Die Schlummerstätte der Gräfin Rossi

Textdaten
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Autor: Louise Ernesti
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Titel: Die Schlummerstätte der Gräfin Rossi
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 91–95
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Schlummerstätte der Gräfin Rossi (Henriette Sontag).
Von Louise Ernesti.

Bereits im Jahre 1855, als ich in den Zeitungen las, daß die Leiche der in Mexiko am 17. Juni 1854 verstorbenen Gräfin Rossi, gebornen Henriette Sontag, nach Europa geschafft und in dem Kloster Marienthal beigesetzt worden sei, wo ihre einzige Schwester als Nonne lebt, hegte ich den Wunsch, diesen stillen Ruheplatz der berühmten, einst so gefeierten Sängerin kennen zu lernen. Zu jener Zeit dem Kloster Marienthal, das zwei Meilen von Görlitz liegt, zu fern, brachte erst der Herbst 1859, als ich auf einem nur wenige Stunden von Görlitz entfernten Gute zum Besuch war, die Erfüllung meines damaligen Wunsches.

In Begleitung einer ebenso muntern, wie geistvollen Reisegefährtin trat ich in der Frühe eines klaren Octobermorgens die Fahrt nach Marienthal an. Daß diese Reisegefährtin eine Verwandte meines alten Lieblings, des Feldmarschall „Vorwärts“ war, wußte ich; doch daß das Blücher’sche Blut so vorherrschend in ihren Adern sei, wie ich fand, hatte ich nicht gefürchtet. Wie ihr kühner Verwandter in der Schlacht mit Todesverachtung vorwärts eilte, so Fräulein Thekla auf dieser Reise! – – ich hatte gehofft, in Görlitz jene berühmte Wallfahrtsstätte früherer Zeiten, die von dem Bürgermeister Georg Emmerich im Jahre 1480 nach einem genauen Grundrisse des heiligen Grabes zu Jerusalem angelegte Nachbildung besuchen zu können; doch – ich sah dieses Görlitzer heilige Grab ebenso wenig wie die andere in der Stadt berühmte Ruhestätte des durch seine theosophisch-theologischen Schriften bekannt gewordenen Jakob Böhme. Die Parole des Tages lautete bei meiner Reisegefährtin nur auf „Marienthal“, und dahin eilten wir ohne Rast vorwärts, vorbei an der so wundersam geformten hohen Landskrone bei Görlitz, auf deren höchster Spitze noch der letzte Wartthurm von der einst so stolzen Burg der Herrn von Uechtritz emporragt; – vorbei an jenem altaristokratischen Fräuleinstift „Radmeritz“, dessen schönes Portal und stattliche Fronte ich nur durch die Gruppen der alten mächtigen Linden [92] schimmern sah, die das schöne schloßähnliche Gebäude umgeben. Von Radmeritz, dem Grenzorte Preußens und Sachsens, fuhren wir über Ostritz nach Marienthal. Der Weg ist hübsch und anmuthig, die Gegend überaus freundlich, doch wenig belebt. Je tiefer man in das von Bergen eng umschlossene, reizende Neißethal eindringt, in dem das Cistercienserkloster St. Marienthal liegt, desto stiller und einsamer wird es rings umher. Wir sahen auf der ganzen letzten Strecke nach Ostritz weder einen Menschen, noch ein anderes lebendes Wesen; wir vernahmen kein anderes Geräusch, als das Rollen unseres eigenen Wagens. Vergeblich lauschte ich dem Tone eines Vogels; vergeblich wünschte ich, um wenigstens etwas Leben und Bewegung zu haben, daß ein Windstoß die dunkeln, düstern, tannenbewaldeten Berge durchrauschen oder das goldige Laub von den schlanken Birken schütteln möchte, deren weiße Stämme hier und da zu Seiten des Weges auf dem grünen Rasen aufstiegen. Es sang und pfiff aber kein Vogel, es rauschte und regte sich nirgends ein Blatt. Am weiten Horizont zog keine Wolke; sondern licht, rein und klar wölbte sich der blaue Aether über dem einsamen, todtenstillen Thale. Die Natur stand im passendsten Einklang mit der friedlichen Lage des Klosters, dessen Mauern wir erst sahen, als wir an der Thür der Klosterschenke ausstiegen, welche fast dicht an die Klosterpforte stößt.

