Die Kaninchen-Zucht in Deutschland
Von höchstem volkswirthschaftlichen Interesse ist für uns die an sehr vielen Orten unseres Vaterlandes gegenwärtig angeregte Frage über den Werth einer richtig und in großem Maßstabe betriebenen deutschen Kaninchenzucht.
Hier bringen unsere Zeitungen Aufforderungen, die Zucht von Kaninchen zu fördern, damit namentlich für die Armen ein billiges Fleisch gewonnen werde; dort findet man Anzeigen und Anpreisungen über den Verkauf von Zuchtkaninchen und das Lucrative der Kaninchenzucht; Broschüren sind geschrieben worden, welche vielversprechende und verlockende Titel, z. B. „Ein Californien
[431][432] für Deutschland“, führen und nichts Anderes zum Zwecke haben, als Reclame für den Kaninchenverkauf zu machen; Kaninchenzüchtervereine sind gegründet worden; Kaninchenausstellungen haben bereits mehrfach stattgefunden, und mit dem Beginne dieses Jahres ist eine Zeitschrift „Blätter für Kaninchenzucht“ (Redaction C. Rasch; Verlag Gebrüder Gerstenberg in Hildesheim) erstanden.
Da es nun notorisch, daß in Frankreich, Belgien, Holland und England das Fleisch und die Haut der zahmen Kaninchen ein sehr begehrter Handelsartikel geworden ist und z. B. allein in Frankreich etwa siebenzig bis fünfundachtzig Millionen Kaninchen jährlich producirt werden, die einen Erlös von schlechtgerechnet mindestens hundertundneunzig bis zweihundert Millionen“ Franken[WS 1] Franken ergeben, so liegt es auf der Hand, daß jeder Deutsche, welcher es als Pflicht ansieht, Alles zu thun, was den Nationalwohlstand fördern kann, auch den Bemühungen derjenigen Männer entgegen kommt, welche sich entschlossen haben, mit allen Kräften dahin zu wirken, daß einer rationellen Kaninchenzucht in Deutschland Bahn gebrochen werde.
Zwei Gründe waren es, welche die Redaction der Gartenlaube veranlaßten, diesen Artikel über Kaninchenzucht in ihr weitverbreitetes Blatt aufzunehmen, nämlich erstens die unverkennbare Wichtigkeit, welche eine richtig betriebene Kaninchenzucht für Deutschland haben kann, und zweitens die Thatsache, daß von verschiedenen aus- und inländischen Kaninchenzüchtern schwindelhafte Reklamen über den pecuniären Erfolg der Kaninchenzucht gemacht wurden und es an der Zeit scheint, die betreffenden Verhältnisse vorurtheilsfrei zu prüfen.
Wir kennen bekanntlich wilde und zahme Kaninchen. Die ersteren, weißgrau von Farbe oder braungrau und dann mit rostgelbem Nacken versehen, sind ursprünglich heimisch am Mittelmeere, hauptsächlich im südlichen Europa, z. B. in Spanien, auf Mallorca, Minorca und den Pityusen, in Sicilien, Sardinien, ferner in Kleinasien, in der Berberei. Jetzt findet man sie auch häufig in Mitteleuropa, in Frankreich, England, Schottland, Irland, in Mitteldeutschland, in Oesterreich; die Schweiz und Süddeutschland sowie die nördlichen europäischen Länder besitzen keine oder doch nur selten wilde Kaninchen.
Die zahmen oder Hauskaninchen sind aus den wilden hervorgegangen. Noch heute lassen sich wilde Kaninchen zähmen, und zahme, freigelassen, verwildern leicht. Wenn letzteres der Fall, ist stets die Eigenthümlichkeit zu beobachten, daß die Nachkommen der buntgefärbtesten Exemplare nach und nach zur grauen Farbe des wilden Stammvaters zurückkehren. Die Hauskaninchen sind, wie bekannt, sehr verschieden gefärbt: schwarz, braun, gelbbraun, blau, grau, scheckig, weiß, dann mit rothen Augen (Albinos oder Kakerlaken) etc. und sehr verschieden an Größe und Gestalt. Zufall, Laune des Züchters und die Mode haben hierbei viel mitgesprochen. Während man jetzt mit Vorliebe recht große und schwere Kaninchen mit sehr langen Ohren zu erzüchten sich bemüht, hat es Leute gegeben, die Gefallen daran fanden, einohrige oder keine äußeren Ohren aufweisende Kaninchen zu besitzen, wie denn jetzt in England das halbhängeohrige Kaninchen (ein Ohr am Kopfe herabhängend, das andere aufrecht getragen) mit gewisser Vorliebe gezogen wird.
