Die Offenbarung Johannis/Die Nachfolger des Ticonius

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Joachim von Floris »
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5. Die Nachfolger des Ticonius.
Lud. Alcasar charakterisiert in seinem großen Kommentarwerk (s. u.) als die erste Gattung der Auslegungen zur Apk diejenigen, welche in der Apk ganz im allgemeinen ohne Beziehung auf bestimmte Ereignisse und ohne bestimmte Zeitfolge eine Weissagung des Kampfes der Kirche mit der Welt fänden. Und mit großem Scharfsinn hat er gesehen, wie diese von Ticonius stammende Auslegung die Exegese bis tief ins Mittelalter hinein beherrschte. Nur paßt die Charakteristik nicht ganz zu dem Kommentar des Tic., den ja Alcasar selbst nicht kannte. Denn dieser fand in der Apk den ganz bestimmten Kampf der wahren donatistischen Kirche mit der falschen Staatskirche und den übrigen Weltmächten. Aber indem man nun von dem Kommentar des Tic. alles echt Donatistische abstreifte, entstand eben jene abstrakte Art der Auslegung der Apk, die Alcasar beschreibt. Derjenige, welcher diese Entwickelung in der Auslegung der Apk herbeiführt, ist Primasius († nach 554, vgl. Diekamp, histor. Jahrb. 1897, S. 1.).

[66] Er[1] hat nach seinem eigenen Zugeständnis den Tic. ausgeschrieben: exundantia reprimens, importuna resecans et impolita componens, catholico moderamine temperavi (Prooemium). Lieber noch ist er natürlich dem Augustin gefolgt, wo es anging: si quae tamen a sancto quoque Augustino testimonia exinde exposita forte repperi, indubitanter adjunxi[2]. Seine Auslegung von Apk 20 ist in der Tat von Augustin beherrscht. Daneben ist auch gelegentlich der Kommentar des Victorin benutzt. Neben manchen eignen Ausführungen gibt so Primasius den Kommentar des Tic. oft in extenso wieder. Selbst direkt donatistische Auslegungen vermeidet er nicht, obwohl der ursprüngliche Sinn derselben in der veränderten Umgebung kaum wieder zu erkennen ist. Besonders einflußreich für die Folgezeit ist es geworden, daß er die ganze Rekapitulationsmethode, ja die ganze Art, wie Tic. die Apk disponiert, an fast allen Stellen genau mit denselben Worten übernommen hat. Dagegen stellen sich bei Prim. schon wieder realistische Deutungen, welche Tic. gänzlich vermeidet, ein. Er bezieht (zu Apk 11,3) die beiden Zeugen wieder auf Elias und Henoch und weiß, daß Elias als Bußprediger unter den Juden auftreten wird. Er weiß wieder etwas von der Abstammung des Antichrist aus dem Stamm Dan (zu Apk 11,7). Das Geschwür 16,2 deutet er darauf, daß die Juden den Antichrist anstatt des Messias als ihren König aufnehmen. Ebenso bringt er in die Deutung von Kap. 13 und Kap. 17[3] wieder die Erwartung eines persönlichen Antichrist hinein und verwirrt dadurch die vorwiegend spiritualisierende Deutung des Tic. Die vier Engel 7,1 erklärt er für die Weltreiche der Assyrer, Meder, Perser, Römer. Beim zweiten Tier (Apk 13) findet er Beziehungen auf Simon Magus etc. Die wunderliche Ausführung endlich, die Prim. zu Apk 13,18 gibt, daß nämlich χριστει (= 1225) die Zahl der Tage angebe, welche der Antichrist herrsche, ist wohl aus einem Mißverstand der Deutung des Ticonius entstanden[4]. Gleichzeitig etwa mit Primasius schrieb Cassiodorus „complexiones in epistolas et acta apostolorum et apocalysin[5]. Er verweist die Leser, die eine ausführliche Belehrung wünschen, auf des Ticonius Erklärung und produziert im großen und ganzen diese. Doch finden sich auch Erklärungen anderer Art, wie die Elias-Henoch-Deutung, die auf einen persönlichen Antichrist und die Babylons auf Rom.

