Textdaten
<<< >>>
Autor: Orlando W. Roberts
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Mosquitosküste
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 131; 134 S. 521-523; 534-536
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: teilautonomes Gebiet der Moskito-Indios in Nicaragua
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[521]

Die Mosquitosküste.

[1]
Die Schweinsjagd. Die Aussicht auf zwei Meere. Die Valientes.

Schon im Jahr 1816 hatte sich Roberts auf einer Kauffahrteibrick, die er kommandirte, von Jamaika nach der Bay von Honduras eingeschifft, um mit den freien Stämmen daselbst Handel zu treiben. In Zeit von wenigen Wochen hatte er seine Ladung, die aus kupfernen und eisernen Töpfen, Beilen, Säbelklingen, gläsernen Halsbändern und Stahlarbeiten bestand, vortheilhaft abgesetzt und als Rückfracht Schildkrötenschalen, Sarsaparille und andere Landeserzeugnisse eingenommen. Der glückliche Versuch bestimmte ihn, zurückzukehren: er ließ sich unter diesen Völkerschaften nieder und brachte sieben Jahre in ihrer Mitte zu, eine Zeit, die er nicht nur zur Betreibung seiner Handelsunternehmungen, sondern auch zur Sammlung vieler interessanten Notizen auf’s Zweckmäßigste benützte. Roberts gehört zu jener seltenen Classe von Reisenden, die bei ihrer Liebhaberei für die Rastlosigkeit eines gefahrvollen abentheuerlichen Lebens zugleich die Mühe nicht scheuen, von Zeit zu Zeit mit der Feder in der Hand einen ruhigen Blick auf das Merkwürdige, welches sie erlebt haben, zurückzuwerfen.

Indianer und Mestitzen – letztere eine Mischung von Eingebornen und Negern, die man im Allgemeinen unter dem Namen Sambos begreift, bilden die Bevölkerung der Ostküste Mittelamerikas. Es ist ein biederer Schlag Menschen, von denen der Reisende manche gute Eigenschaften zu rühmen weiß. Um den Grad des Zutrauens, das er in sie setzte, zu würdigen, darf man weiter nichts anführen, als daß er sich zu einem ihrer Stämme, der in einiger Entfernung von der Küste wohnt, krank und allein begab, und daselbst geraume Zeit bis zu seiner völligen Genesung verweilte. Er wählte zu seinem Aufenthaltsort die gesunde Gegend an den Ufern des Chrico-Mola im Gebiet der Valientes. Ob er nun gleich zunächst mit der Sorge für seine körperliche Wiederherstellung sich beschäftigte, so konnte er doch seinen Handel nebenbei fortsetzen, da die Indianer ihn in seiner Hütte aufsuchten, um ihre Sarsaparille gegen seine jamaikanischen Artikel auszutauschen, so daß er sich in weniger als sechs Wochen im Besitz von 5000 Pfund dieser kostbaren Waare befand. Die Natur bot ihm hier die herrlichsten Lebensgenüsse dar: jeden Tag badete er sich in dem kristallhellen Fluß oder wanderte er durch die mächtigen mit Wildpret reich versehenen Wälder nach den Bergen, wo seine kranke Brust die reinste Luft athmete und sein Geist an den großartigen Scenen der romantischen Einsamkeit sich erquickte.