Außer den überall in Deutschland gehaltenen gewöhnlichen Stallhasen kennt man folgende mehr oder weniger geschätzte Racen zahmer Kaninchen.
1) Das patagonische Kaninchen. Es zeichnet sich dasselbe durch ziemliche Größe und großen runden Kopf, der mit sehr kurzen Ohren versehen ist, aus. In England und Frankreich wird es zuweilen gezüchtet.
2) Das Nicard oder holländische Kaninchen. Ein sehr kleines Thier, oft nur ein und ein viertel Pfund schwer. Die Nicardweibchen werden oft als Ammen für die Jungen anderer zarter Racen benutzt.
3) Das Himalaya-Kaninchen, auch wohl das polnische oder russische Kaninchen genannt. Dasselbe besitzt rothe Augen und ist weiß; nur die Ohren, die Nase, die vier Füße und die obere Schwanzseite sind schwarzbraun gefärbt. Die Neugeborenen sind meist ganz weiß; innerhalb zwei bis drei Monaten bekommen die Ohren, die Nase, die Füße und Schwänze derselben die dunkle Farbe. Ausnahmsweise werden junge Thiere dieser Race mit schwarzem oder blaßgrauem Pelze geboren, innerhalb zwei bis drei Monaten werden sie aber weiß. In Polen, Rußland, England kommen sie häufig vor.
4) Das Moskau-Kaninchen. Dieses rothäugige, schneeweiße Thierchen, welches selten größer als das wilde Kaninchen wird, zeichnet sich durch schwarzbraune Ohren, zwei dunkelbraune Flecken in der Nähe der Nase, ähnlich gefärbte Stellen an der oberen und unteren Fläche des Schwanzes und an den Enden der Hinterfüße aus. Die Haare seines Pelzes sind lang und weich.
5) Das englische silbergraue Kanin. Der Pelz desselben ist grau, mit langen schwarzen und weißen Haaren untermischt. Köpfe und Füße sind schwarz. Die Farbe wird fast constant vererbt. Die Jungen werden ausnahmsweise mit schwarzem Pelze versehen geboren, erhalten aber nach einiger Zeit ihre eigenthümliche graue Farbe. Als große Seltenheit treten zuweilen silbergrau geborene Individuen auf, welche später vollkommen schwarz werden. Die Thiere dieses Schlages sind sehr scheu, nicht viel größer als wilde Kaninchen, als deren „verbesserte Auflage“ sie angesehen werden müssen. Man hält sie in England in Gehegen, die oft einen großen Flächenraum Landes einnehmen. Nach Sonnini soll es dort in sehr großem Maßstabe angelegte Kaninchengärten geben, nämlich solche, in denen in einer einzigen Nacht zwölfhundert Kaninchen geboren werden; derselbe Autor theilt mit, wie der Bischof von Derby aus seinem Gehege über zwölftausend Kaninchenbälge jährlich absetzte. – Hierher gehört auch das französische Gehegekaninchen (Lapin de garenne). Es ist dasselbe nicht sehr groß, wird höchstens zwei und ein halbes Kilogramm schwer, ist grau, braungrau, silbergrau, blau oder schwarz gefärbt, jedoch nicht immer einfarbig, sondern oft weißfleckig. Auch in Frankreich hält man diese Thiere in Gehegen oder Kaninchenbergen. Auffrischung des Blutes dieser Lapins durch Paarung derselben mit eingefangenen und gezähmten wilden Kaninchen soll oft nothwendig werden. – Von dem englischen silbergrauen Kanin wurden Exemplare nach Australien exportirt: dort haben sich dieselben ungemein vermehrt; viele australische Kaninchenfelle kommen alljährlich in den Handel.
6) Das Chinchilla. Zum Unterschied von dem gewöhnlichen englischen Gehegekanin wird dasselbe auch als das „zahme graue Kanin“ bezeichnet. Es besitzt einen mausgrauen oder schieferfarbenen Pelz, der untermischt ist mit langen schwärzlichen und weißen Haaren; selten findet man hellsiberfarbige Exemplare. Die Jungen werden fast immer mit schwarzem Fell geboren, das später grau oder schieferfarben wird. In England sind sie häufig.
