Textdaten
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Autor: Hermann Marggraff
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Titel: Die Propheten
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 1, Nr. 16, S. 126–127 und Nr. 17, S. 134–135.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1845
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: MDZ München, Commons
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[126]

Die Propheten.


Es hat schon viele Propheten, große und kleine, gegeben, und manche derselben haben es zu einem unsterblichen Namen gebracht. Es gibt aber auch heutzutage noch Propheten, die um so eher diesen Namen verdienen, weil ihre Wahr- und Weissagungen in der Regel nicht eintreffen. Jeder derselben hat sein Lieblingsfach; der Eine prophezeit eine neue Religion, der Zweite eine neue Sündfluth und der Welt Untergang, der Dritte das tausendjährige Reich, der Vierte eine preußische Constitution, der Fünfte einen dramatischen Dichter, welcher Shakspeare, Schiller und Göthe ersetzen soll, der Sechste eine deutsche Flotte, der Siebente ein deutsches Buch ohne Druckfehler, der Achte einen durch die Tantiemen reich gewordenen deutschen Theaterdichter, der Neunte die Bewerkstelligung einer Luftdampfschifffahrt, wofür ja die drei Hauptfaktoren, nämlich Luft, Dampf und Schifffahrt schon seit Langem vorhanden sind, der Zehnte – – doch man müßte Bogen füllen, wollte man ein vollständiges Register aller modernen Propheten in ihren verschiedenen Abarten und Schattirungen geben. Von zweien derselben mag jedoch hier in leichten Umrissen ein Bild entworfen werden.



     1) Der Kriegs- und Revolutionsprophet. Ein Mann von den gewagtesten Combinationen, der seit fünfzehn Jahren einen allgemeinen Weltkrieg von Monat zu Monat verkündet und, so oft er auch Lügen gestraft wurde, nicht müde wird, irgend einen Krieg oder eine Revolution für die nächsten acht Tage anzusagen. Er ist der unschuldigste und zahmste Mensch, der sich denken läßt. Er kann keinen Tropfen Blut fließen sehen, ohne zu schaudern, aber in der Vorstellung watet er durch das Blut von tausend hingeschlachteten Völkern, ohne auch nur die leiseste Anwandlung von Mitleid zu empfinden. Wenn seine Frau oder Köchin eine Taube schlachtet, so macht er eine Reise über Land, wenn sich sein jüngster Bube am Finger geritzt hat, so läuft er zum Wundarzt, vielleicht nur um die Blutstätte zu fliehen; wenn er ein Beefsteak bestellt, so befiehlt er ausdrücklich: nur nicht nach englischer Art, nur recht scharf gebraten! denn ein noch blutendes Beefsteak, der ächten Art, würde ihm Anwandlungen von Ohnmacht verursachen.

Welch ein Held ist er dagegen, wenn er bei dem Zuckerbäcker die Augsburger Zeitung vom neuesten Datum aus der Hand legt! Sein Gesicht flammt, sein Auge glüht, sein Hand ballt sich, wie zum Dreinschlagen. Selbst seine Stimme rollt und grollt unheimlich, wie die eines Löwen, der nach Menschenfleisch lüstern ist. Er bestellt ein Glas Rothwein; er hält es gegen das Licht; es hat die ächte Blutfarbe; das Licht spiegelt sich darin so prophetisch. Er denkt sich im Stillen: bestände doch die ganze Erdatmosphäre aus solcher Blutfarbe und die Sonne schiene so spukhaft hinein, wie dies Talglicht in das Glas! – Gewiß eine riesenhafte Vorstellung!

Noch ein Glas! und noch ein Glas! – Er glaubt Menschenblut zu schlürfen, und sein Durst wächst, je mehr er ihn zu stillen sucht.



