Die Muse der dritten französischen Republik

Textdaten
<<< >>>
Autor: Eduard Schmidt-Weißenfels
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Muse der dritten französischen Republik
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 198–200
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[198]

Die Muse der dritten französischen Republik.

Von Schmidt-Weißenfels.

Es ist Mittwoch Abend. Die eleganten Straßen von Paris sind längst erlenchtest Vor einem der großen Häuser des Boulevard Poissonnière, nahe der Montmartrestraße, halten von Zeit zu Zeit Equipagen oder Fiacres, deren Insassen in gewählter Kleidung ihr Vorhaben des Besuchs einer feinen Abendgesellschaft den Blicken der Neugierigen genügend verrathen. Es kommen Damen in rauschenden Schleppen, Herren in militärischen Uniformen hohen Rangzeichens außer der Mehrzahl, die in gewöhnlicher Besuchstoilette erscheint. Je später es wird, desto zahlreicher die vorfahrenden Wagen. Noch die elfte Stunde hält die Freunde des Hauses nicht ab, sich an diesem herkömmlichen Empfangsabend einzufinden. Sie steigen die hell erleuchteten Treppen auf den eingespannten Teppichen hinauf – zwei, drei, oder sind es gar vier Treppen, bis wo die Salons sich öffnen, in welche der Diener sich verbeugend sie eintreten läßt! Eine südliche Flora in üppiger Fülle versetzt sie wie in einen Wintergarten. Ein feiner Wohlgeruch von lebenden Blumen und von sich verflüchtenden Essenzen zieht durch die eleganten, gastlichen Räume, deren künstlerischer Ausschmuck von Geschmack wie Reichthum zeugt. Der Hauptsalon vereinigt die Mehrzahl der Besucher; die Damen bilden auf den Polstersesseln einen Halbcirkel, hinter dem sich die Herren bewegen oder wo sie stehen. In den aus Ampeln matt erleuchteten Nebengemächern haben sie sich zu kleinen Gruppen zusammengefunden und plaudern, debattiren vielmehr. Da ist einer der Minister, da der Präfect Soundso; hier ein französischer General und dort ein italienischer, ein spanischer Gesandtschaftsattaché, ein paar russische Diplomaten und Officiere, ein paar Senatoren, ein paar Deputirte, berühmte Maler und von der Mode umschmeichelte Schriftsteller; Einer von den vierzig Unsterblichen mit seiner Gemahlin, die sich mit einer der verehrtesten Künstlerinnen vom Théâtre française unterhält; von der hohen Finanz und der großen Presse, von der Opera und vom Buchhandel, also aus den einflußreichsten und verschiedensten Kreisen der Gesellschaft, die Aristokratie des Faubourg St. Germain ausgenommen, begrüßen sich hier die Vertreter mit hervorragenden oder doch interessanten Fremden und huldigen der Dame des Hauses, der Frau Adam, die bald hier, bald da ihre Gäste auszuzeichnen weiß.

Eine graziöse Erscheinung, diese Frau Adam! Man vergißt ihr gegenüber, daß sie schon zwei Männer gehabt, zweimal und längst zum zweiten Mal Wittwe ist, als Großmutter schon nach einem Jahrzehnt zählt. Mit ihren Vierzigern an Sommern entfaltet sie noch alle die Reize, wie sie Balzac, der Kenner, der Frau von dreißig Jahren beigelegt hat. Von zierlicher Figur, trägt sie über vollen Schultern auf einem feinen Halse ein allerliebstes Köpfchen. Sage man ein Musenköpfchen, mit hellen, sprechenden, seelischen Augen, freier Stirn mit dunkelblondem Haar, das in leichtem Gelock über den Nackeu fällt, mit frischen, weichen Lippen und beinahe noch Kindlichkeit in den Zügen, die sich mit anmuthiger weiblicher Koketterie mischt. Dazu echter Pariser Chic und lebhafter Geist, was Alles in Verbindung mit einem anständigen Geldreichthum diese Wittwe in den Augen heirathslustiger Männer recht begehrenswerth erscheinen lassen muß.

