Textdaten
Autor: Georg Christoph Lichtenberg
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Titel: I. Allerlei Gedanken
Untertitel: Die Natur
aus: Ausgewählte Schriften, S. 3–11
Herausgeber: Adolf Wilbrandt
Auflage:
Entstehungsdatum: 1791–94
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Gießen und Commons
Kurzbeschreibung: Bemerkungen zum Thema Natur
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[3]
Die Natur.

Newton hat die Farben zu scheiden gewußt. Wie wird der Psycholog heißen, der uns sagt, woraus die Ursachen unsrer Handlungen zusammengesetzt sind? Die meisten Dinge, wenn sie uns merklich werden, sind schon zu groß. Ob ich den Keim in der Eichel mit dem Mikroskop oder den hundertjährigen Baum mit bloßen Augen ansehe, so bin ich gleich weit vom Anfange. Das Mikroskop dient nur uns noch mehr zu verwirren. So weit wir mit unsern Fernröhren reichen können, sehen wir Sonnen, um die sich wahrscheinlich Planeten drehen. Daß in unsrer Erde so etwas vorgeht, davon überführt uns die Magnetnadel. Wie, wenn sich dieses noch weiter erstreckte? wenn sich in dem kleinsten Sandkörnchen ebenso Stäubchen um Stäubchen drehten, die uns so zu ruhen scheinen, wie die Fixsterne? Es könnte ein Wesen geben, dem das uns sichtbare Weltgebäude wie ein glühender Sandhaufen vorkäme …

*

Eine strenge Kälte ist etwas sehr viel Fürchterlicheres und Gefährlicheres, als alle Donnerwetter von sechs Sommern zusammengenommen, ob es gleich gemeiniglich sehr stille dabei hergeht. Warum fürchtet man sich nicht davor? Deshalb, weil wir sichere Ableiter für dieselbe haben, Brennmaterialien und Kleidung. Ebenso und nicht um ein Haar anders verhält es sich mit dem Blitz. Die Häuser werden von ihm gezündet und Menschen von ihm getötet, weil sie nicht für Ableitung desselben gesorgt haben.

*

Wäre es möglich, unsre tagtägliche Feuersgefahr durch Donner anzudeuten, es würde nicht aufhören zu donnern, zumal an Orten, wo man des Nachts im Bette studiert.

*

[4] Ich möchte wohl wissen, ob man Beispiele von Taubgebornen hat, die sich vor dem Gewitter gefürchtet haben. Wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, so glaube ich, ich würde mich ehemals wenig oder gar nicht vor einem Gewitter gefürchtet haben, das nicht gedonnert hätte.

*

Herr Walker zu Bath hat nun seinen Untersuchungen über die gefrierenmachenden Materien einen hohen Grad von Vollkommenheit gegeben. Er ist schon jetzt im stande, das Quecksilber in jeder Jahreszeit und in jedem Klima leicht zum Gefrieren zu bringen, ohne die mindeste Beihilfe irgend eines Eises. Alles ist Salpetersäure, Salmiak, Glaubersalz und flammender Salpeter. Was für eine entzückende Aussicht für die Wollüstlinge Indiens, die keinen natürlichen Winter haben, sich nun für ihre Tafeln wenigstens einen künstlichen verschreiben zu können. Wir lächeln über den rohen Wilden oder bemitleiden ihn, der nicht im stande ist, sich Feuer anzumachen; so könnte wohl leicht ein Nabob von 1800 über den von 1790 lächeln, der noch nicht im stande war, sich Kälte anzumachen. Ja, wenn der Einbildungskraft, die doch auch die strengste Vernunft zum Rekognoszieren nötig hat, zu trauen ist, so könnten wohl Zeiten kommen, da man Städte und Dörfer so in Frost steckte, wie man sie bisher in Brand gesteckt hat.