In diesem Zusammenhang sind ferner die pseudoaugustinischen Homilien[6][67] zu erwähnen. Dieselben sind ein ziemlich getreuer Auszug aus Tic. unter teilweiser Beseitigung donatistischer Ketzereien. Hier und da ist Victorin benutzt. In der Auslegung von Kap. 20 (Hom. 17. 18) zeigt sich der Einfluß Augustins. Wo Ticonius von der falschen Bischofskirche redet, spricht der Auszug einfach von Häretikern.

Nach Isidorus Hispalensis de viris illustr. 30 schrieb der Bischof Apringius (eccl. Pacensis)[7] einen Kommentar zur Apk: subtili sensu atque illustri sermone melius pene, quam veteres ecclesiastici viri. Den Kommentar hat auch Beatus benutzt, er nennt den Apringius als seine Quelle (s. o. S. 56,1). Haußleiter machte (a. a. O. 257) auf Nachrichten über diesen Kommentar aufmerksam, welche aus der Bibliotheca vetus Hispana des Nicolaus Antonius stammen. Danach befanden sich Handschriften des Kommentars in spanischen Bibliotheken. Einer Notiz von Mosheim Bibliotheca Bremensis VI 749 folgend fand ich den Kommentar in dem Handschriften-Katalog des Arnamagnaeanske-Legat (III. Teil 1895) unter Nr. 1927 A M. 795. 4[8]. Neuerdings hat M. Férotin den Kommentar herausgegeben, nachdem er ihn bereits früher unabhängig von mir in Kopenhagen aufgefunden[9]. Der Kommentar ist nicht vollständig. Er liegt nur vor für Apk 1-5,7 und dann wieder zu Apk 18,6 bis zum Ende. Dazwischen steht mit der Überschrift „deinde explanatio Iheronimi“ der (von Hieronymus überarbeitete) Victorin-Kommentar, von dem auch zu 20,1-10 wieder ein Stück in den Text des Apringius eingesprengt ist. Die Verstümmelung des Kommentars, wenn dieser überhaupt einmal vollständig war, scheint uralt zu sein. Auch in spanischen Handschriften liegt sie bereits vor (Bibl. Hispana I, 277), und wie mir scheint, zeigt bereits Beatus in den mittleren Partieen keine Spur von einem neben dem Kommentar des Ticonius fortlaufenden anderen Kommentar. Der Kommentar selbst ist eine — wie es scheint, ziemlich selbständige — aber recht wertlose Arbeit. Wertvoll ist derselbe nur dadurch, daß er uns ein Mittel an die Hand gibt, den Kommentar des Ticonius aus dem Beatuskommentar zu rekonstruieren. Denn Apringius war bis jetzt unter den von Beatus benutzten Quellen die einzige unbekannte Größe. Bemerkenswert ist endlich die in diesem Kommentar sich findende Notiz, daß die Apk unter Kaiser Claudius geschrieben sei.

Beda (735 †)[10] bekennt in der Einleitung ebenfalls seine Abhängigkeit von dem von ihm sehr geschätzten Ticonius und stellt die sieben Regeln desselben seiner Ausslegung voran. Er zitiert ihn häufig ausdrücklich. Außerdem kennt er als belesener Gelehrter den Primasius (in Apk 13,17) Augustin, von dem er namentlich in Kap. 20 (vgl. auch die Deutung der vier Tiere auf die vier Evangelisten) beeinflußt ist, Hieronymus, Gregor, auch Cyprian. Im Ganzen folgt er in seiner Auslegung mehr dem Primasius als dem Ticonius. Er teilt mit jenem fast alle obengenannten Abweichungen von Ticonius. Er dürfte indessen die Erklärung des Tic. zum siebenten Siegel allein erhalten haben[11]. In seiner Vorrede teilt er die Apk in sieben Teile, eine Einteilung, die der späteren Auslegung weithin zum Muster gedient hat. In der Auffassung der Komposition der Apk folgt Beda noch ganz dem Ticonius resp. dem Primasius. Hier finden sich die Ausführungen des Tic. wörtlich wieder (vgl. zu Apk 6 Ende).[68] Ambrosius Ansbertus[12] schickte seinem schon erschreckende Dimensionen annehmenden Kommentar einen Überblick über die Geschichte der Auslegung voran. Er kennt den Kommentar des Victorin in der Bearbeitung des Hieronymus, dann Ticonius, Primasius (und dessen Verhältnis zu Ticonius); als seine bevorzugten Gewährsmänner nennt er Augustin und Gregorius. Hier und da zitiert er auch Beda. Die Hauptquelle des Ambrosius ist Primasius. Es finden sich bei ihm freilich auch einige direkte Berührungen mit Ticonius, so daß auch dieser Kommentar hier und da zur Rekonstruktion des Tic. heranzuziehen ist. Dem Primasius folgt A. gewöhnlich dem ganzen Gedankenzusammenhang nach und durchsetzt diesen mit ausführlichen Exkursen, langen Erörterungen einzelner Worte und spitzfindigen Fragen, indem er sich dabei vielfach an Gregor anschließt. Auch den Victorin hat er gelesen und berücksichtigt ihn oft (in Apk 10,11). Die Auslegung des Zahlenrätsels (Apk 13,18) ist eine genaue Addition von Primasius und Victorin II. Auch bekämpft er die Deutungen Victorins, so die Deutung der beiden Zeugen (Elias-Jeremias), so die Nerodeutung (in Apk 17,9.10; 13,3), die er für eine Absurdität erklärt. Er akzeptiert (in Apk 13,1) die alte (Hippolyt-Hieronymus) Auslegung der sieben Häupter des Tieres. Die Rekapitulationstheorie behält er, immer noch unter wörtlicher Zitation des Ticonius, bei (vgl. die Auslegung am Ende von Apk 6). Die Anordnung des Kommentars in zehn Bücher ist zur weiteren Orientierung zu beachten.