7) Das Angora-Kanin. Dasselbe ist verschieden gefärbt, wie der gewöhnliche Stallhase. Oft ist es weiß und hat rothe Augen. Es giebt aber auch weiße Angora-Kaninchen mit dunklen Augen. Dann ist das weiße Fell (besonders aber Ohren, Schnäuzchen, Pfoten) an einzelnen Stellen gelb, gelbbraun oder braun gefärbt. Es besitzt dichte, lange und feine sogenannte gewickelte Haare, die selbst auf den Fußsohlen sehr lang sind. Es ist sehr friedfertig, nicht so beißsüchtig wie andere Kaninchen, gesellig und zerstört die junge Nachkommenschaft nicht. Früher wurde es häufiger als jetzt wegen seines zu Gespinnsten verwendeten feinen Haares gezüchtet. Man kämmte es alle vierzehn Tage aus, und mehrmals im Jahre wurde es geschoren oder es wurden ihm die Haare ausgerupft. Das Fleisch dieses Thieres soll keinen guten Geschmack haben.
8) Das gewöhnliche französische Kanin oder Lapin ordinaire. Den Franzosen muß das Verdienst zugesprochen werden, die werthvollsten und brauchbarsten Kaninchenracen ausgebildet zu haben. Sie verstanden es, aus dem gewöhnlichen kleinen Stallkaninchen durch richtige Auslese, geeignete Ernährung und Pflege den Lapin ordinaire zu schaffen, ein Geschöpf, das im Mittel drei Kilogramm schwer wird, ein wohlschmeckendes Fleisch und einen guten Pelz besitzt. Es ist fast überall in Frankreich, Belgien und Holland, sowie in Lothringen und Elsaß verbreitet, ebenso in England, wo es als gewöhnliches langohriges Kaninchen bezeichnet wird. Die Farbe desselben ist sehr verschieden; man kennt graue, hasenfarbige, isabellenfarbige, silberfarbige (das Silberkanin ist wegen seines werthvollen Pelzes sehr geschätzt), aber auch blaue, schwarze, weißfleckige. Der Lapin ordinaire wird häufig mit dem Lapin bélier gekreuzt; dann werden Schläge erzeugt, die sehr verschiedene Namen tragen, [433] z. B. das in Paris häufige, durch fast viereckigen Kopf ausgezeichnete Rouennaiskanin, die Languedocrace, der Lapin de Normandie etc.
9) Das französische Widderkanin, auch afrikanisches Kanin genannt, der Lapin bélier. Ein großes und schweres Thier, mit mächtig langen Hängeohren (sechszehn bis zwanzig Centimeter Länge) versehen. Es soll aus Algier nach Frankreich importirt worden sein. Häufig findet es sich im südlichen Frankreich, in England, Belgien und Spanien. Ausgezeichnete Zuchtthiere dieser Race werden oft sehr theuer bezahlt. Sechszig bis achtzig Francs für das Pärchen soll keine Seltenheit sein. Man erzählte mir, daß von Liebhabern schon hundert bis zweihundert Francs für das Paar angelegt worden sind. In Deutschland stellt sich der Preis auf fünf bis zehn Thaler pro Stück. Meistens ist dieses Thier grau, mit weißen Flecken an den Innenseiten der Füße, an dem Bauche und der Kehle versehen; es giebt aber auch isabellen- und silberfarbige. Die in Belgien gezüchteten sogenannten Lapins forts, welche, gemästet, nicht selten ein Gewicht von acht Kilogramm erreichen, sind entweder diesem Schlage zugehörig oder aus Kreuzungen mit demselben hervorgegangen. Im Durchschnitt werden die Widderkaninchen fünf bis sechs Kilogramm schwer; jedoch sind sowohl in Frankreich wie in England neun Kilogramm schwere Thiere dieses Schlages zur Ausstellung gekommen. Widderkaninchen von bedeutender Größe mit großem Kopfe und runder Stirn bezeichnet man als andalusische Kaninchen; der starkköpfige Lapin bélier ist aber auch sehr oft als Bulldoggkanin oder als Lapin américain in den Handel gebracht worden.
