Die Wahl. Drittes Blatt – Die Abstimmung

Die Wahl. Zweites Blatt – Die Stimmbewerbung W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Die Wahl. Drittes Blatt – Die Abstimmung
Die Wahl. Viertes Blatt – Der Triumphzug nach der Wahl
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Die Wahl.


Drittes Blatt.
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DIE WAHL.
THE ELECTION.
III.

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Die Wahl.
(The Election.)




Drittes Blatt.
Die Abstimmung.
(The Polling.)

Die Opposition gewinnt für diesmal. Die Regierung hat Lahme, Blinde, Krüppel, Sterbende und Blödsinnige aufgeboten, allein alles vergeblich. Ihr Candidat sitzt hinten in der Wahlbude unter der Orangefarbe (auch jetzt noch dem Symbol der Whigs) und kratzt sich bedenklich den Kopf; sein Gegner betrachtet ihn dagegen mit triumphirender Selbstzufriedenheit. Der Stand der Abstimmung (The state of the poll) ist bis jetzt entschieden zu seinen Gunsten, und er hat sicherlich einige hundert Stimmen voraus. Ueber ihm weht das Zeichen der Opposition[WS 1], die blaue Fahne dicht unter der englischen Eiche.

Wie erwähnt, hat die Regierungspartei eine interessante Gesellschaft von Freeholders aufgeboten. Ein Krüppel besteigt als der letzte die Treppe zum Wahlgerüst oder zu den Hustings; vor ihm marschirt ein Blinder, der mit dem Stocke den falschen Weg tappt, während sein Führer nach der entgegengesetzten Richtung blickt. Der dritte Freeholder ist ein in Betttücher eingewickelter Kranker, der an der Speichelkur leidet[1]; [730] der vierte besitzt ein Gesicht ohne Nase, und unterhält sich rauchend mit seiner Frau, welche den Mangel dieses edlen Gesichtstheiles durch die besondere Größe desselben an dem ihrigen ersetzt. Der fünfte ist ein Blödsinniger, welcher gerade den Eid als Wähler mit Bewegungen ablegt, die zur Genüge andeuten, daß er die Handlung nicht begreift. Auch muß der Schreiber (clerk), der den Eid abnimmt, den unglücklichen Freeholder auf die unanständige Bewegung aufmerksam machen, welche sich für die Feierlichkeit der Handlung durchaus nicht eignet. Er ist vollkommen bewußtlos, und deßhalb muß ihm ein Mann, der hinter ihm steht, Alles, was er zu sagen hat, und somit auch den Namen des Candidaten, in’s Ohr flüstern. Dieser Mann trägt Beinschellen und hat in der Tasche ein Papier mit der Inschrift: Sechster Brief an das Volk von England. Durch beides war er den Zeitgenossen des Künstlers kenntlich. Er war nämlich ein Dr. Shebbeare unruhigen Andenkens, ein Geistlicher, der Zeitungsschreiber ward und dieselbe Laufbahn verfolgte, welche diese sonst so einflußreichen Literaten in England verächtlich gemacht hat. Er begann nämlich als heftiger Jacobit, ward alsdann loyaler Opponent oder Patriot, wie er sich nannte, und endete, von Georgs III. ersten Ministerien durch eine Pension erkauft, als ein Anhänger der Regierung mit derselben Heftigkeit, wie er früher für die Stuarts geschrieben hatte. Als loyaler Opponent war er Vertreter des Volkes und am Ende seines Lebens einer der wenigen Schriftsteller, welche sich dazu hergaben, das Verfahren der Regierung gegen die amerikanischen Colonieen zu rechtfertigen. Der Brief, den er hier in der Tasche trägt, war von ihm als Patrioten geschrieben, und enthielt heftige Schmähungen gegen Georg II. Derselbe bewirkte gerade zur Zeit, wo dies Blatt ausgegeben wurde, eine Klage und für den Verfasser eine Verurtheilung zu zweijährigem Gefängniß. Während seiner Haft will jedoch der Mann seinen Frieden mit der Regierung schließen, und hat wahrscheinlich durch Vermittlung derselben die Erlaubniß erhalten, auf den Hustings zu erscheinen, um seine Stimme zu geben, und auf andere Weise, wie man sieht, zu wirken. Auf der anderen Seite der Wahlbude sieht man nur Einen Freeholder, aber sicherlich [731] keinen bestochenen. Es ist ein ehemaliger Officier mit der Bill über die Miliz in der Tasche, welcher ein Bein, einen halben Arm und eine Hand im Kriege verloren hat. Statt der Hand dient ihm ein Haken, den er auf das Evangelienbuch legt, um nach der Form den Eid zu leisten, daß er die Berechtigung zur Wahl besitze und unbestochen nach bestem Gewissen seine Stimme gebe. Der Haken als Substitut erweckt das Lachen des Gerichtsschreibers; um jedoch die Feierlichkeit der Handlung wenigstens äußerlich nicht zu stören, sucht dieser dasselbe zu verbergen, indem er die Hand auf den Mund legt. – Durch den Eid des Officiers wird auch zugleich ein höchst wichtiger Streit zweier Advokaten veranlaßt. Ein Sachwalter der Gegenpartei will nämlich die Berechtigung jenes Wählers aus gutem Grunde nicht anerkennen, weil ausdrücklich der schwarze Buchstabe des Gesetzes (the black letter of the law) mit deutlichen Worten bestimmt, die Hand und kein Stumpf müsse bei Leistung des Eides auf das Evangelienbuch gelegt werden. Der Officier, welcher nicht allein seine Hand verloren, sondern dies sogar selbst eingestanden habe, dürfe deßhalb zur Abstimmung nicht zugelassen werden, die ohne Eid nicht stattfinden könne. – Natürlich hat der andere Advokat eine Antwort für dies schwarze Schaaf des Gesetzes (black sheep of the law) sogleich zur Hand, vielleicht eine Stelle aus dem neunundneunzigsten Foliobande der Abkürzung des Statutenrechts (abridgement of the statute law), oder eine analoge Rechtsgewohnheit, z. B. das Verfahren der Männer ohne Arme beim Eingehen der Ehe. Sicherlich wird die Frage, welche ohne Auslegung durchaus klar sein würde, auf eine dem gelehrten Stande würdige Weise verhandelt.

