Die Theorie der Kopfabschneider

Textdaten
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Autor: Georg Horn
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Titel: Die Theorie der Kopfabschneider
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 291
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[291] Die Theorie der Kopfabschneider. Es war bekanntlich dem Kriegsminister Gambetta vorbehalten, die unter dem Namen „die Kopfabschneider“ selbst in der französischen Armee berüchtigten afrikanischen Reiterhorden, „die Gums“, von denen man sagte, daß sie mit der Gestalt des Menschen die Instincte des wilden Thieres vereinen, nach Frankreich zu rufen und der Loire-Armee als reguläre Truppe, als Spahis, mit der Bestimmung einzuverleiben, Schrecken und Tod in den Reihen der Preußen zu verbreiten. In welchem Rufe aber diese Gums bei ihren Landsleuten, den regulären Spahis stehen, unter welche man sie gesteckt hatte, davon Folgendes als Beispiel. Der General v. Schmidt, ein Stück Seydlitz und Ziethen, und dabei ein wahrer Vater für seine Soldaten, hatte zwei reguläre in der Gegend von Laval gefangene Spahis vor sich kommen lassen und sagte ihnen:

„Ich sollte Euch eigentlich hängen lassen, denn Ihr habt mir zwei meiner besten Ulanen caput gemacht. Ihr seid nicht werth, daß Euch das Sonnenlicht mehr bescheint – hängen, baumeln müßtet Ihr! Zwei meiner Leute so zu maltraitiren!“

Diesen Vorwurf wiesen die Spahis von sich ab und schoben diese Grausamkeit den Gums zu, mit denen sie zwar in einer Truppe dienen müßten, aber nie irgendwelche Gemeinschaft hätten. Sie verachteten und verabscheuten dieselben, wie der Mensch den Tiger, der bereit ist, ihm jeden Moment in den Nacken zu springen und ihn zu zerreißen. Die Gums seien von jeder Verbindung mit anderen Truppentheilen ausgeschlossen, sie bekämen nicht wie diese Verpflegung, sondern jeden Tag eine gewisse Löhnung, von welcher sie sich ihren Unterhalt beschaffen müßten.

Ich sah die zwei Gefangenen, die nach Le Mans gebracht wurden. Der eine mochte etwa achtundzwanzig Jahre alt sein, der andere zwanzig; der jüngere war der vornehmere, er selbst sagte, daß er der Sohn eines Kaïd sei und viel Land und viele Herden besitze. Sein Aeußeres war auch viel edler und vornehmer, als das des andern, den er mit einer gewissen Geringschätzung behandelte; derselbe war klein und von ungeschlachtem Gliederbau, während der jüngere fein und schlank gebaut war, edle und feingeschnittene Gesichtszüge hatte, ein blitzendes Auge und einen elastischen Gang. Die kleinen stechenden schwarzen Augen des Aelteren dagegen, die dunklen hellglänzenden Fleischmassen, die dicken Lippen, die platte Nase verriethen in ihrer Form wilde und thierische Triebe, und waren von einem lauernden, heimtückischen Ausdruck. Dazu hatte er einen Hieb über dem Kopfe, und die weiße Bandage verlieh ihm noch eine unheimliche Beleuchtung. Er trug ein Costüm von hellblauem Tuch, weite Beinkleider, die in einem Stücke gemacht waren, eine Jacke mit einem herzförmigen weißtuchenen Regimentsabzeichen auf der linken Seite, um die Schultern einen blauen mit weißem Leinen gefütterten Burnus, um den Kopf ein langes Stück Leinenzeug, das in Form eines Turbans und zugleich einer Capuze um denselben gewunden war. Der Burnus des Jüngeren war von brauner Farbe; dieser war jedoch nicht in Uniform, er hatte seine Tuchkleider abgelegt und befand sich quasi in Negligé, in Leinwandkleidern die vor so und so vieler Zeit einst weiß gewesen sein mochten, jetzt unterschieden sie sich wenig von dem braunen Tuche. Als Fußbekleidung trugen Beide Schuhe und Gamaschen. Als der Jüngere gefangen genommen worden war – er kam seinen Turban schwenkend wie eine Katze über die Knicks geklettert –, da umstanden ihn die Ulanen und betrachteten sich das fremde Menschenkind. „Ha,“ sagte der eine, „wie kann he denn reiten? he hat doch keene Sprungriemen!“

Der Aeltere sprach leidlich Französisch, wenn auch mit rauhen tiefen Gaumenlauten, der Jüngere sprach nur Arabisch, von europäischen Sprachen waren ihm nur zwei Worte geläufig: Pruss und Anisette. Da mit diesem geringen Wortvorrathe eine Unterhaltung wohl nicht gut möglich war, so benützten wir den Aelteren als Dolmetscher. Zuerst frugen wir ihn, was er denn von den Pruss hielte? Da blitzten seine Augen in jacher, unheimlicher Gluth auf, wild wehrte er mit den beiden mageren, sehnigen Armen ab, und seine Stimme ahmte das Hurrahgeschrei unserer Truppen nach, dann nahm er seinen Burnus und verhüllte damit sein Haupt. Der wachhabende Officier, Lieutenant Schuchardt, erzählt mir, daß Beide dasselbe gethan, als sie in die Caserne gebracht wurden, wo neben den Gefangenen auch Verwundete lagen, als sie dort der preußischen Krankenträger ansichtig wurden; dabei hatten sie außerdem noch heulende Klagetöne ausgestoßen. Mit den Sympathien für uns war es also schlecht bestellt, dagegen besser mit denen für Anisette und Tabak. Wein ließen sie Beide stehen, dagegen hatten sie eine halbe Flasche des genannten Liqueurs in einem Nu geleert und sahen sich nach mehr um. Ebenso empfänglich schien ihr Gemüth für Cigarren zu sein.

Der Aeltere erzählte dann, daß sie erst seit vier Wochen aus Afrika gekommen seien, daß sie nur sehr ungern ihr Land verlassen hätten, daß sie gezwungen worden seien. „Denn was geht das uns in unserem Lande an, wenn der Pruß und Franzos miteinander Krieg anfangen?“ raisonnirte er. Sie hätten viel von der Kälte zu leiden gehabt, mehr noch ihre Pferde, die das Futter und das Klima nicht vertragen konnten und zum großen Theile gestorben seien.

Auf unsere Frage, ob sie verheirathet seien, nickten sie Beide sehr lebhaft mit den Köpfen; der Aeltere sagte, daß er nur zwei Frauen habe, da er nicht reich genug sei, mehr zu ernähren, der Jüngere dagegen streckte vier Finger in die Höhe, um dadurch die Zahl seiner Frauen anzudeuten. Zuletzt richteten wir die Frage an sie, ob es denn wahr sei, daß sie den Gefangenen, die sie im Kampfe machten, die Köpfe abschnitten. Darauf waren Beide still, und als wir die Frage wiederholten, äußerte der Aeltere mit ernstem, sinnendem Ausdrucke, der Gefangene sei ein Feind, und einem Feinde dürfe man auf der Erde nichts Gutes gönnen, noch weniger dürfe man ihm das Paradies wünschen; Einer aber, dem der Kopf abgeschnitten sei, der könne niemals in das Paradies kommen, und darum thäten sie an allen ihren Feinden so. „Allah will es!“ schloß er mit feierlichem Tone seine Rede.
Georg Horn.