Als ich eines Abends, erzählt Roberts, von einem meiner Ausflüge zurückkehrte, sagte mir der Häuptling des Stammes, Jasper Hall (ein Name, den ihm die englischen Kaufleute geschöpft hatten), die Weiber hätten im Gehölz die Fährte von einem außerordentlichen Thier gesehen, über das ihnen kein Jäger Auskunft zu geben vermöge; sie meinen deswegen, es müsse wohl der Teufel selbst gewesen seyn. Die Sache erregte meine Neugierde: vielleicht, dachte ich, ist das angebliche Ungeheuer ein in Europa noch nicht bekanntes Thier. Da ich mir gerne Gewißheit verschafft hätte, so veranlaßte ich den Häuptling, mit mir eine Jagdpartie zu machen. Wir brachen mit Tagesanbruch in Gesellschaft von noch drei andern Waidmännern auf, wohl bewaffnet und mit Lebensmitteln versehen, um nöthigen Falls im Walde übernachten zu können. Drei Weiber, welchen wir die Entdeckung verdankten, zeigten uns den Weg. Nach einer Wanderung von vier Stunden durch eine Gegend, die ich noch nie gesehen hatte, stiegen wir eine Schlucht hinab; auf der andern Seite ging es eine halbe Stunde weit den Berg hinauf. Wir waren an Ort und Stelle. Der alte Jasper, der etwas voraus war, rief mir lachend entgegen: Holla ho! Roberts, da ist ja die Fährte des Teufels. Und was sah ich? den Abdruck von meinen eignen mit Eisen beschlagenen Stiefeln, die ich auf der Jagd gewöhnlich trug. Ich erinnerte mich jetzt auch, daß ich oft, nur auf einem andern Weg, hier gewesen war. So war ich also der Jäger, der seine eigene Fährte verfolgte. Statt indessen durch dieses unerwartete lächerliche Resultat verdrießlich zu werden, entschlossen wir uns, nun erst auf wirkliches Wild Jagd zu machen. Wir hatten nehmlich in der Erwartung, plötzlich auf unser Ungeheuer zu stoßen, noch keinen Schuß gethan, so oft wir auch dazu Gelegenheit gehabt hätten.

Da die Jagd etliche Tage dauern sollte, so wurden in der Geschwindigkeit Hütten aufgeschlagen, indem man nichts als Pfähle brauchte, woraus man ein Gestell machte, kleine Aeste, die man darüber legte, und Palmblätter, womit man das Ganze bedeckte. Während die Weiber die Hütten vollends in Stand setzten und Maniok und Wegerich, eine hier zu Lande gewöhnliche Nahrung, die [522] uns statt Brod und Käse dienen mußte, herbeischafften, gingen wir Männer auf wilde Schweine aus. Es stand nicht lange an, so stießen wir auf ein Rudel – es mögen wohl an die hundert Stück gewesen seyn – zwanzig davon wurden erlegt. Auf das Fallen der Schüsse liefen die Weiber herbei, und gleich waren alle Hände geschäftig, die Thiere, nachdem man ihnen erst die Rückendrüse weggeschnitten hatte, in Viertel zu zertheilen und zu räuchern. Die Zubereitung geschah auf folgende Weise. Man machte aus Holz einen Rost, belegte ihn kreuz und quer mit kleinen Zweigen, und setzte die Schweinsviertel darauf; sodann bedeckte man das Ganze mit Laub und zündete ein Feuer darunter an. Durch dieses Verfahren wurde das Fleisch geräuchert und halbgebraten zugleich, und ließ sich nun mehrere Wochen aufbewahren.

Das wilde Schwein Guatemala’s (Peccary) hat kurze, gerade und spitze Ohren, kleine tiefliegende Augen und einen dicken und kurzen Hals. Seine Borsten gleichen denen seines europäischen Verwandten, nur daß sie auf dem Rücken und am Hals länger sind; seine Farbe ist ein dunkles Grau mit schwarzen Flecken; um den Hals ist es etwas mehr hellgrau gestreift; einen Schwanz hat es nicht; sein Fleisch schmeckt köstlich, vorausgesetzt, daß man die Rückendrüse, die eine stinkende Flüssigkeit enthält, unmittelbar nach dem Tode des Thiers weggeschnitten hat. Seine Nahrung besteht in Wurzeln, Saamenkörnern und Waldfrüchten; es richtet aber auch in den Maniok- und Wegerichfeldern der Indianer große Verheerungen an. Seine Hauer, obgleich nicht sehr vorspringend, sind nichts desto weniger gefährlich, und dem Jäger bleibt, um sich zu retten, oft nichts übrig, als daß er auf einen Baum klettert.

