Seite:Lichtenberg Die Natur.pdf/4

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Georg Christoph Lichtenberg: I. Allerlei Gedanken: Die Natur. In: Ausgewählte Schriften, S. 3–11

Unangenehmen vermindert. Wir liegen öfters mit unsrem Körper so, daß gedrückte Teile uns heftig schmerzen, allein weil wir wissen, daß wir uns aus dieser Lage bringen können, wenn wir wollen, so empfinden wir wirklich sehr wenig. Dieses bestätigt eine Anmerkung, die ich anderswo gemacht habe, daß man sich durch Drücken die Kopfschmerzen vermindern könne.

*

Warum kann man sich den Schlaf nicht abgewöhnen? Man sollte denken, da die wichtigsten Verrichtungen des Lebens ununterbrochen fortgehen, und die Werkzeuge, wodurch sie geschehen, nie ruhen und schlafen, wie das Herz, die Eingeweide, die lymphatischen Gefäße, so wäre es auch nicht nötig, daß man überhaupt schlafe. Also die Werkzeuge, welche die Seele als solche am meisten zu ihren Verrichtungen nötig hat, werden in ihrer Thätigkeit unterbrochen. Ich möchte wohl wissen, ob der Schlaf je in dieser Rücksicht betrachtet worden ist. Warum schläft der Mensch? Der Schlaf scheint mir mehr ein Ausruhen der Gedankenwerkzeuge zu sein. Wenn ein Mensch sich körperlich gar nicht angriffe, sondern nur nach seiner größten Gemächlichkeit seinen Geschäften folgte, so würde er doch am Ende schläfrig werden. Dieses ist wenigstens ein offenbares Zeichen, daß beim Wachen mehr ausgegeben, als eingenommen wird; und dieser Ueberschuß läßt sich, wie alle Erfahrung lehrt, im Wachen nicht ersetzen. Was ist das? Was ist der Mensch im Schlaf? Er ist eine bloße Pflanze; und also muß das Meisterstück der Schöpfung zuweilen eine Pflanze werden, um einige Stunden am Tage das Meisterwerk der Schöpfung repräsentieren zu können. Hat wohl jemand den Schlaf als einen Zustand betrachtet, der uns mit den Pflanzen verbindet? Die Geschichte enthält nur Erzählungen von wachenden Menschen; sollten die von schlafenden minder wichtig sein? Der Mensch thut freilich alsdann wenig, aber gerade da hätte der wachende Psychologe am meisten zu thun.

Die Nerven spitzen sich gegen das Ende zu und machen das aus, was wir sinnliche Werkzeuge nennen. Es sind die Enden, die nach außen stehen und die Eindrücke der Welt empfangen. Diese sind vermutlich ohne unser Wissen beschäftigt und beständig wach. Es gibt also bei dem Menschen, von der Spitze der Nervenfasern an nach innen zu gerechnet, eine Schicht, die beständig in Arbeit ist, und vermutlich, während sie in Arbeit ist, der Seele Begriffe zuzuführen, nicht auch in Arbeit sein kann, sich selbst zu erhalten und das Verlorene zu ersetzen. Diese Teile ruhen also in dem Zeitraume des Ersatzes. Wir scheinen nur zu fühlen, wenn

Empfohlene Zitierweise:
Georg Christoph Lichtenberg: I. Allerlei Gedanken: Die Natur. In: Ausgewählte Schriften, S. 3–11. Cotta, Stuttgart 1893, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lichtenberg_Die_Natur.pdf/4&oldid=- (Version vom 29.8.2023)