Die Offenbarung Johannis/Kap. 14. Intermezzo

« Kap. 12,18-13. Die beiden Tiere Wilhelm Bousset
Die Offenbarung Johannis
Kap. 15-16,1. Prooemium »
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C. Intermezzo. Kap. 14.

14,1-5. Das Lamm und die 144000. 14,1. καὶ εἶδον καὶ ἰδοὺ τὸ ἀρνίον ἑστὸς[1] ἐπὶ τὸ ὄρος Σιὼν καὶ μετ’ αὐτοῦ[2] ἑκατὸν τεσσεράκοντα τέσσαρες χιλιάδες ἔχουσαι τὸ ὄνομα αὐτοῦ καὶ τὸ ὄνομα τοῦ πατρὸς αὐτοῦ γεγραμμένον ἐπὶ τῶν μετώπων αὐτῶν. Dem Tiere gegenüber tritt nun das Lamm (nicht ein Lamm); denen, die das Zeichen des Tieres auf Stirn und Hand tragen, die mit dem Namen des Lammes Versiegelten. Vgl. Joel 3,5 „Aber ein jeder, der den Namen Jahwes anruft, wird gerettet werden. Denn auf dem Berge Zion und zu Jerusalem soll Rettung sein, wie Jahwe gesagt hat.“ IV Esra 13,35: ipse (sc. Messias) autem stabit super cacumen montis Sion. 39 et quoniam vidisti eum (sc. Messias) colligentem ad se aliam multitudinem pacificam,[380] hae sunt decem tribus. Vgl. auch IV Esra 2,42f.: ego Ezra vidi in monte Sion turbam magnam, quam numerare non potui, et omnes canticis conlaudabant Dominum, et in medio eorum erat juvenis statura celsus, eminentior omnibus illis et singulis eorum capitibus inponebat coronas. — Der Apok. hat hier nach den beigebrachten Parallelen offenbar ein älteres Bild eingearbeitet. Wahrscheinlich versteht er übrigens unter dem Zion das irdische, nicht das himmlische Jerusalem, da er dieses letztere erst ganz am Ende der Weissagung als eine neue Erscheinung einführt. Ferner entsteht die Frage, wer die 144000 hier sein sollen, und wie sich diese zu den 7,4ff. erwähnten verhalten. Und daraus läßt sich antworten, daß der Apok. jedenfalls andre 144000 verstanden haben will, was schon aus dem Fehlen des Artikels, dann aber aus der folgenden ausdrücklichen Charakteristik hervorgeht. Mit einiger Wahrscheinlichkeit aber läßt sich auch behaupten, daß ursprünglich die hier erwähnten und vom Apok. herübergenommenen 144000 dieselben sind wie die 7,4 erwähnten, also die in der letzten Zeit der Not bewahrt gebliebenen Juden (resp. Judenchristen), daß also die kleinen Fragmente 7,1ff. und 14,1ff. einmal zusammengehört haben müssen. Die 144000 erscheinen hier im Gegensatz zu den Tieranbetern versiegelt mit dem Namen des Lammes und des Vaters. Über die Bedeutung der Versiegelung s. o. zu 13,16. Die Geretteten erscheinen hier als Stigmatisierte Gottes. Deutlich zeigen sich auch hier höchst ursprüngliche religiöse Anschauungen, die auf den niedersten Stufen menschlichen religiösen Lebens lebendig waren und sich in der apokalyptischen Sprache gleichsam versteinert erhalten haben. — In dem allerdings gezwungenen Doppelausdruck: „sein Name und der Name seines Vaters“ sieht Sp. eine Überarbeitung und schlägt statt dessen nach 7,2 als ursprünglich vor: τὸ ὄνομα τοῦ θεοῦ ζῶντος. Wenn zwischen 7,1ff. und 14,1 ein quellenmäßiger Zusammenhang vorliegt, eine nicht unwahrscheinliche Vermutung. Der Apok. letzter Hand hätte dann hier überarbeitet.

