darin sterbe, der ewigen Strafe enthoben sei. Kein Wunder, daß sich viele Kaiser, Könige und andere Fürsten mit großen Kosten dieses Scapulier verschrieben, um darin den letzten Seufzer auszuhauchen.

In der katholischen Kirche, also auch in der Wallfahrt zu Birkenstein, ändert sich sehr wenig. Es ist daher wohl möglich, daß der Capuziner, den Herr L. Braun im vorigen Jahre dort gehört, wieder über das heilige Scapulier gepredigt hat. Solche Gegenstände sind auch die passendsten, denn sie geben kein Aergerniß. Spricht der Prediger dagegen über Keuschheit, [306] Mäßigkeit, Ehrlichkeit, christliche Liebe und Verträglichkeit, so findet man darin nur zu gern boshafte Anspielungen. Der Wirth, der Jagdgehülfe, der Krämer und andere Honoratioren mit ihren Gattinnen oder Liebchen fühlen sich leicht getroffen, und zuletzt zieht man gar noch Vergleiche zwischen den Worten und den Thaten des Predigers selbst. Also keine Moral! Nach der „Donauzeitung“ ist das altbairische Volk ohnedem das beste und edelste in der Welt, und es hieße also Eulen nach Athen tragen, wenn man von der Kanzel herunter Tugenden predigen wollte, die es theils nicht braucht, theils schon hat.

Unter den Bogen des Umgangs sieht der aufmerksame Beschauer auf dem Bilde auch zwei tragbare Beichtstühle, die an solchen Tagen, um im Innern der Kirche Raum zu schaffen, in’s Freie gestellt werden, so daß sich die Gläubigen ihrer Sünden in der kühlen Morgenluft, im Angesicht der grünen Alpen poetisch entleeren können. Die Ohrenbeichte soll übrigens für ältere Leute ganz unschädlich sein, was ficht ein altes Mütterchen einen alten Capuziner an! Unter den jungen Leuten ist’s aber nicht immer geheuer. Man sagt manchen jungen Caplänen nach, daß sie den blühenden Mädchen aus ihren reichen Erfahrungen manche anziehende, wenn auch nicht nothwendige Eröffnung machen, so daß die katholischen Mütter sich oft verabreden, ihre Töchter nicht in den Beichtstuhl zu lassen, bis sie verheirathet sind.

Rechts im Hintergrunde erscheint ein weichendes Paar, das erste, das Reißaus nimmt. Es wird ein Landmann und seine Frau sein, welche, im Beichtstuhle eben entsündigt, nun auch einer leiblichen Erfrischung nachgehen. Sie werden nicht weit zu wandern haben, denn das Wirthshaus liegt in erfreulicher Nähe. Es ist ein altes Sprüchwort: „Wo der liebe Gott eine Kirche entstehen läßt, setzt der Teufel ein Wirthshaus daneben“, allein dieser Spruch ist allzusehr pessimistisch und stimmt nicht zu den thatsächlichen Verhältnissen. Eher ließe sich sagen:

„Kirche und Wirthshaus sind innig verwandt,
Es knüpfet sie Beide ein himmlisches Band.“

Denn hätten die Wallfahrer nicht auch die Erquickung, die ihnen nach der Andacht das Wirthshaus bietet, im Auge, so kämen sie nicht so zahlreich zur Kirche, und kämen sie nicht so zahlreich zur Kirche, so fielen sie auch nicht so zahlreich in’s Wirthshaus ein. Dort aber gehen ihnen nach dem morgendlichen Gottesdienste die schönsten Stunden auf. Alle miteinander, die Väter, die Söhne, die Töchter, sie sitzen – ein fröhlicher Anblick – im schönsten Feiertagsgewande und in rosigster Laune beim Humpen und sprechen mit alpenhaftem Appetite den Würsteln, ja, heute sogar den Schweinshaxeln zu, die die gute Wirthin für diesen Tag hat reichlich vorbereiten lassen. Dabei geht ein heiteres Geplauder durch die Halle, und später kommt es wohl auch zu Gesang und Tanz. Da weitaus die Mehrzahl der Wallfahrer in der Nähe zu Hause ist, so zerstreut sich die Menge gegen Abend und wallt in munterem Zuge der Heimath zu, wo sie sich in süßen Erinnerungen schlafen legt, während an den großen Wunderstätten, wie zu Altenötting oder Deggendorf, wo die Wallfahrer aus größeren Fernen kommen und daher über Nacht zu bleiben pflegen, die Gensdarmerie all ihren Witz aufbieten muß, daß der christliche Gnadenort am späten Abende nicht zu einem heidnischen Paphos oder anderen cyprischen Heiligthume werde.