Kloster Marienthal.

Marienthal – Mariae vallis – eins der wenigen noch übrig gebliebenen Denkmale mittelalterlicher Frömmigkeit, liegt, genau bezeichnet, im königlich sächsischen Markgrafenthume Oberlausitz, am linken Flußufer der Neiße, die das Kloster im Süden und Osten umfließt. Von drei Seiten wird es dicht und enge von Bergen umschlossen, und malerischer und hübscher, aber zugleich abgeschiedener und einsamer kann so leicht kein Kloster liegen. Es macht einen friedlichen, tief poetischen, jedoch grenzenlos melancholischen Eindruck.

Gestiftet wurde das Kloster im Jahre 1234 durch die Königin Kunigunde von Böhmen, Tochter des römisch-deutschen Königs Philipp von Schwaben. Sie war dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach durch ihren Vater verlobt worden, zum Lohn und Dank fur viele wichtige Dienste, die Jener ihm geleistet; doch als sich König Philipp eine vortheilhaftere Verbindung eröffnete, brach er sein gegebenes Wort und vermählte 1206 seine Tochter dem Böhmenfürsten Wenceslaus, Sohn des Königs Przimislaus Ottokar.

Der verschmähte Pfalzgraf rächte sich an dem wortbrüchigen Könige. Zwei Jahre später ermordete er ihn in Bamberg, und seine Tochter Kunigunde hielt sich der Sitte jener Zeit gemäß verpflichtet, dieser blutigen That ein Sühnopfer zu bringen. Sie errichtete das Kloster Marienthal. Die übrigen Schicksale desselben darf ich wohl, als nicht zur Sache gehörig, hier übergehen.

Der Klosterhof ist von Mauern umschlossen, mit großen Rasenplätzen bedeckt, auf welchen einzelne Kugelakazien und wenige kleinere Gebüsche stehen. Ein Brunnen mit hoher Säule, die oben eine vergoldete Gestalt trägt, befindet sich in der Mitte des Hofes. Das leise Plätschern eines in das Bassin fallenden Wasserstrahls und das Klappern eines Mühlrades überbieten sich an eintönigem Geräusch. Außer einigen zerlumpten Bettlern zeigte sich kein lebendes Wesen auf dem großen freien Platze. Hell und glänzend beschien die Sonne Rasen und Bäume; ihre lichten Strahlen tanzten glitzernd auf dem sanft bewegten Wasserspiegel des Bassins und umleuchteten zum Theil freundlich die hellgrauen Mauern des Klosters und die weißgetünchten Wände der Gebäude.

Die stattlichsten Gebäude des Klosters bestehen in dem eigentlichen Kloster mit zwei Flügeln, der Wohnung der Aebtissin, der schönen Kirche mit Thurm, der Wohnung des Propstes und den großen weitläufigen Wirthschaftsgebäuden, die sich im länglichen Halbrund um das Kloster herumziehen. Die Kapelle im linken Flügel des Klosters, Kreuzkapelle genannt, enthält die Gruft, in der Henriette Sontag beigesetzt ist.

Machen die Baulichkeiten des Klosters schon vom Hofe aus gesehen einen großartigen Eindruck, so wird derselbe noch um ein Bedeutendes erhöht, wenn man von dem dicht an der Klostermauer aufsteigenden Stations- oder Calvarienberg auf Marienthal herabblickt. Von da aus gesehen, zeigt sich das Kloster in seiner ganzen weiten Ausdehnung; dort werden all die Gebäude sichtbar, [93] welche die Häuser auf dem von mir entworfenen Bilde zum Theil verdecken. Vom Calvarienberge aus zeigen sich auch die Marienthal umschließenden Berge in ihrer ganzen Schönheit. Man hat da nicht allein eine volle Ansicht des im tiefsten Thale unendlich poetisch liegenden Klosters, sondern man sieht hinaus über die dunkle romantische Bergschlucht mit der sie durchströmenden Neiße, weit hinab in die flache Ebene, hin zu der im blauen Aether verschwimmenden Ferne.

