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Autor: Ludwig Anzengruber
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Titel: Die Spinnen und die Fliegen
Untertitel:
aus: Die zehnte Muse. Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl. S. 254–255
Herausgeber: Maximilian Bern
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Otto Eisner
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons = Google-USA*
Kurzbeschreibung:
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[254]

Die Spinnen und die Fliegen.

In einem Schlösschen, das verlassen
Und darum halb verfallen stand,
Herbergten in den öden Räumen
Viel Dutzend Spinnen an der Wind.

5
Gesundheit halber aber mochte

Der letzte der Insassen hier
Zerbroch’ne Scheiben nicht vertragen
Und flickte alles mit Papier.

Er schnitt dadurch den vielen Spinnen

10
Der Nahrung Zufuhr gründlich ab,

Von aussen kam nicht eine Fliege,
Wie es bald innen keine gab.

Die netzewebende Gemeinde,
Die wusste nicht, wie ihr geschah,

15
Und war nach langem, grimmen Fasten

Dem bittern Hungertode nah.

Da ward für den, der Kraft noch fühlte,
Die Selbsterhaltung zum Gesetz,
Er lud beim Schwächern sich zu Gaste

20
Und frass ihn auf im eignen Netz.


Doch als zu höchst die Not gestiegen,
Da fügte sich, dass vor dem Schloss
Ein muntrer Knab’ vorbeigezogen,
Den lange Weile just verdross.

25
Er raffte Kiesel auf vom Wege

Und nahm die Fenster sich zum Ziel,
Nur wenig heile Scheiben blieben
Nach diesem ritterlichen Spiel.

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Und durch die Lücken schwärmten Fliegen

30
In Hülle und in Fülle ein,

Die Spinnen sagten: Gottes Güte
Regierte sichtbarlich den Stein!

Sie falteten die Vorderbeine
Und dankten ihm, der alle nährt,

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Und haben dann mit frommen Sinnen

Die Fliegen reinlich aufgezehrt.

Doch meinte deren Schwarm hinwieder –
Der rings bestrickt vom Tod sich fand –
Die Scheiben habe ausgebrochen

40
Der Satan mit selbsteigner Hand.


Entging den grimmen Stricken eine,
Durch Gottes Huld hielt sie sich frei,
Und ward sie dennoch aufgefressen,
So meint’ sie, dass es Prüfung sei.

45
Das gilt von Fliegen und von Spinnen,

Die an Vernunft nicht überreich;
Doch sind wir klugen Menschen ihnen,
Gottlob, in keinem Punkte gleich.


Ludwig Anzengruber.