Die Kautschuksammler am Amazonenstrom

Textdaten
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Autor: H. Breusing
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Titel: Die Kautschuksammler am Amazonenstrom
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 7–11
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Kautschuksammler am Amazonenstrom.

Von H. Breusing.0 Mit Originalzeichnungen von A. Göring.

In deutschen Landen kennt Jedermann die Wolfsmilch und den Löwenzahn, Pflanzen, welche in ihren die Rinde und zum Theil das Mark durchziehenden Gefäßen einen milchartigen Saft führen. Sie bleiben bei uns unbeachtet, weil ihr Milchsaft werthlos ist. Ganz anders verhält es sich aber mit den unter den Tropen gedeihenden ähnlichen Pflanzen. Unter dem südlichen Himmel ist die Zahl solcher Gewächse viel bedeutender als bei uns, und auch die Eigenschaften ihres Milchsaftes sind viel mannigfaltiger. Der Saft dieser Tropenpflanzen ist in der Regel weiß, doch zuweilen auch leicht gefärbt, und enthält je nach der Gattung, welcher die Pflanze angehört, sehr verschiedene Bestandtheile. Bald ist er giftig, bald genießbar und selbst wohlschmeckend; ja Gift und Nahrung finden sich in ihm nicht selten auf’s engste vereint, wie in der Juca amarga, einer wildwachsenden Maniokart, deren Wurzeln zerstampft, ausgepreßt und gedörrt eine genießbare Tapiocca geben, während der ausgepreßte Saft dem Indianer zum Vergiften seiner Pfeile dient (vergl. Abbildung S. 8).

Die furchtbarsten Pflanzengifte, das Weorareo der Orinocoländer, das Upas-Radja Javas, entstammen dem Milchsaft dort wachsender Bäume. Dagegen wird der Saft der Tabayda dolce auf den canarischen Inseln, zu Gelée eingedickt, als Leckerbissen verspeist, und der Kuhbaum auf Ceylon, sowie die Hya-Hya im englischen Guyana liefern in ihrem Milchsafte ein erfrischendes, wohlschmeckendes und nahrhaftes Getränk, welches in seiner Zusammensetzung der Kuhmilch ähnlich ist.

Immer aber enthält der Milchsaft, sei er giftig oder genießbar, wenigstens Spuren eines harzigen Stoffes in Form mikroskopischer Kügelchen, die durch eine eiweißartige Umhüllung am Ineinanderfließen gehindert werden, wie z. B. die Butter in der Milch. Wenn frischer harzreicher Saft einige Zeit an der Luft steht, so wird er dick und kleberig, wie stark gezuckerte Milch. Streicht man ihn alsdann aus einander, so trocknet er rasch und sieht dann ungefähr wie ein Aufstrich von Fischleim aus. Die mattweiße Färbung geht aber bald in’s Gelbe und Braune über.

Bei längerem Stehen setzen sich die Harzkügelchen zum Theil auf dem Boden und an den Wänden des Gefäßes ab und bilden eine Haut, die sich mit dem Rahm der Milch vergleichen läßt. In der heißen Tagesluft der Tropen gerinnt der Saft nach fünf bis sechs Stunden zu einer schwammigen, schmutzig gelben Masse, in deren Höhlungen sich ein übelriechendes Wasser befindet, und nach einigen Tagen ist die Masse schwarz und die Flüssigkeit verdorbener Tinte ähnlich geworden – beides hat allen Werth verloren.

Ein solches Milchsaftharz ist nun das Kautschuk, welches sich in ganz besonders reichen Mengen in der Hevea, der Siphonia cahucha oder elastica der Botaniker (vergl. das Initial), findet, die namentlich im Gebiete des Amazonenstroms in ausgedehntestem Maße zu seiner Gewinnung ausgebeutet wird.