10) Der Leporide. Unter Leporide versteht man den Bastard vom Feldhasen und Stallkaninchen. Bis vor Kurzem glaubte man an dem Satze der älteren Zoologen: „Die Nachkommen von zwei Thieren verschiedener Art oder verschiedener distincten Species sind nicht oder nur über sehr wenige Generationen hinaus fruchtbar“, festhalten zu müssen. Nachdem aber bekannt geworden war, daß Ziegenbock und Schaf Bastarde erzeugen können, die bedingungslos fruchtbar sind, und man sah, wie die hybriden Nachkommen vom Zeburind und deutschen Rind, vom Yak und deutschen Rind, vom wilden und zahmen Schwein, von wilder und zahmer Ente, vom Hund und Wolf (Caniden), von einer Menge verschiedener Fischarten u. s. f. fruchtbare Nachkommen hervorbringen, ohne daß zur Anpaarung (zur Paarung des Bastards mit einem Thiere, welches der einen oder der andern Art der Stammeltern zugehört) Zuflucht genommen worden war, nahm die Ansicht von der totalen Unfruchtbarkeit der sogenannten Blendlinge oder doch von der Unmöglichkeit, daß diese sich über mehr als drei Generationen fortpflanzen können, mehr und mehr ab. Die Thatsache aber, daß es echte Leporiden giebt, die sich über mehr als sechs Generationen fortpflanzen können, entzieht der Definition von Art allen Boden, wie sie die älteren, der strengsten Systematik huldigenden Zoologen aussprachen, nämlich: „daß diejenigen Thiere einer besonderen Art oder distincten Species angehören, welche einander wie Geschwister ähnlich sehen und im Stande sind, bedingungslos mehr als drei Generationen von Nachkommen produciren zu können“. So ist denn die Existenz der Leporiden nicht nur für den Kaninchenzüchter, sondern auch für den Zoologen und namentlich für den Anhänger der Darwin’schen Theorie vom größten Interesse.
Daß Bastarde vom Hasen und Kaninchen vorkommen, ist längst bewiesen. Insbesondere hat der berühmte Zoolog Owen den Schädel eines solchen Hasen-Kanin-Bastards genau beschrieben.
Ganz besonders aufmerksam auf die Leporiden wurde man, als 1851 mehrere Zeitschriften die Nachricht brachten, daß es Alfred Roux in Angoulème 1847 gelungen sei, Bastarde vom Feldhasen und Stallkaninchen zu erziehen, und daß durch Anpaarung dieser Blendlinge mit Hasen eine Thiergattung erzüchtet worden sei, welche zu fünf Achtel Hasenblut und zu drei Achtel Kaninchenblut in sich trage. Broca (Brown-Séquard, Journ. d. l. Physiol. Vol. II. p. 367) beschrieb die von Roux gezogenen Thiere. Dr. Pigeaux (Bullet. d. l. Soc. d’Acclim. 1866), der von der Existenz von Bastarden des Hasen und des Kaninchens überzeugt war, behauptet, daß die angeblichen von Roux gezogenen Leporiden nicht echt seien. Nun sind aber sogenannte Leporiden von Frankreich aus vertrieben worden und werden jetzt vielfach in Deutschland gezüchtet. Dieselben dürfen entschieden nicht als echte Hasen-Kanin-Bastarde betrachtet werden.
Zwei Generationen echter Leporiden zog in neuerer Zeit meines Wissens zuerst Professor Dr. Conrad (jetzt in Halle) zu Plochoczin. Ein Hasenrammler und ein weibliches Kaninchen, welche sehr jung miteinander aufgezogen worden waren, hatten sich gepaart und erhielten am 18. Februar 1867 Nachkommen. Im Juli desselben Jahres producirten zwei dieser Bastarde wiederum Junge, die sich als vollkommen fruchtbar erwiesen. Männchen und Weibchen der zweiten Generation dieser Zucht wurden auf der landwirthschaftlichen Versuchsstation zu Jena, ohne daß man jemals zur Anpaarung Zuflucht nehmen mußte, bis zur sechsten Generation weiter gezüchtet. Die Thiere waren hasenfarbig; der Grund ihres Pelzes war grau. Weiße Flecken an der Kehle, an der Brust und den Fußenden kamen oft vor. Die Löffel waren länger als der Kopf und wurden aufrecht getragen; die Löffelspitzen waren bei den meisten Exemplaren schwarz. Bei diesen Leporiden war auch das obere Ende der Blume schwarz gefärbt. Bezüglich der Größe standen die Bastarde zwischen Hasen und den gewöhnlichen Stallkaninchen. Die Jungen waren blind, als sie geboren wurden. Die Farbe der Iris stellte sich bei einigen Exemplaren als hell gelbbraun heraus, während sie bei anderen dunkler erschien. Die Hinterfüße dieser Thiere waren länger als bei dem gewöhnlichen Kaninchen, doch verhältnißmäßig nicht so lang, wie sie der Hase zur Schau trägt. Das Fleisch war weiß, hatte aber den süßlichen Geschmack des Kaninchenfleisches verloren. Der Verfasser dieses Artikels, welcher diese echten Leporiden bis zur sechsten Generation züchtete und dadurch nachwies, daß dieselben bedingungslos fruchtbar waren, hat in seinen zoopathologischen und zoophysiologischen Untersuchungen (Stuttgart bei Schickhardt und Ebner; 1872) über dieselben nähere Mittheilungen gemacht, namentlich auch zu beweisen versucht, daß die Bastarde nicht nur äußerlich Eigenthümlichkeiten an sich trugen, die theils dem Hasen, theils dem Kaninchen angehören, sondern daß sie auch an ihrem Skelete specifische osteologische Merkmale des Lepus timidus und des Lepus cuniculus vereint erkennen ließen.
