Die Offenbarung Johannis/Kap. 15-16,1. Prooemium

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Die Offenbarung Johannis
Kap. 16,2-21. Die sieben Schalenengel »
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V. Die Sieben-Schalen-Vision. Kap. 15—18.
A. Prooemium. Kap. 15-16,1.

15,1. Die vorläufige Ankündigung der sieben Engel. καὶ εἶδον ἄλλο σημεῖον ἐν τῷ οὐρανῷ μέγα καὶ θαυμαστὸν (Joh 9,30), ἀγγέλους ἑπτὰ ἔχοντας πληγὰς ἑπτὰ τὰς ἐσχάτας (sieben Plagen, nämlich die letzten). Der Seher sieht ein andres Zeichen; der Ausdruck bezieht sich nicht auf das in Kap. 14 Gesehene zurück (Dstd.), sondern greift hinüber auf 12,1.3 (Hltzm.). Es sollen nun nach dem in Kap. 12-14 geschilderten Unheil die allerletzten Plagen geschildert werden. Vgl. Lev 26,21: προσθήσω ὑμῖν πληγὰς ἑπτὰ κατὰ τὰς ἁμαρτίας ὑμῶν (vgl. V. 18.24.28). Daß die Engel die Plagen „haben“, bedeutet wohl einfach, daß sie dieselben in Gestalt der Schalen in den Händen tragen. ὅτι ἐν αὐταῖς ἐτελέσθη ὁ θυμὸς τοῦ θεοῦ. Da mit Kap. 16 die Zornesgerichte Gottes noch keineswegs zu Ende sind, so ist der Ausdruck allgemeiner zu verstehen. „Mit ihnen kommt, (eigentlich kam, vom Standpunkt der Zukunft aus) der Zorn Gottes zu seinem Ende“. Das schließt nicht aus, daß dieser erst nach Ablauf der sieben Posaunen recht eigentlich auf seine Höhe kommt.

15,2-4. Intermezzo: die Sieger auf dem Meer. 15,2. καὶ εἶδον ὡς (s. o. S. 172) θάλασσαν ὑαλίνην μεμιγμένην πυρὶ. Was es bedeuten soll, daß das Meer mit Feuer gemischt erscheint, ist bis jetzt ein Rätsel geblieben. Es liegt aber hier ein Rudiment ursprünglicher Naturanschauung vor. Das Meer, das der Apok. hier sieht, ist wie zu 4,6 nachgewiesen, nichts andres als die himmlische Veste, der Himmelsozean. Das Feuer kann dann nur das Blitzfeuer sein. Daß das Feuer aus dem Wolkenwasser kommt, erschien der naiven Anschauung außerordentlich wunderbar.[393] Vgl. II Hen 29,2: „Es ... empfing der Blitz die wunderbare Natur, sowohl Feuer im Wasser und Wasser im Feuer, und weder löscht dieses jenes, noch trocknet jenes dieses aus. Deswegen sind die Blitze leuchtender als die Sonne und weiches Wasser fester als harter Stein“ (d. h. das Wasser des Himmelsgewölbes, das Meer, das dem Krystalle gleicht 4,6, oder das „gläserne“ Meer in diesem Verse). Unser Apok. mag übrigens schon, wie der folgende Vers beweist, an das rote Meer und bei dem Ganzen an das Siegeslied der Kinder Israel am roten Meer gedacht haben. καὶ τοὺς νικῶντας ἐκ(Winer 47, S. 345) τοῦ θηρίου καὶ ἐκ τῆς εἰκόνος αὐτοῦ καὶ ἐκ τοῦ ἀριθμοῦ τοῦ ὀνόματος αὐτοῦ ἑστῶτας ἐπὶ τὴν θάλασσαν τὴν ὑαλίνην, ἔχοντας κιθάρας[1] τοῦ θεοῦ. 5,8; 14,2. τοὺς νικῶντας steht hier für τοὺς νενικηκότας. Der Apokalyptiker schaut die Märtyrer und zwar, wie es scheint, in ihrem Zustande nach dem Tode, in ihrer zukünftigen Herrlichkeit. Sie stehen auf dem wunderbaren Himmelsozean vor Gottes Thron. Die das Martyrium verherrlichende Tendenz der Apk wird auch hier deutlich.

