Die Sonne als geographischer Kupferstecher

Textdaten
<<< >>>
Autor: J. Loewenberg
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Sonne als geographischer Kupferstecher
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 834–836
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[834]
Die Sonne als geographischer Kupferstecher.

„Es ist eine der erstaunenswürdigsten Entdeckungen unserer Zeit. Mit dem Effect auf Chlor-Silber hat es nichts gemein; hier bringt Licht Licht hervor, ein Bleichproceß, wie ein Gitter nach Monaten sich auf einer rosenroth unecht gefärbten Gardine abbildet. Man sieht bei Daguerre nur sechszig bis siebenzig Bilder in Rahmen unter Glas, meist auf Metall, einige weniger gute auf Papier und auf Glasplatten gebildet, alle dem feinsten Stahlstich ähnlich, von bräunlich grauem Biesterton, die Luft immer etwas traurig und verwischt. Die schärfsten Abstufungen der Hellschatten, die Verschiedenheit des Seine-Wassers unter den Brücken, oder in der Mitte des Flusses, die Oberfläche des feuchten Gesteins, des Gemäuers, hat eine Wahrheit, die kein Kupferstich erreicht. Der generelle Ton zart, fein, aber als braungrau etwas traurig. – Arago hat jetzt das Geheimniß von Daguerre erhalten und hat in zehn Minuten ein vollendetes Bild unter seinen Augen entstehen sehen. Das Bild zeigte einen fernen Blitzableiter, denn Arago mit bloßen Augen nicht gesehen hatte. Welch ein Vortheil für Architekten, den ganzen Säulengang von Baalbek oder den Krimskrams einer gothischen Kirche in zehn Minuten in Perspective auf dem Bilde mitzunehmen!“

Dies schrieb Alexander von Humboldt am 25. Februar 1839 an Carus in Dresden, als er in Paris Daguerre’s Erfindung kennen gelernt hatte. Seitdem sind noch nicht vier Jahrzehnte vorüber gegangen, und die Photographie hat die Daguerreotypie längst überholt und wird in mannigfachen Processen ausgeübt. Man kennt unter andern die Photolithographie, die Photozinkographie, den photographischen Silberproceß, den Pigmentproceß, die eingebrannte Photographie aus Glas und Porcellan; endlich nennen wir noch die Heliographie. Alle diese Processe und Verfahrungsarten werden insgesammt im Dienste der mannigfachsten Künste und Wissenschaften angewandt.

[835] Es ist hier nicht der Zweck noch der Ort, diese verschiedenen Verfahrungsarten zu beschreiben. Wir wollen hier nur von den neuesten staunens- und bewundernswerthen Leistungen der Heliographie oder Heliogravüre, das ist des Sonnenkupferstichs im Dienste der Geographie und Kartographie Nachricht geben, nämlich von der Herstellung der großen Generalstabskarte der österreichisch-ungarischen Monarchie, 715 Blätter im Maßstabe von 1:75.000.

Bei der Herstellung eines so umfangreichen Kartenwerks, das selbst die kleinsten Einzelheiten berücksichtigen muß, sind, ganz abgesehen von der Richtigkeit und der künstlerischen Ausführung der Aufnahme, der Zeichnung, des Stichs etc., zwei wesentliche Momente zu beachten: die Zeit und die Kosten. Schnelligkeit und Billigkeit sind Cardinalforderungen.

Was nützen Karten, welche erst nach zwanzig bis dreißig Jahren vollendet werden, während welcher Zeit sich Straßen und Wege, Oertlichkeiten, oft selbst Boden- und Terrainverhältnisse wesentlich geändert haben, sodaß die ersten Blätter veraltet sind, ehe die letzten vollendet worden? Was nützen Karten, wenn ihr hoher Preis die Beschaffung erschwert oder gar verhindert?