Die Hevea wächst vorzugsweise gern an Stellen, welche der Ueberschwemmung durch süßes Wasser ausgesetzt sind, und diese Bedingung findet sich in dem genannten Gebiete allenthalben erfüllt. Verdient doch der ganze untere Theil des Beckens des Amazonas nicht sowohl ein reichlich von Wasser durchzogenes Landgebiet, als vielmehr ein von häufigen Landerhebungen durchsetzter Süßwasserocean genannt zu werden; denn es erfolgt in jenem gewaltigen Stromgebiete jährlich ein regelmäßiges Steigen der Gewässer, das vier Monate anhält und den Wasserspiegel um zehn, ja sechszehn Meter emporstaut, sodaß nur die Kronen der Bäume darüber emporragen.

Dabei ist die ganze Gegend mit dem üppigsten Urwald bedeckt, in einer Ausdehnung, die auf 600 Meilen in der Länge geschätzt wird, bei einer wechselnden Breite von 100 bis 400 Meilen. Dies ist der Schauplatz, auf dem wir das Kautschuk in den ersten Stadien seines Werdens beobachten wollen.

[8] Dort begegnen wir unserem Kautschukbaume, der oft wahre Wälder im Urwalde bildet; er ist ein imposanter Baum von zwanzig bis fünfundzwanzig Meter Höhe und bis zu drei Meter Umfang; er hat einen geraden, glatten, meist astlosen Stamm mit stattlicher Krone und trägt eßbare, kastanienartige Früchte. Seringa nennen ihn die Eingeborenen, und Seringa heißt auch in ihrer Sprache der aus diesem Baume gewonnene Kautschuk. Die Vollkraft seiner Leistungsfähigkeit erreicht der Baum mit ungefähr fünfundzwanzig Jahren, aber auch schon Bäume von fünfzehn Jahren liefern reichliche Mengen Saft. Wie lange er dann weiter ertragsfähig bleibt, ist noch nicht festgestellt worden; das ist indessen auch für die nächsten Interessenten, die Kautschuksammler oder Seringueiros, nicht von Bedeutung, so lange nicht eine bedeutende Abnahme im Vorkommen der Hevea sie nöthigt, den einzelnen Baum bis zur äußersten Grenze seiner Leistungsfähigkeit zu verfolgen.

Juca amarga.

Die Seringueiros sind vorzugsweise Mestizen (Abkömmlinge von Weißen und Indianern), welche die halbwilde, nur zu geringem Theile seßhafte Bevölkerung der nördlichen Provinzen Brasiliens bilden. Sieben Monate des Jahres leben sie wie der Vogel im Walde; die übrigen fünf bringen sie an den Flüssen des unteren Amazonenstrombeckens zu, um Kautschuk zu sammeln und Feste zu feiern. Von Ende August bis Anfang Januar ist die Erntezeit; denn da fließt der Saft am ergiebigsten und gehaltreichsten.

Flaschenbaum (Crescentia Cujete) und Geräthe aus den Fruchtschalen desselben.

Im Juli aber beginnt schon die Völkerwanderung; ist die Reise doch mitunter lang; Vorbereitungen müssen an Ort und Stelle getroffen werden, und der Mestize überarbeitet sich nicht gern. Die Ausrüstung für die Reise ist bald besorgt, und der Fahrplan braucht nicht studirt zu werden, um die kürzeste und bequemste Route aufzufinden. Das Canoe, der hohle Baumstamm, das kunstlose Floß, wird auf den nächsten Wasserlauf gesetzt, und da nicht zu befürchten ist, daß es stromauf gleite, so ist keine Gefahr, daß es seinen Weg verfehle. So reisen die Kautschuksammler mit Weib und Kind; all ihre Habe nehmen sie mit als Reisegepäck; nur die Hütte bleibt zurück. Trotzdem bedarf es nicht vieler Koffer: außer den Kleidern, die man am Leibe trägt, hat man etwa noch einige Bastkörbe voll Maniokmehl mitzunehmen; außerdem besteht die Habe aus einer Anzahl getrockneter Fische, wenn solche beim Aufbruche gerade vorräthig waren, aus einer Flinte, einem Angelzeuge, einigen Beilen, einem Feuerzeuge und dem kurzen Hirschfänger, Machete genannt, der als Waldmesser unentbehrlich ist, sowie aus den Fruchtschalen des Tutuma-Baumes (Crescentia Cujete). Man benutzt diese ausgehöhlten Schalen, welche bei einsam in der Wildniß wohnenden Eingeborenen oft fast das einzige Hausgeräth bilden, als Trinkgefäße, Schüsseln und Löffel. Auch zu musikalischen Zwecken werden die kleineren Exemplare derselben benutzt, indem man sie mit trockenen Maiskernen füllt, wie sie auch, wenn man sie hin- und herschwingt, die Stelle der Castagnetten vertreten. Ebenso findet man sie als kunstvoll geschnitzte und bemalte Ziergefäße. Zur Vervollständigung der Ausrüstung eines Kautschuksammlers gehört übrigens ferner noch eine bunte Sammlung von flachen Thon- und Holzgefäßen zum Auffangen des Saftes, und vor Allem eine Anzahl Hängematten. Die Kleidung der Leute ist höchst einfach: Hose und Kittel aus Baumwolle für den Mann, Rock und Jacke für die Frau – das ist Alles. Die Kinder kommen jahrelang ohne Kleidung aus; sie leben ja vorzugsweise im Wasser, und da würden die Kleider nur naß.