15,3. καὶ ᾄδουσιν τὴν ᾠδὴν Μωυσέως τοῦ[2] δούλου τοῦ θεοῦ (Num 12,7; Jos 14,7; 22,5; Ex 14,31) καὶ τὴν ᾠδὴν τοῦ ἀρνίου. Mit dem Liede Mosis ist jedenfalls das Loblied des Moses nach dem Durchzug durch das rote Meer und der Errettung von den Ägyptern (Ex 15) gemeint. Das folgende Wort „und das Lied des Lammes“ (nicht vom Lamme [Gen. Obj.], wegen des vorhergehenden Μωυσέως) bereitet einige Schwierigkeit. Es ist zunächst fraglich, ob ein und dasselbe Lied gemeint sei, das von Moses und dem Lamme stammen soll, oder ob zwei verschiedene Hymnen anzunehmen sind. Durch die Wiederholung des τὴν ᾠδήν ist die zweite Auffassung vom Apok. selbst nahe gelegt. Der Apok. läßt die Sieger zunächst das alte Moseslied und dann ein neues Lied, das des Lammes, anstimmen. — Fast sämtliche Kritiker streichen hier allerdings τὴν ᾠδὴν τοῦ ἀρνίου. Unbedingt nötig scheint mir das nicht; zu erwägen wäre immerhin, ob nicht dem Apok. eine ältere Tradition auch hier vorgelegen hat, in der von einem Liede des Moses, das von den siegreichen Gläubigen gesungen wird, die Rede war. Es genügt aber eigentlich zur Erklärung die Annahme einer Abhängigkeit von Ex 15,1. λέγοντες μεγάλα καὶ θαυμαστὰ τὰ ἔργα σου (Ps 98,1f; 111,2; 139,14; Dt 32,4; I Chr 16,9), κύριε ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ (S. 176), δίκαιαι καὶ ἀληθιναὶ (S. 178) αἱ ὁδοί σου ὁ βασιλεὺς (S. 164) τῶν ἐθνῶν[3]. (Sach 14,9). Ps LXX 144,17: δίκαιος κύριος ἐν πάσαις ταῖς ὁδοῖς αὐτοῦ καὶ ὅσιος ἐν πᾶσι τοῖς ἔργοις αὐτοῦ. Vgl. 16,7; 19,2; Ps 19,10. — ἀληθινός entspricht hier dem hebräischen תמים und bedeutet anders als sonst in der Apk mehr wahrhaft als wirklich (Dstd.). 15,4. τίς οὐ μὴ φοβηθῇ [σε][4] κύριε. Vgl. Jer 10,7(6): „Wer sollte[394] Dich nicht fürchten, König der Völker?“ (fehlt im Text der LXX). καὶ δοξάσει(-ῃ)[5] τὸ ὄνομά σου; ὅτι μόνος ὅσιος[6].[7] (von Gott nur hier und 16,5 im NT, vgl. Ps LXX 144,17), ὅτι πάντα τὰ ἔθνη[8] ἥξουσιν καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν σου, ὅτι τὰ δικαιώματά σου (19,9 „deine Rechtstaten“) ἐφανερώθησαν. Vgl. Ps LXX 85,9; πάντα τὰ ἔθνη, ὅσα ἐποίησας, ἥξουσιν καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν σου κύριε. Mch 7,15ff. Die beiden ersten durch ὅτι eingeleiteten Sätze sind koordiniert und begründen die beiden vorhergehenden Sätze. Der dritte Satz mit ὅτι ist subordiniert. Daher weist auch das ganze der Ausführung in die Zukunft: Die Völker werden kommen, weil deine Rechtstaten offenbar wurden. (Fut. exactum.).

Die Szene 15,2-4 entspricht ihrer Anlage und Stellung nach den beiden proleptischen Szenen 7,9ff. und 14,1ff. Sie ist vom Apok. gleichsam aus ästhetischen Gründen entworfen und hierher gestellt. — Nach dem grausigen Gericht 14,14-20 bedurfte seine Komposition wieder eines solchen Lichtbildes. Das Stück zeigt fast in jedem Satz die Spuren seiner Hand (s. die Einzelbemerkungen). Zur Annahme einer Quelle ist kein durchschlagender Grund vorhanden.