Im weitern Verfolg der Jagd, führt Roberts fort, kamen wir auf einen erhab’nen Punkt, wo mich die Aussicht auf beide Meere für die Mühe des Hinaufsteigens reichlich entschädigte. Fünfhundert Toisen vom Gipfel senkt sich das Gebirg plötzlich und jäh gegen den stillen Ozean hinab; weniger steil war es auf der entgegengesetzten Seite, auf welcher wir es erstiegen hatten. Gegen Südwesten, in der Richtung von Chagres und Panama, erhoben sich noch mächtigere Massen, und im Nordwesten, so weit das Auge reichte, erschien eine lange Bergkette, wovon in verschiedenen Zwischenräumen hohe Felsen-Piks, ganz mit der vulkanischen Kegelform, ausgingen. Im Osten erkannte ich deutlich die Inseln der Bay Boco del Toro und die Lagunen von Chiriqui, und wenn auf den Karten die Lagen richtig angegeben wären, so hätte ich im Westen Quibo und mehrere Inseln des stillen Ozeans sehen müssen. Die ungeheuren Waldungen mit Bäumen von der höchsten Höhe, welche alle Berge bis zu ihren Gipfeln bekränzen, gestatteten mir zwar keine vollkommene Vorstellung vom Lauf der Flüsse, ich genoß aber demungeachtet das großartigste Schauspiel: die ganze Landschaft breitete sich vor mir aus wie ein unermeßliches Gemälde, worauf alle Fülle und Herrlichkeit der Welt nach dem großen Maßstabe der Natur selbst, im bunten Wechsel der Wälder, der Berge und der Gewässer dargestellt war. –

Die Valientes sind nicht nur, wie schon ihr Name andeutet, unter allen Stämmen, welche die Terra firma bewohnen, die tapfersten, sondern auch die gebildetsten Indianer. Merkwürdig ist, daß die Duelle unter ihnen sehr häufig geworden sind; vielleicht, daß sie diesem Umstand zum Theil den Ruf der Tapferkeit und Ehrenhaftigkeit verdanken. Glaubt sich ein Valiente von einem seines Stammes beleidigt, so schleift er seine Klinge und begibt sich, begleitet von einem Freund, nach der Wohnung seines Gegners, um diesen zu fordern. Gewöhnlich wird dann die Sache gleich abgethan. Der Zweikampf geht in aller Form vor sich, und endet nie, ohne daß einer von den beiden Kämpfern auf dem Platz bleibt oder so zusammengehauen ist, daß nicht mehr fortgemacht werden kann. Oft bleiben beide. Die Valientes bedienen sich der Klinge mit vieler Geschicklichkeit zu Schutz und Trutz, und selten begegnet man einem, den nicht ehrenvolle Narben zieren. Bestimmt der Geforderte den Kampf auf ein ander Mal, so suchen die Secundanten eine gütliche Ausgleichung herbeizuführen, die meist gelingt. Mich selbst hatte einer dieser Raufdegen eines Tags gefordert; ich war bereit, auf der Stelle mich zu schlagen, aber mit Feuerwaffen statt des Hiebers; davon wollte jedoch der Gentleman nichts wissen: „Englische Mode! Schlechte Mode!“ sagte er. Freunde traten in’s Mittel und es wurde kein Blut vergossen. Im Grund hatte jener nicht so unrecht gehabt: ich wäre ihm gegenüber sehr im Vortheil gewesen, denn so gute Bogenschützen oder Lanzenreiter die Valientes sind, so wenig verstehen sie mit Feuerwaffen umzugehen.