Marienthal vervollständigt auf diesem mit den herrlichsten Bäumen bepflanzten Calvarienberge den Eindruck, den man auf der Fahrt dahin empfängt. Es bietet ein Bild des tiefsten heiligsten Friedens, einer Ruhe und Abgeschlossenheit, wie man sie vielleicht an wenig Orten der Erde in erhöhterem Maße finden kann – aber zugleich ein Bild so tiefer, so grenzenloser Melancholie, wie ich es noch in meinem Leben nicht durch die Natur ampfangen habe. – Es liegt dort in Allem die namenloseste Trauer, die unaussprechlichste Wehmuth, und das auf der Rheininsel so einsam liegende, von Fels und Berg umschlossene, von Wellen rings umrauschte Kloster Nonnenwerth, es scheint mir gegen Marienthal ein Sitz heiterer Freude, lachender Lust zu sein!

An dieser stillen, von der Welt abgeschiedenen Stätte begraben zu sein, ist der Wunsch der Gräfin Rossi gewesen – und er ist erfüllt!

Sie ruht in der Gruft der Kreuzkapelle, die klein und etwas düster ist. Das Hauptlicht dringt durch die außerordentlich schön gearbeitete Eingangsthüre von Gußeisen ein, die sich zur linken Seite der Kapelle zeigt. Die an der rechten Wand der Kapelle befindliche Thüre, wie auch die Fenster, sind dem Lichte und der Luft unzugänglich. Im Innern der Kapelle befindet sich an dieser rechten Seite ein Altar. Ueber ihm erhebt sich ein mächtiges, von großer goldener Sonne umgebenes Kreuz. Zu beiden Seiten tiefe Nischen mit lebensgroßen Statuen. Die Eine, in Nonnentracht, schaut mit selig verklärtem Antlitz zum Himmel auf, die Andere, in weltlichem Gewande, ringt mit Gebehrden der Trauer und Verzweiflung die Hände. Beide Statuen geben auf vortreffliche Weise ihren innern Seelenzustand zu erkennen, und es ist, als erzählten sie dem Beschauer in gedrängter Kürze ihre friedlichen und stürmischen Lebensschicksale.

Dem Altar gegenüber ist der Eingang in die Kapelle vom Kloster aus. Er führt in die Sakristei, und dort sah es wüst und schauerlich aus. Ueber der Sakristei ist eine vergitterte Loge, die wiederum mit den obern Räumen des Klosters in Verbindung steht. Von dieser Loge aus hat die Nonne Juliane, einstmalige Nina Sontag, die Beisetzung ihrer Schwester in die Gruft mit ansehen dürfen. Die Beisetzung hat am 4. Mai 1855 stattgefunden, nachdem es endlich den Freunden des Grafen Rossi in Mexiko gelungen, den Sarg mit der Leiche einer an der Cholera Verstorbenen an Bord eines Schiffes zu schmuggeln.

Welche Schwierigkeiten es gemacht, des Grafen Rossi Wunsch zu erfüllen, die irdischen Ueberreste seiner Frau in deutscher Erde begraben zu sehen, – das mag man wohl ermessen, wenn man bedenkt, wie abergläubisch alle Schiffer sind, wie sie nie eine Leiche an Bord haben mögen, die, wie sie fürchten, Verderben auf sie herabzieht. Nun noch gar die Leiche einer an der Cholera Gestorbenen, vor welcher Krankheit man jenseits des Meeres eine noch größere Furcht empfindet, als in Europa! Die Schwierigkeiten wurden endlich überwunden. Im stillen Kloster fand Henriette Sontag die letzte Ruhestatt, und im Beisein der ihr theuersten Personen auf Erden verschwand der Sarg, der ihre sterbliche Hülle barg, in dem Dunkel des Propstgewölbes von Marienthal.