15,5-16,1. Die Vorbereitung der sieben Schalenengel. 15,5. καὶ μετὰ ταῦτα εἶδον[9], καὶ ἠνοίγη ὁ ναὸς τῆς σκηνῆς τοῦ μαρτυρίου (משכן אהל מועד) ἐν τῷ οὐρανῷ. Nicht „der die Stiftshütte umschließende Tempel“ (Dstd.) ist zu erklären, sondern der Tempel, nämlich die Stiftshütte (Züll., de W.). Dies Öffnen des Tempels ist freilich 11,19 schon einmal berichtet. 15,6. καὶ ἐξῆλθον οἱ ἑπτὰ ἄγγελοι οἱ[10] ἔχοντες τὰς ἑπτὰ πληγὰς [ἐκ τοῦ ναοῦ[11]], ἐνδεδυμένοι[12] λίνον[13] καθαρὸν λαμπρὸν καὶ περιεζωσμένοι περὶ τὰ στήθη ζώνας χρυσᾶς. Das Bild ist nach Ez 9,2 entworfen. Wie die sechs Männer dort, erscheinen hier die Engel in weißem Leinen, einem ihr Lichtwesen symbolisierenden Gewand (vgl. 3,4; 6,11; 7,9), sind aber, wie der Menschensohn in Kap. 1, mit goldenen Gürteln geschmückt. Besondre Schwierigkeit bereitet hier der Umstand, daß das Erscheinen der Engel schon in V. 1 erzählt war. Es entsteht überdies die Frage, wie die Engel, von dem Seher schon V. 1 gesehen werden konnten, wenn sie erst V. 5 aus dem bisher verschlossenen Tempel heraustreten. Diese Inkongruenz hat wieder Anlaß zu den mannigfachsten kritischen Operationen gegeben. Doch sind diese insgesamt nicht notwendig. Man muß nur 15,1[395] als Überschrift zu dem ganzen Folgenden betrachten. Den wichtigsten Inhalt der folgenden Weissagung stellt der Apok. voran (Vlt. III 256f.). 15,7. καὶ ἓν[14] ἐκ (S. 166) τῶν τεσσάρων ζῴων ἔδωκεν τοῖς ἑπτὰ ἀγγέλοις ἑπτὰ φιάλας χρυσᾶς γεμούσας τοῦ θυμοῦ τοῦ θεοῦ τοῦ ζῶντος (vgl. das zu 4,9; 7,2 Bemerkte) εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων. Weshalb grade einer der Cheruben die Schalen den Engeln reicht, kann nicht erklärt werden. 15,8. καὶ ἐγεμίσθη ὁ ναὸς καπνοῦ[15] ἐκ τῆς δόξης τοῦ θεοῦ (Ez 10,4) καὶ ἐκ τῆς δυνάμεως αὐτοῦ (δόξα und δύναμις sind hier gleichsam als Hypostasen Gottes gedacht, vgl. Bousset, Rel. d. Judent. 336ff.), καὶ οὐδεὶς ἐδύνατο εἰσελθεῖν εἰς τὸν ναὸν, ἄχρι τελεσθῶσιν (S. 171) αἱ ἑπτὰ πληγαὶ τῶν ἑπτὰ ἀγγέλων. Der Rauch ist ein Zeichen der Gegenwart der Herrlichkeit und Machtfülle Gottes. Jes 6,4; Ex 40,34; I Kön 8,10f. Weil seine Gegenwart aber, so lange die Plagen dauern, eine Gegenwart des Zornes und Gerichtes ist, so ist sie unnahbar und verderbenbringend für jeden, der sich naht, so daß niemand in den Tempel kommen kann.

16,1. καὶ ἤκουσα φωνῆς μεγάλης [16] (S. 163) ἐκ τοῦ ναοῦ[17] λεγούσης τοῖς ἑπτὰ ἀγγέλοις· ὑπάγετε καὶ[18] ἐκχέετε τὰς ἑπτὰ[19] φιάλας τοῦ θυμοῦ τοῦ θεοῦ εἰς τὴν γῆν (S. 168). 8,5. Nach 15,8 muß die aus dem Tempel erschallende Stimme die Stimme Gottes sein.


  1. τας κιθαρας Q Rel. (exc. An. ¹²³ al.).
  2. AP An.¹²³(⁴?) 38. 51; > του Q Rel.
  3. αιωνων ℵC 95 cl. fu. dem. tol. lipps. s¹² a?
  4. σε > ACPQ An.¹² 14. 92 g am. fu. dem. tol. c a ae. Cypr. Pr.; ℵ 95 σε φοβ.; Rel. s¹² φοβηθη σε. - Das σε ist fast unentbehrlich.
  5. δοξασει ACPQ; δοξαση ℵ (s. o. S. 171).
  6. ACP An.¹² 38 vg. Cypr. Pr.; αγιος Q Rel. g (sanctus) s¹ (a); οσιος κ. αγιος f dem. s².
  7. An.³ vg.cod. s¹ Pr. + ει.
  8. παντες Q Rel. (exc. An.¹²³ 38).
  9. + και ιδου f vg. c Tic. Pr.
  10. > ℵPQ An.¹² s. o. S. 173f.
  11. ACP An.¹²⁵ 95 f g vg. s¹² ae. Tic.; An.³ εκ του ουρανου; > Q Rel. Pr. (c a an anderer Stelle).
  12. ACP 1 al.; οι ησαν ενδεδυμενοι Q Rel.
  13. λιθον AC am. fu. dem. tol. lipss. Die unsinnige, nur durch einen Schreibfehler entstandene Lesart, darf nicht akzeptiert werden, gegen Dstd., Sp. (vgl. auch das nur zu λίνον passende καθαρόν). Ez 28,13 πάντα λίθον χρηστὸν ἐνδέδεσαι (Apk 21,11) deckt sich mit der vorliegenden Lesart nicht.
  14. > εν ℵ An.¹²⁵.
  15. εκ του καπνου Q Rel. (exc. An.¹²³⁵ 38. 95).
  16. μεγαλης φωνης ACQ Min.¹⁰. Die in der Apk gebräuchliche Wortstellung φωνης μεγαλης.
  17. 13 dem. tol. lips.⁶ c (ae) εκ του ουρανου; > Q Rel. (exc. An.¹²³⁴ 38. 95) .
  18. > An. lips.⁴ c ae.
  19. ACP An.¹; Q Rel. εκχεατε.
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