Als Wegzehrung dient der mitgenommene Vorrath, wenn es nöthig ist. Meist indessen genügt der Ertrag der unterwegs ausgeübten Jagd und Fischerei. Wo ein schattiges Plätzchen am Ufer winkt, wird gerastet, und drei- bis viermal täglich wird der müde Leib im Bade erfrischt, um zu neuen Leistungen im Essen und Trinken gestärkt zu werden; denn der Mestize ißt viel, sehr viel, wenn er es hat, und das Trinken ist ihm auch nicht zuwider. Allerdings findet er auf seinem Wege nicht so viele Schenken, wie an den belebteren Straßen unserer großen und kleinen Städte, aber ab und zu trifft er doch auf eine Niederlassung, wo ein guter „Táfia“ oder „Rou“ (Rum) zu haben ist, und die Gelegenheit wird stets benutzt, um gegen Wild- oder Wasserbeute einen kleinen Vorrath des köstlichen Getränkes einzutauschen.

So geht die Reise langsam weiter; bald mit dem Strome treibend, bald rudernd, bald mit einfachem Bastsegel segelnd, gelangt der Seringueiro endlich zum Schauplatz seiner Thätigkeit. Die erste Aufgabe ist jetzt, eine geeignete Stelle für die Hütte zu wählen, die zweite, letztere zu bauen. Für den ersten Punkt ist es wesentlich, daß eine ausreichende Zahl von Heveas bequem zur Hand stehe und daß weder zu dichtes Unterholz noch Wasser den Bau der Hütte und den Zugang zu den gewählten Bäumen erschwere. Die Nähe der [9] letzteren ist übrigens nicht blos eine Forderung der natürlichen Bequemlichkeit des Seringueiros, sondern auch eine Bedingung des lohnenden Betriebs. Wir sahen ja schon, daß die Seringa sehr empfindlich für den Einfluß der Luft ist und deshalb möglichst rasch verarbeitet werden muß.

Sehen wir uns zunächst den Bau der Hütte an! Auf einem Kreis von größerem oder kleinerem Durchmesser, je nach den Ansprüchen der Familie oder auch der Cameradschaft, die zusammen arbeiten will, werden die Bäume bis auf etwa einen Meter über dem Boden abgehauen. Der echte Mestize wird von vornherein möglichst Rücksicht darauf nehmen, daß er nicht zu harte und zu dicke Bäume umzuhauen braucht. Einige der stärkeren läßt man in ungefähr gleichen Zwischenräumen stehen als Stützen für das Dach. Auf den Stümpfen wird nun der Boden angebracht. Er muß meist erhöht werden wegen der Fluth, die sich bis weit in das Stromgebiet hinein bemerkbar macht, zuweilen wird aber auch im bleibenden Wasser gebaut, wenn irgend welche Vortheile die damit verbundenen Unbequemlichkeiten des Verkehrs ausgleichen. Das Bodengebälk liefern die gefällten Bäume, die Dielen aber werden aus der Rinde der Murutipalme hergestellt, die in langen Stücken vom Stamm geschält und in schmale Streifen gespalten wird. An den stehen gebliebenen Stämmen oder, wenn es sich gar nicht anders machen ließ, an besonders zu diesem Zwecke aufgerichteten Pfosten wird ein flachkegelförmiges Dach befestigt, wozu leichte, schlanke Stämme die Balken liefern, während die Bedeckung aus zähen Zweigen und Blättern beschafft wird; hundert große Palmblätter reichen aus für ein Dach, unter dem zwanzig Personen bequemes Unterkommen finden.