Sie weiß sich überdem durch das feine Haus, das sie in Paris hält, durch vortreffliche Diners, durch ihren literarischen und ihren politischen Ehrgeiz interessant zu machen, um so mehr, als sie als Frau ihre Erfahrungen hinter sich hat. Blutjung wurde sie, Juliette Lamber, an einen Arzt ohne Praxis, Doctor La Messine, verheirathet. Das erwachende Herz der hübschen jungen Frau fand nur bitterste Enttäuschungen in dem Manne, mit dem sie für das Leben verbunden worden war. Ihre feine und poetische Natur empörte sich gegen die selbstsüchtige Brutalität, die ihr in der Ehe erwiesen wurde. Es war ein weibliches Martyrium, welches glücklicher Weise nicht allzu lange dauerte. La Messine verdarb und starb, und Juliette, die sich schon vorher von ihm getrennt hatte, wurde wieder völlig frei, noch in der Blüthe ihrer Weiblichkeit. Sie heirathete nun den sehr braven und sehr wohlhabenden Generalsecretär des Comptoir d’escompte Edmond Adam, der zwar schon ein Graubart, aber ein imposanter und sympathischer Mann war, mit dem sie als seine Eva glücklich und zufrieden noch ein Jahrzehnt lang lebte.

Frau Edmond Adam konnte sich für Alles entschädigen, was sie als Frau La Messine hatte leiden und entbehren müssen. Ihr zweiter Mann that seiner schönen jungen Frau Alles zu Gefallen. Er gab Gesellschaften, wo die jungen republikanischen Feuerköpfe, Leute wie Gambetta und Rochefort, den Hof um seine Gattin bildeten, die sich jetzt als glühende Republikanerin aufspielte und eine Lust daran bezeigte, in ihrem Hause die radicalsten Feinde des Kaiserreichs zu versammeln. Es war in den letzten Jahren der Louis Napoleon’schen Herrlichkeit, deren Sonne niederging und auf deren Ende die Republikaner mit wachsender Ueberzeugung hofften. Rochefort begann sich durch seine „Lanterne“ dem Kaiserreich furchtbar zu machen; Gambetta wurde durch eine Advocatenrede für die Republik ein gefeierter Volkstribun.

Man kann sich denken, wie vergnügt man im Salon Adam’s war, als am 4. September 1870 das Kaiserreich wirklich und wie ein Kartenhaus zusammenbrach und die lieben Hausfreunde nun die neu errichtete Republik regierten. Lauter Perikles, denen Frau Adam eine Aspasia war. Auf eine Bitte, auf ein Wort von ihr wurden ihre Schützlinge, wenn sie wollten, in gute Beamtenstellen gebracht. Sie überraschte sogar eines Tages ihren Mann mit seiner Ernennung zum Polizeipräfecten von Paris – eine sorgenvolle Stellung, die der wenig ehrgeizige und Ruhe liebende Herr so bald als möglich wieder abgab. Aber Juliette wollte doch ihren Alten unter den politischen Größen der dritten Republik sehen. So verschaffte sie ihm denn nach der Gründung des Senats einen Polsterstuhl in dieser hohen Versammlung. Als Senator starb Adam in der Mitte der siebenziger Jahre und in dem Geruche eines patriotischen Republikaners ehrlich-harmlosen Charakters.

Da Juliette – oder, wie sie sich fortnannte, Frau Edmond Adam – die Seele ihres Salous seit jeher gewesen war, so änderte sich durch den Tod ihres Mannes gar nichts daran. Sie hielt in der alten Weise weiter Haus und gewann nun als Wittwe sogar mit einem erhöhten Interesse auch eine höhere Bedeutung in der politischen Welt von Paris. Es gab unter den neuen Matadoren genug, die sich gern dazu verstanden hätten, der dritte Mann für die reizende und reiche Frau zu werden, und der mächtig aufsteigende Gambetta galt für Denjenigen, um dessen willen die neue Aspasia ihren Wittwenschleier abermals wieder ablegen würde. Mindestens spielte sie vor den Augen der Welt die Rolle einer zärtlichen Vertrauten Gambetta’s, und je mehr der Stern dieses Ehrgeizigen stieg, desto mehr befestigte sich auch ihre politische Stellung. Sein Ministerium, das Alle enttäuschen sollte, war ihr Höhepunkt, der allgemein anerkannt wurde. Ihrem Einflusse auf die zur Macht im Lande gekommene Partei war es zuzuschreiben, daß sich „tout Paris“, die Elite der politischen und literarischen Gesellschaft, zu ihren Abendunterhaltungen drängte, und gewiß hat sie thatsächlich in jener Zeit auch mehr Bewerbern zu Präfecturen und Unterpräfecturen verholfen, als die meisten der französischen Damen, welche von jeher an der Aemterbesetzung unter der Monarchie wie unter der Republik ihren Antheil gehabt haben. Unzweifelhaft war und ist ihr Salon im Paris der dritten Republik der bedeutendste und sie unter den Frauen derselben die in der politischen Gesellschaft hervorragendste. Freilich verdankt sie diese Auszeichnung nicht so sehr einer Ueberlegenheit an Intelligenz und Bildung, als vielmehr wesentlich der Camaraderie mit den politisch emporgekommenen republikanischen Mittelmäßigkeiten und dabei dem merkenswerthen Umstande, als eine feine und geistvolle Frau mit ihrem radicalen Republikanerthume eine ihren Gesinnungsgenossen hochwillkommene Ausnahme zu bilden. Denn gewiß ist, daß die Pariserinnen keine schwärmerischen Verehrerinnen der ihnen viel zu spießbürgerlichen dritten Republik sind, und, je mehr sie Damen von Welt sind, desto weniger fühlen sie sich einem Idealismus zugeneigt, wie er unter der ersten Republik zu Ende des vorigen Jahrhunderts so viele schöne und geistvolle Frauen, eine Roland, eine Taillie, eine Desmoulins, eine Beauharnais, begeisterte. Frau Edmond Adam aber gefällt sich darin, und ihre Schmeichler haben sie um deswillen auch die „Muse der Republik“ von heute genannt. Seien wir so galant, ihr diese Schmeichelei zu gönnen.