Es sei hier nur noch bemerkt, daß es freilich sehr schwer ist, Hasen mit Kaninchen zum Paaren zu bringen; daß man am zweckmäßigsten einen Hasenrammler, der drei bis vier Wochen alt ist, mit zwei bis drei ebenso alten weiblichen Kaninchen zusammenbringen, und diese in besonderem, isolirtem Stalle groß ziehen muß, wenn das Experiment gelingen soll. Man meint in der Regel, daß der Hase eine ganz besondere Abneigung habe, sich mit dem Kaninchen geschlechtlich zu vermischen. Für ältere Thiere ist das entschieden wahr, für junge aber nicht oder doch nur in beschränktem Maße. Kaninchen verschiedener Racen zeigen sehr häufig dieselbe Abneigung gegen einander. So war es absolut nicht möglich, im zoologischen Garten zu London männliche Porto-Santo-Kaninchen (siehe weiter unten) mit weiblichen Kaninchen der verschiedensten Racen zur Paarung zu bringen.
Wenden wir uns jetzt zur Betrachtung des Nutzens, welchen die Kaninchen bringen. Zunächst würde anzuführen sein, daß dieselben zu den fruchtbarsten Säugethieren gehören, die wir kennen. Es paaren sich dieselben im Freien viermal, im warmen Stalle bis zu achtmal jährlich. Die Tragzeit dauert nur dreißig bis einunddreißig Tage; das Weibchen wirft jedesmal vier bis zwölf Junge. Das Männchen wird mit längstens vier Monaten, das Weibchen meist schon mit fünf Monaten zuchtfähig. Binnen vier Jahren kann, wenn alle Umstände günstig, ein einziges Kaninchenpaar über 1,270,000 Stück Nachkommen producirt haben. Wie sehr sich diese Thierchen vermehren können, läßt sich durch ein Beispiel am besten erläutern. Im Jahre 1419 setzte Gonzales Zarco ein älteres weibliches Kaninchen mit mehreren Jungen, welche dasselbe auf dem Schiffe geworfen hatte, auf Porto Santo bei Madeira aus; dieselben vermehrten sich so ungeheuer, daß factisch die Niederlassung wegen derselben aufgegeben werden mußte. – Oberförster Benda setzte auf den Inseln, welche dicht bei Berlin in der Havel sich befinden, Kaninchen aus. Die Fruchtbarkeit derselben soll eine ungeheure gewesen sein.
Das Kaninchenfleisch ist weiß, etwas süßlich von Geschmack, immer aber ganz gut schmeckend (vorausgesetzt, daß die Thiere nicht zu viel mit Kraut- oder Kohlblättern genährt sind) und [434] sehr nahrhaft. Nur anerzogener dummer Ekel kann vom Genusse dieses vortrefflichen Fleisches abhalten, oder der Aberglaube; in letzterer Beziehung sei nur erwähnt, daß das an vielen Orten Geglaubte: „Kaninchen paarten sich gern mit Ratten“, in das Bereich der Fabel zu verweisen ist. Im Elsaß, in Lothringen, in Holland, Belgien und Frankreich, so wie in England wird das Kaninchen gern gegessen. Im südlichen Frankreich gehören Kaninchenbraten, Kaninchenragout u. dgl. zu den Festessen. In französischen Hôtels findet man oft auf den Speisekarten Lapin rôti, Lapin cuit, Lapin à la sauce hollandaise, aber auch Ragouts oder dgl. von „volaille“ verzeichnet, aber Fleisch von Geflügel ist nicht zu dieser Speise verwendet, sondern solches von Kaninchen.