14,2. καὶ ἤκουσα φωνὴν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ (10,4.8) ὡς φωνὴν ὑδάτων πολλῶν (1,15) καὶ ὡς φωνὴν βροντῆς μεγάλης (19,1), καὶ ἡ φωνὴ, ἣν ἤκουσα, ὡς κιθαρωδῶν κιθαριζόντων ἐν ταῖς κιθάραις αὐτῶν. Es ist nicht ganz klar, wen der Apok. hier als die Sänger gedacht hat, die Engelchöre oder die 144000. Wenn freilich im vorhergehenden Vers das irdische Zion gemeint war, so ist nur die erstere Erklärung möglich. 14,3. καὶ ᾄδουσιν ὡς[3] (s. o. S. 127f.) ᾠδὴν καινὴν (5,9) ἐνώπιον τοῦ θρόνου καὶ ἐνώπιον τῶν τεσσάρων ζῴων καὶ τῶν πρεσβυτέρων. Es sind die vorher erwähnten Stimmen, welche etwas wie ein neues Lied singen. Bemerkenswert ist, daß der Apok. hier ganz unbefangen zu der in Kap. 4 entworfenen Szenerie zurückkehrt, als wäre inzwischen nichts Vorgefallen. καὶ οὐδεὶς ἐδύνατο μαθεῖν τὴν ᾠδὴν, εἰ μὴ αἱ ἑκατὸν τεσσεράκοντα τέσσαρες χιλιάδες οἱ (s. o. S. 161) ἠγορασμένοι ἀπὸ τῆς γῆς (5,9). Die 144000 sind allein imstande, den[381] neuen Gesang zu lernen. Auch daraus geht hervor, daß andre als die 144000 die Sänger des Gesanges sind. Hltzm. vergleicht mit Recht 2,17; 19,12. Auch hier handelt es sich um einen geheimnisvollen — sit venia verbo — zauberkräftigen Gesang, dessen Erlernung einen ganz besondern Vorzug der Gläubigen bedeutet. 14,4-5. Man beachte den harmonischen Satzbau im folgenden. V. 4a (Vordersatz mit Begründung) entspricht dem V. 5, in der Mitte stehen zwei kurze Sätze, die mit οὗτοι beginnen (4b) (Hofm., Dstd.). 14,4. οὗτοί εἰσιν, οἳ μετὰ γυναικῶν οὐκ ἐμολύνθησαν· παρθένοι γάρ εἰσιν. Zu dem Ausdruck παρθένος, auf Männer bezogen, vgl. Fabricius Cod. Pseudepigraph. Vet. Test. II 92-98; Kypke, Observationes sacrae ad loc.; Suidas s. v. Abel (Dstd.). Der Ausdruck ist auf keinen Fall bildlich umzudeuten, noch von geschlechtlicher Keuschheit im allgemeinen zu verstehen, noch auf die Enthaltung von Hurerei, wie sie mit dem Götzendienst verbunden zu sein pflegte (Bleek, de W.), zu beziehen; auch ist hier nicht von den Gläubigen der Endzeit die Rede (Hofm.). Man wird vielmehr den katholischen Auslegern darin Recht geben müssen, daß hier an christliche Asketen zu denken sei (Augustin, de virg. 27; Hieron., advers. Jovin. I 40; Andreas, Beda, Dstd., Hltzm.). Hltzm. führt für die Möglichkeit, daß παρθένοι hier tadellose Gemeindeglieder bedeuten könnte, als Parallele an: Epiph. Haer. 30,2 τὰ αὐτῶν συγγράμματα πρεσβυτέροις καὶ παρθένοις γράφουσιν. Doch ist diese Stelle selbst undeutlich. Die früheste Erwähnung von Asketen findet sich neben unsrer Stelle in den Ignatianen (ad Polyc. V 2), doch vgl. schon Mt 19,12. Schon um die Wende des ersten Jahrhunderts war also die völlige Askese eine in der Kirche bereits verbreitete Sitte (vgl. Rückert, theol. Quartalschrift 1887, 105-132). οὗτοι[4] (sc. εἰσιν) οἱ ἀκολουθοῦντες τῷ ἀρνίῳ, ὅπου ἐὰν[5] ὑπάγῃ[6]. Obgleich man ein andres Tempus erwarten sollte, ist diese Schilderung, analog den umgebenden Sätzen, auf die Vergangenheit zu beziehen. Sie charakterisiert also nicht die Gläubigen in ihrem zukünftigen seligen Zustande. Dann aber liegt hier wahrscheinlich ein Anklang an das Herrenwort Mt 10,38; 16,24f. vor (Resch, außerkanonische Evangelienparallelen; vgl. Joh 21,18f.). οὗτοι[7] ἠγοράσθησαν ἀπὸ τῶν ἀνθρώπων ἀπαρχὴ[8] τῷ θεῷ καὶ τῷ ἀρνίῳ. Sie wurden (aus der Sündenherrschaft) aus der Zahl (ἀπό) der übrigen Menschen erkauft, wie alle übrigen Gläubigen (d. h. durch Jesus erlöst), aber als eine ἀπαρχή, eine Erstlingsgabe für Gott, eine besonders auserwählte Schar Gottes. καὶ τῷ ἀρνίῳ macht hier fast den Eindruck des Zusatzes. Denn erkauft wurden die Gläubigen „von“ dem Lamm für Gott. Es ist übrigens möglich, daß mit den οὗτοι οἱ ἀκολουθοῦντες die auserwählten Frommen von einer andern Seite ihres Wesens geschildert würden: sie sind zugleich die Märtyrer. Wie[382] 7,14 und 12,11 würde sich dann mit der Erwähnung ihrer Treue auch hier der Hinweis auf den Opfertod Christi verbinden. 14,5. καὶ ἐν τῷ στόματι αὐτῶν οὐχ εὑρέθη[9] ψεῦδος. Weshalb hier als weitere Eigenschaft der Jungfräulichen (resp. der Märtyrer) ihre Wahrhaftigkeit hervorgehoben wird, ist nicht deutlich. Vgl. Ps. LXX 31,2: οὐδέ ἐστιν ἐν τῷ στόματι αὐτοῦ δόλος. Jes 53,9: ἀνομίαν οὐκ ἐποίησεν οὐδὲ δόλον ἐν τῷ στόματι αὐτοῦ. Zph 3,13; Mal 2,6. Es ist möglich, daß die Schilderung des reinen und unbefleckten Lammes im Jesaias bei der Schilderung der ἀπαρχή hier mitgewirkt hat. Darauf weist auch das Schlußwort ἄμωμοί [γάρ[10]] εἰσιν hin und findet hierdurch seine Erklärung.

Exkurs. Den Kritikern hat dieser Abschnitt große Schwierigkeiten bereitet. Vischer, Pfleiderer I, Schmidt schreiben den Abschnitt dem christlichen Redaktor zu und betrachten ihn meistens als ein beabsichtigtes Gegenstück zu 7,1-8. Auf der andern Seite findet J. Weiß 94f. hier gerade ein Stück der christlichen Grundschrift. Die 144000 seien die ursprünglich in der letzten Zeit der Not treugebliebenen Erwählten aus Israel, welche hier dem Lügenpropheten in 13B unter dem wahren Messias gegenübertreten. Weyl., Vlt., Erb., Sp. versuchen, ein jeder in seiner Weise, innerhalb des Abschnittes zu scheiden. Weyl. scheidet V. 1 und V. 4-5 aus, weist V. 2-3 der Quelle ℵ zu und läßt diese Verse sich an 11,18 anschließen. Er findet dann hier den Lobgesang der 7,1-8 erwähnten 144000. Vlt. hält V. 4-5 und in V. 1 die Worte τὸ ὄνομα αὐτοῦ καί für Interpolation und findet demgemäß in den 14,1ff. erwähnten die 144000 von 7,1ff. wieder. Vlt. vergleicht übrigens zum ganzen Stück Joel 3,5. Erbes streicht V. 4a: οὗτοι – παρθένοι γάρ εἰσιν, eventuell 4b οὗτοι – ὑπάγῃ, in 4c τῷ ἀρνίῳ, und rechnet das Übrigbleibende zur Grundschrift. Sp. streicht (s. o.) in V. 1 ebenso wie Vlt.[11]. Von V. 2 läßt Sp. nur καὶ ἤκουσα φωνὴν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ stehen, V. 3 fällt ganz. Von V. 4-5 bleibt nur stehen οὗτοι ἠγοράσθησαν ἀπὸ τῶν ἀνθρώπων ἀπαρχὴ τῷ θεῷ. ἄμωμοι γάρ εἰσιν.

Sp., der am gewalttätigsten in der Beurteilung dieser Verse verfährt, hat doch den besten Blick für die großen Schwierigkeiten bewiesen, die den Versuch drücken, aus diesen Versen eine ältere Quelle herauszuschälen. So sehen z. B. sämtliche Kritiker V. 4-5 ohne weiteres als Interpolation an, ohne darauf zu achten, daß in 4d ebenso deutlich wie an manchen übrigen Stellen, auf die sie doch alles Gewicht legen, bereits vielleicht ein τῷ ἀρνίῳ interpoliert ist, hier also nach den sonstigen Grundsätzen gerade ein älterer Zusammenhang anzunehmen wäre.

Kap. 14,1-5 zeigen jedenfalls deutlich und fast in jedem Verse die Hand des Verfassers, der die Apk als Ganzes schrieb, an. V. 2 hat seine Parallelen[383] in 1,15 und 19,6, V. 3a weist deutlich auf Kap. 4, V. 3b auf 5,9; V. 4a weist an sich schon in eine spätere Zeit, 4b erinnert an 7,17, 4c an 5,9[12]. Wenn in diesem Abschnitt ein älteres kleines Fragment verarbeitet wäre (s. o.), so ist vom Ursprünglichen jedenfalls nicht mehr viel stehen geblieben.