[199] Wie wir Deutsche dieselbe richtig zu verstehen haben, wollen wir bei der Zeichnung des Portraits dieser Auserkorenen aber denn doch in breiten Strichen angeben.

Um poetischen oder durch geistige Bedeutung in der Gesellschaft sich auszeichnenden Damen eine Huldigung zu erweisen, hat man schon öfter deren zu Musen gekrönt. Delphine Gay, die dann die Frau Emil von Girardin’s wurde, feierte die galante literarische Pariser Welt in den dreißiger Jahren als die „zehnte Muse“, oder einfach als die „Muse Frankreichs“, und die liebenswürdige Frau, deren freisinnige, talentreiche Schriften und Theaterstücke noch heute in Ehren stehen, hat ihre Versetzung unter die Pieriden[1] mit der ihr eigenen Anmuth aufgenommen. Niemand hat sich dabei auch etwas Böses gedacht, während die beliebte neueste Musenkrönung der Frau Adam zwar auch nichts als eine literarische Spielerei ist, indessen eine nichts weniger als harmlose und poetische Deutung haben soll.

Frau Adam hat, wie erwähnt, ihren literarischen Ehrgeiz, und sie ist nicht die einflußreiche Salondame geworden, ohne ihre schriftstellerische Thätigkeit in das nöthige Licht zu setzen. Sie suchte schon als junge Frau La Messine über ihr eheliches Unglück Trost in Abfassung novellistischer und sogar sociale Fragen berührender Schriften, die sie unter ihrem Mädchennamen Juliette Lamber veröffentlichte.

Furore hat sie damit nicht weiter erregt; doch sind ihre Reiseschilderungen und ihre Novellen die Zeugnisse eines artigen Talents und einer geistvollen Frau. Am meisten lenkte unter diesen Büchern das ihrer „Anti-Proudhon’schen Ideen“ die Aufmerksamkeit der Pariser Lesewelt auf sich. Die unglückliche und beleidigte Frau ließ sich hier über die Rechte vernehmen, auf welche ihr Geschlecht in der Ehe Anspruch zu erheben habe.

Eigentlichen und größeren Erfolg trug ihr dann das „Tagebuch einer Pariserin“ ein, welches ihre Beobachtungen und Empfindungen während der Belagerung von Paris durch die deutschen Armeen ausspricht. Die patriotischen Töne, die sie hier anschlug, die leidenschaftliche Erbitterung über die siegrechen Feinde entsprachen viel zu sehr einem Herzensbedürfniß der Pariser, als daß sie der Verfasserin dafür nicht mit einer gewissen Popularität gedankt hätten. Zudem war sie damals Notre Dame du 4. Septembre, die vielbedeutende Freundin der herrschenden Partei und Staatsmänner, welche ihrerseits es nicht fehlen ließen, der Schriftstellerin Juliette Lamber den Ruhmeskranz als Patriotin zu reichen.

Sie schwärmte ja für Gambetta, für seine Kriegführung bis auf’s Messer gegen die Preußen, und für den Rachekrieg, den das verrathene Frankreich sobald als möglich nach Gambetta’s Sinn gegen das neu erstandene deutsche Kaiserreich führen würde. In diesem patriotischen Haß war sie ihren Verehrern die Muse der Republik, eine Muse mit heißem, gallischem Blut – uns Deutschen eine Medusa, für die wir unsere Perseusschwerter lose in der Scheide halten.