Der Sarg von Henriette Sontag, welcher den Bleisarg umschließt, in den sie nach ihrem Ableben in Mexiko gebettet worden, – ist außerordentlich schön. Auf dem Deckel liegt zu Häupten ein Kreuz mit der Gestalt des Erlösers, tiefer unten über einer Tafel mit Inschrift ein goldener Lorbeerkranz.

Die Inschrift lautet:

Hier ruhet in Gott

Henriette Sontag.
Vermählte Gräfin Rossi.
geboren zu Coblenz, den 3. Januar 1806.
gestorben zu Mexiko, den 17. Juni 1854.

R. I. P.

Dir war das reinste Erdenglück beschieden,
Kunst, Anmuth, Liebe wanden Dir den Kranz.
Nun ruhest Du in Gottes heil’gem Frieden
Umstrahlet von des Paradieses Glanz.
Für Deine Lieben hast Du Dich dem Tod geweiht.
Des Lebens Kron’ ist Dein, Dein ew’ge Seligkeit.

Zu Füßen des Sarges ist am Deckel in erhabener Arbeit das gräflich Rossi’sche Wappen angebracht und unter demselben, etwas tiefer, eine goldene, von Lorbeerzweigen umgebene Lyra. Der Sarg selbst trägt außer den christlichen und auf den Tod bezüglichen Emblemen noch einige auf der Künstlerin Ruhm, dann eine Inschrift, welche auf das liebenswürdige, engelhafte Wesen, das in ihm ruht, wohl nicht leicht besser hätte gewählt werden können. Sie lautet:

„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der
Liebe nicht, so wär’ ich ein tönend Erz. Die Liebe hört nimmer auf.“


Den goldenen Lorbeerkranz, den der Großherzog Georg von Mecklenburg-Strelitz auf das Grab von Henriette Sontag gesandt, haben die Worte begleitet:

Der besten Gattin und Mutter.
Der treuesten Freundin.
Der schönsten und liebenswürdigsten Frau.
Der größten Sängerin.


Mit einem seltsamen Gefühle schaut man auf diese einsame Ruhestätte jener von Tausenden so hoch gefeierten Künstlerin, die von frühester Jugend auf das bewegteste Leben geführt, Städte und Länder durchzogen und zuletzt jenseits des Meeres im fernen, fremden Lande starb, nachdem noch einmal die wundersamen Laute ihrer Stimme in zwei Welten erklungen waren, sie noch einmal im Tempel des Ruhmes sich unvervelkliche Lorbeeren gepflückt hatte.

Ein günstiges Geschick hat sie immer begleitet, ein seltenes Geschick ist ihr dadurch im Leben und Tode zu Theil geworden, daß sie stets ein geliebtes, theures Wesen zur Seite hatte. In ihrer frühesten Jugend war das sie schützende und leitende Wesen ihre Mutter, dann wandelte sie weiter an der Hand der Liebe und Treue, starb selbst im Arm des Gatten und im Tode ruht sie nun unter dem sie bewachenden Auge der einzigen Schwester, die vermöge ihres Gelübdes nie die stille Friedensstatt des Marienthaler Klosters verläßt.

Eine poetischere, friedlichere Grabstätte, in Bezug zur Lage des Ortes, kann man schwerlich finden. Des Klosters Lage läßt nichts zu wünschen übrig, – der Begräbnißplatz von Henriette Sontag – nach meinem Gefühle – Vieles! Ich kann nicht sagen, daß mir die Gruft in der Kreuzkapelle einen angenehmen oder wohlthuenden Eindruck gemacht hätte. Der Ort hat etwas zu Düsteres – nichts feierlich Erhebendes. Vielleicht muß man, um dieses Gefühl dort zu empfinden, Katholikin sein oder eine Vorliebe für Beisetzung in Grabgewölben haben. Ich bin nicht Katholikin, und eine Todtengruft ist mir etwas Entsetzliches! – Auf mich machte also die hölzerne, mit Eisengriffen versehene Doppelthüre am Fußboden der Kreuzkapelle einen unangenehmen Eindruck. Das verlassene, verödete Aussehen der Kapelle, die bestäubten Betstühle, die verblichenen Altardecken, die welken Blumen, vor Allem die Luft, der Mangel an Licht erhöhten diesen Eindruck.