Schwierig ist nur das Verhältnis von 7,1ff. und 14,1-5. Wie verhalten sich unter diesen Umständen die 144000 aus den 12 Stämmen Israels zu den 144000 Asketen und Märtyrern? Wie kommen diese beiden Bilder in eine Apk? Wir haben oben nachgewiesen, daß 7,1-8 eine ältere Tradition voraussetzt, in der von der Versiegelung der 144000 Israeliten die Rede war, die in der letzten Zeit getreulich ausharren würden. Es ist nun anzunehmen, daß die 144000 in Kap. 14,1 ursprünglich mit den 7,1 erwähnten identisch waren, die Szene 14,1ff. also derselben apokalyptischen Tradition angehört. Wir befinden uns hier nur am Ende, dort am Anfang der apokalyptischen Erzählung. Die 144000, die dort versiegelt wurden, sind hier schon errettet. Der Messias, der ihnen zu Hülfe gekommen ist, steht mit ihnen auf dem Berg Zion, und sie leben bereits in Ruhe und Frieden, während rings umher die Feinde der Vernichtung preisgegeben werden. Der Apok. hat die Spuren von der ursprünglichen Identität der 144000 in 7,1-8 und 14,1-5 (vgl. den fehlenden Artikel 14,1) allerdings so ziemlich verwischt. Er benutzte aber das hier vorliegende überkommene Bild, um in seiner Weise vorläufig eine lichtvollere Szene jenen grauenvollen in Kap. 13 gegenüber zu stellen. Während jener furchtbare Kampf beginnt, steht das Lamm Gottes mit den 144000 Erstlingen, den Märtyrern und Asketen unter den Gläubigen, in Ruhe und Frieden auf dem Berg Zion, d. h. wahrscheinlich, es regiert mit ihnen im tausendjährigen Reich (vgl. 20,4ff.). Das Bild ist also vom Apok. proleptisch gedacht. Einen Fortschritt in dem apokalyptischen Drama bedeutet die Szene nicht.

14,6-13. Die Engelrufe. 14,6. καὶ εἶδον [ἄλλον][13] ἄγγελον πετόμενον ἐν μεσουρανήματι. Die Beziehung des ἄλλος (ἄγγελος) bereitet Schwierigkeiten. Hilgf. Einl. 438 hält das Lamm 14,1, d. h. den Messias, für den ersten unter den Engeln. Sp. und B. Weiß denken an die Engelstimmen im vorhergehenden. Dstd. bezieht auf den Engel 10,1. Vlt. III 235 schlägt die Übersetzung vor: einen andern, nämlich einen Engel, J. Weiß konjiziert unter Beziehung auf 8,13 ἄλλον ἀετόν. Vielleicht ist das ἄλλον nach Textzeugen (als Dittographie?) zu streichen. Dann läge keine Schwierigkeit vor. ἔχοντα εὐαγγέλιον αἰώνιον εὐαγγελίσαι[14]. Zum Infinitiv vgl. Lk 12,50; 7,40; Joh 16,12. Es steht nicht τὸ εὐαγγέλιον da, sondern εὐαγγέλιον. Es ist demgemäß auch nicht „das Evangelium“ zu übersetzen. Ein ewig (geltendes) Evangelium ist der schon 10,7 den Engeln Gottes verkündete Ratschluß in Beziehung auf das baldige Ende, der im folgenden[384] nun noch einmal wie dort den Propheten so hier aller Welt verkündet wird. [ἐπὶ][15] τοὺς καθημένους (κατοικοῦντας)[16] ἐπὶ τῆς γῆς καὶ ἐπὶ πᾶν ἔθνος καὶ φυλὴν καὶ γλῶσσαν καὶ λαόν (s. o. S. 176). Beachte die für den Stil des Apok. charakteristische Tautologie. Vielleicht ist τοὺς καθημένους (κατοικοῦντας) ἐπὶ τῆς γῆς als beabsichtigter Gegensatz zu ἐν μεσουρανήματι dem folgenden Ausdruck vorangestellt. Übrigens steht dieser Vers in deutlichem Gegensatz zu dem 8,13 erfolgten Weheruf über alle Bewohner der Erde, der ebenfalls von der Mitte des Himmels herabgerufen wird. 14,7. λέγων (strukturlos s. o. S. 160) ἐν[17] φωνῇ μεγάλῃ· φοβήθητε τὸν θεὸν[18] καὶ δότε αὐτῷ δόξαν (11,13), ὅτι ἦλθεν ἡ ὥρα (s. o. S. 177) τῆς κρίσεως αὐτοῦ. Die Botschaft von der Endkatastrophe, für die Gläubigen eine frohe Botschaft, enthält zugleich für alle Völker eine ernste Mahnung, sich zu Gott zu bekehren, und schließt den Ruf zur Buße ein; denn sie verkündet zugleich das nahende Gericht. καὶ προσκυνήσατε τῷ ποιήσαντι[19] (s. o. S. 167) τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν (καὶ)[20] (τὴν)[21] θάλασσαν καὶ πηγὰς ὑδάτων. Zu diesem Prädikat Gottes vgl. 4,11 und das zu 10,6 Bemerkte, Apg 4,24; 14,15. Die Erdbewohner sollen Gott und nicht das Tier (s. das Folgende) anbeten. Bemerkenswert ist das artikellose πηγὰς ὑδάτων (14. 92 sa. lesen τὰς πηγ́ας).

14,8. καὶ ἄλλος [δεύτερος] ἄγγελος[22] ἠκολούθησεν λέγων· ἔπεσεν[23] ἔπεσεν Βαβυλὼν ἡ μεγάλη (18,2; Jes 21,9; Jer 50,2; 51,8). Wenn in V. 6 ἄλλον zu streichen ist, so muß auch hier das δεύτερον gestrichen werden. Diese Interpolation wurde mit jener notwendig. Es würde sich auch der doppelte Ausdruck am besten erklären, wenn ursprünglich hier und nicht V. 6 ein ἄλλος ἄγγελος gestanden und dann eben nach dem Einschub in V. 6 hier ἄλλος δεύτερος gesetzt wurde. Der Ausruf weist voraus auf das sich vollziehende Gericht über Babel = Rom, Kap. 17. Rom wird Babel genannt Apk Baruch 67,7; Sibyll. V 143.159; I Pt 5,13; die große Babel 16,19; 17,5; vgl. Dan 4,27. [24] ἐκ τοῦ οἴνου τοῦ θυμοῦ τῆς πορνείας αὐτῆς πεπότικεν[25] πάντα τὰ ἔθνη. Den Zorneswein reicht sonst Gott den Völkern selbst. Jer 25,15-17.27ff.; Jer 51,7 ist Babel ein solcher[385] Becher in Gottes Hand (Hltzm.). Man könnte daher annehmen, daß hier der Wein, mit dem Babel die Völker tränkt, nicht etwa als Zorneswein, sondern als Wein der Raserei oder Giftwein, oder Glutwein aufzufassen sei (vgl. Hos 7,5: θυμοῦσθαι ἐξ οἴνου; Jer 51,7); vielleicht ist derselbe Sprachgebrauch auch 16,19; 19,15 nachzuweisen. Dann bestünde also die Raserei, der Rausch, in welche der Wein versetzt, in der Teilnahme an der πορνεία Babels. Andernfalls liegt hier eine Vermischung zweier Vorstellungen vor. Der Wein der Hurerei ist der berauschende Trank, den die Verführungskünste Babels den Völkern darbieten. Dieser Wein ist aber zugleich ein Zorneswein Gottes. Wenn die Völker den Verführungen Babels unterliegen, so ist das ein Verhängnis göttlichen Zornes.