Den etwaigen Leserinnen dieses Artikels sei besonders noch Folgendes mitgetheilt. Wenn Kaninchen gebraten werden sollen, so müssen ziemlich viele Zwiebeln zur Verwendung kommen; am zweckmäßigsten wird aber das in Frage stehende Fleisch in der Form unseres Gänseschwarzes oder des Hasenpfeffers zubereitet, oder mit recht pikanter Sauce als Ragout gegeben. Uebrigens ist noch darauf aufmerksam zu machen, daß Kaninchenfleisch eine treffliche Bouillon liefert. Das Fleisch, in einer Bratpfanne mit Wasser zum Braten angesetzt – natürlich ungespickt, nur mit dem nötigen Salze und Gewürze versehen –, wird recht leicht gebräunt, dann aus der Pfanne genommen und vollständig ausgekocht. Hierdurch kann man eine seine kräftige Bouillon, wie sie ähnlich nicht durch anderes Fleisch selbst mit Zusatz des theuren Fleischextractes zu erzielen ist, gewinnen. Freilich ist dann das ausgekochte Fleisch nicht viel oder nichts mehr werth; so lange die gewöhnlichen Kaninchen bei uns aber noch so billig sind, muß die Ausnutzung der an Osmazom reichen Muskeln derselben zur Bouillon empfohlen werden. Kaninchenfleischpasteten gehören auch für den wohlhabenden Franzosen zu den gesuchtesten Leckerbissen.
[447] Frankreich producirt jährlich achtzig bis fünfundachtzig Millionen Kaninchen, von denen etwa drei Millionen jährlich in Paris consumirt werden; die übrigen werden in anderen Theilen Frankreichs verzehrt oder in das Ausland geschafft. Der Erlös aus diesen Kaninchen ist, wie bereits erwähnt, mit einhundertneunzig bis zweihundert Millionen Franken mindestens anzuschlagen. Namentlich sind es die kleinen bäuerlichen Wirthe, welche die Kaninchenzucht treiben, freilich meist nur für den [448] eigenen Bedarf; ferner die Gärtner, welche ihre Etablissements in der Nähe größerer Städte haben; sie sind es, welche viele Kaninchen zum Verkaufe bringen. Im südlichen Frankreich, in Belgien und Holland werden massenhaft die „lapins“ gezogen und nach dem Auslande geschafft. So wurde mir versichert, daß in Flandern ein Ort Roulers sei, in welchem Kaninchenschlächtereien zu finden, die im Winter wöchentlich sechszigtausend Stück dieser Thiere nach London liefern, und ebenso ist es bekannt, daß von Ostende aus im Winter wöchentlich fünfzig- bis hunderttausend Stück nach London geschafft werden. Durch eine im englischen Oberhause gehaltene Rede des Lord Malmesbury wissen wir, daß nach England jährlich ein und eine halbe Million Kaninchen importirt, daß im genannten Lande zweiunddreißigtausendfünfhundert Tonnen (à zwanzig Center) Kaninchenfleisch verzehrt werden und daß die ärmere Bevölkerung der Stadt Nottingham allein wöchentlich dreitausend Stück Kaninchen consumirt. Das sind Zahlen, die wahrlich allein sprechen.
Das wilde Kaninchen wiegt ein halbes bis zwei Kilogramm, der gewöhnliche deutsche Stallhase zwei bis zwei und ein halbes Kilogramm, das englische Hängeohrkanin drei und ein halbes bis fünf Kilogramm, der Lapin ordinaire – wenn er sechs bis acht Monate alt ist und angemästet wurde – drei und ein halbes bis fünf Kilogramm, der Lapin bélier sieben bis neun Kilogramm (neun Kilogramm als Seltenheit).
In Belgien zahlt man für ein gemästetes, sehr schweres, sogenanntes Lapin fort (das Thier wird stark gefüttert, in engen Bretterverschlägen oder in hölzernen Kasten gehalten, damit es sich nicht viel bewegen kann, und wird dadurch bis acht Kilogramm schwer) höchstens fünf bis sechs Franken. In Frankreich giebt man auf dem Markte für ein halb- oder dreivierteljähriges etwa vier Kilogramm schweres Kaninchen dreieinhalb bis fünf Franken. Für das Fell können im Durchschnitt einhalb bis dreiviertel Franken erzielt werden. Das Pfund Fleisch kostet in Frankreich durchschnittlich sechszig Centimes oder etwa nach unserem Gelde fünf Silbergroschen; für fette, ganz besonders gute Waare wird jedoch auch achtzig Centimes pro Pfund bezahlt. Das Fleisch ist also keineswegs ein allzu billiges.
