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Titel: Die Mäuseplage
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 399
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Mäuseplage.

Vor kurzem meldeten unsere Tageszeitungen, daß die Bauern Griechenlands von ihrer Regierung militärische Hilfe erbaten. Waren etwa die Türken unvermuthet in den hellenischen Gauen erschienen, oder hatten Räuberbanden das klassische Land der Griechen zum Schauplatz ihrer Thaten gemacht? Durchaus nicht! Der Feind, gegen den die griechische Armee buchstäblich zu Felde ziehen sollte, war ein unscheinbares Geschöpf, das aber durch seine unzähligen Legionen furchtbar wurde ... gegen Mäuse sollte das Militär helfen! Die griechische Regierung ließ die Regimenter gegen diesen Feind nicht ausrücken, sie verschrieb sich vielmehr vom Ostseestrande einen deutschen Professor, der anscheinend gegen die Mäuseplage ein probates Mittel gefunden hatte, und der Professor dampfte eines Tages nach Athen ab, ausgerüstet mit einigen Fläschchen. Mit diesen harmlos aussehenden Waffen nahm er den Kampf auf, indem er gegen die winzigen Mäuse die unendlich kleineren Bacillen ins Feld führte, um so Pestilenz unter die Legionen der Nager zu bringen und das klassische Hellas von der schweren Noth zu befreien.

In der That kann sich die Mäuseplage zu einer furchtbaren Noth für den Landwirth gestalten, und wenn wir auch an die Sage, laut welcher Erzbischof Hatto in dem Thurme bei Bingen von den Mäusen aufgefressen worden sein soll, nicht mehr glauben, so wissen wir doch, daß im Mittelalter verschiedene Dörfer der Mäuse wegen verlassen werden mußten, und unsere Landwirthe müssen noch in der Gegenwart von Zeit zu Zeit in in verzweifelten Kämpfen ihre Ernte vor den Scharen dieser winzigen Räuber vertheidigen.

Berüchtigt durch den Reichthum an Mäusen war beispielsweise das Jahr 1856. Im Herbste desselben mußten nach Berichten des Naturforschers Lenz in einem Umkreis von vier Stunden zwischen Erfurt und Gotha 12000 Acker Land umgepflügt werden; zu derselben Zeit wütheten die Mäuse in Dessau, ein Gutsbesitzer aus der dortigen Gegend berechnete, daß ihm die Mäuse theils auf Wiesen und Feldern, theils noch in den Scheunen einen Schaden von 45000 Mark zugefügt hatten. Auch die Jahre 1872 und 1873 stehen bei den deutschen Landwirthen als Mäusejahre in schlimmem Andenken. Namentlich die Marsch- und Moorlande, Rheinhessen, die Ebenen Leipzigs, die Wetterau und Oberschlesien hatten unter der Plage zu leiden: Keim, Wurzel, Halm, Rinde, Blatt und Frucht verfielen den unermüdlichen Nagezähnen. 1859 hatten sich die Waldmäuse in Böhmen derartig vermehrt, daß sie in Gärten einen großen Theil des Obstes von den Bäumen fraßen. Bei ihrem Jagen, Beißen und Quieken untereinander glaubten die Leute oft, Vögel zwitschern zu hören. Im Jahre 1876 suchten die Mäuse die Rheinpfalz heim. Man hatte sie zu Tausenden und Hunderttausenden auf den Feldern erschlagen, aber es blieben ihrer noch so viele übrig, daß sie im Herbste die Weinberge überfielen, wo man nun ganze Haufen von abgebissenen Weintrauben und Beeren vorfand.

Das sind einige Beispiele, die geeignet erscheinen, der Mäusesippschaft beinahe eine Bedeutung in der sozialen Frage beizumessen, sie sind in der That höchst unerwünschte Gäste an unserem Tische, sie fressen uns centnerweise das Korn weg, dessen wir zu unserer Nahrung bedürfen.

