Die Volkshaushaltungsschule in Leipzig

Textdaten
<<< >>>
Autor: Lotte Windscheid
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Volkshaushaltungsschule in Leipzig
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 230
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[230]

Die Volkshaushaltungsschule in Leipzig.

Es dürfte kaum nöthig sein, an dieser Stelle ein Wort zu sprechen über das Bedürfniß der Gründung von Haushaltungsschulen für die Töchter des Arbeiterstandes. Alle Einsichtigen sind von der Nothwendigkeit derselben überzeugt, nur diejenigen unter den Wohlhabenden, welche die Lebensweise des Volkes nicht kennen, und einige Unverständige, welche da glauben, das Wirthschaftführen sei eine Kunst, die nicht erlernt zu werden brauche, nehmen eine gegnerische Stellung ein.

Die naturgemäße Entwicklung würde sein, die Wirthschaftslehre praktisch und theoretisch in den Lehrplan der weiblichen Fortbildungsschule aufzunehmen. Die Gemeinden sind aber größtentheils infolge anderweitiger Inanspruchnahme und infolge Ueberbürdung ihres Budgets nicht in der Lage, diesen Vorschlag auszuführen; deshalb muß vorläufig die Privatwohlthätigkeit eintreten und die Wege zu ebnen, Erfahrungen zu sammeln versuchen. Leider sind aber bis jetzt noch zu wenige Volkshaushaltungsschulen begründet worden, vielleicht einige Dutzend in ganz Deutschland, unter denen die in Leipzig bestehende sich eines schönen Erfolges erfreuen darf. Der Bericht über dieselbe soll dazu dienen, für die weitere Gründung solcher Schulen Lust und Stimmung zu wecken.

Die Leipziger Volkshaushaltungsschule, die nun seit bald anderthalb Jahren besteht, wurde am 1. November 1891 eröffnet mit einer Schülerinnenzahl von 56 Mädchen, die sich auf Morgen- und Abendkurse vertheilen. Die Lehrräumlichkeiten befinden sich in der Mühlstraße 14, Reudnitz-Leipzig; sie bestehen aus zwei großen, sehr hellen Zimmern, von denen das eine für Waschen und Nähen, das andere für Kochen und Essen bestimmt ist. In der Küche stehen außer 4 Herden, die für je 4 Kochstellen eingerichtet sind, die Schränke, deren oberer Theil zur Aufnahme des Eßgeschirrs dient, während im untern Theil das Küchengeräth, Töpfe, Schüsseln etc. untergebracht ist. An schönen großen Tischen wird zuerst die Küchenarbeit verrichtet, später gespeist, wofür sie mit hübschen Gummidecken belegt werden, damit auch die Zierlichkeit ihr Recht finde. Die Schülerinnen eines jeden Kursus sind in 2 Abtheilungen getheilt, von denen wochenweise die eine kocht, während die andre das Waschen und Plätten, sowie das Flicken erlernt; das Material für letzteres wird von den Schülerinnen selbst mitgebracht.

Die Kost bleibt vollständig im Rahmen derjenigen Nahrung, wie sie für eine Arbeiterfamilie zweckmäßig ist. Der Speisezettel, der von den Vorstandsdamen ausgearbeitet wird, nimmt auf möglichst vielseitige und kräftige Ernährung Bedacht und weist für das Halbjahr 55 verschiedene Gerichte auf, deren Zubereitung gelehrt wird und die sich durch angemessene Wiederholung dem Gedächtniß einprägen. Ueberdies wird von jeder Schülerin die Bereitungsart und der Preis des Gerichtes in ein Buch eingetragen. Der Preis darf durchschnittlich nicht über 15 Pfennig für die Portion betragen, und die Mädchen werden angewiesen, sich eine Kostenübersicht für die Woche zu machen, damit sie lernen, wie theurere und billigere Gerichte sich in diesem Zeitraum im Preis ausgleichen. In jeder Woche giebt es mindestens einmal Fleisch, aber in möglichst abwechselnder Form: vom einfach gekochten Rindfleisch bis zu Hackebraten, Fricandellen, Lungenhaché etc. Mehlspeisen, Fisch, Gemüse kommen wöchentlich je einmal vor; dabei werden, wie auch bei den Kartoffelgerichten, die verschiedensten Arten berücksichtigt. Einmal in der Woche findet das gründliche Reinmachen statt, und an diesen Tagen wird nur eine kräftige Suppe gekocht. Nach dem Essen wird natürlich täglich alles gebrauchte Geschirr sauber gereinigt und die Küche aufgeräumt.