„Habe ich es nicht vor acht Tagen gesagt!“ – mit diesen Worten wendet er sich zu dem Conditorlehrling, da gerade sonst kein Gast anwesend ist – „die Verhältniße zwischen Frankreich und England stehen auf dem Bruche. Da haben die Engländer wieder ein französisches Fahrzeug durchsucht. Das fatale Durchsuchungsrecht! Die französische Nation muß Genugtuung fordern; Guizot[WS 1] wird dem Verlangen der Nation nachgeben müssen, oder sein Ministerium ist geliefert. Er hat ohnehin wieder eine Stimme in der Deputirtenkammer verloren. Peel[WS 2] aber wird jede Genugthuung verweigern. Die Kriegserklärung kann nicht ausbleiben. Da haben wir die Bescheerung! Na, meinetwegen! ich wasche meine Hände in Unschuld!“



Der gute liebe Conditorjunge in seiner schneeweißen Jacke macht ein sehr gutes, aber auch sehr dummes Gesicht. „Es kann am Ende schon so weit kommen,“ murmelt der junge Mensch in seiner Verlegenheit.

[127] „Kann?“ fährt der Kriegsprophet auf. „Nein, muß! Und es kommt nicht, es ist schon gekommen. In Spanien rührt sich’s auch; in Griechenland spukts; in Mexiko ist der Teufel los, und in Deutschland – na, in Deutschland! Selbst in Deutschland ist es nicht ganz richtig, obgleich doch sonst bei uns Alles richtig ist. In Kropfstadt hat es bei der neuen Bürgermeisterwahl Unruhen gegeben; Fenster sind entzwei geworfen worden, Militär ist requirirt worden, man hat drei Schneidergesellen eingesteckt, – kurz, wohin man nur sieht, geschehen große Dinge und unerhörte Ereigniße.“



In dieser Weise haranguirt der Prophet einige Wochen lang täglich den Conditorjungen oder einen Kreis stiller Bewunderer, welche sich seit Jahren um den Kriegspropheten versammeln und nicht müde werden, die alten Kriegs- und Revolutionsmärchen mit anzuhören und immer wieder zu glauben. Unterdeß macht die Deputirtenkammer einigen Lärm; Guizot verwahrt sich; Peel verwahrt sich gegen die Verwahrung, und nachdem unter Verwahrungen, Drohungen und Artigkeiten ein Monat verstrichen, spricht von dem Vorfall Niemand mehr, selbst unser Kriegsprophet nicht. An dergleichen ist er gewöhnt, und schon hat sich für ihn an einer andern Stelle der politische Horizont wieder blutroth gefärbt.



„Ja,“ ruft er eines Abends, „das hab’ ich immer gesagt, der alte Mehemet Ali schläft nicht, auch wenn er sich stellt, er habe die Augen zu. Jetzt ist er gar in die Hamletrolle verfallen und spielt den von Cairo und zugleich vom Verstande Abwesenden vortrefflich. Warum thut er’s? Wir wollen sehen. Mit einem Male wird er losbrechen, und dann Gott Gnade dem Sultan! Und drauf was weiter? Fait accompli? Prosit Mahlzeit! Interventionen, Demonstrationen, endlich allgemeiner Krieg – das ist das Ende vom Liede.“