Die Religionsbegriffe dieser Völker sind einfach und beschränkt: bei einem außerordentlichen Ereigniß begnügen sie sich zu sagen: „das ist ein Werk Gottes,“ ohne weiter sich den Kopf zu zerbrechen. Ich wollte einmal oberhalb der großen Wasserfälle des Chrico-Mola über diesen Fluß setzen. Die Indianer, die mich überführten, waren so unvorsichtig, das Kanoe ganz in die Nähe des furchtbaren Katarakts treiben zu lassen, so daß sie mit ihren Rudern dem Zug der Strömung nicht mehr widerstehen konnten. Da warfen sie sich sämmtlich in’s Wasser und retteten sich durch Schwimmen, mich aber überließen sie meinem Schicksal. Nicht besonnen genug, denselben Entschluß zu fassen, wußte ich mir nicht besser zu helfen, als daß ich mich eben an das Kanoe fest anklammerte. So gings denn auch glücklich den Abgrund hinab. Als ich wieder zum Bewußtseyn kam, war das Fahrzeug an den Felsen zerschmettert und ich befand mich mit halbem Leib im Wasser bei einer kleinen Insel am Fuß des Katarakts, die Zweige eines überhangenden Baumes festhaltend. Indianer vom andern Ufer des Flusses, die nicht Zeugen meines Abentheuers gewesen waren, kamen mir zu Hülfe und brachten mich in meine Hütte, wo ich zerstoßen und zerquetscht mich zur Ruhe niederlegte. Die Indianer meines Kanoes hatten bei ihrer Rückkehr in das Dorf schon die Nachricht von meinem Tod verbreitet und zeigten zum Beweis der Wahrheit ihrer Erzählung einige Bruchstücke von unserer Ladung, die sie aus dem Wasser gezogen hatten. Kaum war ich eine Stunde zu Haus, als der alte Jasper und einige andere Häuptlinge daher kamen.

[523] Ich hörte von Weitem, daß mein klägliches Ende der Gegenstand ihres Gesprächs war und daß sie von meiner Verlassenschaft im Namen meiner Erben oder meiner Gläubiger Besitz ergreifen wollten. Aber wer beschreibt ihr Erstaunen, als ich mich von meinem Stuhl erhob und sie fragte, was ihr Begehren sey? „Was, Roberts! ihr seyd also nicht ertrunken?“ rief der alte Häuptling aus, und mit einem feierlichen Ton setzte er hinzu: „das ist Gotteswerk, Roberts, einzig Gotteswerk.“

Die Engländer, welche seit langer Zeit von Jamaika aus mit Guatemala verkehren, sind hier sehr wohl gelitten und es gehört zum guten Ton, auf englischem Fuß zu leben. Unbeschadet ihres Charakters als Gentlemen können sich jedoch die Männer toll und voll betrinken; wenn es aber manchmal geschieht, daß die Weiber darin das Beispiel ihrer Eheherren nachahmen, so werden sie von diesen nachdrücklichst erinnert, daß keine Lady einen Rausch trinke. Ueberhaupt, welcher Contrast zwischen der behaglichen und selbst üppigen Lebensweise dieser Halbwilden und der erbärmlichen genußlosen Existenz so vieler Millionen in dem hochcivilisirten und glücklich gepriesenen Europa! Für die nothwendigen Bedürfnisse sorgt die Natur unmittelbar. Der Anbau der Pflanzungen erfordert wenig Arbeit, die Wälder liefern eine Menge Wildpret, die Flüsse vortreffliche Fische, die Seen oder Lagunen Schildkröten etc. Vor Alters verfertigten die Valientes ihre gewöhnliche Kleidung aus einer Art Baumrinde, die, nachdem sie lange im fließenden Wasser geweicht, hierauf geklopft und zwischen hölzernen Walzen geglättet worden war, zuletzt fast die Dauer und die Feinheit sämisch gegärbter Häute annahm. Hatte man ein viereckiges Stück daraus gemacht, sechs bis sieben Fuß lang und fünf breit, mit einer Oeffnung in der Mitte, um den Kopf durchzustecken, so war die indianische Schneiderei fertig. Gegenwärtig tragen sich viele von ihnen ganz europäisch, und ich sah einige ihrer Kaufleute und Häuptlinge, die, wie sie sich selbst mit großer Selbstgefälligkeit auszudrücken beliebten, nach ihrem Anzug vollkommene Gentlemen waren, die mit dem seidenen Sonnenschirm einherstolzirten, während sie sich von ihren Clienten die Aufwartung machen ließen. Diese Völker scheinen eingesehen zu haben, daß sie, um der Vernichtung zu entgehen, unsre Sitten annehmen müssen; denn diejenigen von ihnen, die im wilden Zustande beharren, zerschmelzen vor civilisirten Völkern, wie der Schnee vor der Frühlingssonne.