Wie schön ist dagegen ein grüner Rasenhügel unter Gottes freiem Himmel, den die frische Luft umweht, die Sonne bescheint und auf den Mond und Sterne herableuchten!

Während ich, die Grabstätte von Henriette Sontag zeichnend, auf dem Klosterhofe saß, Sonnenschein Berge, Bäume, Rasen und Häuser umleuchtete, und ich die reine Herbstluft einathmete: da erschien mir die düstere Todtengruft doppelt schauerlich, doppelt unangenehm. – Immer mußte ich denken, warum man Henriette Sontag, die so froh und heiter gewesen, die so leicht und glücklich durch’s dunkle Leben gegangen, nicht ein Grab unter Gottes freiem Himmel gegeben! – Ihre Erscheinung soll licht und sonnig, wie der junge Tag gewesen sein, – ihre Stimme den schmelzend weichen Klang der Nachtigall mit dem klaren reinen Jubellaut der Lerche auf wunderbar schöne Weise vereinigt haben! – Warum begrub man sie also wohl nicht, wo der erste Lichtstrahl des Tages ihr Grab küssen konnte, wo Nachtigall und Lerche, denen sie Klang und Ton abgelauscht hatte, über ihrem Grabe ihr Lied erschallen lassen konnten? – – –

Meine Fragen müssen verstummen, wenn ich daran denke, daß [94] die eigenen Verwandten diese Ruhestatt ausgewählt haben, und meine Trauer, das lebensfrohe Wesen in dem düstern Gewölbe zu wissen, verwandelt sich in Wehmuth, wenn ich daran denke, daß die strengen Ordensregeln die Nonnen fest an’s Kloster binden und ihnen nie einen alleinigen Spaziergang in Gottes freier Natur erlauben. Allein in die Loge der Kreuzkapelle darf aber wohl eine Nonne gehn, und somit kann Nina Sontag ungestört das Grab der Schwester besuchen. Für sie wird sich gewiß die düstere Stätte des Todes mit dem sonnighellen Lichte der Erinnerung umgeben und aus dem tiefen Schatten des Gewölbes eine so freundliche Gestalt aufsteigen, daß sie über diese die finstere Schattenseite der Umgebung vergißt.

Welche Vorliebe Henriette Sontag selbst für das Marienthaler Kloster gehabt, beweisen am besten ihre Besuche, die sie dort zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens gemacht. So oft sie konnte, entriß sie sich dem Trouble der großen Welt, dem stets vielfach an sie Anspruch machenden Leben, um in dieses stille, einsame Thal zu eilen. Freudig verließ sie Ehre, Glanz, Ruhm, das in der Welt ihr Theil war, gern brachte sie Glück, Freude, irdische Seligkeit zum Opfer, das sie im häuslichen Kreise aufgab, um einige Zeit im Kloster zu verleben. Dort harrte ihrer nie eine laut jubelnde Menge, dort erwartete sie kein Lorbeerkranz, keine Huldigung! Da fand sie von all den Herzen, die warm für sie schlugen, nur eins, das ihrer einzigen Schwester! – Was muß das Herz ihr gewesen sein, daß sie es zu Zeiten für Alles hingab! – Sie, die so Vieles besaß, die Alles hatte, was das Leben reich, schön und werthvoll macht, sie vermißte dennoch unter all den Gaben, mit denen das Glück sie überschüttet, jenes eine Herz, das sich Gott geweiht und dem Himmel ergeben. Darum eilte denn die in der Welt so hoch geachtete Dame, die von ihrem Gatten und ihren Kindern geliebte Frau, die von Allen gefeierte Künstlerin fort aus der lichten glänzenden Sphäre ihres Lebens, hin in die engen Mauern eines abgeschiedenen Klosters.

