Die Offenbarung Johannis/Die späteren Ausleger der griechischen Kirche

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4. Die späteren Ausleger der griechischen Kirche.

Für die unter dem Einfluß des Dionysius und Eusebius stehende Stimmung der griechischen Kirche ist es charakteristisch, daß wir in ihr nur sehr wenigen zusammenhängenden Auslegungen des Buches begegnen. Der Kommentar, den man bisher wenigstens als den ersten in griechischer Sprache ansah, ist der des Erzbischofs von Cäsarea in Kappadocien, Andreas[1]. Der Zeit des Andreas und seines Kommentars hat Diekamp, histor. Jahrbuch 1897, eine außerordentlich gründliche Untersuchung gewidmet. Danach hat A. jedenfalls (vgl. die Auslegung zu Apk 16,19) vor der Zeit der beginnenden Herrschaft des Islam (Eroberung Jerusalems 637) geschrieben. Auf der andern Seite zitiert er bereits die Schriften des Dionysius Areopagites (s. zu Apk 4,8; 10,3; 15,7; 22,4), die frühestens 482 entstanden sind (J. Stiglmayr, histor. Jahrbuch XVI 235ff. 720ff.; H. Koch, Philologus LIV 1895, 438-454). So bleiben für Andreas, wenn man die uns bekannten Regierungszeiten der B.B. von Cäsarea in Betracht zieht, die Jahre 482-510, 513-535, 562-637. Nach D. kommt der erst genannte Zeitraum schon wegen der Beziehungen zu Dionysius kaum in Betracht. Für den letzteren spricht, daß der Kommentar starke Kriegsunruhen voraussetzt (zu Apk 6,8; 8,7; 16,9), und daß in der Tat in der Gegend Kappadociens von 603 an zwanzig Jahre hindurch der Krieg mit den Persern wütete. Dagegen aber, daß die Perser — abgesehen von der gleichgültigen Aufzählung der Weltreiche — nirgends eine Rolle in der Auslegung spielen. Daher entscheidet sich D. für den Zeitraum 513-535. Im Jahre 515 erfolgte der auch sonst die apokalyptische Literatur stark beeinflussende Ausbruch wilder hunnischer Völkerschaften durch die sogenannten kaspischen Tore. Andreas aber deutet Gog und Magog 94,46f. auf die Hunnen: ἅπερ καλοῦμεν οὑννικὰ πάσης ἐπιγείου βασιλείας καὶ ἐθνῶν ὡς ὁρῶμεν πολυανθρωπότερά (τε) καὶ πολεμικώτερα. So kommt D. zu dem Schluß, daß der Kommentar bald nach 515 geschrieben sein könnte.

Der Hauptsache nach lehnt A. sich in seinen Deutungen an Irenäus und Hippolyt an, auch wo er nicht zitiert. Gregor v. Nazianz entlehnt er die dogmatischen Ausführungen, dem Epiphanius die Deutung der zwölf Steine Apk 21, dem Methodius folgt er in der Auslegung des 12. Kap.[2][64] Als seine Methode bezeichnet er selbst in der Einleitung die origenistische (des dreifachen Schriftsinnes).