Beatus, der durch den Streit mit Elipandus bekannte Mönch und Presbyter, schrieb im Jahre 776 einen Kommentar zur Apk, welchen er dem Etherius widmete[13]. Als seine Quellen nennt er Hieronymus, (Victorin?), Augustin, Ambrosius, Fulgentius, Gregorius, Ticonius, Irenäus Abringius, Isidorus. Das Werk beginnt mit der nuncupatio ad Etherium. Dann folgt ein Prologus des Hieronymus, darauf der uns bekannte Prologus desselben zu der Ausgabe des Victorin-Kommentars, dann p. 4-35 eine Summa, die Auslegung zum ersten Kapitel der Apk p. 36-83 (am Schluß der Kommentar des Victorin zu Apk 2 und 3). Dann ein Prologus de ecclesia et synagoga, größtenteils eine Kompilation aus Isidors etymologiae, p. 84-135, endlich der übrige Kommentar.

Der Kommentar ist eine unglaubliche Kompilationsarbeit. Beatus schreibt sinnlos aus den verschiedensten Schriftstellern ab und kombiniert entgegengesetzte Behauptung mit einer köstlichen und für uns ungemein wertvollen Naivität. Die Kommentare des Victorin, Apringius und Ticonius hat er fast ganz in sein Werk aufgenommen, er unterbricht ihre Ausführungen oft mit seitenlangen Plagiaten aus Gregors Homil. zu Ezechiel und Moralien. [69] Den Luxus einer eigenen Meinung gestattet er sich fast nirgends mehr.

Beatus glaubt nach seinen Ausführungen zu 7,1ff. in den letzten Zeiten zu leben, er berechnet, daß nur noch 14 Jahre übrig bleiben sollen bis zum Ende des sechsten Jahrtausends (p. 322, Einleitung Nr. 65ff.), er hatte viel über falsche und heuchlerische Mönche zu klagen (Summa p. 27) und bezog auf diese, wie überhaupt auf alle Namenchristen des Ticonius Polemik gegen falsi fratres. Für uns ist das Werk eine unschätzbare Fundquelle einer alten, verloren gegangenen exegetischen Literatur[14].

Wir sahen bis jetzt, wie namentlich durch Primasius hindurch, aber auch direkt der Kommentar des Ticonius die Folgezeit mit wenigen Ausnahmen beherrschte, wie andrerseits gerade durch Primasius ein Bruchstück der älteren realistischen Deutung wieder in Umlauf kam. — Auch die folgenden Jahrhunderte bieten noch kein wesentlich anderes Bild.