14,9. καὶ [ἄλλος][26] ἄγγελος τρίτος ἠκολούθησεν αὐτοῖς[27] λέγων ἐν φωνῇ μεγάλῃ· εἴ τις προσκυνεῖ τὸ θηρίον καὶ τὴν εἰκόνα αὐτοῦ (s. o. S. 163) καὶ λαμβάνει χάραγμα ἐπὶ τοῦ μετώπου αὐτοῦ ἢ ἐπὶ τὴν χεῖρα αὐτοῦ. Beachte den Kasuswechsel nach ἐπί. ἐπὶ τοῦ μετώπου ist gegen die Sprachregel der Apk s. S. 166. 14,10. καὶ αὐτὸς (das καί ist das hebraistische καί des Nachsatzes; αὐτός das betonte Personalpronomen, also: (und) der wird trinken) πίεται ἐκ τοῦ οἴνου τοῦ θυμοῦ τοῦ θεοῦ τοῦ κεκερασμένου ἀκράτου ἐν τῷ ποτηρίῳ[28] τῆς ὀργῆς αὐτοῦ. Dem Mahnruf zur Anbetung des einen Gottes gesellt sich der Weheruf gegen die Tieranbeter. Der Ausdruck κεκερασμένου ἀκράτου kann bedeuten, daß der Wein zwar mit andern Ingredienzen vermischt, aber mit Wasser unvermischt ist, d. h. stark. Wahrscheinlich aber liegt hier eine Verschiebung des Gebrauchs von κεράννυμι vor. Da der Wein immer gemischt wird, so kann schließlich κεράννυμι die Bedeutung von „einschenken, bereiten“ gewinnen. Ew. (vinum paratum, ut merum sit), Dstd., Hltzm. Vgl. die viel behandelte Wendung bei Justin, Apol. I 65: ποτήριον ὕδατος καὶ κράματος. Ps LXX 74,9 stehen die verschiedenen Ausdrücke etwas anders neben einander: ποτήριον ... οἴνου ἀκράτου πλῆρες κεράσματος. καὶ βασανισθήσεται[29] (beachte den Übergang in den Plural) ἐν πυρὶ καὶ θείῳ (vgl. 9,17; 19,20; 20,10.14f.; 21,8; und das zu 19,20 Bemerkte) ἐνώπιον τῶν ἁγίων ἀγγέλων[30] (die Engel sind als Gerichtsbeisitzer gedacht) καὶ ἐνώπιον τοῦ ἀρνίου. Das Lamm steht allerdings an merkwürdiger Stelle. Dennoch ist es nicht notwendig, den Ausdruck zu streichen. So gut wie 1,4ff. das Lamm nach den 7 Geistern genannt wird, so kann es auch hier hinter den Engeln stehen. Ja vielleicht kann man sogar annehmen, daß der Ausdruck „vor den Engeln“ nichts weiter als eine dem spätjüdischen[386] Sprachgebrauch entsprechende Umschreibung der Formel „vor Gott“ ist; vgl. Lk 15,10; 12,8f. Religion des Judentums 308. Dann stünde ἐν. τοῦ ἀρνίου an völlig richtigem Platz, und wir hätten hier wieder einen neuen Beweis für jüdische Bedingtheit der religiösen Sprache des Apok. 14,11. καὶ ὁ καπνὸς τοῦ βασανισμοῦ αὐτῶν εἰς αἰῶνας αἰώνων[31] ἀναβαίνει. 18,9; 19,3; 20,10; vgl. Jes. 34,10: καὶ ἔσται ἡ γῆ ... καιομένη νυκτὸς καὶ ἡμέρας καὶ οὐ σβεσθήσεται εἰς τὸν αἰῶνα χρόνον καὶ ἀναβήσεται ὁ καπνὸς αὐτῆς ἄνω. — βασανισμός steht hier passivisch im Sinne von βάσανος (Dstd.). καὶ οὐκ ἔχουσιν ἀνάπαυσιν ἡμέρας καὶ νυκτός οἱ προσκυνοῦντες τὸ θηρίον καὶ τὴν εἰκόνα αὐτοῦ, καὶ εἴ τις λαμβάνει τὸ χάραγμα τοῦ ὀνόματος αὐτοῦ. Der Apok. redet hier mit ganz besonderem Nachdruck, man beachte das Drohende: Und wenn jemand das Zeichen seines Namens annimmt! Mit machtvollem Ernst hält er unmittelbar vor dem großen entscheidenden Kampf den Gläubigen das Schicksal vor Augen, das jedem, der im Kampf mit dem Tier zu Falle kommt, droht. In diesen und den folgenden Versen wird die Tendenz der Apk ganz deutlich. Sie will ein Kriegsmanifest gegen den Cäsarenkultus sein.

14,12. ὧδε ἡ ὑπομονὴ τῶν ἁγίων ἐστίν. Der Apok. fällt gerade in den Kapiteln 12-14 sehr oft aus der Rolle des beobachtenden Visionärs heraus und redet selbst zu seinen Zeitgenossen. Zum zweiten Mal (vgl. 13,9-10) setzt er hier mit einer Mahnung, welche die Hörer packen soll, ein. Man denke sich diese Verse in den gottesdienstlichen Versammlungen der Gläubigen in den Zeiten, da sich das Unwetter gegen sie zusammenballte, verlesen. οἱ τηροῦντες τὰς ἐντολὰς τοῦ θεοῦ καὶ τὴν πίστιν Ἰησοῦ. Der Apok. gebraucht Ἰησοῦς, nicht Ἰησοῦς Χριστός s. o. S. 176. Die Konstruktion ist völlig formlos. Zu erklären ist: Hier gilt es die Geduld der Heiligen, derjenigen, welche die Gebote Gottes und den Glauben an Jesus wahren. „Glauben an Jesus“ ist zu übersetzen und nicht „Glauben oder Treue Jesu“. Mit dieser Wendung greift der Apok. auf 12,17 zurück: τοὺς ἔχοντας τὰς ἐντολὰς τοῦ θεοῦ καὶ τὴν μαρτυρίαν Ἰησοῦ. Die Gläubigen, denen dort der Kampf mit dem Drachen gedroht ward, werden hier noch einmal ermahnt, im Kampf zu bestehen.