Oder: „Na, das sind mir schöne Geschichten! Texas endlich doch einverleibt! Hab’s immer gesagt, daß es so kommen mußte. Die Nordamerikaner stecken zuletzt ganz Amerika in den Sack. Tyrus ist gefallen, Karthago, Rom sind gefallen, Venedig, Genua, die Hansa, Portugal, Spanien, Holland haben ihre maritime Größe nach einander eingebüßt, denn das Meer ist treulos wie eine Katze, sage ich Ihnen, meine Herren! und wir Deutschen sollten Gott danken, daß wir mit der buhlerischen See kein Ehebündniß eingegangen sind – ja, was ich sagen wollte: England hat seinen höchsten Glanzpunkt erreicht, also muß es fallen, wenn es fallen muß, so muß es auch einen Krieg geben, wenn es einen Krieg geben muß, so muß eine Nation da seyn, mit welcher man Krieg führt, wenn es eine solche Nation geben muß, so muß und kann es nur das Volk der Nordamerikaner seyn, wenn es nur das Volk der Nordamerikaner seyn kann und muß, so kann es natürlich keine andere Nation seyn, wenn nun dies Alles geschehen muß, so muß es auch einen Augenblick der Krisis geben, und dieser Augenblick ist jetzt eingetreten. Meine Schlußfolge ist so logisch, daß dagegen gar nichts einzuwenden ist. Ich kann mich nicht verrechnen, denn ich verrechne mich nie. Und da ich mich nicht verrechnen kann, so gibt es einen Seekrieg. Frankreich wird mit Amerika, wir werden mit England seyn: folglich allgemeiner See- und Landkrieg. Nordamerika schlägt England zur See, wir schlagen Frankreich zu Lande; folglich sind Frankreich und England geliefert. Blut in Strömen wird’s freilich kosten; doch was Blut!“



Der Kriegsprophet setzt bei diesen Worten sein Glas Rothwein mit einem Feuer nieder, daß es zerbricht und ein Glassplitter ihm den kleinen Finger verletzt.

„Himmel Donnerwetter! Oh – oh – oh weh!“ schreit der Kriegsprophet in Verzweiflung, wickelt die verletzte Hand in sein Taschentuch, behauptet er werde wegen des Blutverlustes in Ohnmacht fallen, und läßt sich durch einen Fiaker nach Hause schaffen, weil ihm der Schreck in die Glieder gefahren ist und seine Füße in Folge davon zu schwach sind, ihn zu tragen.

[134]      2. Der Wetterprophet. Wir haben es hier mit keinem gewöhnlichen Wetterpropheten zu thun, der den Kalender zu Rathe zieht und auf die ordinären Wetteranzeichen merkt, in die jeder Bauer und jedes Kind eingeweiht sind. Wenn die Wolken weiße lange Streifen am Himmel bilden, so bekommen wir Wind, wenn die Sonne blutroth hinter Wolken untergeht, so gibt es morgen einen regnerischen Tag, wenn das Feuer spuckt oder wenn die Hühneraugen schmerzen, so ändert sich das Wetter und dergleichen – nein! mit solchen Bauernregeln hat es unser Wetterprophet nicht zu thun. Er hat vielmehr seine Vorhersagungen in ein wissenschaftliches System gebracht, er spekulirt in’s Große, in die fernsten Zeiten, er sagt auf Jahre das Wetter voraus, ja, wie der bekanntermaßen nie trügende hundertjährige Kalender, auf Säcula.

Hat er einmal einen schönen Tag angekündigt und der rebellische Tag straft ihn durch Regengüsse Lügen, so regnet es doch für ihn nicht; er behält Recht, und er beweist dies dadurch, daß er ohne Regenschirm eine Landparthie macht, bis auf die Haut durchnäßt nach Hause kommt, und gegen seine ihn auszankende Frau keck und geringschätzig behauptet: „Das soll Regen sein! es tröpfelt ja nur; ja wenn ihr gewöhnlichen Leute so ein Tröpfeln Regen nennt, dann regnet es alle Tage.“ –

Was hilft es, daß seine Frau die ganz durchnäßten Kleider vor ihm ausringt und auswindet? Er bleibt auf seinem Satze stehen: es seien nur einzelne Tropfen gefallen und der ganze Spaß nicht der Rede werth. –