Die Regenzeit gilt nicht als ungesund, sondern sie ist im Gegentheil die Zeit der Ruhe und des Vergnügens. Die Leute vereinigen sich alsdann in große Trinkgesellschaften, worin sie ungeheure Quantitäten Kokosnußgeist aufgehen lassen. Sie bereiten dieses Getränk auf äußerst einfache Weise: die Früchte werden zwischen zwei Steinen zu einem Teig zerrieben, der in heißem Wasser verdünnt wird. In großen Kürbißflaschen, deren jede zwei Pinten halten mag, geht der edle Saft von Hand zu Hand; mancher Indianer nimmt acht bis zehen dergleichen Flaschen in einer Sitzung zu sich, eine Portion, die ihn in süße Selbstvergessenheit versenkt. Ihr Lieblingszeitvertreib bei diesen Vereinen besteht darin, daß sie in einem ausdrucklosen und singenden Tone Reden oder lange Geschichten vortragen, ohne daß je einer den Sprecher unterbricht, so unwahrscheinlich auch seine Mähre seyn mag. Ich versuchte oft solchen nachsichtigen Zuhörern Anekdoten aus meinem Leben zu erzählen oder sie mit den Einrichtungen und Gebräuchen Europas bekannt zu machen. So wunderbar und unbegreiflich unwissenden Indianern alle diese Dinge seyn mußten, so verriethen sie doch nie ein Zeichen von Ungeduld. Manchmal, wenn ich geendet hatte, sahen die Aeltesten einander bedächtlich an, und, als ob sie sich erst sammeln wollten, ehe sie das Wort ergriffen, schwiegen sie einige Augenblicke, worauf sie mit Nachdruck sagten: „Lügen, Roberts, Lügen.“ Ich entgegnete alsdann: „Nicht Lügen, wahre Geschichte, in England so,“ und oft setzte ich hinzu: „Nun, ich will euch eine erlogene Geschichte erzählen.“ Mit einem Male waren alle Falten von den Gesichtern der guten Leute verschwunden und sie riefen: „Eine Geschichte, Roberts, eine Geschichte!“
  1. Narrative of voyages and excursions on the East Coast and in the Interior of Central-America etc. by Orlando W. Roberts. Edinburgh 1827.
[534]
Die brittische Niederlassung. Der König der Sambos. Indianisches Gelag. Der alte Häuptling.

Noch vor wenigen Jahren bestand auf der Mosquitosküste eine Niederlassung, welche von der brittischen Regierung seitdem aufgegeben worden ist. Als der Oberbeamte derselben abberufen wurde, verließ er nur mit großem Bedauern eine Kolonie, die schon in ihrer Kindheit kostbare Vortheile versprach. Außer Bluefields gibt es davon noch ein paar Ueberbleibsel, Kirkarille und Rigmansbank, an den Ufern des Lagoon, vornehmlich aber Englishbank, sechs Meilen südlich vom Eingang der Lagunen, den Ufern des Lagoon gegenüber. Creolen, Mulatten und Sambos aus Jamaika, Saint-Andrè und andern Inseln, welche hier meist Indianerinnen geheirathet haben, bilden den Grundstock der Bevölkerung. Englishbank zählt 150 bis 200 Einwohner. Der Ort nimmt sich sehr artig aus. Die Häuser sind zwar blos einstöckig und haben ganz einfache Bretter- oder Lehmwände; aber die Palmblätter, womit sie bedeckt sind, geben ihnen ein frisches lebendiges Colorit. Die Kaufleute aus Jamaika besitzen in Englishbank zwei, die aus den Vereinigten Staaten ein Waarenniederlager; ihre Geschäftsführer haben hier ihren bleibenden Aufenthalt. Die verschiedenen Indianerstämme und Mosquitos bringen ihnen Schildkrötenschalen, Kopalharz, Kaschubisam, Häute, Kähne, Ruder und andre Artikel, die sie gegen Segeltücher, Beile, Reitzeuge, Klingen etc. vertauschen. Die Kolonisten von Englishbank leben mit den Eingebornen in den freundschaftlichsten Verhältnissen; ihr Betragen gegen Europäer und gegen Fremde überhaupt ist sehr gastfrey; im Handel und Wandel gilt der Grundsatz der Ehrlichkeit. Von einer religiösen Bildung findet man indessen fast keine Spur. Gewiß müßte ein Misionär trotz des Widerstandes, den er etwa von den hier handeltreibenden Kaufleuten zu befürchten hätte, viel Gutes wirken können, in jedem Fall mehr als auf Barbados, in Demerary und andern civilisirtern Kolonien.