Die Feldmaus, um welche es sich hier hauptsächlich handelt, nährt sich im wesentlichen von Pflanzenstoffen. Sie frißt alles, reifes und reifendes Korn, zarte Wurzeln, Gras- und Kräuterkeime, benagt selbst die Bäume des Waldes, zeigt aber einen guten Geschmack und eine gewisse Vorliebe für die Kulturpflanzen des Menschen, die sie dem Unkraut vorzieht, und ist dabei noch „ein sehr ungezogener Fresser“, denn sie verdirbt mehr, als sie frißt und in ihre Wohnung verschleppt.

Unter diesen Umständen waren die Landwirthe von jeher auf ihre Vertilgung bedacht. Vor mir liegt ein Buch, „Anleitung zur Verhinderung der Mäuseplage“ von K. Ableitner. Was darin enthalten ist, das ist beinahe eine kleine Kriegswissenschaft, in welcher nur ein Ziel erstrebt wird: der Mäusetod, und in welcher jedes Mittel vom Raubthier bis zum Gifte gutgeheißen wird.

Da wird zunächst das Totschlagen der Mäuse empfohlen; hinter dem pflugführenden Ackerknecht sollen Burschen mit Besen gehen und die zum Vorschein kommenden Nager totschlagen; ja als „mechanisches Mittel“ zur Vertilgung der Plage wird sogar Artillerie und Kavallerie empfoblen; wenn Kavallerieabtheilungen oder Artillerie mit vielen Mäusen besetzte Brach- und Stoppelfelder, sowie noch nicht bewachsene oder geleerte Wiesen zu Uebungen benutzen, so werden durch die Pferdehufe und Geschützräder theils die Mäuse getötet, theils ihre Gänge und Wohnungen ungangbar und unbewohnbar gemacht, und was fliehen kann, das flieht, so daß auf solchen Flächen nach mehrfach gemachten Beobachtungen längere Zeit keine Maus zu sehen ist.

Die Zahl der Maschinen, die zur Mäusevertilgung ersonnen wurden, ist sehr groß. Außer Fallen verschiedenster Art wurden raucherzeugende Apparate empfohlen; durch einen Blasebalg wurde der Rauch in die Mauslöcher getrieben, so daß die Thierchen in ihren Gängen jämmerlich ersticken mußten. Durch andere Vorrichtungen wurde gespannter Dampf in die Baue der Thierchen eingeführt, wodurch sie verbrüht wurden.

Zu den sichersten Mitteln in schlimmen Mäusejahren zählen die verschiedenen pflanzlichen und mineralischen Gifte. Leider aber haftet den wirksamsten unter ihnen der Fehler an, daß durch sie nicht nur die Mäuse, sondern auch andere nützliche Thiere vergiftet werden können. Und selbst die bewährtesten Mittel bringen in wirklichen Mäusejahren keine gründliche Abhilfe. Wenn die Zahl der Nager zu Millionen und Milliarden angewachsen ist, dann helfen auch die Bundesgenossen des Menschen aus dem Thierreich wenig. Die Säugethiere und Vögel, welche auf Mäusefang ausgehen, leben alsdann herrlich und in Freuden, aber ihr Magen wird nicht größer entsprechend der Mäusezahl, die Füchse, Igel, Iltisse, Bussarde, Eulen etc. reißen nur schwache Lücken in die Mäuselegionen.

Was das Gedeihen der kleinen Nager fördert und einschränkt, das sind elementare Witterungsverhältnisse. Strenge Winter, kalte Regen setzen von Zeit zu Zeit der unheimlichen Vermehrung der Mäuse eine unerbittliche Schranke entgegen. Alsdann erfrieren, ersaufen und verhungern die Mäuse in ungezählten Massen, denn sie sind empfindlich und können kaum zehn Stunden Hunger leiden. Zu den Elementarereignissen zählen auch die Seuchen, die mitunter die Mäusevölker befallen und in überraschend kurzer Zeit aufreiben.

Seit dem Aufschwung der Bakteriologie wurde nun wiederholt der Gedanke lebhaft erörtert, durch künstliche Verbreitung solcher Seuchen gegen die Massen der Thiere anzukämpfen.