14,13. καὶ ἤκουσα φωνῆς ἐκ τοῦ οὐρανοῦ λεγούσης· γράψον· μακάριοι οἱ νεκροὶ οἱ ἐν κυρίῳ ἀποθνήσκοντες ἀπάρτι[32]. Die Sprache des Apok. wird flammend. In glühender Leidenschaftlichkeit ruft er zum Martyrium auf: „Selig sind die Toten, die von nun an (d. h. von dem großen nunmehr beginnenden Kampfe an) im Herrn sterben“. ἀπάρτι ist also zu ἀποθνήσκοντες zu ziehen (Züll.), nicht auf μακάριοι, so daß der Apok. mit dieser Wendung nur auf das bald kommende Ende hinwiese (Dstd., Hltzm. und die meisten Ausleger). ἀποθνήσκειν steht hier im Sinne von ἀποκτανθῆναι. Joh 11,50; 19,7; Züll. Gegen die Beziehung auf das Martyrium darf man übrigens nicht mit Dstd. aus dem ἐν κυρίῳ argumentieren.[387] Es ist das freilich ein allgemeiner Ausdruck (vgl. die paulinische Formel I Kor 15,18; I Th 4,16), der nicht direkt auf das Martyrium bezogen werden kann (falsch Züll. „um des Herrn willen“). Aber in der Zeit, in der der Apok. schrieb, wußte jeder, was er mit dem Satze meinte: „Selig sind, die von nun an im Herrn sterben“. Denn die große Mehrzahl derer, die in der nächsten Zeit in gläubiger Treue im Herrn sterben sollten, waren eben Märtyrer. Nur wenn man sich diese historische Situation vergegenwärtigt, versteht man die ergreifende Bedeutung der Stelle: ναί, λέγει[33] τὸ πνεῦμα (vgl. 2,7 etc.), ἵνα ἀναπαήσονται (ἀναπαύσονται)[34] ἐκ τῶν κόπων αὐτῶν. ἵνα hängt wahrscheinlich von λέγει ab: Ja wahrlich spricht der Geist, sie sollen ausruhen von ihren Mühen (Hltzm.-Win. 297 läßt ἵνα von ἀποθνήσκοντες abhängig sein). τὰ γὰρ[35] ἔργα αὐτῶν ἀκολουθεῖ μετ’ αὐτῶν (s. o. S. 168). Nach Dstd. sind die von den Gläubigen getanenen Werke selbst ein ewiges Gut für sie. Nach Hltzm. brauchen sie nicht noch einmal getan zu werden. Doch liegt hier wenigstens ursprünglich ein viel stärkerer Realismus der Vorstellung vor. Die guten Werke werden als Begleiter der Seele zum Gericht gedacht. IV Esra 7,35; Religion des Judentums 285. — Hier ist an das spezifische Werk und den spezifischen Lohn der Märtyrer gedacht. Die Märtyrer erwartet ein besonders herrliches Los. Sie nehmen teil am tausendjährigen Reich 20,6.

Exkurs: Den Kritikern haben diese Verse eine besondere Schwierigkeit bereitet. Sie gehn in ihren Urteilen aufs mannigfachste auseinander. Vischer, Schmidt beseitigen nur die christlichen Stücke: V. 10 ἐνώπιον τοῦ ἀρνίου, V. 12-13. Weyl. streicht V. 8, V. 12-13; V. 6-7 und 9-11 gehören nach ihm der Quelle ב an und standen unmittelbar hinter Kap. 13. Spitta streicht in V. 6 ἔχοντα – τῆς γῆς καί, in V. 10 καὶ αὐτός – τῆς ὀργῆς αὐτοῦ, καὶ ἐνώπιον τοῦ ἀρνίου; in V. 11 καὶ ὁ καπνός – ἀναβαίνει; οἱ προσκυνοῦντες bis Ende. V. 8. 12-13 werden ganz gestrichen. Den Torso weist er zu. — Völter hält 14,6-7 für einen Bestand der Urapokalypse; V. 8 in II für einen Ersatz für das ursprünglich hier ausgefallene Kap. 18, in III und IV für ursprünglich; V. 9-12 (13) für einen Einschub von demselben Verfasser, der Kap. 13 geschrieben hat (14,1-3.6—7.(8).14-20 gehören demgemäß zur Völterschen Grundschrift). Erbes verteilt ähnlich: 14,6-7.13 an die Apk. aus dem Jahre 62, 14,9b-12 an die Quelle von Kap. 13. 14,8.9a sei vom Redaktor eingeschoben. Weizsäcker nimmt in 14,6-13 eine eigne Quelle an. Sabatier faßt die Verse als Einleitung zu 14,14-20. Schön hält die Verse 14,9-13 für interpoliert mit Rücksicht auf Kap. 13. J. Weiß spricht V. 6-7 der Grundschrift, V. 8-13 dem Redaktor zu.

Aus dieser Ratlosigkeit der Kritiker geht hervor, daß innerhalb dieser Verse überhaupt kaum geschieden werden kann. Es ist vielmehr klar, daß[388] hier wieder der Schriftsteller gearbeitet hat, der die Apk als Ganzes vor Augen hatte, d. h. der Verfasser selbst. In V. 6 ist die Rückbeziehung auf 8,13 in der Tat deutlich. Ferner ist der Vers mit 10,7 verwandt. V. 7 klingt an 11,18 an. V. 8 weist vorwärts auf Kap. 18. In V. 10-11 zeigen sich deutliche Anklänge an Kap. 17; zugleich verbinden V. 9-11 dieses Stück mit Kap. 13. In V. 12-13 zeigt sich das spezifische Interesse, wie auch der Stil des Apok. letzter Hand. Vers für Vers kann man endlich in dem Abschnitt den in der Apk herrschenden Sprachgebrauch nachweisen. Auch der Zweck des Abschnittes ist deutlich. Mit 14,14ff. beginnen die großen Gerichtsszenen, die sich dann bis Kap. 19 hinziehen. 14,6-13 ist als Einleitung zu diesem Abschnitt anzusehen. Der Apok. überschaut schon hier das gesamte Material, das er in seiner Weissagung noch zu bringen gedenkt. Mit dem Ruf zur Buße und dem Hinweis auf das nahende Gericht Gottes beginnt der Abschnitt. Dann folgt die Ankündigung des in den späteren Teilen sich vollziehenden Gerichts über Babel und die Anbeter des Tieres, endlich der Hinweis auf die künftige Seligkeit der Treuen Gottes in Kap. 20.

14,14-20. Ein vorläufiges Gericht. 14,14. καὶ εἶδον, καὶ ἰδοὺ[36] νεφέλη λευκή, καὶ ἐπὶ τὴν νεφέλην (s. das zu 1,7 Bemerkte) καθήμενον ὅμοιον υἱὸν[37] ἀνθρώπου, ἔχων ἐπὶ τῆν κεφαλὴν[38] αὐτοῦ στέφανον χρυσοῦν καὶ ἐν τῇ χειρὶ αὐτοῦ δρέπανον ὀξύ (s. u. V. 15). Die grammatische Unregelmäßigkeit: ὅμοιον υἱὸν ἀνθρώπου, die hier und 1,13 vorkommt, ist einer der besten Beweise für den gleichmäßigen Sprachcharakter der Apk. Es kann wohl kaum ein Zweifel sein, daß die hier beschriebene Gestalt nach dem ursprünglichen Sinn des Stückes der Messias sein soll. Die Anlehnung an Da 7 ist zu genau, als daß man hier zweifeln könnte. Auch die goldne Krone deutet auf den König Messias. Auf der andern Seite hat der Apok. letzter Hand hier kaum noch den Messias gesehen. Er konnte das gar nicht, weil für ihn das eigentlich messianische Gericht viel später kommt. Er hat deshalb den Messias zu einem Engel unter andern degradiert; vgl. das im folgenden Vers zu ἄλλος ἄγγελος Bemerkte (Genaueres s. unten).