Während meines ganzen Aufenthaltes in diesem Lande sah ich nie, daß bei einer Heirath irgend eine kirchliche Ceremonie Statt gefunden hätte. Die ehliche Verbindung ist ein stillschweigender Contract, der manchmal, [535] wiewohl selten, durch gegenseitige Uebereinkunft wieder aufgelöst wird.

Die Ceremonie der Taufe wird auf die Ankunft der Kauffahrteischiffe ausgesetzt, wo dann die Capitäne – sonderbar genug – die während des ganzen Jahrs gebornen Kinder taufen. Viele Kinder verdanken jenen aber noch mehr als die Taufe, und ich könnte wohl ein dutzend Kinder anführen, die blos zwei Capitänen angehörten. Diese beiden Männer hatten die Ansicht der Indianer über die Vielweiberei im weitesten Umfang angenommen, und sich dadurch mit denselben gewisser Maßen identifizirt. Ihre vollkommene Kenntniß des indianischen Charakters gab ihnen das Monopol des Handels dergestalt in die Hände, daß keine Concurrenz möglich war. Sie verstanden es dabei so trefflich, sich bei den Häuptlingen in Gunst zu setzen, daß ihre Ankunft für alle Klassen der Einwohner ein Fest war, wo getauft und geschwelgt wurde.

Weiter nördlich auf der Mosquitosküste liegt das ziemlich ausgebreitete Gebiet des Königs der Sambos. Georg Friedrich – dieß ist sein Name – erhielt in Jamaika eine englische Erziehung und wurde nach dem Tode seines Vaters, des Königs Georg, von dem ehrwürdigen Joseph Armstrong feierlich gesalbt und gekrönt. Aber die Kolonisten, welche die Lehrer des jungen Monarchen waren, scheinen nur sehr beschränkte Begriffe von den Pflichten des Königthums gehabt zu haben: denn sie lehrten ihren Mündel nichts so gut als die Kunst sich zu betrinken. Seine Majestät ist indessen nicht nur ein tapferer, sondern auch ein äußerst liebenwürdiger Zecher, auf dessen Humor die Freuden der Tafel die wohlthätigste Wirkung äußern. Seine Unterthanen fühlen sich nie glücklicher, als wenn der König einen Rausch hat: denn dann ist er so huldvoll, daß er keine Bitte abschlägt.

Mit Anbruch des Tages wurde ich durch Trommelschlag aus dem Schlaf geweckt. Schon waren die Leute auf den Beinen und eifrigst mit den Anstalten zum Empfang des Königs und zu einem Gastmahl für ihn beschäftigt. Er langte auf einem großen Kanoe, von zehn Personen begleitet, an; in zwei kleinern Kanoes sein übriges Gefolge, zwanzig Mann stark. bei der Landung empfingen ihn die Befehlshaber der Land- und Seemacht, Admiral Carnee und General Blyatt, nebst den Häuptlingen der benachbarten Districte. Die beiden Offiziere waren in großer Uniform mit goldenen Epaulett’s. Die Begrüßung selbst hatte nichts Feierliches; mit den Worten: „wie befindet ihr euch, König (how do you do King)?“ reichte man ihm die Hand – das war alles. Nachdem ich vorgestellt worden war und er mich über den Zweck meiner Reise befragt hatte, lud er mich ein, mit ihm nach dem Cap zu kommem, wo ich mich nach Belieben über Alles, was mich interessirte, unterrichten könnte.