In Deutschland sind die Preise sehr viel geringer. Die deutsche landwirthschaftliche Zeitung giebt in ihrem Marktberichte an, daß in Berlin im Monat Februar dieses Jahres das deutsche Kaninchen pro Stück mit sechs bis zwölf Silbergroschen fünf Pfennige, Lapins aber mit zehn bis zweiundzwanzig Silbergroschen fünf Pfennige bezahlt worden seien.
Das Fleisch der Kaninchen kann sich nur als sehr billiges herausstellen, wenn man die Thiere zum eigenen Bedarf selbst gezogen hat und zwar in kleineren ökonomischen Wirthschaften, in Gärtnereien und dergleichen, wo sonst nicht verwerthbare Abfälle genug vorkommen, die als Nahrungsmittel für Kaninchen benutzt werden können.
Die hier in Frage stehenden Geschöpfe nützen uns aber nicht nur durch ihr Fleisch, sondern auch durch ihr Fell und ihre Haare. Die Winterkaninchenfelle kommen zunächst als Pelzwerk in Betracht. Schwarze Kaninchenhäute werden zu Trauerpelzwerk, weiße zu sogenannten imitirten Hermelin (hauptsächlich für Kinderpelzwaaren) verwendet. Weiße Kaninchenpelze kommen hauptsächlich als sogenannte „Lissakanin“ in den Handel. Von Polnisch-Lissa aus werden große Mengen dieser Felle in die Welt geschickt und man zahlt gewöhnlich acht bis zwanzig Thaler, ausnahmsweise für ganz schöne Waare dreißig Thaler pro hundert Stück. Keineswegs aber stammen diese Felle von dem in Polen und Rußland heimischen Himalayakanin allein, sondern es scheint häufig vorzukommen, daß man überall gesammelte weiße Kaninchenfelle nach Lissa schickt, um sie dort durch die in der Zubereitung der Felle sehr geschickten Kürschner zurichten zu lassen, und dann kommen die Häute, welche in Lissa durch die Hand der Kürschner gegangen sind, als Lissakanin in den Handel.
Was die sonstigen Preise der Felle anderer Kaninchen anlangt, so würde zu erwähnen sein, daß der Pelz des englischen Silberkanin eine sehr gesuchte Waare abgiebt. Echte, große, englische Silberkaninhäute bezahlt man bis zu vierzig Thaler für das Hundert. Die Bälge der gewöhnlichen englischen oder australischen Silberkaninchen gelten fünfzehn bis fünfundzwanzig Thaler das Hundert. Die Häute der gewöhnlichen deutschen Stallhasen scheinen nur geringen Werth zu haben; man versicherte mir, daß selten mehr als ein bis drei Silbergroschen für das Stück gezahlt werde. In Belgien kostet das Fell eines außergewöhnlich großen und mit feinen Haaren versehenen Lapin einen, höchstens zwei Franken, im Durchschnitt wird für die Haut eines sehr großen Kaninchens neunzig Centimes ausgegeben; große und kleine Bälge im Gemenge kosten nicht mehr als vierzig bis fünfzig Franken das Hundert.
In Belgien und Frankreich existiren eine große Anzahl von Fabriken, welche in wirklich meisterhafter Weise Kaninchenfelle zu färben verstehen. In der Stadt Gent allein werden über zweitausend Kaninchenpelzfärber beschäftigt. Eine der bedeutendsten derartigen Fabriken ist die Teinturerie De Peaux De Lapins von Chr. Zurée und Compagnie in Gent. Sie wurde 1867 gegründet; in ihr arbeiteten anfangs nur sehr wenige Arbeiter; sie hatte damals keine Dampfmaschine und gab sich nur mit Schwarzfärben der Felle ab. Gegenwärtig beschäftigt Chr. Zurée und Compagnie in einem sehr stattlichen vierstöckigen Gebäude zweihundertsechszig Arbeiter. Eine Dampfmaschine von fünfundfünfzig Pferdekräften, sowie eine Menge zweckmäßiger Maschinen, welche zur Zubereitung der Häute dienen, sind im Betriebe. Das Etablissement liefert jede Woche zwölfhundert Dutzend in verschiedener Weise zugerichteter und gefärbter Kaninchenfelle. Gerade diese Fabrik versteht es, nicht nur sehr schöne schwarzgefärbte Waare zu liefern, sondern auch Bälge, welche, wie es in einem Geschäftsberichte dieser Firma heißt, „die Färbung der kastanienbraunen Felle (nachgeahmte Fischotter) und der hellbraunen (nachgeahmter Marder), die Appretur der natürlichen Felle, sowohl der blauen, der weißen, wie der silberfarbigen etc.“, die zu jener Zeit sehr in Aufnahme waren, in täuschendster Weise vor Augen führen.