*

Ich zweifle, ob es gegen irgend ein Uebel in diesem Jammerthal mehr Hilfsmittel gibt, als gegen das Nichtsehenkönnen. Bliebe die Sonne aus, gut, so steckten wir Lichter an. Das ist eine Kleinigkeit. Verschließt der Star das Fenster, wiederum gut, so macht der Augenarzt den Laden wieder auf. Wird der Mensch Myops oder sieht er von dem Universo nichts als die Spitze seiner Nase, oder wird er Presbyt und sieht den Kirchturm deutlich, aber nicht seinen Nächsten, der vor ihm steht, so ist der ganze Handel mit zwölf Groschen abgethan, die man an den Glasschleifer bezahlt. Mit Hilfe dieser großen Tripelallianz von Lichterzieher, Augenarzt und Glasschleifer hat der Mensch bisher die absolute sowohl als relative Blindheit so kräftig bekämpft, defensive wenigstens, daß ihre Einrisse, die sie dennoch hie und da thut, kaum der Rede wert sind. Ja man hat sogar offensive agiert, und Hoffnung, dereinst noch den Splitter in des Bruders Auge im Monde zu sehen. Ist es nicht sonderbar mit diesem Sehen? Haben wir nicht schon eine Telegraphik mit dem Monde zu stande gebracht? so daß wir, genau berechnet, immer nach anderthalb [5] Sekunden wissen können, wenn dort oben ein monte nuovo entstanden ist, oder ein Lissabon ober Messina sein Ende erreicht? – Aber ach! wenn es doch auch Telegraphen für die übrigen fünf Sinne gäbe! Allein da sieht es erbärmlich aus …

*

Herr Elliot, ein gelehrter englischer Apotheker, hat Versuche mit seinen Augen angestellt, die um so merkwürdiger sind, als nicht leicht jemand neugierig genug sein wird, sie ihm nachzumachen. Er drückte nämlich seine verschlossenen Augen so lange, bis alle die bekannten leichten Erscheinungen verschwanden und kein Druck mehr im stande war, irgend eine Erscheinung wie Licht hervorzubringen. Wie er die Augen aufthat, hatte er die Satisfaktion zu sehen, daß er gänzlich blind war, ja die Sonne selbst konnte er nicht mehr sehen. Nach und nach kam jedoch die Empfindung wieder. Aehnliche Versuche hat er mit seinen Ohren angestellt, in die er Instrumente steckte und dadurch allerlei Töne hervorbrachte. Er hat dadurch Hoffnung zu einer ganz neuen Musik gegeben, die in einer großen Gesellschaft jeder nach seiner Art genießen kann, ohne das Konzert der andern damit zu stören.

*

Wenn ich bisweilen viel Kaffee getrunken hatte und daher über alles erschrak, so konnte ich ganz genau merken, daß ich eher erschrak, ehe ich den Krach hörte. Wir hören also gleichsam noch mit andern Werkzeugen, als mit den Ohren.

*

Die Leute, von denen man sagt, sie reden durch die Nase, reden nicht durch die Nase; und wenn sie durch die Nase redeten, so würde man sagen, sie redeten nicht dadurch.

*

Ich träumte neulich an einem Morgen, ich läge wachend im Bette und könnte keinen Atem bekommen; darauf erwachte ich ganz munter und spürte, daß ich, nach meiner damaligen Lage, nur sehr mäßigen Mangel daran hatte. Einem bloß fühlenden Körper kommen böse Empfindungen allezeit größer vor, als einem, der mit einer denkenden Seele verknüpft ist, wo selbst oft der Gedanke, daß die Empfindungen nichts zu bedeuten haben, oder daß man sich, wenn man nur wollte, davon befreien könnte, vieles von dem [6] Unangenehmen vermindert. Wir liegen öfters mit unsrem Körper so, daß gedrückte Teile uns heftig schmerzen, allein weil wir wissen, daß wir uns aus dieser Lage bringen können, wenn wir wollen, so empfinden wir wirklich sehr wenig. Dieses bestätigt eine Anmerkung, die ich anderswo gemacht habe, daß man sich durch Drücken die Kopfschmerzen vermindern könne.