Alcuins Werk Migne (P. L. 100) will zunächst nichts anderes sein als ein Auszug aus Ambrosius. Das ziemlich umfangreiche Werk Haymos von Halberstadt (843 † Migne P. L. 117) ist tatsächlich ebenfalls ein einfacher Auszug aus demselben Werk. Das zeigt sich schon darin, daß die Anfänge der sieben Bücher in Haymos Kommentar mit den Buchanfängen bei Ambrosius übereinstimmen[15]. Übrigens kennt Haymo auch Beda und zitiert ihn (971 A). So finden sich denn selbst bei Haymo noch jene altbekannten Ausführungen über die Rekapitulationsmethode, und so liegt hier eine lange, fast über fünfhundert Jahre reichende Traditionskette vor: Ticonius — Primasius — Ansbertus —— Haymo!

Wie Haymo ein Auszug aus Ambrosius, so ist Walafried Strabos Glossa ordinaria[16] (Migne P. L. 114) wieder ein Auszug aus Haymo. Eine direkte Berührung [70] des Strabo mit Ansbertus habe ich nicht gefunden. Mit Beda teilt übrigens Strabo die Apk in sieben Teile. So findet man auch noch bei Strabo überall Anklänge an Primasius und Ticonius. Auf Grund der Ausführungen des Ticonius hat sich nun mittlerweile ein schon bei Ansbertus vorhandenes; aber mit der größeren Kürze der Kommentare immer klarer heraustretendes bestimmtes Schema der Auslegung gebildet, das dann sehr einflußreich geworden ist. Danach werden die Weissagungen der Siegel so verteilt, daß man in dem ersten die Predigt der Apostel, in dem zweiten die Verfolgungen und die Märtyrer, in dem dritten die Häretiker und doctores ecclesiae, in dem vierten die falsi fratres (Schismatiker, Scheinchristen s. o. Ticonius!), in dem fünften und sechsten die dem Ende vorhergehenden Begebenheiten geweissagt fand; genau analog erklärte man dann die sieben Posaunen[17]. Bei der fünften Posaune bemerkt Strabo: hic est enim damnatio eorum, quos diabolus immitit ad praeparandas vias ante faciem Antichristi. Dagegen werden dann die sieben Schalen auf die „destructionem illorum, qui tempore Antichristi erunt“ gedeutet. Zu Apk 11-13 finden wir dagegen die alte Deutung des Ticonius in der Umarbeitung des Primasius wieder. Bedeutsam ist noch, daß Strabo in den Apk 14 auftretenden Engeln christliche praedicatores fand, welche einer dem andern folgen.

Unter den Werken des Ambrosius von Mailand (Migne P. L. 17) findet sich das Werk eines Verfassers, der sich, wie aus dem von ihm selbst in der Einleitung aufgegebenen Zahlenrätsel mit ziemlicher Sicherheit zu erkennen ist, Berengaudus nannte (l. c. p. 843). Von Autoritäten zitiert er namentlich Gregorius und Prudentius, außerdem Ambrosius, Hilarius, Hieronymus, Augustin (967 C). Er schrieb nach der Zerstörung des Longobardenreiches[18], er geißelt in der Auslegung von Apk 18 namentlich die Ausschreitung gewisser Archidiakone und höherer kirchlicher Beamte[19], ihre Simonie und Bestechlichkeit. Die Herausgeber deuten diese Ausführungen auf die kirchlichen Verhältnisse in Gallien am Anfang des neunten Jahrhunderts. — Der Kommentar ist deshalb interessant, weil er in der ganzen Zeit der einzige einigermaßen selbständige ist. Vieles erinnert zwar noch in der Auslegung an Ticonius oder an andere Ausleger, aber die meisten Ausführungen sind selbständig und singulär. Wie der Kommentar sich an keinen Vorgänger anlehnt, scheint er übrigens auch keine Nachfolger zu haben. B. teilt sein Buch in sieben Abschnitte, die teils mit denen des Beda, teils mit denen des Ansbertus sich decken. Die sechs Siegel werden hier gedeutet auf die Zeit: 1) von Adam bis Noah, 2) bis zum Gesetz, 3) des Gesetzes, 4) der Propheten, 5) der Märtyrer, 6) der Verwerfung des Volkes und Berufung der Heiden. — Die Posaunenengel sind auch hier 1) ante legem, 2) Moses, 3) prophetae, 4) Christus, 5) apostoli, 6) defensores ecclesiae orthodoxae. B. kennt die buchstäbliche und die spirituelle Deutung der beiden Zeugen. Vom siebenten Engel heißt es: praedicatores sancti, qui temporibus Antichristi erunt. Von den drei aufeinander folgenden Engeln, Apk 14,6ff., ist der erste Christus und die Apostel, der zweite doctores ecclesiae, der dritte praedicatores ... qui temporibus Antichristi futuri sunt (vgl. Strabo). Die sieben Häupter des Tieres sind: omnes reprobi, der Antichrist das siebente Haupt. Die Hörner sind die Reiche, die einst Rom zerstört haben (Vandalen, Gothen, Longobarden etc.). Die Zahl des Tieres will B. nicht deuten, er meinte, daß es einem begegnen könne, beim Nachrechnen einmal seinen eignen Namen oder den seiner Verwandten zu finden.

