Die Kenner
[27] Aus Künstlerkreisen erhalte ich folgende Zuschrift: Journalisten sind nach dem bösen Worte eines großen Mannes diejenigen Leute, die ihren Beruf verfehlt haben; unter ihnen pflegen sich nun jene, welche wegen Mangels jeglicher positiven Kenntnisse zu nichts anderem zu verwenden sind, der Kunstkritik zuzuwenden. Während der Musikreferent wenigstens imstande sein muss, Noten zu lesen, fällt bei der Besprechung von Literatur und bildender Kunst jedes ähnliche kleine Erfordernis weg. Aber Unwissenheit allein genügt doch nicht, wofern nicht ihre Resultate mit jener apodiktischen Ruhe vorgebracht werden, die der Unverschämtheit zum Verwechseln ähnlich sieht.
Man ist ja an Vieles gewöhnt. Von Zeit zu Zeit aber hat man doch den Wunsch, diesen oder jenen sublimen Ausspruch ein wenig festzunageln. Schreibt da unlängst der Kunstkritiker der »Neuen Freien« (die übrigens von jeher in diesem Fache einen Record nach unten behauptet hat) anlässlich der Tina Blau-Ausstellung etwa Folgendes: Man finde da recht hübsche Sachen, müsse aber der Künstlerin den Rath geben, sie möge sich die modernen Mittel der Malerei mehr zu eigen machen, wenn sie den Anspruch erheben wolle u. s. w., u. s. w. Man wird schwerlich die beiden oben erwähnten Eigenschaften des Kunstkritikers in einer reineren Form darstellen können, als sie in diesem Ausspruch eines edlen Gönners [28] zu finden sind. Tina Blau, die bis jetzt von Kritik und Publicum eben wegen ihres modernen Empfindens vernachlässigt worden war, und die vor zwanzig Jahren schon – in ihrer Weise natürlich – die Principien der Worpsweder und Glasgower Schule angewendet hat!
Sind aber die meisten Kunstkritiker schon in puncto einfachen Tadels oder Lobes unzuverlässig, so wird die Sache gar possierlich, wenn sie sich aufs Prophezeien verlegen oder die Dinge sub specie aeternitatis zu betrachten anfangen. Der Aristoteles unserer »Zeit«[1] leistet bekanntlich hierin Hervorragendes. Man erinnert sich noch, wie er von den in einem lächerlichen Deutsch abgefassten und auf Büttenpapier gedruckten Pubertätsempfindungen eines Kalksburger Gymnasiasten feierlich erklärte: In vierzehn Tagen wird Europa von diesem Buche sprechen! Das Wort bekam Flügel, aber das Buch ist längst von der Oberfläche verschwunden. Jetzt erklärt derselbe Herr ein Bild von Klimt in der Secession (den »Schubert«) schlankweg für das beste Bild, das je ein Österreicher gemalt hat. Nun, so schlecht ist das Bild wieder nicht, und der gute Herr von Dumba, der auf seine alten Tage seine Wohnzimmer secessionistisch ausschmücken lässt, braucht es nur ein bischen ins Dunkle zu hängen. Herr von Dumba als Secessionist ist überhaupt sehr amüsant. Das kam nämlich so. Er hatte die Bilder für sein Musikzimmer bei Klimt bestellt, als dieser noch in der braven Art der Laufberger-Schule arbeitete und sich höchstens ein paar Makart’sche Extravaganzen gestattete. In der Zwischenzeit war aber dem Maler der Khnopff aufgegangen, und jetzt ist er, damit die Geschichte nicht ohne Pointe bleibt, Pointillist geworden. Und das muss natürlich der Besteller alles auch mitmachen. So ward Herr von Dumba ein Moderner.
- ↑ Hier ist natürlich Herr Hermann Bahr gemeint. Das wüste Treiben dieses Herrn, der noch immer Cultur nach Österreich zu bringen vorgibt und immerzu seine Dichterkrönungen vollzieht, wird, bevor er noch in der ersehnten grösseren Tagesredaction landet, in diesen Blättern öfter und schmerzhafter aufgedeckt werden. Anm. d. Herausgebers.