Die Sitte des Anstoßens mit Gläsern

Textdaten
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Titel: Die Sitte des Anstoßens mit Gläsern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 447–448
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[447] Die Sitte des Anstoßens mit Gläsern hat ihren Ursprung unzweifelhaft von dem Gebrauche des Zutrinkens abzuleiten, das hauptsächlich unter der Bedingung erfolgte, daß der Annehmende ebensoviel zu bewältigen hatte, als der Vorgänger mit einem Zuge zu leisten beliebte. Die Sitte des Zutrinkens, die später zur Unsitte auswuchs, ist uralt. Im Propheten Jesaias liest man, daß die Juden beim Leichenschmause sich gegenseitig einen Becher Weins zugetrunken und dabei einander getröstet haben. Die Griechen weihten ihren Trunk dem Preise einer seligen Gottheit, der Verherrlichung des Schönen und Guten, dem Heile der Geliebten. Die Römer erfanden die Galanterie des Namentrinkens, indem sie so viele Becher leerten, als der Name der Geliebten Buchstaben enthielt. Ueber das Zechtalent der alten Franken berichtet der Dichter Benantius Fortunatus, um 530 Bischof zu Poitiers: „Sänger sangen Lieder und spielten die Harfe dazu. Umher saßen Zuhörer bei ahornen Bechern und tranken wie Rasende Gesundheiten um die Wette. Wer nicht mitmachte, ward für einen Thoren gehalten. Man mußte sich glücklich preisen, nach dem Gelage noch zu leben.“ Das Zutrinken ward bei den Deutschen allmählich zum Wetttrinken, so daß Luther nicht unrecht hatte, als er in seiner Auslegung des 101. Psalmes sagte: „Es muß ein jeglich Land seinen eignen Teufel haben – unser deutscher Teufel wird ein guter Weinschlauch sein und muß ‚Sauf‘ heißen.“ Dieser Teufel „Sauf“ war die Veranlassung des Gebotes Karls des Großen, daß kein Graf, der nicht nüchtern sei, zu Gericht sitzen solle, und der an jeden Kaiser vor der Krönung in Rom gerichteten Frage: „Willst du mit Gottes Hilfe dich nüchtern halten?“ Zu Anfang des 16. Jahrhunderts hatte die Unsitte des Zutrinkens so um sich gegriffen, daß im Jahre 1513 Kurfürst Friedrich von Sachsen und sein Bruder Johann von Weimar aus eine Verordnung gegen das Laster des Zutrinkens erließen; andere Fürsten folgten mit ähnlichen Verordnungen, Mäßigkeitsorden wurden gestiftet, und auch die Schriftsteller kämpften gegen diesen Feind. Bei allen größeren Zechgelagen der Vorzeit ist es sehr laut hergegangen, und es bedurfte nur eines Schrittes, um vom Zutrinken zum Anstoßen zu kommen, dessen Töne den allgemeinen Lärm und damit die allgemeine Heiterkeit nur zu erhöhen geeignet waren. Es ist wahrscheinlich, daß das Anstoßen aber erst dann zur allgemeinen Sitte ward, als man [448] Gläser, die einen „guten Klang“ gaben, bei den Gelagen benutzte, denn hölzerne, thönerne und metallene Becher geben beim Anstoßen keine Musik. Nun hatten allerdings schon die Römer Gläser mannigfacher Art; eine Stelle, welche von dem Anstoßen derselben berichten würde, ist uns aber nicht bekannt. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß das Anstoßen erst zu Ende des Mittelalters und am Beginn der neuen Zeit, als das Zutrinken so arg ausgeartet war und die Fabrikation von Gläsern Fortschritte machte, allgemein in Schwang kam. Das sind aber alles Hypothesen, für welche der strenge Beweis mangelt. Es läßt sich der sichere Nachweis über den Ursprung dieses Gebrauches ebensowenig erbringen, als über die schöne Sitte des Küssens, des Grüßens und anderer Gebräuche, die wir doch auch üben und täglich vor Augen haben.