Des Anselmus von Laon († ca. 1117, Migne P. L. 162) enarrationes in Apocalypsin sind in genauer Anlehnung an Walafried Strabos Glosse geschrieben.[71] Bruno von Aste[20], einer der theologischen Gegner Berengars, lehnt sich in seinem Werk im wesentlichen an Haymo[21] an. Strabo mit seiner straffen Dispotion hat noch keinen Einfluß auf ihn gehabt. Er teilt seinen Kommentar in sieben Bücher, teils der Einteilung Bedas, teils der des Ansbertus folgend. Verhältnismäßig selbständig ist der Kommentar des Abts Rupertus v. Deutz[22]. Der Charakter der Auslegung verändert sich allerdings nicht. Wie überall herrscht die Allegorese, die Rekapitulationstheorie, das Vermeiden bestimmter kirchlicher Einzeldeutung. Viel Bekanntes klingt im einzelnen durch, doch findet sich noch mehr Singuläres[23].

Der Einfluß der Glossa ordinaria macht sich dann weiter geltend in dem Kommentar des Richard von St. Victor, (Migne P. L. 196, nach Alcasars Einl., S. 68 1140 geschrieben), der allerdings vorwiegend von dem Werk des Anselm abhängig zu sein scheint, vielleicht auch Haymo folgt. Das feststehende Schema der Auslegung wird befolgt, Eignes bringt er fast garnicht. Dasselbe ist zu sagen von dem Werk des Albertus magnus (Opera Lugdum. 1651. Tom XII. — Alcasar gibt in der Einleitung seines Kommentars [68] das Jahr 1260 an). In diesem tritt schon der Charakter der scholastischen Gelehrsamkeit hervor: überall eine genaue Disposition, kleine Exkurse, zahlreiche Bibelstellen als Paralleltexte, Belege und Erläuterungen; im großen und ganzen auch hier in Anordnung und Einzelauslegung nur Bekanntes[24].

Ferner ist wegen seiner Anlage im großen und ganzen hierher ein Kommentar zu stellen, der früher dem Thomas von Aquin[25] zugeschrieben wurde, jetzt ihm jedoch allgemein abgesprochen wird. Er stammt frühestens aus dem 13. Jahrh. Glossa (Walafried oder Anselmus?), Bernhard v. Clairvaux (z. B. 402a) und sogar die Auslegung des Abt Joachim (s. u.) sind hier zitiert. Eine bestimmte Wendung gewinnt die Auslegung der sieben Posaunen, namentlich der vierten Posaune. Hier werden als Prediger gegen die Scheinchristen „pauperes praedicatores“ genannt (A 391a unten). — A 395b heißt es: paupertas jam omnino et fere ubique percussa est. Vom dritten Stand, dem der Armen, wird gesagt: omnes illam opprimunt et spoliant et nullus eam defendit. Von jenen praedicatores wird behauptet ordo praedicantium, qui modo sunt[26]. Einen besonderen Sinn hat es wohl auch, wenn der Verfasser (der Glossa folgend) von den beiden Tieren Kap. 13 das eine aus die principes das andere auf die falschen praedicatores deutet. Man beachte noch die Ausführungen [72] (zu Apk 14,7) über den tertius ordo praedicatorum (praedicatores audacter dicentes veritatem). — Wir gehen nach den angeführten Beweisstellen kaum fehl, wenn wir annehmen, daß dieser Kommentar wenigstens in der Form von A [in B fehlen die charakteristischen Stellen] in reformerischen Kreisen, vielleicht in denen der spirituellen Franziskaner entstanden ist.

