Die Pfeife
- [63] DIE PFEIFE
- Juni 1918
- Wusch ich mich schon vor einem Jahr
- zum letztenmal mit Seife,
- so ward jetzt auch der Tabak gar.
- Schwarz gähnt das Maul der Pfeife.
- 5Ein kalter Ruch – Erinnerungswahn –
- entdünstet trüb dem Rachen.
- Die taubste Nuß, der hohlste Zahn
- kann nicht so traurig machen.
- Der Tabakbeutel schlaff und leer
- rutscht grämlich durch die Hände.
- 10Kein lustig blaues Wölkchen mehr
- belebt die kahlen Wände.
- Wo ist der Qualm, der mir im Raum
- die fade Luft gesäuert,
- der mich umwirkt mit süßem Traum,
- 15den Genius mir befeuert?
- Wo ist das braune Zauberkraut,
- das alle Grillen bannte?
- Verbraucht, verschmaucht, verraucht, verdaut –
- dahin ins Unbekannte!
- 20Da liegt er nun, der Pfeifenkopf,
- ein Anblick zum Erbarmen,
- und wartet, daß ihn jemand stopf.
- Es hilft dir nichts, dir Armen.
- So gings dem Vaterlande auch.
- 25Jetzt habt ihr die Erfahrung:
- Erst hochgepafft den dicken Rauch,
- und nachher fehlts an Nahrung.
- [64] Die Seife schmolz dahin zu Schaum,
- jetzt wäscht man sich mit Speichel
- 30und raucht das Laub vom Lindenbaum
- mit kleingeriebener Eichel.
- Vertan, verpulvert, aufgezehrt,
- was unser war alltäglich.
- Lieb Vaterland, jetzt heißts: entbehrt!
- 35Der Rest ist arm und kläglich.
- Wieviele Tage, Wochen noch
- hält sich der Rest im Sacke?
- Schon sickert er durchs Hungerloch
- gleich meinem Rauchtabake.
- 40Was wird aus dir, lieb Vaterland?
- Des eignen Ruhms Attrappe,
- ein ausgeblasenes Ei im Sand,
- ein Siegesaar aus Pappe.
- Herausgesogen bis zum Grund
- 45der letzte Lebenstropfen.
- Ein leergebrannter Pfeifenschlund,
- und nichts mehr nachzustopfen.