Man denke sich einen jungen Mann von vier und zwanzig Jahren, mit hellbrauner Kupferfarbe, langen, auf der Stirn gescheitelten Haaren, die in geringelten Locken über Hals und Nacken fallen, niedlich geformten Händen und Füßen, schwarzen, ausdrucksvollen Augen, weißen Zähnen, und man hat eine ungefähre Vorstellung von dem Bilde des Königs der Sambos, die nicht ungünstig ist: dabei war er lebhaft und thätig; doch verrieth sein Aeußeres mehr Gewandtheit als Stärke. Seit vier Jahren war er an der Regierung. Ich fand ihn jedoch in der Folge in manchen Beziehungen so roh und wild als die Damhirsche auf den Sawannen, wo er geboren war. Während der Versammlung, die in der königlichen Wohnung gehalten wurde, kamen verschiedene Verwaltungs-Angelegenheiten, Rechtsfälle und andere Gegenstände von allgemeinem Interesse zur Berathung. Wie ich aber bemerkte, überließ Se. Majestät die Geschäfte der Entscheidung oben genannten Generalitäten dergestalt, daß Sie blos den Dekreten, die mit der gewöhnlichen Formel: „auf Befehl des Königs,“ ausgefertigt wurden, Ihre Namensunterschrift ertheilte. Solange die Sitzung währte, wurde keine Frau zugelassen, nachher aber, als das Bankett seinen Anfang nahm, durften einige eintreten, um für ihre Männer sorgen zu können, wenn diese im Rausch über die Stühle fielen.

Das Gelag artete bald in ein förmliches Bacchanal aus; rasch kreisten die Kürbisflaschen, zwei Männer schenkten ein und zwei Knaben warteten auf. Schottische und englische Tänze kamen an die Reihe; zuletzt wurde nicht mehr getrunken, sondern gesoffen, und es gab Scenen, welche diese Carricatur des Königthums vollständig machten.

Gegen Abend erhielt der König einen Besuch von seinem Oheim Andreas, Häuptling des Duckawara-Stamms, der eine der Lieblingsfrauen Seiner Majestät mitbrachte. Der Häuptling war ein kleiner untersetzter Mann, von rein indianischem Blute, voll Leichtigkeit in allen seinen Bewegungen, unter dessen Maske von Sorglosigkeit und Leichtsinn viel Feinheit und Verschmitztheit verborgen lag. Er sprach ziemlich gut englisch und unterhielt die Gesellschaft mit lächerlichen Geschichten, die er von jamaikanischen Kaufleuten erzählte, so wie mit witzigen und sarkastischen Einfällen, die er an die anwesenden alten Mosquitoshäuptlinge richtete. Blos das schallende Gelächter der Zuhörer unterbrach zuweilen den Erzähler. Der König machte mich gelegenheitlich darauf aufmerksam, daß ich mich nicht wundern dürfe, wenn er sich so benehme; dadurch, daß er sich nach den Neigungen der Eingebornen richte, suche er ihnen allmälig Geschmack an englischen Sitten beizubringen. „Sehen Sie,“ sagte er, „alle, die hier sind, haben Pulpera [1] abgelegt, und tragen jetzt Westen, Hosen und Hüte.“

Seine Majestät erzeigte mir die Gnade, mich zu einer Sauteuse aufzufordern, die wir dermaßen zum Entzücken seiner Unterthanen tanzten, daß sie nicht müde wurden, ihr Dacapo zu rufen. Der General Blyatt hatte Befehl, zu verhindern, daß Niemand in den Ballsaal dringe; aber das laute Getöse unsrer Musik und die Nachricht, daß Frauen angekommen seyen, zog eine Masse Leute herbei, die sich um das Haus versammelten und alle Ausgänge besetzt hielten. Als wir endlich, durch die Hitze und den Mangel an frischer Luft genöthigt, zum großen Verdruß der Indianer unsern Tanz einstellten, schlug der gute Fürst [536] vor, den Ball im Freien fortzusetzen. Hierauf vereinigten alle Lustpartien, die sich rings in der Nachbarschaft zusammengethan hatten, ihre Musik mit der unsrigen, und der König, der Admiral, der General, Männer und Weiber sprangen mit einem solchen Lärmen und einer solchen Verwirrung durch einander, daß, wer noch einen Funken von Vernunft hatte, sich glücklich schätzen mußte, wenn er dem Gewühl sich entziehen konnte.

