Die Schlingkraft der Ringelnatter

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Titel: Die Schlingkraft der Ringelnatter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 799
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[799] Die Schlingkraft der Ringelnatter. Im Mai des Jahres 1863 erhielt ich durch einen Freund in Rudolstadt eine prachtvolle, beinahe drei Fuß lange Ringelnatter zugeschickt Die Beobachtung dieses Thieres, soweit dieselbe in der Gefangenschaft möglich, hatte mir schon bei einem früher besessenen, weit kleineren Exemplar Vergnügen gewährt, und so hatte ich denn zu gleichem Zwecke meine neue Pflegebefohlene in dem Behälter ihrer Vorgängerin, einer geräumigen, hohen Glasglocke, welche oben mit einer Luftöffnung versehen war und auf einem gedrehten, leicht feucht zu erhaltenden Gypsuntertheile ruhte, bald geborgen.

Wohl ein Jahr lang mußte sich meine Natter mit ihrer gewöhnlichen Hausmannskost, den braunen Grasfröschen, begnügen, ehe es mir möglich wurde, ihr zur Abwechselung einmal einen soliden Leckerbissen bieten zu können.

Der Besitzer eines Fischteiches nämlich, welcher meine Behauptung, sie könne recht gut einen neun Zoll langen Fisch verschlingen, etwas übertrieben fand, opferte, um sich zu überzeugen, eine Forelle von diesem Kaliber, und obgleich ich die Vergeudung dieses auch für menschliche Gaumen so leckeren und so theuren Bissens einigermaßen bedauerte, so warf ich dennoch ungesäumt das arme Opfer seiner entsetzlichen Feindin zum Fraße vor. Ich erwartete bei dem gereizten Zustande, in welchem sich die Schlange zufolge einer längeren Fastenzeit befand, ein sofortiges Erfassen der Beute und erstaunte nicht wenig, als die Natter zischend den heftigen Bewegungen der Forelle auswich, welche letztere, vielleicht nicht allein aus Wassermangel, sondern wohl auch in grausiger Ahnung des ihr bevorstehenden schrecklichen Endes mit einer Vehemenz in dem Raume umherschnellte. die mich in Anbetracht der Zerbrechlichkeit des Behälters für denselben fürchten ließ.

Nicht lange jedoch währten diese Kraftäußerungen; erschöpft am Boden liegend und nach Luft schnappend, mußte der Fisch zu seiner Erholung in sein Element zurückversetzt werden.

Die Schlange, welche unterdessen an den innern Wandungen ihres Behälters ungeduldig auf- und abzüngelte, schien beschlossen zu haben, sich ihr Opfer nicht zum zweiten Male entreißen zu lassen, denn kaum war dasselbe ihr zurückgegeben, als sie es auch schon unversehens und mit der diesen Thieren eigenen Schnelle und Gewandtheit am untern Theile des Körpers, nahe am Schwänze, erfaßt hatte.

Sie versuchte nun von hier aus mit gewöhnter Regelmäßigkeit und Sicherheit den Verschlingungsproceß in Scene zu setzen, fand aber an der entgegenstehenden Schwanzflosse einen so unbesiegbaren Widerstand, daß sie diesen Versuch auf- und ihr Opfer frei gab, welches nun wieder zu unserm Bedauern im Glase umherschnellte. Da plötzlich erfolgte der zweite Angriff. Diesmal am Kopfe erfaßt, war die arme Forelle nun unrettbar ihrem Schicksale verfallen. Was halfen ihr die verzweifelten Kraftanstrengungen, sich den nach innen gekehrten Zahnreihen des Schlangenrachens zu entwinden? Wie ein Gummischlauch dehnte sich derselbe immer weiter und weiter, bis er endlich den Körper des Fisches an seiner umfangreichsten Stelle umschlossen. Trotz der fortdauernden heftigen Bewegungen der Forelle trat nun von hier ab eine Beschleunigung des schauerlichen Processes ein, und nach Verlauf von zehn Minuten etwa war das bedauernswerthe Opfer bis zum Schwanze hinabgewürgt, welcher noch eine geraume Zeit aus beiden Seiten des wieder geschlossenen Rachens symmetrisch hervorsah und so einen äußerst komischen Anblick gewährte.

Ich glaubte nun, daß sich das gefräßige Ungeheuer nach einer solchen Mahlzeit jener andauernden, trägen Siesta überlassen würde, wie solche bei seinen zwischen den Wendekreisen wohnenden größeren Schwestern üblich zu sein pflegt; hierin irrte ich mich jedoch.

