Die Ursache des Einschlagens vom Blitze:§ 36

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Die Ursache des Einschlagens vom Blitze ab S. 118
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§. 36.

Noch eine Hinderniß der Entdeckungen müssen wir nicht vorbey gehen, welches hauptsächlich bey Gelehrten Statt findet. Dies ist die Einbildung, daß man schon genug wisse, und ohne weiter nachzuforschen, alles zureichend einsehen und erklären könne. Diese Meynung hat gewiß in den vorigen Jahrhunderten sehr schädliche Würkungen gehabt, und das Wachsthum aller Wissenschaften gehindert. Man stand in den Gedanken, daß man bereits fast alle Würkungen und Eräugnungen in der Natur verstehe: indessen begnügte man sich mit leeren Hirngespinnsten, welche man Lehrgebäude nannte, und als ausgemachte Wahrheiten ansahe. Der Schüler sprach sie dem Lehrmeister nach, und war eben so stolz auf seine grosse Einsicht als jener, und eben so unbemühet, der Wahrheit weiter nachzuspüren. Zum rechten Glücke für die Erweiterung wahrer Kenntnisse, kam der grosse Franz Bacon, und lehrete zu Anfange des vorigen Jahrhunderts die sichere Spur, daß man die Einbildungen verläugnen, und die Wahrheit erst durch wirkliche Erfahrungen entdecken müsse *). Seit der Zeit, da dieser Weg eingeschlagen worden, haben wir in Europa mit zuverläßigen Schritten viel grös|[124]sern Fortgang gemacht, als je in vorigen Zeiten und in andern Ländern geschehen ist. Und da man in England insbesondere an diesem Vorsatze, alles durch Erfahrungen zu untersuchen, Geschmack gefunden hat, so sind auch dortige geschickte Köpfe seit dem vorigen Jahrhundert an nützlichen Entdeckungen besonders fruchtbar gewesen. Ich will abermals nur das Beyspiel der electrischen Versuche anführen. Herr Gralath *) und der Herr Baron von Wolf selber **), gestehen, daß die Deutschen wohl vornemlich aus der Ursache die electrischen Versuche, darinn sie doch ihrem Landsmanne Guericke am ersten hätten folgen sollen, versäumet hätten, weil sie gemeinet, daß das Anziehen der geriebenen electrischen Körper genugsam durch die erregte Wärme und verdünnete Luft erkläret, und[1] also hiebey nichts weiter nachzuforschen wäre †) |[125] Die Engländer hingegen waren eifrig bemühet, der durch Newton auf die Bahn gebrachten allgemeinen Anziehung nachzuspüren, und machten desfals viele neue Versuche und Bemerkungen. Irreten sie nun gleich in der Art sich auszudrücken, und vielleicht auch in ihrer Vorstellung, da sie glaubten, ein Körper könne ohne Zwischenmittel auf einen entfernten würken; so forschten sie doch einer verborgenen wahren Kraft nach, die Ursache mochte nun stecken wo sie wollte, und es war besser ohne Vorurtheil Wahrheiten aufzuspüren, als sie, weil man sich schon mehr zu wissen einbildete, zu übersehen *). Ver|[126]nünftiges Nachdenken, und die Erforschung der Ursachen bleiben indessen allemal in ihrem Wehrte: auch Hypothesen, oder muthmaßlich angenommene Erklärungen, haben grossen Nutzen. Sie können uns theils zu Beobachtungen leiten, theils zu Vergleichung der Wahrnehmungen, theils zu neuen Versuchen Anlaß geben. Aber sie müssen nicht mehr gelten als Muthmassungen, welche man untersuchen und auf die Probe stellen sollte, so, wie sie verschiedenen geschickten Männern auch bey den electrischen Versuchen gedienet haben. Alsdann aber sind Hypothesen oder eingebildete Lehrgebäude schädlich gewesen, wenn sie, wie oft geschehen, vielmehr gehindert haben, das zu se|[127]hen oder sehen zu wollen, was man sonst hätte wahrnehmen können. Unsere Schlüsse sind sehr mangelhaft, wenn sie nicht durch Erfahrungen unterstützet werden, und ausser dieser beträgt alle menschliche Wissenschaft überaus wenig. Nie sollten wir die Empfindung unserer Unwissenheit aus dem Sinne lassen, woferne wir noch würklich in Wissenschaften zunehmen wollen. Wer weiß, wie viele verborgene und nützliche Eigenschaften und Kräfte in der Natur und allerley Körpern, noch künftig durch Beobachtungen und Versuche entdecket werden, welche itzt vielleicht, da man sie schon hätte bemerken können, unter dem verlachten Namen der Sympathie und Antipathie verworfen werden? Würden uns aber die magnetischen und electrischen, wie auch verschiedene chymische Würkungen nicht eben so unglaublich vorkommen, wenn wir nun zuerst von Unverständigen die Nachricht davon erhielten? Es ist ein Irrthum, wenn man mit jenen Worten eine Würkung ohne Ursache andeuten, oder auch das Ansehen haben will, mit einem unverständlichen Namen die Ursache genug zu erklären: allein, es ist auch ein schädlicher Irrthum, die Sache zu verwerfen, weil wir die Ursache nicht begreifen können. Erst späte wird der menschliche Verstand so weit kommen, die Verwandschaft der Kräfte auszufinden, welche wir fürs erste nach ihren verschiedenen Würkungen als verschieden aufsuchen müssen.