Im folgenden zähle ich vorgreifend die wenigen späteren Kommentare auf, die sich noch immer in demselben Geleise der Auslegung bewegen: 1) Hugo v. St. Caro[27] († 1263) beruft sich sehr oft auf die Glossa[28] (des Strabo ?), muß aber außer dieser noch andre Kommentare aus derselben Gruppe ausgeschrieben haben. 2) Interessanter ist das Werk des Dionysius Carthusius (v. Ryke)[29] (1402-1471). Dieser machte den Anfang eines gewissen wissenschaftlichen Kommentarbetriebs. Er kennt neben Augustin und Hieronymus: Beda, Haymo, Albertus Magnus, die Glossa, sogar Berengaudus. Er kennt auch den Nicolaus v. Lyra (s. u.) und sucht dessen andersartige Methode Schritt für Schritt zu widerlegen. Mit seinen eignen Auslegungen bleibt er ganz in dem alten Geleise. Selbst im 15. Jahrhundert wirkte die Auslegung eines Beda und Strabo noch nach. Der Kommentar des Pariser Theologen und Siegelbewahrers Gagnaeus[30] (16. Jahrh.) wandelt völlig in den alten Bahnen. Ebenso schließt sich der Menonit Zeger[31] aufs engste an die Auslegung Bedas an. Ebenso (nach Alcasar p. 11) der von Zeger bereits zitierte Titelmann.

So hat von Ticonius her bis tief ins Mittelalter hinein und darüber hinaus eine bestimmte Methode der Auslegung geherrscht, die in ihrer nüchternen, abstrakten Art seltsam absticht gegen den Charakter der Apk. Von nun aber wird das Bild ein andres. Es beginnt die eigentliche phantastische, apokalyptische Auslegung. Dieser Wandel hängt eng zusammen mit einem stärkeren Anschwellen der apokalyptisch-eschatologischen Stimmung in der späteren abendländischen Kirche. Als allmählich die tausend ersten Jahre der Kirche abliefen, da richtete sich auch der Blick der Christenheit mehr und mehr auf das Ende. Im X. und XI. Jahrhundert wird diese Stimmung eine herrschende, man wartete allgemein auf das Reich des Antichrist. Manch stolzer himmelragender Kirchenbau verdankt dieser überweltlichen Stimmung sein Dasein, die Kreuzzüge finden nicht zum wenigsten in dieser eschatologischen Stimmung ihren Untergrund (vgl. Lücke 1003). Die Bedrängnisse, welche die Christenheit vom Islam zu erleiden hatte, beförderte dieselbe. Da begann man auch die Apk in andrer Stimmung und mit andern Augen zu lesen.