Aus militärischen Gründen werden freilich alle Staaten zu allen Zeiten einzelne Karten geheim halten. Friedrich der Große hatte die Erlaubniß zur Veröffentlichung der neuen Müller’schen Karte von Schlesien vierzehn Jahre lang verweigert und ertheilte sie zuletzt nur unter der erniedrigenden Bedingung, daß die zahlreichen Fehler der alten Stiche unverbessert blieben; – 1764 wurden die Platten einer neuen Karte der Burggrafschaft Nürnberg vernichtet und ihr Verfasser Knopf bestraft. Solche Maßnahmen fanden immer und überall statt. Um so erfreulicher sind die Rücksichten, welche die österreichische Regierung bei Herausgabe der großen Generalstabskarte auch für die leichte Beschaffung derselben beobachtet. Diese Rücksichten auf Billigkeit und Schnelligkeit bei Herstellung der genannten Karte ließen indeß den bisher üblichen Kupferstich nicht anwenden. Denn Ein Kupferstecher braucht durchschnittlich über vierthalb Jahre zum Stich einer Platte. Die siebenhundertfünfzehn Blätter oder Platten würden also hundert Kupferstecher durch wenigstens fünfundzwanzig Jahre in Anspruch genommen haben. Dabei wäre auch noch in Betracht zu ziehen, daß die Arbeiten an dieser Karte kaum die Hälfte der in Kupfer herzustellenden Arbeiten repräsentiren, diese Anzahl der Kupferstecher also eigentlich verdoppelt werden müßte. Wo aber fände sich eine solche Zahl gleichmäßig geschickter Kupferstecher, da, um auch nur einen regelmäßigen Kupferstecher auszubilden, wohl zehn Jahre erforderlich sind? Man entschloß sich daher nach dem Vorschlage und dem Plane des früheren Chefs des militärgeographischen Instituts in Wien, des Feldzeugmeisters und commandirenden Generals Baron von Kuhn, zur Herstellung der großen Generalstabskarte die Heliographie in photographisch- galvanoplastischer Methode ohne jede Beihülfe des Kupferstechers anzuwenden.

Die verschiedenen Methoden der Heliographie oder Heliogravüre sind unter Kunst- und Fachtechnikern längst bekannt. Ueberzieht man eine Metallplatte mit einer Auflösung von Asphalt und Lavendelöl, trocknet die Schicht und belichtet sie unter einer auf durchscheinendem Papier gefertigten Zeichnung, so lassen die schwarzen Striche der Zeichnung das Licht nicht durch und der Asphalt auf den darunter befindlichen Stellen bleibt daher löslich; unter den weißen Stellen der Zeichnung aber, die das Licht durchgelassen haben, ist der Asphalt unlöslich. Behandelt man nun die so belichtete Platte mit Lavendelöl, so nimmt dasselbe den löslichen Asphalt weg, während der unauflösliche zurück bleibt. Die Platte behält daher an allen Stellen, die nicht durch die Striche der Zeichnung gedeckt waren, ihren Asphaltbezug. Gießt man nun eine ätzende Säure auf die Platte, so frißt dieselbe an allen Stellen, von denen der Asphalt weggenommen wurde, die Metallplatte an, während die mit Asphalt bedeckte Fläche unverändert bleibt, und man erhält ein erhöhtes Bild auf der Platte, das einer Radirung der Zeichnung vollständig ähnlich ist. – Ein anderes Verfahren ist die Metallplatte mit einer Mischung von chromsaurem Kali und Leim zu überziehen. Dieser Ueberzug verliert bei der Belichtung seine Löslichkeit in warmem Wasser, wie Asphalt im Licht seine Löslichkeit in ätherischen Oelen verliert, während die unbelichteten Theile von dem Bezuge rein gewaschen und geätzt eine Radirung darbieten. – Ein ferneres Verfahren fertigt auf gewöhnlichem photographischem Wege mittelst Silberfalzen von der Zeichnung ein positives Bild auf Collodium. Dieses Bild ist ein schwaches Relief, welches, durch geschickte Verstärkung erhöht, dann galvanoplastisch niedergeschlagen, ebenfalls eine druckbare Metallplatte liefert. Diese Methoden sind zur Herstellung von Druckplatten nach Zeichnungen, die in Strichmanier ausgeführt sind, wie Landkarten, vorzugsweise geeignet und sind jetzt in der Kartographie zum ersten Male in ebenso großartiger wie erfolgreicher Weise durch das k. k. militär-geographische Institut in Wien zur Anwendung gebracht worden.

Wenn bisher zur Herstellung einer Karte Zeichner und Kupferstecher nöthig waren und der Kupferstecher je nach der Menge und Schwierigkeit des Terrains zum Stich derselben vierthalb bis fünf Jahre brauchte, so macht die Heliogravüre den Kupferstecher ganz entbehrlich. Nach dem Zeichner tritt die Sonne an die Arbeit und mit Hülfe von etwas Scheidewasser giebt sie die Zeichnung in wenigen Wochen so vollendet genau wieder, wie sie der beste Kupferstecher nur in gleich vielen Jahren herzustellen vermag, und zwar ohne die Mühen und Sorgen, ohne den Kummer und Aerger, wie sie der Kupferstecher oft in höherem Maße verursacht, als die ursprüngliche geistige Arbeit der Zeichnung.