Diese hübsche, graziöse Frau Adam sieht also mit ihrem Musengesicht sehr gefährlich aus, und diese ursprünglich so harmlose Schriftstellerin Juliette Lamber hat seit dem Krieg von 1870 etwas von einem heroischen Zug bekommen. Sie ist die weibliche Verkörperung der Sehnsucht französischer Kriegsrevanche an Deutschland, wie Gambetta deren männliche gewesen. Diese Sehnsucht, diese Hoffnung, dieser Glaube an gründliche Revanche ist ja in’s gesammte moderne Franzosenthum übergegangen und der Ausdruck seines Patriotismus. Von Zeit zu Zeit tönt’s von drüben her wie Ruf zum Losbruch, und es geht dann wohl wie ein leises Klirren durch das neue deutsche Reich, als versicherten sich seine Männer, daß ihre Waffen bereit liegen. Der Franzmann war ja niemals unser guter Nachbar, und da er uns jetzt so bitter haßt, weil wir uraltes Muttervolk Europas unsere nationalberechtigte Machtstellung endlich aus französischem Uebermuth herausgeschlagen haben, so nehmen wir es mit der Gelassenheit des Erstarkten hin und hoffen unsererseits, daß unsere Feinde jenseits des Wasgau sich mehr und mehr der Einsicht fügen werden, es sei mit ihrem Gloirespiel auf Kosten anderer Völker vorbei.

Wenn es freilich nach dem Köpfchen und dem Herzen der Frau Adam gegangen wäre, hätte der furchtbare Ringkampf auch bereits stattgefunden, als dessen Ergebniß sich die Franzosen den Wiedergewinn ihrer alten Oberherrschaft durch die Niederlage und Zertrümmerung des deutschen Reiches versprechen, was sie ja eigentlich mit dem Jammer- und Racheruf um das ihnen wieder abgenommene altdeutsche Land und Volk von Elsaß-Lothringen ausdrücken wollen. Aber Frau Adam kann die französische Armee nicht mobil machen, und ihre Freunde können ihr zu Liebe den großen Krieg auch nicht anfangen. Selbst der grimmige Gambetta, als er Minister geworden und Lenker der Geschicke seines Vaterlandes, mußte entmuthigt einsehen, daß ein böses Haar in der Revanchepolitik sei, und die Heißsporne davon abhalten. Bei ihrem Fanatismus war Frau Juliette über diese Weisheit ihres Musterpatrioten äußerst verstimmt und wollte sich wegen des großen Rachezuges bei Leibe nicht noch weiter auf die Zukunft und die zu erwartende Gerechtigkeit des Schicksals vertrösten lassen. Kurz entschlossen, suchte sie vielmehr nun in eigener Politik zu machen, um gewissermaßen Gambetta vor Thatsachen zu stellen, die ihn zur Action treiben sollten. Eine Allianz mit Rußland – wenn man ihm die auf dem Präsentirteller brachte, konnte er da noch widerstehen, sie zu dem einzig schönen Zweck der Vertilgung deutscher Macht und Herrlichkeit anzunehmen? Und sie faßte diese Idee in weiblicher Leidenschaftlichkeit und Kurzsichtigkeit so ernst auf, daß sie sich wirklich selbst auf die Reise nach Petersburg machte, um wie eine außerordentliche Bevollmächtigte Frankreichs mit der russischen Staatskunst sich über die Umgestaltung der Karte, wenigstens Preußens, zu benehmen.

Diese Mission der „Muse der Republik“ in Gestalt der Frau Adam, die sie sich selbst im Januar 1882 gegeben, erweckte bei den Russen mehr Neugier als Entgegenkommen. Die panslavistischen Deutschenfresser à la Skobeleff waren zwar sogleich bereit, für eine Allianz Rußlands mit Frankreich nach der Absicht der politisch Vertrauten Gambetta’s in die Steigbügel zu treten; aber bei maßgebenden Personen in Petersburg, und gar bei Hofe, klopfte sie vergebens an. Ihr Fiasco war da so elegant als möglich, und wenn auch Gambetta nicht so rasch, und während sie noch für ihn die Agentin spielte, auf die Ministerpräsidentschaft hätte verzichten müssen, so würde ihr eitles Unternehmen doch ohne jede ernsthafte Folge geblieben sein.