Natürlich bilden sich auf den Hustings auch noch andere Gruppen, als die der Abstimmenden. In der Wahlbude vor dem gewinnenden Theile erblickt man einen Gentleman, welcher das Porträt des Candidaten aufnimmt, wie es scheint, um gelegentlich seinen ehrenwerthen Freund lächerlich zu machen. Zwei Andere, welche das Bild betrachten, sind bereits über die Figur sehr erfreut. Dem glücklichen Candidaten geht es übrigens, wie man erwarten kann, auf der andern Seite bei weitem schlimmer. Dort hängt er in populärer Darstellung am Galgen, und [732] dieser Rechtsfall ist durch Knittelverse (doggrel verses) und durch eine Ballade erläutert, welche zwei Freunde des unglücklichen Candidaten mit besonderem Wohlgefallen lesen. Die Verkäuferin dieser Poesie lehnt über das Geländer des Wahlgerüstes und bietet sie zwei Bedienten auf einem Kutschenbock zum Kauf an. Der Galgen ist mit genügender Deutlichkeit sichtbar, und die zwei Bedienten, denen er zur Beherzigung angeboten wird, sind die Minister der Krone. Hogarth hat hier nämlich von der Allegorie Gebrauch gemacht. In der unten fahrenden Kutsche sitzt die Brittannia, am Lorberkranze kennbar, so wie an den verschränkten Kreuzen auf dem Kutschenschlage, wohin das Wappen gehört. Sie wird in den Graben geworfen, denn ihr Kutscher und ihr Bedienter haben mittlerweile Karten gespielt, wobei sie sich sogar gegenseitig zu betrügen suchen, indem der Eine eine Karte hinter den Rücken des Andern hält. In wie weit diese Allegorie dem Künstler hier gelungen ist, bleibt dahin gestellt; Horace Walpole (Lord Orford), der übrigens selbst ein Whig war, also zu der 1754 herrschenden und hier verspotteten Partei gehörte, findet sie höchst unglücklich in künstlerischer Hinsicht. –

Auf dem Wahlgerüst sitzt neben dem unglücklichen Candidaten ein Polizei- und Gerichtsdiener (constabler). Er lebt für den Augenblick in Frieden mit der ganzen Welt, denn er ist eingeschlafen. Ein Spaßmacher bückt sich neben ihm und sucht wahrscheinlich den Stuhl oder den Stock zu verschieben, damit der Diener des Gesetzes sein Gleichgewicht verliere. Ein zweiter Constabler steht hinten, und bringt wahrscheinlich zwei Wähler in Ordnung, welche den Anstand auf den Hustings vergessen haben. Daß Letzteres möglich ist, beweist eine Gruppe hinter der Balladenverkäuferin, wo die Flasche gehörig umhergeht, und wo also Stoff zu Unfug gesammelt ist. – Andere Gerichtsdiener stehen unten, sind jedoch allein durch ihre sichtbaren Stäbe kennbar.

Im Hintergrunde erblickt man einen langen Zug von Freeholders, der die Brücke mit fliegenden Fahnen, Carrossen u. s. w. passirt, um in gehörigem Gepränge vor den Hustings zu erscheinen; er kömmt übrigens in entgegengesetzter Richtung, wie die Brittannia fährt.




  1. Diese Figur ist aus einem früheren vor 1733 verfertigten Bilde Hogarth’s entnommen, dessen Herausgabe der Künstler später nicht mehr wünschte. Es war ein damals bekannter Arzt darin vorgestellt, welcher an der Speichelkur leidet.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Oppositon