Niederlassung der Kautschuksammler am Amazonas.

Ist zwischen Dach und Boden ringsum eine wagerechte Stange angebracht worden, damit man im Nothfall einige Bastmatten daran hängen könne, so sind die Wände dicht genug. Kälte braucht nicht abgehalten zu werden, und gegen einen tropischen Regenguß kann man sich mit den vorhandenen Mitteln überhaupt nicht schützen. Uebrigens trocknet die tropische Sonne auch den stärksten Regen sehr bald auf. Zimmereintheilung durch Binnenwände ist nicht dringendes Bedürfniß. Höchstens wird in der Mitte durch rundum aufgehängte, einige Fuß hohe Matten ein Damenzimmer hergestellt. Die Treppe ist schnell beschafft: entweder thürmt man einige Blöcke Rundholz über einander bis zur erforderlichen Höhe, oder man legt einen Stamm mit roh eingehauenen Stufen schräg gegen das Bodengebälk der Hütte.

Die erste Sorge gilt nun der Speisekammer. Am Fuße des nächsten Baumriesen wird ein Kreis von ein bis einundeinhalb Quadratmeter mit Pflöcken umzäunt und im Innern die Erde zwei bis drei Fuß ausgeworfen. Die nächste Fluth füllt den kleinen Teich mit Wasser, der nun aufnimmt, was jedes Familienglied an Fischen und Schildkröten fängt. Der Zaun läßt jede Fluth durch, sodaß das Wasser frisch bleibt, er setzt aber den Fluchtversuchen der armen Gefangenen ein gebieterisches Halt entgegen. Dies ist die nasse Speisekammer; für die trockene sorgt die Flinte; denn was man über den täglichen Bedarf hinaus an Wild erlegt, das wird an der Sonne gedörrt oder gesalzen und an schattigen Stellen aufbewahrt.

Inzwischen rückt die Zeit der Ernte heran. Für die letzten Tage vor ihrem Beginne steht die Vermehrung des mitgebrachten Vorraths an Gefäßen durch Muscheln und selbstgeformte Thonschalen auf der Tagesordnung; daneben wird zäher Thon zum Ankleben der Gefäße an die Stämme in Vorrath gesammelt. [10] Gleichzeitig muß ein erster Vorrath von den nußartigen Früchten eines gewissen Baumes beschafft werden, der so recht des Kautschuks wegen ebenso häufig wie die Hevea vorzukommen scheint; denn diese Früchte spielen, wie wir sehen werden, eine sehr wichtige Rolle bei der ersten Behandlung des Kautschuks.

Die Ernte selbst wird in verschiedener Weise ausgeübt, selbst innerhalb des einen Gebietes, welches wir zunächst und hauptsächlich im Auge haben, nämlich der brasilianischen Provinz Para. Der rationelle Sammler verfährt wie folgt: früh Morgens zwischen fünf und sechs Uhr zieht er aus, bewaffnet mit einem kleinen Beil, dessen Schärfe etwa einen Zoll lang ist. Er macht bei seinen Bäumen die Runde und bringt jedem dritten in bequemer Höhe etwa zwanzig leichte Hiebe mit dem kleinen Beil bei, die eben die Rinde durchdringen. Unter jeden Einschnitt befestigt er vermittels der zähen Thonerde eines der kleinen Gefäße, um den Milchsaft aufzufangen, der Tropfen um Tropfen herausquillt. Hat er mit Hülfe von Frau und Kindern dreißig bis vierzig Bäume auf diese Weise angezapft, was immerhin mehrere Stunden in Anspruch nimmt, so ist es Zeit zum zweiten Theil der Arbeit zu schreiten, zum Einsammeln. Nicht als ob die Schalen sobald überzulaufen drohten; aber einerseits haben sich die Wunden schon zum Theil mit angetrocknetem Safte zugesetzt; andererseits erfordert die Rücksicht auf die Güte des zu erzielenden Fabrikats diese Eile.