*

Warum kann man sich den Schlaf nicht abgewöhnen? Man sollte denken, da die wichtigsten Verrichtungen des Lebens ununterbrochen fortgehen, und die Werkzeuge, wodurch sie geschehen, nie ruhen und schlafen, wie das Herz, die Eingeweide, die lymphatischen Gefäße, so wäre es auch nicht nötig, daß man überhaupt schlafe. Also die Werkzeuge, welche die Seele als solche am meisten zu ihren Verrichtungen nötig hat, werden in ihrer Thätigkeit unterbrochen. Ich möchte wohl wissen, ob der Schlaf je in dieser Rücksicht betrachtet worden ist. Warum schläft der Mensch? Der Schlaf scheint mir mehr ein Ausruhen der Gedankenwerkzeuge zu sein. Wenn ein Mensch sich körperlich gar nicht angriffe, sondern nur nach seiner größten Gemächlichkeit seinen Geschäften folgte, so würde er doch am Ende schläfrig werden. Dieses ist wenigstens ein offenbares Zeichen, daß beim Wachen mehr ausgegeben, als eingenommen wird; und dieser Ueberschuß läßt sich, wie alle Erfahrung lehrt, im Wachen nicht ersetzen. Was ist das? Was ist der Mensch im Schlaf? Er ist eine bloße Pflanze; und also muß das Meisterstück der Schöpfung zuweilen eine Pflanze werden, um einige Stunden am Tage das Meisterwerk der Schöpfung repräsentieren zu können. Hat wohl jemand den Schlaf als einen Zustand betrachtet, der uns mit den Pflanzen verbindet? Die Geschichte enthält nur Erzählungen von wachenden Menschen; sollten die von schlafenden minder wichtig sein? Der Mensch thut freilich alsdann wenig, aber gerade da hätte der wachende Psychologe am meisten zu thun.

Die Nerven spitzen sich gegen das Ende zu und machen das aus, was wir sinnliche Werkzeuge nennen. Es sind die Enden, die nach außen stehen und die Eindrücke der Welt empfangen. Diese sind vermutlich ohne unser Wissen beschäftigt und beständig wach. Es gibt also bei dem Menschen, von der Spitze der Nervenfasern an nach innen zu gerechnet, eine Schicht, die beständig in Arbeit ist, und vermutlich, während sie in Arbeit ist, der Seele Begriffe zuzuführen, nicht auch in Arbeit sein kann, sich selbst zu erhalten und das Verlorene zu ersetzen. Diese Teile ruhen also in dem Zeitraume des Ersatzes. Wir scheinen nur zu fühlen, wenn [7] wir wirken, nicht wenn wir für die Wirkung sammeln. Was wir dann empfinden, ist vielleicht bloß Empfinden des Wohlbefindens. Es wird nicht zu Gedanken, es ist bloß Gefühl von Stärke oder doch Gemächlichkeit.

Unsre ganze Geschichte ist bloß Geschichte des wachenden Menschen; an die Geschichte des schlafenden hat noch niemand gedacht. Die Gedankenwerkzeuge scheinen am leichtesten zu ermüden zu sein; es sind die feinsten Spitzen. Daher denkt der Mensch im gesunden Schlaf gar nicht. Ich wiederhole es noch einmal: Gebrauch und Ersatz scheinen einander in den feinsten Spitzen entgegenzuwirken; wo Ersatz der Nerven bereitet wird, findet keine Empfindung statt. Diejenigen Teile, die mehr nach innen liegen, sind bloß zur Erhaltung, nicht zum Empfangen und zur Gegenwirkung. So ließe sich die Notwendigkeit eines Schlafes a priori demonstrieren. Feine Teile, die durch gröbere ersetzt werden müssen, können ihren Dienst nicht leisten, während sie in Ausbesserung begriffen sind.

*

Es ist eine sehr weisliche Einrichtung in unsrer Natur, daß wir so viele äußerst gefährliche Krankheiten gar nicht fühlen. Könnte man den Schlagfluß von seiner ersten Wurzel an verspüren, er würde mit unter die chronischen Krankheiten gerechnet werden.

*

Es ist doch sonderbar, daß wir so viele Mittel kennen, eine Krankheit zu befördern, und so wenige, sie zu heilen.

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Das Alter ist die tödlichste aller Krankheiten, denn man hat noch kein Beispiel, daß jemand, der davon befallen wurde, durchgekommen wäre; und doch kann man mit Grund dabei ausrufen: Schade, daß sie so wenige Menschen bekommen!

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Die Leichenöffnungen können diejenigen Fehler nicht entdecken, die mit dem Tode aufhören.

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Es ist noch eine große Frage, durch welche Erfindung mehr Menschen gefallen sind, durch die Guillotine oder durch die beliebten Pülverchen des Herrn Doktor Ailhaud.