14,15. καὶ ἄλλος ἄγγελος ἐξῆλθεν ἐκ τοῦ ναοῦ[39], κράζων ἐν φωνῇ μεγάλῃ τῷ καθημένῳ ἐπὶ τῆς νεφέλης. Der Ausdruck „ἄλλος ἄγγελος“ ist bemerkenswert, da er sich nur auf den Messias als ersten Engel zurückbeziehen kann. Dstd., B. Weiß glauben freilich, daß ἄλλος ἄγγελος sich auch auf die vorhergehenden Engel beziehen kann. Aber der Hinweis auf den ἄλλος ἄγγελος V. 6 nützt nichts, da die textliche Überlieferung (s. o.) unsicher ist. Nach Hltzm., Vlt. ist der Messias selbst einem Engel gleich, vgl. Hen 46,1. Man wird anzunehmen haben, daß erst unser Apok.[389] zu dem in seiner Quelle vorgefundenen ἄγγελος ein ἄλλος hinzugefügt habe. Merkwürdig ist auch die einfache Erwähnung, daß der Engel aus dem Tempel gekommen sei, weshalb vielleicht An. in ἐκ τοῦ οὐρανοῦ verändert, während bei Pr. die Bestimmung ganz fehlt. Ist ἐκ τοῦ ναοῦ zu lesen, so hat man den Ausdruck auf den himmlischen Tempel zu beziehen und sich zu erinnern, daß der Apok. von Kap. 8 an die allerdings dann und wann wieder fallen gelassene Vorstellung von einem in der Vision geschauten himmlischen Tempel festhält. πέμψον τὸ δρέπανόν σου καὶ θέρισον, ὅτι ἦλθεν ἡ ὥρα (11,18; 14,6; s. o. S. 177)[40] θερίσαι· ὅτι ἐξηράνθη ὁ θερισμὸς τῆς γῆς. Das Doppelbild von Kornernte und Weinernte (hier u. V. 17) ist genau nach Joel 4,1ff. LXX 4,13 gebildet: „ἐξαποστείλατε δρέπανα, ὅτι παρέστηκεν τρυγητός. εἰσπορεύεσθε πατεῖτε, διότι πλήρης ἡ ληνός“. πέμψον und nachher (V. 17) ἔβαλεν sind natürlich nur Übersetzungen des hebräischen שלח, ein Beweis, daß der Schriftsteller hier kaum den Text der LXX vor sich gehabt hat (Sp.). Zu dem Gebrauch von πέμπειν vgl. I Sam 20,20. Es ist hier nicht an die Erntevorstellung Mt 9,37; Joh 4,35ff. zu denken. Die Ernte ist hier nur Sinnbild des Gerichts und der Vernichtung. Einige Ausleger denken zwar zunächst an die Entscheidung für die Gerechten, so daß dann erst nachher das Gericht über die Ungerechten hereinbräche. Das ist jedoch durch die Anlehnung an die Joelstelle ausgeschlossen.

14,16. καὶ ἔβαλεν ὁ καθήμενος ἐπὶ τὴν νεφέλην[41] (s. o. S. 165) τὸ δρέπανον αὐτοῦ ἐπὶ τὴν γῆν, καὶ ἐθερίσθη ἡ γῆ. Die Erde wurde geerntet, d. h. es wurde ein Ende gemacht mit aller Bosheit und Schlechtigkeit der Erde. 14,17. καὶ ἄλλος ἄγγελος ἐξῆλθεν ἐκ τοῦ ναοῦ τοῦ ἐν τῷ οὐρανῷ, ἔχων καὶ αὐτὸς δρέπανον ὀξύ. Auch hier und im folgenden muß der Bearbeiter irgendwo eingegriffen haben. Denn schwerlich hat in dem ursprünglichen Bild neben dem Messias-Menschensohn eine zweite weltrichtende Gestalt gestanden. 14,18. καὶ ἄλλος ἄγγελος ἐξῆλθεν[42] ἐκ τοῦ θυσιαστηρίου (ὁ)[43] ἔχων ἐξουσίαν ἐπὶ τοῦ πυρός. Wie dem Menschensohn ein Engel zur Seite trat (V. 14-15), so tritt hier neben die zweite richtende Engelsgestalt ebenfalls ein zum Gericht mahnender dritter resp. vierter Engel. Dieser kommt aus dem Altar (ἐκ ist nicht gleich ἀπό). Zu dieser Schilderung ist 8,3ff., dann 6,9; 9,13; 16,7 zum Vergleich heranzuziehen. Nach dem ganzen Zusammenhang ist nur an einen Altar, der in der himmlischen Tempelszenerie vorhanden ist, zu denken, und zwar an den Brandopferaltar. Daß in diesem ein Feuerengel waltend gedacht wird, ist leicht erklärlich. Über die Vorstellung von Engeln, die über die einzelnen Elemente gesetzt sind, s. Religion des Judentums 317. καὶ ἐφώνησεν [ἐν][44] φωνῇ[45] μεγάλῃ τῷ ἔχοντι τὸ δρέπανον τὸ ὀξὺ [390] λέγων· πέμψον σου τὸ δρέπανον τὸ ὀξὺ καὶ τρύγησον (Lk 6,44) τοὺς βότρυας τῆς ἀμπέλου τῆς γῆς, ὅτι ἤκμασαν αἱ σταφυλαὶ[46] αὐτῆς[47]. In das hier folgende Bild der Traubenernte mischen sich Züge aus der Joelstelle, Sach 14,4; Jes 63,1ff. δρέπανον bezeichnet im Griechischen sowohl die Hippe, wie das Winzermesser. 14,19. καὶ ἔβαλεν[48] ὁ ἄγγελος τὸ δρέπανον αὐτοῦ εἰς τὴν γῆν, καὶ ἐτρύγησεν τὴν ἄμπελον τῆς γῆς καὶ ἔβαλεν εἰς τὴν ληνὸν τοῦ θυμοῦ τοῦ θεοῦ τὸν μέγαν[49] (vgl. 19,15). Der Wechsel des Genus ist eine einfache grammatische Unregelmäßigkeit, die ihre Erklärung in etwas darin findet, daß auch ὁ ληνός im Gebrauch vorkommt. 14,20. καὶ ἐπατήθη ἡ ληνὸς ἔξωθεν[50] τῆς πόλεως. Das ἔξωθεν τῆς πόλεως steht ohne alle Beziehung, wohl ein Beweis, daß hier ein apokalyptisches Fragment verarbeitet ist. So wie die Andeutung dasteht, kann man schwanken, ob hier Jerusalem unter Rückbeziehung auf Kap. 11, oder Rom—Babel 14,8 gemeint sei. Der Apok. letzter Hand hat vielleicht bereits an Rom gedacht. Dem Gericht außerhalb der Stadt entspräche dann das Gericht über Babel selbst Kap. 17-18. Daß das aber ein künstlich geschaffener Zusammenhang ist, sieht man auf den ersten Blick. Das Gericht findet nach Joel im Tale Josaphat statt, nach Sach 14,4 auf dem Ölberg (vgl. Sibyll. III 667ff.), auf Zion IV Esr 13,35; Apk. Bar. 40,1. καὶ ἐξῆλθεν αἷμα ἐκ τῆς ληνοῦ ἄχρι τῶν χαλινῶν τῶν ἵππων, ἀπὸ σταδίων (Joh 11,18; 21,8) χιλίων ἑξακοσίων. Das Gericht ist nach Jes 63,3 geschildert: καὶ κατεπάτησα αὐτοὺς ἐν θυμῷ μου, καὶ κατέθλασα αὐτοὺς ὡς γῆν, καὶ κατήγαγον τὸ αἷμα αὐτῶν (εἰς γῆν). Eine besonders auffallende Parallele liegt vor Hen 100,1ff.: „Vom Morgengrauen bis Sonnenuntergang werden sie einander hinmorden. Ein Roß wird bis an seine Brust im Blut der Sünder waten und ein Wagen bis zu seiner Höhe einsinken. An jenem Tage werden die Engel in Verstecke herabsteigen und alle Helfer der Sünde an einen Ort zusammenbringen, der Höchste wird sich an jenem Tage des Gerichtes aufmachen, um das große Gericht unter den Sündern zu halten“. Die Maßangabe der Ausdehnung des Blutbades macht besondere Schwierigkeiten. Möglich ist, daß die Zahl nur schematisch ist (40×40), Dstd. Victorin nimmt an, daß diese schematische Zahl die ganze Erde bedeutet: per omnes mundi quattuor partes. Viele sind der Meinung, daß mit der Zahlenangabe die Länge Palästinas gemeint sei (nach Antoninus itinerarium beträgt die Länge Palästinas von Tyrus bis zur ägyptischen Grenze 1664 Stadien, nach Hieronymus, Ep. ad Dard. 160 Milien = 1280 Stadien Dstd., Hltzm.). Die angegebene Länge entspricht auch dem Meerbusen von Suez (Hltzm.). Dieser kann jedoch hier kaum in Betracht kommen.