Diesmal wird statt des Beils ein keiner Holzeimer mitgenommen. Frau und Kinder nehmen die Schalen ab und entleeren sie in den Eimer; jede einzelne enthält vielleicht ein Liqueurglas voll Saft. Die Haut, welche sich etwa unter dem Einschnitt auf der Rinde des Baumes oder am Rande der Muschel angesetzt hat, streifen sie ab und kleben sie von außen gegen den Eimer. Inzwischen reinigt der Mann die Wunde und klebt ein neues Gefäß darunter für die zweite Ernte des Tages. Der gewonnene Saft aber wird sogleich zur Hütte gebracht und weiter verarbeitet.

Alsdann wird ein Feuer von Reisig angezündet und, wenn es recht lustig brennt, eine Anzahl der vorher erwähnten Nüsse darauf geworfen. Nun stülpt man über das Feuer ein trichterförmiges Gefäß von Thon, im Nothfall einen Topf, dessen Boden ein Loch hat, und die eigentliche Arbeit kann beginnen. Der Seringueiro setzt sich, den Eimer zur Seite, vor das Feuer, ergreift ein keulenförmiges, einem Waschholz ähnliches Holz, taucht es in den Kautschuksaft und dreht es geschickt in dem heißen Rauch hin und her, der aus dem Trichter quillt. In einer halben Minute hat sich der Saft in eine fette Haut von röthlicher Farbe verwandelt. Die Keule wird wieder eingetaucht und eine zweite Schicht über der ersten angetrocknet, und so geht es weiter, bis das Kautschuk eine gewisse Dicke erreicht hat; dann kommt ein zweites, drittes Holz an die Reihe, bis der Saft verarbeitet worden ist. Zu erwähnen ist hier, daß der Rauch jener Nüsse die Eigenschaft hat, das im Saft enthaltene Harz rasch zu trocknen und seine werthvollen Bestandtheile besonders kräftig zu entwickeln.

Wenn her ganze Vorrath so getrocknet ist, werden die Kautschukmassen auf den Hölzern aufgeschnitten, abgestreift und an freier Luft zum völligen Austrocknen aufgehängt, welches Austrocknen mehrere Tage in Anspruch nimmt. Dann ist die Verkaufswaare hergestellt, die der Händler dem Seringueiro je nach der augenblicklichen Nachfrage zu höherem oder niedrigerem Preise abkauft.

Nach Beendigung des eben beschriebenen Verfahrens wird die zweite Ernte eingesammelt und ebenso verarbeitet, unter besonders günstigen Verhältnissen vielleicht auch eine dritte.

Aber wir vergaßen die an den Eimer geklebten Häutchen. Sie werden um das Ende eines Stabes gelegt, das eine über das andere, und ebenso geräuchert, wie der frische Saft. Wenn ein Klumpen fertig ist, taucht man ihn ein- oder zweimal in Saft und setzt ihn so von neuem dem Rauche aus. Er gewinnt dadurch ungefähr das Aussehen der echten Waare und geht als solche von einem Betrogenen zum anderen.

Am zweiten Tage kommt das zweite, am dritten das dritte Drittheil der Bäume an die Reihe, und am vierten kann man ohne Schaden für den Baum wieder von vorn anfangen. So treibt es der Sammler die Erntezeit hindurch. Versagt ein Baum, so sind andere in der Nähe, und im Nothfall zieht man weiter und siedelt sich an günstigerer Stelle von neuem an.

Diesem rationellen Sammler gegenüber steht der nicht rationelle, der leider vielleicht zahlreicher gefunden wird, als jener; er haut die jungen Bäume um und spaltet ihre Rinde nach allen Richtungen, um schnell viel Milch zu erzielen; er ruiniert die Bäume und erzielt stets ein minderwertiges Product.