  1. Editio princeps seines Kommentars in einer Kölner Ausgabe von 1535. Selbständige Ausgabe: Basel 1544. Aus der ersteren stammt der Pariser Druck 1544, aus dieser wieder der Abdruck Bd. X d. Bibliotheca Maxima von Lyon, aus der Migne Patrol Graeca 68 geflossen ist. Haußleiter, Theol. Lt. Bl. 1904, Sp. 1-4. — Über Primasius s. Cassiodor, Inst. div. litt. 9: nostris quoque temporibus apoc. ... episc. Primasii ... studio minute ac diligenter quinque libris exposita est.
  2. z. B. deutet er gegen die Autorität vieler Väter die vier Cherubim mit Augustin so, daß Mt, nicht Mk das Symbol des Löwen bekommt, vgl. S. 50,4. Diese Anordnung hängt damit zusammen, daß Apk 4 (im Gegensatz zu Ezechiel) der Löwe Symbol des ersten Tieres ist, der Ochse (das zweite Tier) aber für Lukas feststand.
  3. Zu Apk 17,11: i. e. antichristus, qui se pro Christo vult suscipi, asserens se quasi mortuum resurrexisse.
  4. Außerdem bringt Primasius die Deutungen Αντεμος und Αρνουμε (Itacismus statt αρνουμαι), die dann sich sehr oft in späteren Kommentaren wiederfinden.
  5. ed. Scipio Maffey Florent. 1721.
  6. Migne P. L. XXIV. Der Text scheint sehr in Unordnung zu sein, wie sich denn auch starke Textvarianten zeigen. Es finden sich fortlaufende Wiederholungen, als wenn die Homilien wirklich gehalten und zum Schluß die Quintessenz noch einmal zusammengefaßt wäre. Aber oft sind die Wiederholungen fast ebenso lang oder länger, als die erste Behandlung des Stoffes, und bringen überdies noch Ausführungen anderer Art. Es scheint fast so, als wenn hier doppelte Excerpte in einander geschoben sind. Eine bisher unbenutzte Handschr., auf die Haußleiter noch aufmerksam machte, findet sich in dem oben S. 61 erwähnten Münchener Cod. Lat. 14469 fol. 67. Die Handschr. scheint nach den bei Migne angegebenen Varianten mit dem WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Leydener Manuskript verwandt zu sein. In den besseren Handschr. fehlen große Partieen (s. Migne).
  7. Florez in der Ausgabe des Beatus 44: claruit ab anno 530.
  8. Genaueres siehe in den Nachrichten der Gesellsch. der Wissensch. zu Gött. Philologisch-historische Klasse 1895. II. Bousset, Nachrichten über eine Kopenhagener Handschr. etc.
  9. Bibliothèque patrologique publiée par Chevalier I: Férotin, Aspringius de Béja, son commentaire de l’apocalypse. Paris 1900. F. hat keine weitere Handschr. des A. gefunden. Die Kopenhagener ist also bis jetzt die einzige, die uns das Werk des Apringius erhalten hat. Ich kann jetzt, was die Notizen über Handschr. des A. anbetrifft, einfach auf F. verweisen.
  10. Explanatio apocalypsis; Migne P. L. 93.
  11. Post interitum Antichristi requies aliquantula futura creditur in ecclesia.
  12. Bibliotheca patrum. Colon. Agripp. 1618 IX. 2, p. 305-540. Ambrosii Anberti in S. Johannis .... Apocalypsim libri X. Das Werk ist dem Papst Stephanus III. (IV) gewidmet (768-772). Ansbertus sagt am Ende des Kommentars von sich: ex Gallorum provincia ortus, intra Samnii vero regionem apud monasterium martyris Christi Vincentii divinis rebus imbutus, temporibus Pauli pontificis Romani (757-767) nec non Desiderii regis Langobardorum .... hoc opus confeci atque complevi.
  13. S. Beati Presbyteri in Apocalypsin ed. H. Florez. Matriti 1770. Über die Zeit des Beatus s. die Einleitung Nr. 65. 70. Über die sehr interessante Überlieferung des Beatus-Kommentars handelt Conrad Miller, Mappa Mundi, I. Heft: Die Weltkarte des Beatus, Stuttgart 1895. Miller zählt 30 Handschr. auf und sucht dieselben zu klassifizieren. Sehr wichtige Handschr. liegen in Paris. Ich habe eine Handschr. der Berliner Bibliothek Ms. Theol. Lat. Fol. 561 zum Teil kollationiert. Der Text bei Florez ist noch in außerordentlich verwildertem Zustand. Der Kommentar ist besonders auch wegen seiner Zutaten (Illustrationen, Weltkarte) interessant.