Für das Jahr 1844 sagte er einen empfindlich kalten April voraus, aber die Aprilsonne brannte wie im Hochsommer. Unser Wetterprophet ließ sich keineswegs schrecken. Man sah ihn täglich Mittags die Ludwigsstraße entlang gehen, wie ein Grönländer tief in den Mantel gehüllt, eine Pelzmütze mit Ohrlappen auf dem Kopfe, Ueberschuhe an den Füßen, Pelzhandschuhe an den Fäusten. Der Schweiß rann ihm von der Stirne. Dennoch klagte er gegen alle Bekannte, die ihm zufällig begegneten, über die für den Aprilmonat ganz unnatürliche empfindliche Kälte, und schüttelte sich vor Frost. –

„Aber wie können Sie es nur in dieser entsetzlichen Hitze aushalten?“ fragte ihn ein Bekannter. „Sie sind über und über Pelz wie ein Eisbär, und uns übrigen gescheidten Leuten ist es noch im Frack und in Sommerbeinkleidern zu warm.“

„Weil Sie eine Verschwörung gegen mich angestiftet haben, und weil Sie mich verspotten wollen,“ antwortete der erzürnte Wetterprophet. „Man sieht es Ihnen an, wie sehr Sie in Ihren Sommerhosen frieren. Lassen Sie das dumme Zeug sein und verwahren Sie sich besser, sonst ziehen Sie sich noch eine Krankheit auf den Hals! Seit Jahren haben wir im April nicht einen so empfindlich kalten, schneidenden Ostwind gehabt wie heuer.“ Am meisten hatten hierbei seine Frau und seine Kinder zu leiden: da er zu Hause wie bei einer Kälte von 20° einheizen ließ und in allen Zimmern eine schwebende Hitze unterhielt. Die Fenster wurden von Neuem mit Moos verstopft, der Bettwärmer wieder hervorgeholt, kurz eine Menge Anstalten getroffen, um die Sommerhitze des Aprils Lügen zu strafen.



Umgekehrt hatte er für das Jahr 1845 einen äußerst milden, frühlinghaften Februar, einen maiähnlichen, mit Veilchenduft, Lerchengesang und Baumblüthe überreich gesegneten März prophezeit. Wir erinnern uns noch alle an die kamschadalische Wuth, womit der Februar und März vom Jahr 1845 gegen Mensch und Vieh aufgetreten sind. Die Hasen erfroren im Felde, und, wenn wir uns gestatten dürfen, es auszusprechen, die zartgliedrigen Flöhe im Bette. Die Sonne schüttelte sich, der Mond klapperte vor Frost und die Sterne [135] schnitten die übelsten Gesichter. Nur unser Wetterprophet schwitzte oder gab vor zu schwitzen. In seinem Schlaf- und Arbeitzimmer durfte nicht geheitzt werden, und bei seinen täglichen Spaziergängen die Ludwigsstraße auf und nieder, suchte er die Schattenseite, wie er im April 1844 stets die Sonnenseite gesucht hatte. Er trug ein leichtes Sommerfräckchen, dünne Nankinghosen, Schuhe und seidene Strümpfe, die bebrillte Nase hoch in die Luft gesteckt und den Hut unter dem Arme, während er den angeblichen Schweiß mit dem Taschentuche von der Stirn wischte.



„Aber Mann Gottes!“ sagte einmal ein Bekannter zu ihm, „wie können Sie es nur so aushalten?“

„Ja, das sage ich selbst,“ antwortete gelassen unser Wetterprophet, „es ist, nämlich für den Winter, wo man an dergleichen nicht gewöhnt ist, so unausstehlich schwül, daß man kaum die Kleider auf dem Leibe dulden mag,“ und er pustete auf’s schrecklichste und wischte sich den Schweiß von dem ganz blau gefrornen Gesichte.

Unser Wetterprophet beweist, daß es auch jetzt noch Märtyrer gibt, die um ihres Glaubens willen allen Mühsalen, Schmerzen und Peinigungen mit dem unerschütterlichsten Heldenmuthe Trotz zu bieten wissen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. François Guizot (1778–1874) war im Jahre 1845 französischer Außenminister.
  2. Robert Peel (1788–1850) war im Jahre 1845 Premierminister des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Irland