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[8] Jetzt, da ich dieses schreibe (im Anfang des August 1794), zeigen sich bei uns, so wie an mehreren Orten, Spuren der Ruhr. Es sollen, wie man sagt, schon sechs Menschen daran gestorben sein; das wären also schon gerade noch einmal so viel in wenigen Tagen, als der Blitz Menschen in unsrer Stadt in mehr als einem halben Jahrhundert getötet hat; und wie viele Menschen mag die Ruhr wohl in diesem halben Jahrhundert getötet haben? Und doch ist man dabei sehr ruhig. Ich sehe sogar, daß man nicht einmal für die wohlfeilsten Ruhrableiter sorgt. Man geht noch immer in den dünnsten Westchen einher, obgleich der Wind schon über die Stoppeln weht; ja ich habe bemerkt, daß man noch vor wenigen Tagen hie und da bei offenen Fenstern schlief, die man bei Gewittern sehr sorgfältig verschloß; und doch hat man kein Beispiel, daß der Blitz je zu einem offenen Fenster hineingefahren wäre, da hingegen die Ruhr gar leicht in die Schlafkammern schlägt, wenn sie ein offenes Fenster findet, zumal, wenn sie unversehens, nach einem heißen Tage, mit einem kühlen Regen und einem feuchten Lüftchen ankommt. – Ist das nicht sonderbar? Wie würden sich wohl die Menschen in diesen Tagen verhalten, wenn die Ruhr, wie ein dickes, schwarzes Gewölk, oder gar wie ein dunkelgrünes, dergleichen Donnerwetter einmal jemand gesehen haben wollte, am Horizont herauf, niedrig und langsam angezogen käme, die Spitzen der Bäume berührte, den Tag in Dämmerung verwandelte, und nun das bestimmte Schlachtopfer jedesmal mit einem Donnerschlag befiele, der die Häuser beben mache? Blitzen sollte es nicht dabei, doch um den Schlag anzukündigen, müßte etwa die Dämmerung einige Sekunden vor demselben noch um einige Tintenstufen schwärzer werden. Ich glaube, des Singens und Betens würde kein Ende sein. Ja ich fürchte, selbst mancher Weise (sapiens) möchte sich von einem solchen Himmel etwas mehr als bloß decken lassen. Daß dabei die tödlichen Schläge sich noch besonders auszeichnen müßten, versteht sich. Wie da? Und doch schwebt jetzt ein solches Wetter über unsern Häuptern, nur ohne Donnerschläge und schwarzgrüne Wolken, die überhaupt gerade die Nebensache bei dem Handel wären, und wir setzen unsre Geschäfte ruhig fort. Nun bedenke man noch die Fieber-, Pocken- und Schlagflußwetter, die immer umherziehen und einschlagen. – – Doch wir überlassen diese Betrachtungen dem Leser, aus Furcht, durch weiteres Ausmalen die Gattungen der Donnerwetter für manche Menschen zu vermehren, für die schon eine einzige zu viel ist.

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[9] Vermutlich sind die Zeiten nicht mehr fern, da Physik und Chemie, denen die lateinische Küche, ich meine die Apotheke, so vieles, wo nicht gar alles, zu danken hat, ihre Herrschaft auch über die populäre Hausapotheke, ich meine die Küche, erstrecken wird. Da sie so viel geleistet haben, die Apotheke, die sonst wie eine Art von Fegfeuer dicht zwischen Küche und Kirchhof lag, so weit als möglich von dem letzteren abzurücken, so wäre es unstreitig ihr größter Triumph, sie auch so weit als möglich von ersterer zu entfernen, die noch immer Hand in Hand gehen und sich einander in die Hände arbeiten.

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Ich bin überzeugt, daß die Hälfte des menschlichen Geschlechts, wenigstens des zahmen Teils desselben, den man den gesitteten nennt, über die Hälfte zu viel ißt; denn was man, zumal unter den höheren Klassen, Hunger nennt, ist meistens mehr ein Appetit nach Hunger, als der eigentliche Bedürfnishunger selbst.

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Seit einigen Tagen (22. April 1791) lebe ich unter der Hypothese (denn ich lebe beständig unter einer), daß das Trinken bei Tische schädlich sei, und befinde mich vortrefflich dabei. Hieran ist gewiß etwas Wahres, denn ich habe noch von keiner Aenderung in meiner Lebensart und von keiner Arznei so schnell und handgreiflich die gute Wirkung empfunden, als hiervon.