[391] Exkurs: Es ist an diesem Stück wieder ganz deutlich geworden, daß der Apok. fremde Elemente in seine Apk aufgenommen hat. Denn es liegt hier offenbar ursprünglich ein abschließendes und endgültiges Gericht vor. So haben denn fast alle Kritiker auch hier mit ihrer Quellenscheidung eingesetzt. Weyland sieht in 14,14-20 das Endgericht seiner Quelle ℵ, dem noch das Gericht über Babel und das Gesicht vom neuen Jerusalem folgen. Ebenso steht für Vlt., Erbes und J. Weiß diese Episode etwa am Schluß der Grundschrift der Apk. Diese Forscher sind also darin einig, daß dieses Stück als Schilderung des Endgerichts jedenfalls ursprünglich einmal am Schluß einer Apk gestanden haben muß. Ähnlich rechnet Weizs. 14,14-20 zur Grundlage, dafür aber auch die Stücke 11-13, 17-19 zu den Quellen der Apk. Unglücklicher ist Sp. in seiner Quellenscheidung. Er weist 14,14-20 seiner Quelle zu, der dann noch Kap. 15-18 gehören. Bei ihm tritt also dieses Endgericht wieder an den Anfang vor die sieben Schalenplagen. Sabatier hält 14,14-20 für ein vereinzelt stehendes jüdisches Quellenstück, während Schön auch dieses Stück wieder dem christlichen Apok. zuweist. Schmidt sieht in dem Abschnitt 14,6-20 ein Orakel über Rom und betrachtet ihn als ein vereinzeltes Fragment.

Die Kritiker haben sich also überwiegend dahin geeinigt, daß 14,14-20 einmal am Schluß einer selbständigen Apokalypse (resp. der apok. Grundschrift) stand und vom Redaktor wie vom Schreiber der uns vorliegenden Schrift aus seiner ursprünglichen Stellung verdrängt und zu einem Vorgerichte degradiert ist. Diese Anschauung dürfte das Richtige treffen. Zugleich erklärt sich dann gut, wie es gekommen ist, daß hier die Gestalt des Menschensohnes auf einer Stufe mit andern Engeln erscheint. Der Bearbeiter, der aus dem Weltgericht ein Vorgericht machte, mußte natürlich auch den Weltrichter auf den Rang eines Engels herunterdrücken. Da wir nicht mit Völter, Erbes, J. Weiß annehmen, daß 14,14-20 der apokalyptischen Grundschrift angehörte (s. d. Einleitung S. 127f.), so bleibt für uns noch die Frage zu erledigen, ob das hier eingesprengte Fragment etwa mit andern in der Apk verarbeiteten Fragmenten in Beziehung steht. Mir scheint nun das hier ohne Zusammenhang stehende und vom Apok. letzter Hand einfach übernommene ἔξω τῆς πόλεως auf eine ursprüngliche Verbindung mit 11,3-13 hinzuweisen. Dieses Fragment brach bei der Schilderung des nach dem Tode sich an der Stadt vollziehenden Gerichtes plötzlich ab. Es wäre immerhin möglich, daß sich daran ursprünglich das Gericht außerhalb der Stadt angeschlossen hätte. Wir sollten bei dieser Annahme allerdings erwarten, daß in unserm Stück auch ein Gericht über das Tier aus dem Abgrund, das die beiden Zeugen getötet hat, berichtet würde. Aber wir werden anzunehmen haben, daß der Apok., wenn er einen solchen Zug in seiner Quelle vorgefunden, diesen sicher beseitigt haben würde, da die Herübernahme seine Disposition vollständig zerstört haben würde. Ich halte es demgemäß für nicht unmöglich, daß 11,1-13 mit 14,14-20 einmal in ursprünglichem Zusammenhang stand. Und in diesen Zusammenhang mögen auch 7,1-8 (14,1-3) und Stücke aus der Schilderung des Antichrist 13,11ff. hineingehören. Aber allerdings ist durch[392] den Apok. letzter Hand der ganze Zusammenhang seiner „Quelle“ so zerstört und zerrissen, daß wir nur noch Teile in der Hand haben, deren geistiges Band fehlt. Wir werden daher auf alle Sicherheit der Rekonstruktion verzichten müssen. — Auch darauf mag noch hingewiesen werden, daß in der späteren Tradition vom Antichrist geweissagt wird, daß die Gläubigen und Auserwählten in der Zeit der höchsten Not aus Jerusalem in die Wüste fliehen, dann vom Antichrist verfolgt werden sollen, und daß dann die Scharen, welche der Antichrist aussendet, von den Engeln Gottes vernichtet werden. (Vgl. den Nachweis in meinem Antichrist 148.) Ich nahm seiner Zeit an, daß zwischen dem hier geschilderten Kampf und dem Gericht ἔξω τῆς πόλεως Beziehungen vorlägen, sehe aber ein, daß sich hier nichts Sicheres ausmachen läßt.