|[123]*) Der berühmte Des Cartes in Frankreich, versprach zwar auch, alle Vorurtheile zu verbannen, und alle Wahrheiten von Anfang an aufs neue zu untersuchen. Da er aber den Weg der Erfahrung verließ, verirrete er sich in Wirbel von Einbildungen.

|[124]*) I. c. 1ster Th. §. 49. p. 263. 267.

**) In einem Schreiben von der Electricität an Herrn Prodechant Wolshoffer. Frf. und Leipz. 1755. 4. p 7. sq.

†)[2] So findet man es auch in Wolffens Nützl. Versuchen T. III §. 45, erkläret. Neuerlich hat Hr. P. Beccaria (Phil. Trans. Vol. LI. p. 515.[3] sq.) durch einen geschickten Versuch gezeiget, daß würklich durch Wegnehmung der Luft die Erscheinung der Anziehung bey der Electricität aufgehoben werde, indem ein leichter Klöppel, der an einem seidenen Faden zwischen einem electrisirten und nicht electrisirten Körper hän|[125]get, nach Masse, wie die Luft ausgepumpet wird, nachlässet und aufhöret hin und her zu fliegen. Wenn er aber daraus schliessen will, die Ursache sey, weil das electrische Feuer, welches von dem einen in den andern Körper führe, die Luft aus dem Zwischenraume wegwürfe, und solche demnach von hinten die Körper zusammen drücken müsse, so liesse sich noch etwas einwenden. Die Zusammennäherung der Körper geschiehet, ehe die Electricität des einen dem andern mitgetheilet wird: und, wenn die Funken zwischen beyden entstehen, (dadurch eben, seiner Meinung nach, die Feuermaterie zwischen fahren müßte) so werden vielmehr die Körper, wie ich eben not. **. p. 75. erinnert habe, von einander getrieben. Man könnte also bey seiner Wahrnehmung sagen, daß weil das Feuer im luftleeren Raume freyer und weiter von einem Körper zum andern fähret, selbige entfernet bleiben müssen.

*) So begnügten sich die Alten mit der Erklärung |[126] des Blitzes, die Wolken würden vom Winde an einandergeschlagen, daß es rasselte, und die Funken davon sprüngen (Senec. Nat. Qu. L. I. c. 1. L. II c. 27. sqq.). Nachdem das Schießpulver entdecket war, zweifelte man nicht, daß Schwefel, Salpeter und Kohlen in der Luft entzündet wurden, obgleich die Verschiedenheit der Würkung einer solchen Entzündung und eines Blitzes leicht hätten können eingesehen werden. — Ich fürchte, daß wir itzt einen ähnlichen Fehler begehen, wenn wir z. E. das Erdbeben, oder andere Naturbegebenheiten, welche doch ganz verschiedene Eigenschaften zeigen, bloß aus der Electricität erklären wollen. So sind auch das sogenannte Sternschiessen und die Lufterscheinungen der Feuerkugeln, wie auf der Erde die Irrlichte und s. w. von electrischen Funken wohl zu unterscheiden. Das Nordlicht aber kömmt mit dem electrischen Glanze in verdünnter Luft überein.

Anmerkungen (Wikisource)

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  1. uud ist offensichtlich ein Druckfehler
  2. Wechsel der Zeichen dieser Art (vgl. auch oben im Text) hatten ihre Ursache gewöhnlich in einem nicht ausreichenden Vorrat derselben – hier des Verweis-Astérisque – für den Satz einer Buchlage.
  3. Phil. Trans. Vol. LI. p. 515. – Giovanni Battista Beccaria: Experiments in Electricity: In a Letter from Father Beccaria, Professor of Experimental Philosophy at Turin, to Benjamin Franklin, L. L. D. F. R. S., in: Philosophical Transactions 51 (1759/1760), S. 514–526, hier S. 515.