Mit der Rekapitulationstheorie scheint Andreas im Prinzip unbekannt zu sein. Auf der andern Seite nähert er sich derselben in der Auslegung dennoch. Er deutet das erste Siegel auf die Predigt der Apostel, das zweite auf die Märtyrer und Lehrer, das dritte auf den Abfall vom Glauben, das vierte auf eine Hungersnot unter Maximianus, das fünfte auf die Klagen der Märtyrer, mit dem sechsten kommt er schon in die Zeiten der Verfolgungen des Antichrist. Die siebente Posaune bedeutet die Auflösung der γηίνης πολιτείας. Die sieben Posaunen sind die Plagen der letzten Tage, durch deren Erduldung den Verdammten die Höllenstrafen gelindert werden, die sieben Schalen werden ähnlich gedeutet. Die beiden Zeugen sind auch nach ihm Elias und Henoch, der Antichrist ein jüdischer Herrscher aus dem Stamm Dan (zu Apk 7,5ff. [31,39]; 16,12 [72,15ff.]), der sein Heerlager einst in Jerusalem aufschlagen wird[3]. Kap.13 und 17 werden durchweg nach Irenäus und Hippolyt erklärt. Doch wird Babylon nicht auf Rom, sondern auf die gesamte weltliche Macht gedeutet und die sieben Häupter — trotz Erwähnung der Deutung des Hippolyt — auf sieben Weltreiche, von denen das sechste, das zur Zeit des Johannes ist, auf Rom, das siebente auf Neu-Rom (Constantinopel) bezogen wird. Die Deutung, die Andreas von Apk 20 gibt, ist die von Ticonius-Augustin aufgestellte. Der Kommentar des Andreas hat keinen ausgeprägten Charakter. Die verschiedenen Methoden: Rekapitulation und fortlaufende Auslegung, spiritualistische und realistische Deutung wechseln, aber der Kommentar ist ein interessantes Repertoir älterer und jüngerer Anschauungen.

Während man bisher annahm, daß der nächste Nachfolger des Andreas in der Auslegung der Apk Arethas von Caesarea sei, hat sich neuerdings herausgestellt, daß ein anderer Kommentar, zum mindesten den zweiten, wenn nicht den ersten Platz, in dieser Reihe einnimmt, nämlich der des Oekumenius[4]. Nachdem man bis vor kurzem von diesem Kommentar nur den Titel kannte, war Diekamp so glücklich, zunächst ein Fragment und dann in dem Cod. Messinesis S. Salvatore 99 den vollständigen Kommentar (ἑρμηνεία τῆς ἀποκαλύψεως τοῦ θεσπεσίου καὶ εὐαγγελιστοῦ καὶ θεολόγου Ἰ. ἡ συγγραφεῖσα παρὰ Οἰκουμενίου) zu entdecken[5]. Dabei ergab es sich, daß der Kommentar, den man bisher viel später angesetzt, um 600 geschrieben sei. O. selbst bemerkt zu Apk 1,2: ἤδη πλείστου δεδραμηκότος χρόνου, ἐξ οὗ ταῦτα εἴρηται, ἐτῶν πλειόνων ἢ πεντακοσίων; und ein Zitat aus dem Kommentar findet sich bereits in einer syrischen Handschrift des 7. Jahrh. (Mus. Britannicum; syr. 855, fol. 72b). —

Ja es erhebt sich sogar die Frage, ob Oekumenius nicht überhaupt der erste in der Reihe der griechischen Kommentatoren sei. An mehreren Stellen [65] nimmt der Kommentar des Andreas nämlich teils einfach referierend, teils polemisierend auf ältere Auslegungen Bezug (zu Apk 4,5; 9,5.15; 6,1ff.; 12,1ff. vgl. namentlich das oben S. 63,2 zu 6,1ff., Auslegung der Siegel, Vermerkte). Und diese Auslegungen finden sich im Oekumeniuskommentar! — 15,6 (λίνου - λίθου) und 1,5 (λύσαντι - λούσαντι) exegesiert Andreas eine Doppellesart, während Oekumenius nur eine Lesart hat. Es wäre also doch vielleicht die Frage zu überlegen, ob man trotz der entgegenstehenden Bedenken (s. o.) mit dem Andreaskommentar nicht bis 620 hinunterzugehen habe, während dann Oekumenius um 600 anzusetzen wäre. Die Herausgabe des Kommentars wird hoffentlich Licht in die Frage bringen.