An einigen Productionsorten soll der mühsamen Gewinnung des Kautschuk gegenüber nicht ohne Erfolg ein einfacheres Verfahren angewendet worden sein, bei dem man den Saft in flachen Gruben schichtenweise über einander zu großen flachen Kuchen trocknen läßt.

Aber kommen wir zu unserem Seringueiro zurück! Wir haben seine Arbeit kennen gelernt; wir wollen ihn jetzt auch beim Handel beobachten.

Kaum hat die Ernte begonnen, da erscheint eines Tags auf dem nahen Fluß oder Canal, oder zwischen den Bäumen auf dem übergetretenen Wasser ein seltsames Fahrzeug. Es ist zur Hälfte überdeckt, und unter dem Dach steht der Eigenthümer, vielleicht mit einem Gehülfen, und hat rings um sich her die bunteste Sammlung von Verkaufsgegenständen ausgebreitet. Wein, Champagner, Bier, Seidenwaaren, Schmucksachen, eingemachte Früchte und Gemüse, Werkzeuge, Baumwollstoffe, Raketen und andere Feuerwerskörper, Táfia, Nürnberger Spielwaaren, Kaffee, Thee, Kuchen, Pulver und Blei, Fischereigeräthe, Spiegel, Decken, fertige Damengarderobe, kurz alles, was dem leichtlebigen Mestizen nur aufgeschwatzt werden kann, findet man da neben einander aufgebaut. In der festen Truhe im Winkel aber liegt Gold und Silber in Münzen; denn während der Seringazeit will der Mestize auch spielen. Das Boot fährt von einer Hütte zur andern, und der Padron preist seine Waare an.

„Sieh, dieses seidene Tuch wird Deiner Frau gut stehen,“ meint er zum Seringueiro, „besonders mit dieser goldenen Kette.“

„Ja,“ sagt der Seringueiro, „das ist aber wohl theuer? Wie viel Seringa mußt Du dafür haben?“

„O, das ist nicht so schlimm; je nach dem Preis; geht er in die Höhe, so giebst Du wenig, fällt er, so giebst Du etwas mehr; sobald der Marktpreis festgestellt ist, komme ich zur Abrechnung, und Du bezahlst, was recht ist.“

So wird der Handel abgeschlossen. Der Seringueiro nimmt Besitz von einem Topf mit Conserven, einigen bunten Seidenzeugen für seine Frau etc.; der Händler schreibt seinen Namen in sein Buch und zieht weiter. Welchen Betrag er seinem Kunden zur Last schreibt, nun, das ist seine Sache. Der Seringueiro kümmert sich nicht viel darum, und Andere geht’s ja nichts an. Es sind so viele Bäume da; der Saft fließt gut – wozu sorgen? In einer Woche kann man viel Seringa machen.

So kommt ein Boot nach dem anderen; jeder Händler hat seine Weise, dem kindlichen Mestizen klar zu machen, was er haben muß. Die Hütten füllen sich mit Damengarderobestücken, die, zwischen den Pfosten aufgehängt, der Hütte das Ansehen einer öffentlichen Wasch- und Trockenanstalt geben. Der Boden um die Hütte bedeckt sich mit Blechbüchsen, Flaschen, Feuerwerksrückständen u. dergl. m.; denn für Feuerwerk und Illumination hat der Mestize eine ganz besondere Leidenschaft. Abends, nachdem des Tages Last und Hitze getragen sind, ladet bald Dieser, bald Jener Freunde und Nachbarn in seine mit bunten Lampions geschmückte Hütte, damit sie ihm an einem Abend in Leckerbissen und feinen Getränken verzehren helfen, was die Arbeit mehrerer Wochen eingebracht hat. Da geht es dann munter genug zu, aber vollständig ist die Freude nur, wenn es ringsum von Raketen und Schwärmern blitzt und knattert.