Alle krampfhaften Koketterien Frankreichs mit den Völkern und Staaten, welche an dem aufgestiegenen glänzenden Gestirn Deutschlands ihren Aerger haben, brachten ihm keinen praktischen Nutzen ein. Es schlug Niemand in die lockend hingehaltene Hand der wabernden gallischen Muse ein, und fest stand und treu die Wacht am Rhein, mitleidig auf das jämmerliche Gebahren und widrige Lästern schauend, in dem das patriotische Pöbelfranzosenthum in Paris aus „Revanche“ gegen die Prussiens zu wüthen sich gefiel. Die „große Nation“ machte sich selbst immer kleiner; alle Welt konnte mehr und mehr erkennen, was für eine klägliche Tragik aus ihrem Schmerze sprach, mit dem Abenteuer von 1870 sich so sehr verrechnet zu haben, und wie sie so leicht die angenommene Würde verlor, nun sie der glänzende Firniß von selbst nicht mehr deckte und steifte. Machte sie doch aus dem Behagen kein Hehl, mit Russen, Czechen und Magyaren die Orgien deutschfeindlichen Fanatismus zu feiern.

Madame Edmond Adam treibt ihre Faxenpolitik mit allerhand deutschfeindlichem Volke auch nach Gambetta’s Tode eifrig weiter. In ihrem Salon war der Prahlhans Skobeleff der gefeierte Mann der Zukunft, der mit Tataren und Baschkiren den Franzosen helfen würde, ihre Revanche zu nehmen. Dort wurde am liebsten im Mückenspiel verbissener Geister für Frankreichs nothwendige Wiedergeburt als Störenfried der Welt geschwärmt und allen Hetzern gegen die tudesken Unterdrücker freundlichste Aufnahme gewährt. Und erst vor Kurzem wurde dort ein Plan zu einer neuen abenteuerlichen Reise der Frau Adam ausgeheckt, welche diesmal über Wien nach Bukarest und Athen führen sollte. Die Zeitungen berichteten sogar von einer Einladung, welche die Königin von Rumänien – eine deutsche Fürstin! – an Frau Adam gerichtet hätte, aber von Bukarest aus depeschirte man sofort, daß die Gerüchte von der vermeintlichen Einladung aus der Luft gegriffen seien, und so mußte die Reise diesmal unterbleiben.

Seit dem Jahre 1879 hat sich Juliette Lamber, die Schriftstellerin, eine Monatsschrift gegründet, „La Nouvelle Revue“, um darin die Musenpolitik der Frau Edmond Adam zu unterstützen. In der Einleitung dieses publicistischen Unternehmens charakterisirt sie es als ein demokratisch-freigeistiges. Es soll gleichsam ein [200] Musenalmanach der dritten französischen Republik sein, im Sinne und Geiste der Partei, deren Führer Gambetta war. Revanchepolitik steht ja auf deren Fahne, wenn sie auch aus guten Gründen nicht offen entrollt wird. Aber man weist doch bei jeder Gelegenheit auf sie mit Vorliebe hin.

In der „Nouvelle Revue“ giebt sich Alles Stelldichein, was in derselben Politik macht, und fährt man da auch mit den Aeußerungen nicht so plump heraus, wie in der Presse der Patriotenliga, so nährt man doch mit Zuvorkommenheit alle die nationalen Bitterkeiten, die sich gegen Deutschland richten oder einmal richten lassen können. Die politische Weisheit der Juliette Lamber ist dieselbe der Madame Adam, die über die Vorstellung nicht hinauskommt, daß die Prussiens die Welt, die einst so schön unter Frankreichs Gloiresonne war, für alle braven Völker verdorben haben und diese alle vor den preußischen Spionen und Verräthern auf der Hut sein müssen, bis die Stunde der Rettung und Befreiung schlägt und Frankreichs neueste Muse kriegswüthig ihrem Gefolge zurufen kann: „A Berlin!“ Vorderhand begnügt sie sich, in ihrer Revue Schmähartikel über die „Berliner Gesellschaft“ zu publiciren, welche in letzter Zeit so viel ungerechtfertigtes Aufsehen erregt haben. Für uns hat das Bedürfniß der jungen Großmutter nach einer patriotischen Rolle modern-französischen Stils nur ein pathologisches Interesse. Im heiß erstrittenen Besitze unseres natürlichen Rechts als deutscher Nationalstaat kann seine Bedrohung aus Eifersucht uns nur eine Frivolität, seine Verunglimpfung aus Haß nur eine krankhafte Kraftleistung sein.




  1. Beiname der Musen von der macedonischen Landschaft Pieria.