Dort war sie weder die Frau des Gesandten, noch die berühmte Künstlerin, sondern einzig und allein Schwester, Schwester der Nonne! In stiller Zelle sang sie mit dieser geliebten Schwester die Lieder, die sie einst als fröhliche harmlose Kinder im Hause der Eltern gesungen; dort sangen sie zusammen die Duette, die sie einst vereint auf der Bühne gesungen, und dort besprachen sie auch die Ereignisse ihres Lebens, den Gang ihrer Laufbahn, die Wendungen ihres Geschickes, – ihre Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft.

Verschieden sind die Geschicke der Menschen, verschieden waren es die der Schwestern Sontag, wie auch stets ihre Neigungen und Ansichten verschieden gewesen sind. – Henriette Sontag hing mit ganzer Seele an Leben, Welt und Bühne, froh und freudig erfüllte sie die Pflichten ihres Berufes, ihre Laufbahn war eine helle, rosige, und Kränze des Ruhms wurden ihr gewunden, wo ihre Stimme erklang, die Herzen flogen ihr entgegen, wo ihre liebliche Erscheinung sich zeigte. Aus der Bahn des Ruhmes zog sie im Zenith ihres Glanzes sich zurück, wählte den Pfad der Liebe, und das Glück blieb auch dort ihr Begleiter! – Nina Sontag sehnte sich dagegen immer fort aus dem Leben der Bühne und dem Geräusche der Welt. Ihr Ziel war ein ernstes, – für sie entfaltete die Welt umsonst ihre heitern Reize, und ihr Herz fand erst Befriedigung, als der Nonnenschleier ihre Gestalt umhüllte und ihre Seele die göttliche Weihe empfangen hatte.

Wohl den Menschen, die ihr Ziel auf Erden erreichen und mit der Wendung ihres Geschickes zufrieden sind! – Beide Schwestern Sontag waren zufrieden. Liefen auch in ihrer frühesten Jugend ihre Wünsche nach entgegengesetzten Richtungen, – in der Liebe zu einander begegneten sich ihre Herzen immer; – mochten auch in spätern Jahren ihre Wünsche und Hoffnungen ein verschiedenes Ziel haben, sie einigten sich in dem einen Wunsche, in der einen Hoffnung, eine vereinte Ruhestätte in Marienthal zu haben.

Für die Erfüllung dieses Wunsches wirkte Gräfin Rossi durch ihre Liebenswürdigkeit. Sie entzückte und bezauberte die Nonnen im Kloster ebenso, wie sie es in der Welt mit allen Menschen gethan. Sie sang sich in die frommen Herzen, wie in die weltlichen. Nicht allein standen die Nonnen lauschend in den Gängen des Klosters, wenn die zauberisch schönen Stimmen der Schwestern in der kleinen Zelle erklangen, sondern sie hörten sie auch in dem großen Saale singen, wo die Aebtissin musikalische Abende arrangirt hatte und Gräfin Rossi bereitwillig sang, was man zu hören verlangte.

Zu jener Zeit ahnte Gräfin Rossi wohl nicht, daß sie noch einmal wieder aus dem stillen Kreise des häuslichen Lebens heraus und in die Oeffentlichkeit treten würde. Im Jahre 1849 geschah, was sie und Niemand geahnt und geglaubt hatte! – Ihren Kindern zur Liebe brachte sie das Opfer, um sich und ihrem Mann ein sorgenfreies Alter zu verschaffen, betrat sie von Neuem die Bühne, die ihr ein Vermögen in Aussicht stellte, das sie verloren.

Vor ihrer Reise nach Amerika 1852 war Gräfin Rosst zum letzten Male in Marienthal. Da hörten die Nonnen auch das letzte Mal den schönen Gesang der beiden Schwestern. Am Schlusse des Duetts aus der Norma sagte die Gräfin zu der Nonne, die so wunderbar schön gesungen hatte, daß nicht allein die Schwester, sondern Alle bezaubert waren: „Wenn Du mir doch Deine wundervolle Stimme geben könntest, Nina!“ Die von der Nonne gegebene Antwort lautete: „Wie gern thäte ich es, da Du etwas aus ihr machen könntest, was mir nie gelungen ist!“

