CCCXXI. Frankfurt Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCCXXII. Die Walhalla
CCCXXIII. Das Mausoleum Mahomed Chans bei Deigh in Indien
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

DIE WALHALLA
Donau-Stauf in der Ferne

[125]
CCCXXII. Die Walhalla.




Seit Jahren schon sucht der nicht befriedigte und in so mancher Beziehung schmerzlich verletzte deutsche Nationalsinn einen Ausweg, indem er sich bald gegen diese, bald gegen jene Seite wendet. Des äußern Schwerpunkts entbehrend, auf dem er mit seinem irdischen Bestande ruhe, sucht er einen idealen auf; und wo ihm die Lebenden nichts bieten mögen, kehrt er bei den Todten ein. Gehindert, sich in schattenden Zweigen auszustrecken, sendet er seine Triebe in die dunkle Erde hinab und schlingt sie liebend um die Schreine seiner Heiligen. Deutsches Volk, das nicht mehr versuchen darf, Rath zu schlagen über deutsches Wohl, sammelt sich um die Urnen seiner großen Männer und richtet ihnen Denkmäler auf.

Vorzugsweise ist es die Architektur, welcher, vermöge der Freiheit und Selbstständigkeit ihrer Formen, vor allen übrigen Künsten es zukommt, Nationaldenkmäler aufzuführen, und Skulptur und Malerei sollten nur dienen, die großartigen Gedanken jener zu verdeutlichen und zu erklären. In diesem Geiste schufen die alten Völker ihre Denkmäler; schmückte Athen seine Akropolis aus, bauten die Römer dem August und Hadrian Mausoleen, richteten die Pharaonen Pyramiden und Tempel auf. Nur da, wo die Persönlichkeit des Helden einen beschränkten Wirkungskreis ausfüllt, ist ein einfaches Bildniß-Setzen schicklich und am rechten Orte; bei Geistern universeller Thätigkeit aber muß das Bildniß stets eine untergeordnete Rolle spielen. – Als die Thüringer dem Bonifacius vor einigen Jahren an einsamer Waldstelle, da, wo der Apostel das erste Kreuz aufgerichtet hatte, ein Standbild errichten wollten, und dem Herzoge August von Gotha zwei Zeichnungen, die in den Gesichtszügen der Statue sehr differirten, zur Prüfung vorgelegt wurden, kritzelte der geniale Fürst einen Leuchter mit brennender Kerze auf’s Papier und schrieb darunter: das ist Bonifacius. Und ein Candelaber wurde aufgerichtet auf der Höhe, der weithin sichtbar ist im [126] thüringer Lande, und Jeder weiß ihn zu deuten. Was soll eine Armin’s-Statue, noch so groß, bei Detmold? Stellt mir auf einen Würfel ein deutsches Schlachtschwert als Obelisken hin, die Spitze gen Himmel gerichtet, und das Volk, dem’s doch gilt, wird’s besser begreifen.

Eine verwandte, gleich umfassende Bedeutung hat der Tempel, den ein deutscher König an der Donau bei Regensburg aufrichtet. Die Walhalla, jenes für germanischen Ruhm so prachtvolle Haus, dessen östlicher Giebel die Armin’s-Schlacht schmückt, dessen westlicher Deutschland’s neueste Befreiung darstellt und dessen Inneres die ganze vaterländische Geschichte, Folge und Ursache jeglichen Kampfes um deutsche Selbstständigkeit verherrlicht, kann auch ein Armins-Denkmal heißen, aufgefaßt im großen Geiste der Geschichte. Die Idee beurkundet den hohen Sinn jener Janusgestalt unter den Fürsten der Jetztzeit, und die Ausführung ist jenes Königs ganz würdig, den die Welt den Beschützer der Künste nennt. –

Zu diesem Ehrentempel des deutschen Volkes wurde 1830 der Grundstein gelegt, und er wird im nächsten Jahre geweiht werden. Nach der Idee Ludwig’s entwarf Klenze den Plan dazu und leitete die architektonische Ausführung; die künstlerische, wozu theilweise Rauch die Zeichnungen fertigte, ist dem Heros der deutschen Bildhauerkunst, Schwanthaler und dessen Schülern, anvertraut.

Das Gebäude selbst ist ein dorischer Tempel von weißem Marmor, ähnlich dem Parthenon auf der Akropolis Athens. Bei einer Höhe von 70 Fuß hat es eine Breite von 100 und eine Tiefe von 300 Fuß. Das Dach wird auf jeder Seite von einer Reihe colossaler Säulen getragen, von denen je acht an den beiden Giebeln, 17 aber an jeder Seite stehen. Das Innere stellt sich als eine weite Marmor-Halle dar, deren reich cassetirte Decke von 2 Reihen jonischer Säulen gestützt wird. Den um den Saal herumlaufenden Fries schmücken die von Wagner in Rom gefertigten Reliefs, welche die Urgeschichte des deutschen Volks von seinen Wanderungen an bis zur Ausbreitung des Christenthums darstellen. An den Wänden hin sollen, in Hermenform, die Büsten aller Derjenigen zu stehen kommen, welche deutsches Volk seit seinem Ursprung in jeglicher Beziehung verherrlicht haben: – seine Helden im Kriege und im Rathe, in der Poesie, in der Kunst und Wissenschaft. In einer Vorhalle werden die Bildnisse Derjenigen aufgestellt, welche schon bei ihren Lebzeiten als würdig erkannt sind, den Heroen der Walhalla zugerechnet zu werden. Die großen Männer der stammverwandten Nationen (Schweizer, Niederländer etc.) sind nicht ausgeschlossen; so daß sich, ganz unabhängig von politischer Abgrenzung, in der Walhalla wirklich alles Größte, was deutschem Volksthum entsprossen ist, versammeln wird. Bis jetzt sind von den 140 vorhandenen Plätzen 50 noch nicht vergeben. Alle Büsten sind, so weit dieß zu erlangen möglich war, treue Portraits. Im Souterrain ist eine Halle, in welcher die Biographien der im Tempel aufgenommenen, auf Pergament geschrieben, bewahrt werden sollen; zugleich auch, wenn sie Schriftsteller sind, ihre sämmtlichen Werke.

[127] Die Walhalla ruht auf einem kyklopischen Unterbau, von dessen Fuße Marmorstufen hinauf zur Tempel-Terrasse führen. Dort hat man die herrliche Aussicht in das Donauthal und über die benachbarten Berge, deren nächster die malerisch schöne Ruine der Burg Donaustauf trägt. Der ganze Bau dürfte, obschon er weit niedriger veranschlagt wurde, nicht weniger als 3 Millionen Gulden kosten, und er wird aus dem Chatullvermögen des Königs bestritten, dem auch der feindseligste Beurtheiler den Ruhm gönnen wird, mit diesem Denkmale die Kunst ihrer heiligsten Bestimmung zurückgeführt zu haben.