Der Händler berechnet immer die Seringa recht hoch, um Vertrauen zu erwecken, aber seine Waaren berechnet er natürlich noch viel höher. Und merkwürdig! Die so geschlossenen Geschäfte führen selten zu ernstlichen Zwistigkeiten. Einerseits unterstützen die Händler, die wie Raubvögel das ganze Gebiet durchstreichen, sich gegenseitig im Auffinden „fauler Kunden“, die sich etwa drücken möchten, und andererseits hat der Mestize meist noch eine unverdorbene Ehrlichkeit, die in ihm den Gedanken an Vertragsbruch nicht leicht aufkommen läßt.

Der Händler führt seine Seringa nach Belem, der Hauptstadt der Provinz, wo natürlich, was auf den ersten Blick wunderbar erscheinen könnte, der Preis niedriger steht als im Walde; denn da wird nicht mehr gegen einseitig abgeschätzte Waare, sondern gegen Geld mit bestimmtem Curs gehandelt. Von Belem geht das Kautschuk in alle Welt hinaus, um an den verschiedenen Fabrikationsorten zu jenen tausend und abertausend Gegenständen verarbeitet zu werden, die theils dem täglichen Leben, theils der Technik, theils der Wissenschaft dienen. Wir [11] begleiten es nicht auf seinem Wege zu diesem Ziel; unsere Betrachtung galt eben nur dem Kautschuk in seinen ursprünglichsten Formen; aber auf die mancherlei Verwendungen, die der frische Saft im Urwalde erfährt, wollen wir noch einen Blick werfen.

Der atmosphärische Niederschlag ist in jenen Gegenden während der vergleichsweise kühlen Nächte sehr bedeutend. Kleidungsstücke und Papiere, die Nachts der Luft ausgesetzt bleiben, sind Morgens wie durch Wasser gezogen; Beile, Flinten, Waldmesser bedecken sich in einer Nacht mit einer Rostschicht. Dagegen muß nun die Seringa helfen. Hat das Boot oder gar die Hütte ein Dach von Segeltuch, so ist dies gewiß mit Seringa getränkt. Ja der Reisende, dessen Berichten wir vorzugsweise die interessanten Einzelheiten des Bildes verdanken, welches wir hier zu entwerfen versuchen[1], fand einmal bei seiner Rückkehr von einem Streifzuge einen seiner einheimischen Diener damit beschäftigt, sich selbst wasserdicht zu machen. Ein Bein war schon kautschukisirt, und das andere schwenkte der Eingeborene noch über dem Feuer hin und her, um einen neuen Aufstrich antrocknen zu lassen. Nur mit Gewalt war er von der Ausführung seines Vorhabens abzuhalten. Hat der Seringueiro sich geschnitten, geschunden, gestoßen oder sonst wie verletzt, flugs überzieht er die verletzte Stelle mit Seringa. Hat er am Abend bei festlichem Schmauß mit nur wenigen Genossen einen Hirsch verzehrt und fühlt am Morgen, daß er seiner Natur zu viel zugemuthet hat, so trinkt er einen tüchtigen Schluck Seringa. Seringa ist seine Universalmedicin.

Ist die Erntezeit vorüber, so zerstreut sich das muntere Volk der Seringueiros wieder nach allen Richtungen landeinwärts. Ob sie ihre im Stich gelassene Hütte wiederfinden? Nun, es wäre mehr, als die glühendste Heimathsliebe erwarten lassen könnte, wollten sie sich abmühen, das Laubdach zu suchen, das sie vor fünf Monaten verlassen. Können sie doch an der ersten besten Stelle außerhalb des Bereichs der steigenden Gewässer in vielleicht weniger Stunden eine neue Hütte bauen, als sie Tage gebrauchen würden, um die alte zu erreichen, und bieten ihnen Wald und Fluß doch überall, was sie zum Lebensunterhalt bedürfen. Wo’s ihr gefällt, läßt die Familie sich nieder, und wenn im nächsten Jahre die Zeit der Ernte kommt, sucht auch sie wieder, dem Wasserlaufe folgend, die unteren Flußthäler auf, um Kautschuk zu sammeln und Feste zu feiern.


  1. Emile Carrey, der monatelang zur Zeit der Ernte unter den Seringueiros gelebt hat und dessen Reisewerke, bei Michel Levy Frères erschienen, als sehr interessante Lectüre empfohlen werden können.