  1. ACP 79, εστως Q An.¹²⁴ 95.
  2. Q Rel. (cxc. An.¹²³ 95) + αριθμος.
  3. AC An.¹² 95 vg. s¹; > ως ℵPQ Rel. c s² a ae. g sa. Pr. Or. (s. o. S. 248 A. 4).
  4. ACP An.¹² 38 g am. harl. cle. dem. tol. lips. c s¹ a Or.; + εισιν Q Rel. s² fu. Meth. Cypr. Pr.
  5. αν ℵACP An.¹²³ 38. 93; Q Rel. εαν.
  6. υπαγει AC An.⁵.
  7. Q Rel. (exc. An.¹²⁴ 95) + υπο Ιησου.
  8. ℵ 16. 39. Pr. (wahrscheinlich auch sa.) απ’ αρχης.
  9. ACP An.¹²³ 95 g vg. s¹² a Meth. Tic. Pr.; ουχ ευρεθη εν τω στοματι αυτων Q Rel. c ae.
  10. > γαρ ACP An.¹² am. fu. lips.⁴⁵ (Pr.), das γαρ konnte sehr leicht hinzugefügt werden.
  11. Eine handschriftliche Begründung liegt nicht vor; wenn P. 1 το ονομα αυτου και nicht lesen, so liegt hier ein Ausfall per Homoiotel. vor.
  12. τω αρνιω mag von einem späteren Abschreiber eingeschoben sein.
  13. cc ACP An.²³ 95 g vg. c s¹² a ae. Pr. Cypr. Tic.; ℵQ Rel. sa. Or. >. Bei der unüberwindlichen Schwierigkeit, welche die Erklärung des ἄλλον macht, ist die Streichung desselben empfehlenswert. Vgl. auch das zu V. 8 Bemerkte.
  14. An.²³ Or. ευαγγελισασθαι s. o. S. 161.
  15. ACP 33. 35. 121 Or.; Q Rel. >. ευαγγελιζειν m. Akkus. scheint Sprachgebrauch der Apk zu sein. Doch steht hier vielleicht εὐαγγελίζειν in etwas anderm Sinn als 10,7: nicht „jemandem“ verkünden, sondern „über jemanden“ frohe Botschaft ausrufen.
  16. κατοικουντας A An.² 14. 51. 92 Tic.; καθημενους kommt in dieser Wendung, sonst in der Apk nicht vor.
  17. > A vg. Cypr. Pr.
  18. ACP An.¹²³ 95 am. fu. c s¹² a Or. Cypr. (?) Pr.; Q Rel. g cle. dem. harl. tol. lips. Tic. κυριον.
  19. Q Rel. (Or.) αυτον τον ποιησαντα, gegen den Sprachgebrauch der Apk.
  20. > 36. cle. fu. lips.⁴⁵ harl. Cypr. (?) Pr.
  21. > ACP 1. 95.
  22. αγγ. δευτ. ℵccCP An.(¹)²³ c s² a; ~ A Q Rel. Pr.; ℵ 95 > αγγελος; 14 vg. ae. Tic. > δευτερος.
  23. AP 1. 10. 17. 28. 36. 37. 42. 47. 49. 80. 91. 95. 96. 161 g vg. m s¹² a Tic. Pr.; > επεσεν ℵcQC Rel. c ae. sa.
  24. AC An.⁴ 26. 38. 51. 95 vg. s¹² a ae. Tic.; > η ℵcPQ Rel. m c Pr.
  25. πεπτωκαν ℵc 12 c sa. Pr.comm.
  26. > αλλος cle. dem. lips.⁴⁵ ae. Cypr. Pr.; s. o. V. 6 u. 8.
  27. αυτω A Pr.
  28. εκ του ποτηριου A 7. 10. 39.
  29. βασανισθησονται A 8. 14. 36. 92 c; d. übr. βασανισθησεται.
  30. CP (36.) 38. 81. 92. 95 g cle. am. fu. tol. lips. αγγελων αγιων; Q Rel. sa. (Cypr. Pr.) των αγιων αγγελων; των αγγελων A 26 m c (αγιων fiel vor oder hinter αγγελων aus). Das auch durch A bezeugte των entspricht dem Sprachgebrauch der Apok., der den scheinbar unmotivierten Artikel liebt (s. o. S. 174). „Die“ heiligen Engel sind ihm eben die Engel, welche mit dem Gericht betraut sind. Liest man mit Art., so ergibt sich damit auch die Stellung des αγιων vor αγγ.
  31. αιωνα αιωνος C An.² (α - ων P 1 al.).
  32. So ist mit den besseren Codices zu interpunktieren.
  33. Q Rel. (exc. An.¹ 38. 95) λεγει ναι; > ναι ℵ.
  34. AC αναπαησονται; Q Rel. αναπαυσονται; P An. αναπαυσωνται.
  35. Q Rel. (exc. 38. 95) δε.
  36. In diesem und in dem folgenden Verse ist wie in 7,9 infolge des εἶδον καὶ ἰδού ein starker Kasuswechsel von Nominativ und Akkusativ entstanden, und es ist demgemäß in den verschiedenen Handschriften aufs mannigfaltigste abgeändert. Einen Überblick s. Bousset, textkrit. Studien 15.
  37. Wie 1,13 ist υιον lesen; C An. korrigieren in υιω.
  38. της κεφαλης A Min. s. o. S. 166.
  39. An. ουρανου.
  40. + του 10. 18. 26. 30. 33. 34. 37. 39. 49. 90. 91. 93. 98. g; θερισμου ℵ 38. 41; beides Korrekturen des schwierigen Infinitivs.
  41. την -ην CP Rel.; της νεφελης ℵA An.¹² 38; τη ν -η Q 7. 8. 13. 14. 26. 32. 50. 90. 92. 93. 94.
  42. > A g am. fu. Pr. (non f.).
  43. + ο AC g vg. s¹².
  44. > ℵACPQ An.; + εν Rel.
  45. κραυγη C Rel. (exc 38. 95).
  46. ηκμασεν η σταφυλη Q Rel. (exc. An.¹²³ 38. 95).
  47. της γης Q Rel. (exc. An.¹²³ 38. 95).
  48. APCQ An.; εξεβαλεν Rel.
  49. Im Archetypus von ℵ An. hat wahrscheinlich folgende Doppel-Korrektur gestanden την (τον) ληνον τον (την) μεγαν (μεγαλην) und ist dann in verschiedener Weise in die einzelnen Handschriften (ℵ An.²⁴⁵ 95 την ... μεγαλην An.¹³ τον ... μεγαν) übergegangen.
  50. εξω ℵ An.² 38 s¹ f Pr. (extra), g a foris extra.
« Kap. 12,18-13. Die beiden Tiere Wilhelm Bousset
Die Offenbarung Johannis
Kap. 15-16,1. Prooemium »
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