Von Andreas und zu einem großen Teil, wie sich jetzt herausstellt, von Oekumenius abhängig ist endlich der dritte Kommentar in dieser Reihe, der des Erzbischofs Arethas von Caesarea (Kappadozien)[6]. Arethas, der vielleicht von 901-940 die erzbischöfliche Würde bekleidet, soll den Kommentar (nach einer Bemerkung des cod. Parisinus 219, vgl. Diekamp 1051) noch als Diakon geschrieben haben. Er wurde aber 895 Diakon in Patrae. Der Kommentar scheint in zwei Rezensionen einer kürzeren (als Anhang der Werke des Oekumenius Verona 1532, ¹ Paris 1631, ² übers. v. Joh. Hentenius, Paris 1547) und einer längeren bei J. A. Cramer, Caten. in epistolas catholicas, accesserunt Oecumenii et Arethae commentarii in Apokalypsim, vorzuliegen[7].


  1. Eine kritische Ausgabe des Kommentars: Fred. Sylburg, Andreae archiepiscopi Caesarea ... in Joannis ... apoc. Commentarius [Theodoro Peltano interprete] e typogr. Hier. Commelini 1596.
  2. Irrtümlich erwähnt A. (55,26) den Hippolyt als Vertreter der Auslegung, daß unter dem ersten Tier in Kap. 13 der Antichrist zu verstehen sei, neben Methodius. — Außerdem werden eine Reihe älterer namenloser Auslegungen (s. u.) erwähnt. Interessant ist die Bemerkung, daß einige das sechste Siegel auf die Belagerung Jerusalems durch Vespasian, die Versiegelung der 144000 auf die Errettung der Judenchristen aus Jerusalem bezogen. Nach einer andern Auslegung werden die sieben Siegel auf das Leben Jesu bezogen, das tausendjährige Reich auf die Zeit zwischen Taufe und Tod WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Christi. Eine Spur von der Nerosage findet sich zu Apk 13,3 (56,10ff.): εἴτε τινὰ τῶν ἀρχόντων αὐτοῦ τεθανατῶσθαι καὶ ὑπ’ αὐτοῦ [τοῦ Ἀντιχρίστου] διὰ γοητείας ἀπατηλῶς ἀνίστασθαι φαινόμενόν φασι.
  3. Als Deutungen der Zahl 666 werden eine Reihe von Eigennamen (neben den schon bekannten sind Λαμπέτης, Βενέδικτος zu nennen) und von vermeintlichen Attributen des Antichrist aufgezählt (κακὸς ὁδηγός, παλαιβάσκανος, ἀληθὴς βλαβερός, ἄμνος ἄδικος).
  4. Der Kommentar zu den Paulinen und Apostelgesch. Kath. Br., der unter dem Namen des Oekumenius geht, ist nach Diekamp unecht. Mit einiger Sicherheit sind nur die ihm ausdrücklich darin zugeschriebenen Stücke ihm zuzusprechen.
  5. Mitteilungen über d. neuaufgefundenen Kommentar des Oekumenius z. Apok., Sitzungber. d. Berl. Akademie 1901, H. XI. Über Oecumeniuskommentare zur Apok. vgl. v. Soden, die Schriften des N. T. I 288.
  6. Über die Zeit des Arethas s. Harnack, Die Überlieferung d. griech. Apologeten d. 2. Jahrh. Texte u. Unters. I. 1882. S. 36-46; A. Jülicher, Gött. Gel. Anz. 1899, S. 377-387. — Zu beachten ist, daß Arethas zu Apk 13,2 von der Herrschaft der Sarazenen in Babylon redet, also wahrscheinlich die Gründung von Bagdad unter Mahdi 775—785 bereits voraussetzt.
  7. Nach von Sodens Angaben wäre der echte Arethaskommentar nur in sehr wenigen Handschriften enthalten. Die bekannte Minuskel 95 (Αρ²¹) enthalte ihn. Was bisher als Arethaskommentar gegolten, sei der [von Oekumenius (das kann nach Diekamps Untersuchungen nicht richtig sein)] bearbeitete Arethaskommentar.
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