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Unter allen Kanälen, die die Natur für die Subsistenz unsres Wesens angelegt hat, ist wohl der Darmkanal, so wie er der längste ist, der wichtigste. Der Großhandel wird allein durch ihn geführt, das wissen die Hypochondristen; alles übrige ist Stapelei. Dieser Kanal ist unzähliger Richtungen fähig. Ob es Geschöpfe gibt, bei denen der Darmkanal durch den Kopf geht, ist bloß wahrscheinlich, aber daß es welche gibt, bei denen der Darmkanal durch das Herz geht, weiß ich von einer Art Muscheln wenigstens gewiß.

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Man führt gegen den Wein nur die bösen Thaten an, zu denen er verleitet; allein er verleitet auch zu hundert guten, die nicht so bekannt werden. Der Wein reizt zur Wirksamkeit, die Guten im Guten, und die Bösen im Bösen.

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[10] Wenn man einmal Nachrichten von Patienten gäbe, denen gewisse Bäder und Gesundheitsbrunnen nicht geholfen haben, und zwar mit eben der Sorgfalt, womit man das Gegenteil thut, es würde niemand mehr hingehen, wenigstens kein Kranker.

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Neue Bäder heilen gut.

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(1793.) Warum hat Deutschland noch kein großes öffentliches Seebad? – Was außer der Heilkraft den Seebädern einen so großen Vorzug vor den inländischen gibt, ist der unbeschreibliche Reiz, den ein Aufenthalt am Gestade des Weltmeers in den Sommermonaten, zumal für den Mittelländer, hat. Der Anblick der Meereswogen, ihr Leuchten und das Rollen ihres Donners, der sich auch in den Sommermonaten zuweilen hören läßt, gegen welchen der hochgepriesene Rheinfall wohl bloßer Waschbeckentumult ist; die großen Phänomene der Ebbe und Flut, deren Beobachtung immer beschäftigt ohne zu ermüden; die Betrachtung, daß die Welle, die jetzt hier meinen Fuß benetzt, ununterbrochen mit der zusammenhängt, die Otaheite und China bespült, und die große Heerstraße um die Welt ausmachen hilft; und der Gedanke, dieses sind die Gewässer, denen unsre bewohnte Erdkruste ihre Form zu danken hat, nunmehr von der Vorsehung in diese Grenzen zurückgerufen, – alles dieses, sage ich, wirkt auf den gefühlvollen Menschen mit einer Macht, mit der sich nichts in der Natur vergleichen läßt, als etwa der Anblick des gestirnten Himmels in einer heitern Winternacht. Man muß kommen und sehen und hören. Ein Spaziergang am Ufer des Meeres, an einem heitern Sommermorgen, wo die reinste Luft, die uns selbst das Eudiometer noch auf der Oberfläche unsres Wohnorts kennen gelehrt hat, Eßlust und Stärkung zuträgt, macht daher einen sehr großen Kontrast mit einem in den dumpfigen Alleen der inländischen Kurplätze.

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Das Erdbad sowohl, als das Wort dazu, ist eine Erfindung des berühmten Doktor Graham, des Erfinders des „himmlischen Bettes“. So kostbar sein himmlisches Bett war, so wohlfeil ist sein Erdbad. Man läßt ein Loch in die Erde graben, so tief, daß man darin bis an den Hals stehen kann; und stellt sich nackend hinein, läßt alsdann wieder Erde hinzuwerfen und etwas fest anstampfen bis an den Hals. Es darf nichts frei bleiben als der [11] Kopf, selbst die Arme nicht, daher man sich in ameisenreichen Gegenden die Ameisen wedeln lassen muß. Auch die Hunde müssen entfernt werden, weil diese manche Köpfe leicht für Ackersteine halten möchten. Es soll dieses Bad ein Mittel wider sehr viele Uebel sein, fast so wie das Grab selbst, das am Ende alle heilt, und Grahams beide Erfindungen, Erdbad und himmlisches Bett, in sich vereint.

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Mir ist ein Mann bekannt, der viele Jahre über dem Pe mobile (so nannte er das perpetuum mobile) zubrachte, große Bogen Papier zusammenklebte, und sie auf dem Boden des Zimmers voll multiplizierte, und das so lange, bis über der allzuheftigen Anstrengung die rechnende Maschine still stand, noch ehe die berechnete zu gehen anfing, und er dahin starb, nicht ohne den Ruhm, ein guter, arbeitsamer und dabei nicht unwissender Mann gewesen zu sein.