Der Grund, daß Nina Sontag mit ihrer schönen Stimme keinen der Erfolge erzielt hat, wie ihre Schwester, soll ihre nicht zu besiegende Befangenheit und Aengstlichkeit gewesen sein – ihre Unlust zum Bühnenleben! – Jetzt, wo sie ihre Stimme nur zur Ehre Gottes, zum Lobe des Höchsten erhebt, ist jede Spur von Scheu und Angst von ihr gewichen. Der wahrhaft himmlische Klang ihrer Stimme entzückt jetzt noch oft die Hörer. Athemlos lauschend soll stets beim Gesange der Nonnen in der Kirche die Menge dasitzen, und Viele glauben, wenn sie die Töne von Schwester Julianens Stimme vernehmen, daß ein Engel auf dem Chore singe und sein Lied mit dem der frommen Nonnen vereine.

Auch ohne die Stimme der Schwester mit in die Ferne zu nehmen, errang sich Gräfin Rossi, als sie nach beinahe zwanzigjähriger Pause abermals die Bühne betreten, Triumphe, wie sie sie in gleicher Weise als Henriette Sontag gefeiert hatte.

Mit dem Vorsatze, jedem ihrer vier Kinder ein Vermögen von 100,000 Thalern, und für sich und ihren Gemahl die Summe einer halben Million zu ersingen, soll sie zum zweiten Male öffentlich aufgetreten sein. Die unerhörten Anerbietungen der Londoner Direction der italienischen Oper haben diesen Entschluß in ihr erregt.

Nachdem sie 1849 in London, später in Paris, dann außer in Wien und Berlin in allen Hauptstädten Deutschlands mit dem größten Erfolge gesungen, schiffte sie sich, um die sich gestellte Aufgabe zu lösen, am 25. August 1852 in Begleitung ihres Gatten mach Amerika ein. Die Aufnahme, welche sie dort fand, ließ den glühenden Enthusiasmus der Europäer noch hinter sich zurück. – Man empfing sie bei ihrer Landung in New York wie eine Fürstin, und jede mögliche Huldigung wurde der talentvollen deutschen Künstlerin von den Amerikanern zu Theil.

Sie trat außer in New-York in Philadelphia, Boston und mehreren andern bedeutenden Städten Amerika’s auf. Im April 1854 kam sie nach Mexiko, wo sie den Beschluß ihrer theatralischen Laufbahn machen wollte. Im Sommer beabsichtigte sie zu ihren Kindern zurückzukehren, die sie in Europa zurückgelassen hatte. Der Tod setzte dort im fernen Lande ihren Plänen, Wünschen und Erwartungen ein Ziel. Während ihrer Anwesenheit in Mexiko gestaltete sich die Cholera, die seit 1850 dort von Zeit zu Zeit epidemisch wüthete, furchtbarer, als sie seit lange gewesen. Sie forderte viele Opfer und ergriff am 11. Juni auch die Gräfin Rossi, die Tags zuvor noch blühend und gesund gewesen und in der Probe zur Lucretia Borgia gesungen hatte. Schon am 17. starb sie in den Armen ihres verzweifelnden Gatten.

Am Tage nach dem Tode der Gräfin Rossi erschienen in Mexiko sämmtliche Zeitungen mit einem Trauerrande, und der „Heraldo“ brachte eine Vignette, die einen weinenden Engel darstellte, der ein Grabkreuz mit einem Lorbeerkranze schmückte. Die Todesanzeige war in spanischer Sprache abgefaßt, und zugleich versuchten einige Worte den Schmerz zu schildern, den man allgemein über den Verlust der berühmten Künstlerin empfand.