Die normale Lebhaftigkeit der Bewegungen war durchaus nicht beeinträchtigt, und wenn auch die Dimensionen des vorderen Körpers, etwas abwärts vom Schlunde bis zur Magengegend, diejenigen einer jungen Klapperschlange waren, so hatte dennoch nach Verlauf von drei bis vier Tagen die inzwischen vollzogene Verdauung auch diese kleine Difformität beseitigt.

Daß die Ringel- oder Schlingnatter, welche, wie man sieht, letzteren Namen mit vollem Rechte trägt, sieben Monate, ohne die geringste Nahrung zu sich nehmen, hungern kann, ist eine Thatsache, von der ich mich zu überzeugen Gelegenheit hatte, als mir im Winter von 1864 auf 65 zufolge eines unerwartet früh eingetretenen Frostes im October die wenigen Frösche erfroren, welche den Winterproviant meiner Schlange bildeten.

An einen Ersatz desselben war nicht mehr zu denken, und so glaubte ich durch eine rasche Tödtung dieses Thier den Qualen eines langsamen Hungertodes entziehen zu müssen. Da ich aber zugleich die gebotene Gelegenheit, mich von der vielbezweifelten Ausdauer der Ringelnatter einmal überzeugen zu können, nicht entschlüpfen lassen wollte, so siegte nach langem Schwanken zwischen humanen Regungen und grausamer Neugier die letztere und zwar zum Glücke der Schlange. Anfangs October hatte diese ihren letzten Fraß zu sich genommen; im darauf folgenden December rollte sie sich zusammen und verharrte mit geöffneten Augen mehrere Wochen lang in einem bewegungslosen Zustande. Ich hielt sie für todt und berührte sie. Ein kräftig ausgestoßenen Zischen widerlegte jedoch meine Annahme aufs Bestimmteste, und daß sie sich außerdem auch wohl befinden müsse, verbürgte mir der Umstand, daß ihre körperliche Beschaffenheit während der so langen Fastenzeit die gleiche geblieben war.

So verstrichen denn noch Januar, Februar und März. Erst gegen Ende April hatte ich ihr Nahrung schaffen können. Ein Frosch vom größten Kaliber leistete der Schlange schon seit einigen Tagen Gesellschaft, ohne daß zu meinem größten Erstaunen derselbe einem Angriffe ausgesetzt gewesen wäre. Im Gegentheile schien es, als ob sich ein von Tag zu Tag sich immer mehr befestigender gemüthlicher Verkehr zwischen den beiden Insassen des Glaspalastes geltend machen wolle.

Stunden lang lag der kleine Kopf der Schlange auf dem umfangreichen Rücken des nach einer dicken Schmeißfliege an der Decke des Glases vigilirenden Vierfüßlers, und wenn dann im günstigen Augenblicke der gewaltige Sprung erfolgte und infolge dessen die Natter gar unsanft zur Seite geschleudert wurde, so schien diese gänzliche Verleugnung aller Rücksichten ihr durchaus keine Aufregung zu verursachen.

Dieses rührende Verhältniß, welches nun beinahe drei Wochen angedauert hatte, sollte indeß bald auf entschiedene Weise und für immer gestört werden.

Mit der inzwischen beendeten Häutung der Natter mußte auch der alte Appetit zurückgekehrt sein, denn ohne ihre freundesmörderische Absicht durch vorherige verdächtige Bewegungen kundzugeben, packte sie eines schönen Tages ihren dicken Gesellschafter am Hinterbein und verzehrte denselben mit einer Gemüthsruhe, die an Größe nur dem Stoicismus gleich kam, mit welchem der arme Betrogene in dem Rachen seiner falschen Freundin verschwand.

Dies geschah Mitte Mai und folglich hatte die Schlange länger als sieben Monate gefastet, ohne. was zu bemerken ist, während des Winters sich dem Winterschlaf überlassen zu haben!

Schließlich fühle ich mich veranlaßt, der selbst von namhaften Zoologen aufrecht erhaltenen Ansicht entgegenzutreten, als nähre sich die Ringelnatter auch von warmblütigen Thieren, kleinen Vögeln, Mäusen etc. Diese bilden allerdings die Nahrung der Kreuzotter. Die Ringelnatter verschmäht sie und würde mitten unter diesen Thieren verhungern. Ihre einzige Nahrung sind schuppenlose Amphibien, sogenannte Lurche, und kleinere Fische, welche letztere, da sie bekanntlich vortrefflich schwimmen kann, ihr leicht zur Beute werden.