Die Unterirdischen
Auf einem Berge in der Nähe von Kiel haftete einst ein besonderer Segen. Wenn der Bauer dort vom Morgen [92] an gepflügt hatte und nun endlich die Ruhezeit am Mittag da war, so brauchte er nicht nach Hause zu gehen um Mittag zu essen; denn um diese Stunde stand da ein Tisch vor ihm, sobald er sich umkehrte, gedeckt mit feinem Tafelgeräth und beladen mit trefflichen Speisen. Wie gut es gewesen sey dort zu pflügen, das wußte der Bauer wohl, der uns dies erzählt hat, denn manches Mal hatte er mitgegessen am Tische der Unterirdischen. Aber Vorwitz und Uebermuth machten der Herrlichkeit ein Ende. Einst war auch ein Junge mit bei dem Essen, der wohl noch, wie man sagt, in seinen Flegeljahren seyn mochte. Der wollte die unsichtbaren Wirthe narren und nahm ihnen darum beim Aufstehen eine Gabel mit. Niemand hatte es gemerkt, aber als den andern Tag der Tisch wegblieb und die Bauern nach Hause gehen mußten, wo für sie nicht zugekocht war, da erschrak er und gestand sein Vergehen. Die Leute aber hießen ihn hingehen und die Gabel wieder zurückbringen. Das that er denn auch, und wie er auf’s Feld kam mit der Gabel, da stieg der Tisch vor ihm auf mit allem Geräthe, und es fehlte nur die Gabel. Die legte er darauf an ihren Platz, da versank der Tisch und ist seitdem nicht wieder gesehen. So müssen auch dorthin die Bauern sich ihr Essen weit her bringen lassen um den fürwitzigen Jungen.
Einmal beschlossen einige junge Bauern, ein Unnereerschen einzufangen. Obgleich Manche von diesem Unternehmen abriethen, so konnten doch die Uebrigen der Lust zu diesem Abenteuer nicht widerstehen. Indeß diese Wesen kommen bei Tage nie und zur Nachtzeit nur selten zum Vorschein, es war die Sache auch keineswegs leicht. Sie [93] ließen es bis zur Johannisnacht, da stellten mehrere von den Beherztesten sich auf die Lauer, um ein Unnereerschen zu erwischen. Doch das Völklein ist flüchtig und ihre Schlupflöcher klein, fast wären sie alle entkommen, wenn nicht der Behendeste der jungen Burschen noch so eben ein kleines Mädchen von den Unnereerschen bei der Schürze gehascht hätte. In vollem Jubel wurde das widerstrebend Kind zu der jungen Frau eines der Räuber in’s Haus getragen. Die rügte den Frevel, und nahm die Kleine freundlich auf den Schooß und schmeichelte ihr; sie gab ihr Zucker und Leckerbissen und fragte sie darauf wie sie hieße, wie alt sie sey, was sie gelernt habe und solche Fragen mehr. Die Kleine weinte nicht und lachte nicht und sprach und brach nicht. So blieb es einen Tag wie alle, kein Laut war aus ihr durch Versprechungen oder Drohungen herauszubringen. Da kam einmal ein altes Mütterchen gegangen, die fragten sie um Rath. Das ist leicht, sagte die Alte, ihr dürft nur Alles verkehrt anfangen, das können die Unnereerschen nicht vertragen und so ist ihnen die Zunge gelöst. – Die junge Frau merkte sich den Rath, und nahm die Kleine mit in die Küche; da befahl sie ihr, den Torf zur Suppe sauber abzuwaschen, während sie das Fleisch zerhacke, um Feuer damit anzulegen. Die Kleine rührte sich nicht. Da nahm die Frau selbst den Torf und wusch ihn dreimal sauber ab. Die Kleine staunte, aber sie rührte sich nicht. Als die Frau nun aber auch das Fleisch zerhackt hatte und Feuer damit anlegen wollte, da sagte sie: „Frau, ihr werdet euch doch nicht an Gott versündigen wollen?“ – „Nein“, versetzte die Frau, „wenn du sprechen willst, will ich recht thun, sonst aber verkehrt.“
Seit der Zeit sprach die Kleine, bald aber fand sie Gelegenheit zu entwischen. Als kurz darauf die Frau ein [94] Töchterlein geboren hatte, lag am andern Morgen ein Wechselbalg in der Wiege. Die Unnereerschen hatten das Kind geholt.
Wer kocht zum Schein in einem Ei
Für zehen Knecht’ der Meierei,
Zum Sprechen zwingt den Sohn der Fei.[WS 1]
Und als die Frau dieß thut, ruft der Wechselbalg:
Mutter, in einem Ei für zehn? –
Ich hab’ das Ei vor’m Huhn gesehn,
Die Eichel, eh’ der Baum mocht’ stehn;
Die Eichel und das Reis zumal,
Die Eich’ im Forste von Bregal,
Doch Solches sah’ ich noch niemal!
Ein Bauer war so gewaltig auf das Schatzgraben versessen, daß er fast von nichts Anderem mehr dachte und redete. Ein Nachbar aber, mit dem er einmal im Kruge in Streit gerathen war und der dabei bedeutend den Kürzeren gezogen hatte, entdeckte zufällig eine Höhle der Unnereerschen und suchte sich durch diese an dem Schatzgräber zu rächen. „Höre“, sagte er ihm den andern Tag, „ich will dir nur sagen, daß ich längst die Stelle gewußt habe, wo ein Schatz verborgen liegt, aber ich habe nicht den Muth, ihn zu heben. Gehe du hin und hole ihn, so wollen wir ihn theilen.“ – Das nahm der Andre bereitwillig an. Da beschrieb ihm denn sein Nachbar genau die Stelle, nämlich da, wo die Höhle der Unnereerschen war, dort müsse er hinter dem Hügel mäuschenstille stehen bleiben, bis sich etwas rege: dann solle er mit seinem Spaten darauf losstoßen, denn das sey der Drache, der den Schatz hüte.
[95] Der Bauer that wie ihm gesagt war, er begab sich zur gehörigen Zeit an die Stelle, und als er ein Rascheln merkte, stieß er darauf los. plötzlich erscholl ein feiner durchbringender Schrei; im Augenblick war er von den Unnereerschen umzingelt, von denen er eins mit seinem Spaten tödtlich verwundet hatte. Zwei von den Kleinen trugen den Verwundeten hinweg, die Uebrigen fielen über den unglücklichen Schatzgräber her, kletterten an ihm hinauf, hackten und kratzten ihm Nase und Augen aus, und bissen ihm die Ohren ab. Der Bauer rief die Formel, die er wußte „Alle guten Geister loben Gott den Herrn!“ Aber die Kleinen riefen. „Wir loben ihn wohl mehr, als du, du Mörder!“ – Da fuhr zum Glück ein Priester vorüber, der einem Sterbenden das Sakrament gereicht hatte. Dieser hörte den Hülferuf aus der Höhle und trat hinein, er hielt das Kruzifix in die Höhe und rief „Weichet Diesem!“ Da waren die Unnereerschen im Nu verschwunden. „Se gloovten wol an Gott“, setzte der Erzähler hinzu, „aber se harrn doch keen Christendom!“
Dem Bauer aber ward es nie wieder wohl in dieser Gegend: seine Felder wurden ihm zertreten und Gänse und Lämmer starben aus dem Felde. Daher verließ er das Dorf und siedelte sich in einer andern Heimath an.
Anmerkungen (Wikisource)
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