Von der Art und Weise, wie Gräfin Rossi im fernen Lande verehrt und betrauert worden ist, gibt folgender Artikel aus einer mexikanischen Zeitung Zeugniß:

„Mit Thränen im Auge und Trauer im Herzen schreiben wir unsern zweiten und letzten Bericht über die von zwei Welten bewunderte Künstlerin, die wie ein glänzendes Meteor am europäischen Himmel aufging, dort Jahre lang als Stern erster Größe leuchtete [95] und noch in vollem Glanz sich gegen Abend wendend, am tropischen Himmel Amerika’s entschwand. Henriette Sontag, Gräfin Rossi, die unvergeßliche große Künstlerin, die anspruchslose liebenswürdige Frau, die, wo sie sich nur zeigte, Alles durch den Zauber der Kunst und ihrer Persönlichkeit beherrschte, schläft den tiefen Schlaf des Todes. Mexiko, der letzte Schauplatz ihrer Triumphe, ward ihr Grab. Uns fehlen die Worte, die Bestürzung, den Schmerz und die tiefe Trauer zu schildern, welche die ganze Bevölkerung ohne Ausnahme an den Tag gelegt; in allen Familien fließen Thränen, als ob jede eine ihr theure Verwandte verloren. Wo zwei Welten trauern, scheint uns jeder Trost unmöglich, kleinlich, ja verletzend. Wie eine Heilige haben wir die würdigste aller Priesterinnen der Kunst verehrt, so wollen wir auch ihr Andenken wahren und ehren wie das einer Heiligen.“

Die deutsche Liedertafel in Mexiko übernahm die Anordnung des Begräbnisses. Den Zug eröffnete der mit vier Pferden bespannte Trauerwagen. Ihm folgte der Musikverein der Franzosen, dann die Mitglieder der deutschen Liedertafel, welche den mit Blumen geschmückten Sarg trugen. Der vom Sarge ausgehende Trauerflor wurde von vier Künstlern der Oper gehalten. Im unabsehbaren Zuge folgten die übrigen Leidtragenden, das ganze Opernpersonal, sämmtliche Mitglieder des deutschen Clubs, viele angesehene Fremde und die Mexikaner. Mehrere hundert Equipagen beschlossen den Zug, wie er so zahlreich noch nie in Mexiko vertreten gewesen, noch nimmer so feierlich gesehen worden. In der Kirche San Fernando ist der Sarg von der anwesenden Geistlichkeit und dem Opernorchester empfangen worden. Nach dem abgehaltenen Todtenamt stimmte die deutsche Liedertafel das Lied „O Sanctissima“ an, und unter diesen Klängen wurde die Leiche in der Kapelle beigesetzt, wo sie so lange bleiben sollte, bis sich ein Schiff fand, das den Transport nach Europa übenehmen wollte.

Einen seltsamen Contrast zu diesem prachtvollen Leichenbegängniß in Amerika bildet die auf deutschem Boden im Marienthaler Kloster veranstaltete kleine Feierlichkeit bei der Beisetzung Gräfin Rossi’s.

An einem klaren, sonnenhellen Maimorgen wurde der mit Kreuz und Lorbeerkranz geschmückte Sarg über den stillen einsamen Klosterhof in die Kapelle getragen und in die dunkle Gruft nieder gelassen! – – Anstatt jener Tausende von Fremden, anstatt alles Luxus und Glanzes, anstatt der ganzen mexikanischen Geistlichkeit in der prachtvollen Kirche zu San Fernando, eine kleine düstere Kapelle eines abgelegenen Klosters, am verwitterten Altare ein das Todtenamt verrichtender Geistlicher, in den dunklen Betstühlen aber eine Mutter, der Gatte, die Kinder und Brüder der Verstorbenen, und über dieser kleinen Welt von unnennbarem Weh und unsagbarem Schmerze, hinter den vergitterten Fenstern einer Loge in der Höhe der Kapelle, die einzige Schwester im Nonnenschleier! –

Welches Begräbniß ergreifender gewesen, wo die Trauer erschütternder – ich glaube nicht nöthig zu haben, es anzudeuten.

Die Sängerin, die Künstlerin wurde in Mexiko, – die Frau, Tochter, Mutter, Schwester in Marienthal begraben! – Ob sie nun auch in dunkler Gruft eines entlegenen Klosters den ewigen Schlaf des Todes schläft, – gestorben ist sie darum nicht, denn Henriette Sontag lebt in all den Herzen, die sie gekannt haben, und als leuchtender Stern wird ihr Name für ewig am Horizonte der Kunst strahlen.