Nach Beendigung des Balls fing man wieder an zu trinken; dießmal nahmen die Frauen am Gelag Theil. Aber ehe die Häuptlinge den Kopf ganz verloren hatten, hießen sie die Frauen nach Hause gehen, ohne Zweifel, damit diese sich nicht am Ende außer Stand setzten, ihren Männern die erforderliche Pflege zu erweisen. Man blieb die Nacht bei der Kürbisflasche sitzen. Von Zeit zu Zeit ließ sich das Gewirbel der Trommeln und der Knall der Flinten, die sie, bis an die Mündung mit Pulver gefüllt, losschoßen, vor der Thüre vernehmen. Hatte einer der Zecher seinen Rausch, wie sich’s gebührte, so wurde in der Geschwindigkeit die Frau herbei geholt, die den Theuren unter ihre Obhut nahm. Kaum war derselbe einiger Maßen wieder bei Troste, so kehrte er zu den Orgien zurück. Den ganzen folgenden Tag ging es in demselben Tempo fort; man leerte die Maniok- und Maisliqueure, welche nach dem Kokosgeist abgezapft wurden, bis auf die Hefen. Erst in der dritten Nacht, als alle Getränke erschöpft waren, begaben sich die Indianer nach Hause. Die meisten von ihnen befanden sich in einem jämmerlichen Zustande und klagten sehr über Kopfschmerzen. Zu ihrer Ehre indessen sey es gesagt, daß es während der Schwelgerei, vom Anfang bis zum Ende, friedfertig und ohne Streit ablief.

Durch mein Tanzen und meine Unterhaltung hatte ich mir die Gunst des Königs im höchsten Grade erworben. Einen Beweis davon gab er mir, indem er mich zu seinem Gesandten bei einem Stammhäuptling ernannte, der sich unabhängig zu machen suchte. Der General Blyatt begleitete mich. Der Gouverneur Clementi (dieß ist der Name des Häuptlings) kam uns nicht entgegen; er beschränkte sich darauf, uns in seiner Wohnung Audienz zu ertheilen. Bei unserm Eintritt erhob er sich von seinem Sitz, reichte mir und Blyatt die Hand, und sagte: seyd willkommen! Unsre Begleiter wurden von ihm keiner Aufmerksamkeit gewürdigt. Dieser alte Häuptling, ein Mann von hohem Wuchs, stark und kräftig, fünfzig bis sechzig Jahre alt, dessen Physiognomie und Rede auf mich einen tiefen Eindruck machten, schien mir ein edler Repräsentant jener alten Kaziken zu seyn, deren Abkömmling er war. Er hatte die Manieren der Indianer, aber Ernst und Nachdenken sprach aus seinen Zügen. Man sah ihm an, daß er sich durch das Joch der Mosquitos erniedrigt fühlte, als ein Mann, der selbst zu herrschen gewohnt war. Er trug eine alte spanische Uniform, blau mit rothen Aufschlägen, verschwenderisch ausstaffirt mit goldenen Tressen, die jedoch durch die Zeit etwas an Glanz verloren hatten. Eine alte, goldgestickte Weste von weißem Atlaß mit großen Taschen, Beinkleider von weißer Sarsche, baumwollene Strümpfe von derselben Farbe, Schuhe mit breiten silbernen Schnallen – vollendeten seinen Anzug. In der Hand hielt er einen großen Stock mit goldenem Knopf nach der Art der Alkalden in den vormaligen spanischen Provinzen Südamerikas. Betrachtend die edle und ungezwungene Haltung dieses alten Häuptlings, im grellen Abstich gegen die Rohheit der Mosquitos, konnte ich nicht umhin, mir zu sagen, daß durch die Herrschaft der Sambos die Fortschritte der Gesittung unter den eigentlichen Indianern wesentlich verzögert worden seyen.


  1. die früher angeführte indianische Kleidung aus gegärbter Rinde