Wenn aber auf diesem Gebiet etwas Brauchbares erreicht werden sollte, so mußte man zuerst die Hygieine der Mäuse, sowie deren Krankheiten studieren und einen Bacillus zu finden suchen, der die Mäuse vernichten, anderen Thieren aber unschädlich sein würde. Die Lösung dieser Frage ist nun dem berühmten Entdecker des Diphtheriebacillus, Prof. Löffler in Greifswald, gelungen. Unter den weißen Mäusen, die er zu Versuchszwecken in seinem Laboratorium hielt, brach eine mörderische Epidemie aus. Löffler fand bald den Krankheitserreger, den er Bacillus typhi murium (Bacillus des Mäusetyphus) nannte. Impfte man die weißen Mäuse mit Reinkulturen, so starben sie nach etwa fünf Tagen, fütterte man sie mit Brot, das mit einer Bacillenbouillon durchtränkt war, so pflegte der Tod nach acht bis vierzehn Tagen einzutreten. Die lebenden Mäuse fraßen außerdem die toten an und verbreiteten dadurch die Epidemie. Professor Löffler dehnte nun die Versuche auf die Feldmäuse aus und fand, daß dieselben gegen den Mäusetyphusbacillus ebenso empfänglich sind wie ihre weißen Verwandten. Dagegen zeigte es sich, daß der neuentdeckte Krankheitserreger anderen Thieren, namentlich unseren Hausthieren, gar nicht oder nur in geringem Maße schädlich sei. Bei Fütterungsversuchen blieben die Thiere gesund, nur gegen Impfungen erwiesen sich manche von ihnen empfänglich. Darauf gründete nun Professor Löffler seinen Vertilgungsplan. Man sollte Brot, welches mit den betreffenden Bacillen infiziert wurde, auf die Felder streuen und so den Mäusetyphus künstlich erzeugen.

Als die griechische Regierung sich an Löffler wandte, damit er in Thessalien seine Methode praktisch verwerthe, wurde ihm versichert, daß die Maus, welche in Griechenland verwüstend auftrat, derselben Art sei wie unsere Feldmaus, als aber Professor Löffler in Griechenland ankam, sah er zu seiner Ueberraschung, daß es sich um eine andere Mausart handelte, die größere Augen, eine größere Gestalt und andere Färbung als die unsrige hatte. War auch diese Maus gegen den betreffenden Bacillus empfänglich? – Matt stellte mit eingefangenen Mäusen Versuche an und das Ergebniß war günstig, geimpft starben die Thiere in drei bis vier Tagen, fütterte man sie mit infiziertem Brote, so erlagen sie der Krankheit in sieben bis acht Tagen.

Nun rückte Professor Löffler, von einem Professorenstab umgeben, an der Spitze von sechzig Soldaten nach Thessalien ab; dort durchtränkte man ganze Körbe Brot mit Bacillenkulturen und streute eines Nachmittags das Ansteckungsgift über mehrere Quadratmeilen Land aus. Die Furcht der Bevölkerung in Betreff der Schädlichkeit des neuen Giftes wurde dadurch widerlegt, daß einige Professoren das Bacillenbrot selbst verzehrten.

Man wartete nunmehr auf den Erfolg, und er stellte sich pünktlich ein. Nach acht bis neun Tagen ließ der Mäusefraß auf den Getreidefeldern fast gänzlich nach, die toten Mäuse lagen haufenweise umher und Scharen von Raubvögeln und Störchen verspeisten die freiliegenden Leichname.

So verließ Professor Löffler als Sieger in der ersten Schlacht den Boden Thessaliens. Der Vertilgungskrieg wird nach seinen Angaben fortgesetzt. Von etwaigen üblen Folgen dieser Massenvergiftung für die Hausthiere hat bis jetzt nichts verlautet, und so ist die Hoffnung wohl begründet, daß die Landwirthschaft von der neuesten Errungenschaft der Bakteriologie den größten Nutzen ziehen werde.