  14. Hervorragend interessant ist auch die 498f. sich findende Nerodeutung mit ihrer ganz singulären (mit Caesar beginnenden) Zählung der Kaiser und ihren Nachrichten über das Leben Jesu. Eine bemerkenswerte Ähnlichkeit hat mit jener Liste die uns bei Tertullian adv. Iudaeos cap. 8 (vgl. Hieronymus in Danielem IX) überlieferte Kaiserliste. Hier ist Caligula, dort Claudius ausgelassen, die Zeit des Otho findet sich bei Tertullian (? Handschr.) auf 3 Monate 5 Tage, bei B. auf 3 Monate 6 Tage berechnet, die des Galba auf 7 Monate 6 Tage, während B. freilich 499 für Galba 3 Jahre 6 Monate angibt, aber ihn 500 septimo mense imperii sui sterben läßt. (Die Umstellung Galba-Nero ist wohl ein Versehen des B.) Das interessanteste bei alledem ist, daß also Beatus eine Deutung kannte, dergemäß die Apk unter Nero geschrieben ist und Nero der sechste Kaiser war (welcher ist). Alle die Angaben über die Abfassungszeit der Apk (Claudius-Nero-Domitian) finden wir in dem Werk des Beatus neben einander. Es wäre nicht ganz unmöglich, daß dieses Stück des Beatuskommentars aus dem Verloren gegangenen Teil des Apringiuskommentars stammte (s. o.).
  15. Im Anfang des zweiten Buches stimmen sie nicht überein, aber Hm 3 ist = Ab. 5 (Apk 10), Hm. 4 = Ab. 6 (Apk 12,12), Hm. 5 = Ab. 7 (Apk. 14,14), Hm. 6 = Ab. 8 (Apk 17), Hm. 7 = Ab. 9 (Apk 19,1).
  16. Das Verhältnis zwischen Ab., Hm. und Strabo dürfte durch folgende Zusammenstellung klar werden. In Apk 4 heißt es bei Ab.: ipse nimirum unigenitus filius veraciter factus est homo, ipse in sacrificio nostrae redemptionis dignatus est mori ut vitulus, ipse per virtutem suae fortitudinis resurrexit ut leo, ipse etiam post resurrectionem suam ascendens ad coelos in superioribus est elevatus ut aquila. - Haymo: significant quoque haec quattuor animalia ipsum dominum Iesum Christum, qui natus est ut homo, passus est ut vitulus, surrexit ut leo, ascendit super omnes caelos ut aquila. Strabo: haec bene repraesentant Christum, qui natus est, passus, resurgens, ascendens.
  17. Man fand dann in den sieben Posaunen sieben Klassen von praedicatores (apostoli, martyres, confessores, virgines etc.).
  18. Vgl. die Deutung der zehn Hörner zu Apk 17,1. Auch findet sich bereits ein Satz aus dem Symbolum Athanasianum 896 A.
  19. Quamvis multi ex episcopis ab hoc scelere videantur immunes.
  20. Expostitio in Apoc. Migne P. L. 165. Bruno ist (s. das Prooemium) in der Mitte des 11. Jahr. geboren, er war Bischof zu Signia in Campanien, er schrieb den Kommentar zur Apk in seinem Greisenalter.
  21. Aus (Ansbertus und) Haymo bringt er zur Zahl 666 die Deutungen: Antemos, Arnume, Teitan, Genserikos, Diclux.
  22. Ruppertus Abbas Tuitiensis 1135 †, Migne P. L. 169. — Der Kommentar ist nach Alcasars Einleitung 1120 geschrieben.
  23. Wie Beregaudus deutet er die sieben Posaunen auf den Verlauf der alttestamentlichen Geschichte, die sieben Siegel deutet er auf die einzelnen Taten Christi (eine bei Andreas v. Caesarea erwähnte Auslegung). Die bekannten Deutungen der Zahl hat er nicht.
  24. Zum sechsten Siegel heißt es bei Alb.: omnes sancti exibunt in medio impiorum. Da haben wir eine alte Auslegung des Ticonius, die auf langem Wege bis hierher verschlagen ist.
  25. Er findet sich in doppelter Form (Rezension A und B) in der Gesamtausgabe des Thomas v. Aquin, Parma 1869, XXIII 324ff. 512ff.
  26. Zu beachten ist, daß der Verfasser einen ordo praedicatorum weissagt, der nach der Besiegung des Antichrist predigen wird (vgl. unten die Auslegung Joachims).
  27. Postilla in universa Biblia. In dessen gesammelten Werken Colon. Agripp. 1521. Bd. VII. H. schrieb den Kommentar nach Alcasars Einleitung S. 68 um 1240.
  28. Einige Sätze finden sich wörtlich in Strabos Glossa (zu Apk 6,5ff. und 21,3), andre habe ich nicht identifizieren können (zu Apk 13,18 und 20,1). Meint Hugo hier die Glossa interlinearis (mir nicht zugänglich), oder besaß er die Glossa des Strabo in ausführlicherer Form?
  29. Von mir benutzt: Enarrationes in epist. omnes canonicas, acta apostol., apocal. I. Colon. 1534. Nach Alcasars Einleitung 69 soll Dionysius den Kommentar zur Apk 1470 geschrieben haben.
  30. Vgl. Biblia sacra, Venetiis 1757, Tom 28.
  31. Scholia in omnes N. T. libros 1555, aufgenommen in den „Critici sacri Anglicani“.
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