Waschen und Plätten wird nach erprobten Grundsätzen gelehrt, indem vom Leichteren zum Schwereren übergegangen wird. Beim Handfertigkeitsunterricht wird keine mustergültige Arbeit verlangt wie in der Schule: die Flick- und Stopfarbeiten müssen aber gut und dauerhaft ausgeführt sein, wie es den Bedürfnissen des täglichen Lebens entspricht; die Kenntniß des Materials bildet dort wie hier einen Hauptpunkt des Unterrichts.

Der Vorstand, der die Schule ins Leben gerufen hat, weist die Namen angesehener Persönlichkeiten der Stadt auf und besteht aus einer Anzahl Herren für das „Auswärtige“, und aus acht Damen für das „Innere Amt“. Letztere wachen über die genaue Ausführung der festgestellten Grundsätze und wechseln in wöchentlicher Aufsicht ab. Eine Kochlehrerin sowie eine Wasch- und Nählehrerin unterrichten mit ebensoviel Hingebung wie Verständniß und legen besonderes Gewicht auf Reinlichkeit und Ordnung als auf die Grundlage der weiblichen Arbeit.

Die Betriebskosten, die ungefähr 3080 Mark im Jahre betragen, werden aufgebracht durch freiwillige Beiträge und durch den Erlös an Eintritts- und Kostgeld. Das Eintrittsgeld beträgt für den Vormittagskursus 3 Mark, für den Abendkursus 1 Mark. Für die Portion Essen entrichtet jede Schülerin wöchentlich 50 Pfennig, für die Unkosten beim Waschen und Plätten beim Eintritt 2 Mark.

Die wenn auch kurze Erfahrung in der Schule hat gezeigt, daß aus derselben gerne Dienstboten entnommen werden von solchen Herrschaften, die auf eine tüchtige Unterweisung in den Grundlagen der Haushaltungskunde Werth legen; darauf baut sich später leicht die Kenntniß der feineren Küche auf.

Es ist eine Freude, zu sehen, wie gern und fröhlich die Mädchen arbeiten, wie willig und anstellig sie beim Lernen sind. Die Abendschülerinnen, meist aus Lohnarbeiterinnen bestehend, kommen vielfach sehr müde zum Unterricht, der deshalb auf das Kochen an zwei Abenden beschränkt worden ist. Um dies auszugleichen, ist für die Mittwochabende eine Nähstunde eingerichtet worden, in der die Schülerinnen der Anstalt umsonst im Nähen, Flicken und Zuschneiden Unterweisung erhalten; gern werden hierzu auch Mädchen und Frauen jeden Alters hinzugenommen, die dann monatlich 50 Pfennig zu bezahlen haben. Die Morgenschülerinnen, die meist eben der Schule entwachsen sind, blühen förmlich auf bei guter Kost und angemessener Arbeit.

So sei dies Werk menschenfreundlicher Thätigkeit ebenso der Nacheiferung wie dem fleißigen Besuch empfohlen. Die Schuldirektoren werden sich den Dank der abgehenden Schülerinnen erwerben wie die Fabrikbesitzer den ihrer Arbeiterinnen, wenn sie dieselben, die meist zu schwach sind, in einen Dienst einzutreten, auf die Vorzüge der Anstalt aufmerksam machen. Der Segen wird nicht ausbleiben, wenn immer mehr Mädchen zu tüchtigen Hausfrauen vorgebildet werden, die auch mit geringen Mitteln es verstehen, Mann und Kindern das Haus lieb und angenehm zu machen. Frau Lotte Windscheid.