Die Zeichnung freilich erfordert für die Heliographie bei weitem mehr Sorgfalt, doppelt so viel Zeit und doppelt so viel Kosten wie für den Kupferstich. Sie muß so vollendet sein, daß auch nicht ein Pünktchen, ein Ton, auch nicht die geringste Nüancirung in einem mikroskopischen Theilchen zu verändern ist. Sie erfordert wissenschaftlich und künstlerisch gebildete Männer. Wo aber fände man solche methodisch gleichmäßig gebildete Männer in solcher Anzahl, wie sie für die k. k. Generalstabskarte unumgänglich nothwendig sind? –

Es war daher zunächst die Aufgabe, tüchtige topographische Zeichner für die Originalzeichnung auszubilden, welche für die heliographische Reproduction nicht blos, wie für den Kupferstecher, richtig, sondern auch schon im definitiven Charakter der Karte, möglichst präcis und scharf hergestellt werden muß. Hierzu wurde eine entsprechende Anzahl von Truppen-Officieren und Unterofficieren in das geographische Institut einberufen und ihre einheitliche Schulung für diese Aufgabe eingeleitet.

Diese Schulung der Zeichner begann im Herbste 1872, und in der zweiten Hälfte des Jahres 1873 konnte bereits mit der Zeichnung begonnen werden. Bis Ende 1874 wurden durch Heliographie achtundvierzig Blätter, im Jahre 1875 schon dreiundsiebenzig, 1876 gar dreiundachtzig und 1877 wieder siebenundsechszig Blätter, zusammen bis Ende 1877 zweihunderteinundsiebenzig Blätter, vollendet. Um diese zweihunderteinundsiebenzig Blätter in derselben Zeit in Kupfer zu stechen, in der sie heliographirt worden sind, würden etwa dreihundert Kupferstecher erforderlich gewesen sein.

Vergleichen wir die Leistungen der Heliogravüre und des Kupferstichs nach dem Aufwand von Zeit und Kosten für ein und dasselbe Blatt, so ergiebt sich: Zur Herstellung einer Karte im Maßstabe 1 : 75.000 braucht je nach dem Inhalt, namentlich dem Terrain des Blattes,

die Heliogravüre:   der Kupferstich:
Zeichnung 7,5 Monate   Zeichnung 3,7 Monate
heliogr. Proceß,
Retouche
1,5 Monate   Stich 42 Monate
  9 Monate.     45,7 Monate.

Die mittleren Kosten bei der Herstellung einer Druckplatte für ein Blatt 1 : 75.000 betragen bei Anwendung

der Heliogravüre:   des Kupferstichs:
Zeichnung 1000 Gulden   Zeichnung 500 Gulden
heliogr. Platten 45 Gulden   Stich 3500 Gulden
Retouche 50 Gulden   Kupferplatte 140 Gulden
  1095 Gulden.     4140 Gulden.

Eine anerkannte und vollberechtigte Autorität in der Beurtheilung der geographischen Kartographie, Professor August Petermann, sagte gelegentlich einer Besprechung dieser neuen österreichischen Generalstabskarte „Die Heliographie der Gegenwart verhält sich zu der altmodischen Arbeit des Grabstichels wie etwa ein Hinterlader zur Armbrust, wie der Dampfer zum Galeerenboot, wie die Locomotive zur Droschkenkarre oder zum Tragsessel,“ – [836] das klingt freilich etwas drastisch, immerhin aber ist dargethan daß die Heliographie zu vortrefflicher Herstellung einer Generalstabskarte mit reichstem, schwierigstem Terrain nur ein Fünftheil der Zeit und ein Viertheil der Kosten erfordert, welche der Kupferstich beanspruchen würde.

Die topographische Aufnahme oder die Generalstabskarte ist die höchste Leistung in der technischen, graphischen Erdkunde. Sie giebt die genaueste Abbildung der Erdoberfläche und ist die sicherste Basis für alle geographisch-topographische Kenntniß. Die Generalstabsinstitute waren immer die hohen Schulen für den gediegensten Theil der Kartographen. Es sind in ihnen die meisten und besten Zeichner und Stecher gebildet worden. Höchst wahrscheinlich, daß auch diese großartige heliographische Leistung des K. K. Oesterreichischen Militär-Geographischen Institutes nicht ohne Nutzen und Folgen für die allgemeine Kartentechnik bleibt.

Der Nutzen, den die Heliogravüre weiterhin noch für die Kartographie, und darum auch für die Geographie, haben dürfte, ist gar nicht zu ermessen, da ein so großartiges Kartenwerk, wie die neue topographische Aufnahme des Oesterreichisch-Ungarischen Kaiserstaates, in 715 stattlichen Blättern in der kurzen Zeit von zwölf Jahren brillant ausgeführt werden kann, und jede Verwandlung in andere Maßstäbe mit Leichtigkeit gestattet.

Vielleicht, – denn was wäre in unseren entdeckungs- und erfindungsreichen Tagen nicht möglich? – macht die Heliographie auch noch den Zeichner entbehrlich. Ein Photograph in einem Ballon captif, wie er schon oft zu militärischen Recognoscirungen gebraucht wurde, könnte leicht wie im Vogelfluge das Bild von der unter ihm liegenden Landschaft oder Gebirgsgegend aufnehmen, und – alles Weitere würde die Heliographie besorgen.

J. Loewenberg.