Ja, ja, geehrte Leserin! Gar manche Dame trägt Pelzwerk, das angeblich Feh, das heißt das kostbare Fell des grauen Eichhorns sein soll, oder aber Fischotter- oder Marderpelz, und es ist doch nichts weiter als geschickt gefärbter Kaninchenbalg. Auch der Stoff zu den in neuester Zeit in England so vielfach getragenen „Seehundjäckchen“ ist weiter nichts als gefärbter Kaninchenpelz. In Gent oder in Frankreich werden die einfach gefärbten Kaninchenfelle das Dutzend mit zweiundzwanzig bis sechsundzwanzig Franken bezahlt. Trotzdem in Deutschland einzelne Kaninchenpelzfärbereien vorhanden sind, schickt man doch meistentheils aus unserem Vaterlande die ausgezeichneteren Kaninchenbälge nach Gent oder nach Frankreich, angeblich weil dort das Färben besser und billiger ausgeführt wird. Der Mangel einer größeren Zahl gut eingerichteter Färbereien in Deutschland dürfte zwar mit einer regeren und gesteigerten Kaninchenproduction wegfallen, immerhin ist dieses Moment gegenwärtig als ein Hinderniß für die genügende Verwerthung der Felle bei eintretender Massenproduction von Kaninchen anzusehen.
Die Kaninchenhaare werden ferner zur Fabrikation von Hüten verwendet. Fast alle in Frankreich producirten Kaninchenhäute gehen zunächst nach Paris, wo sie sortirt werden. Die meisten werden dann in besonderen Etablissements geschoren, die einzelnen ausgezeichneten Bälge aber den Pelzfabriken abgelassen. Der Umsatz von Kaninchenfellen für die Hutfabrikation in Frankreich wird auf circa fünfunddreißig Millionen Franken, der für Pelzwerk auf acht bis zehn Millionen Franken angegeben. Die Felle der grauen englischen Gehegekaninchen und die der wilden Kaninchen aller Länder werden von dem deutschen Hutmacher, nach mir gemachten Angaben, besonders bevorzugt. Hundert Stück Felle von deutschen wilden Kaninchen wurden im vorigen Jahre bei uns mit neun oder zehn Thalern, hundert Stück von englischen grauen wilden oder von den Gehege-Kaninchen aber mit zehn oder elf Thalern bezahlt. Haare erster Qualität (vom Rücken) kosteten das Pfund drei Thaler bis drei Thaler zwanzig Groschen, solche zweiter Qualität (Haare vom Rücken und den Seitentheilen der Kaninchen) das Pfund zwei Thaler zwanzig Groschen. Die Haare vom Bauche, von den Keulen und vom Schwanz sollen die wenigst werthvollen und demgemäß die billigsten sein. In Oesterreich zahlen die Hutmacher für das Pfund zur Filzfabrikation geeigneter Kaninchenhaare jetzt durchschnittlich etwa sechs Gulden. Hundert kleine Kaninchenbälge geben etwa vier bis fünf Pfund Haare, während zehn gute große Hasenfelle ein Pfund für den Hutmacher brauchbare Haare liefern sollen. Die geschorenen Felle werden in Leimsiedereien verwerthet. Wie man früher ganz besonders die Haare des [449] Angorakaninchens zu sehr feinem Garn spinnen ließ, aus dem Strümpfe, Handschuhe u. dgl. gefertigt wurden, so finden jetzt die feineren, weichen Kaninchenhaare, entweder für sich gesponnen oder mit Wolle, Baumwolle oder Seide zusammengewebt, ihre Verwendung. Kaninchenwolle ist leider nur viel zu theuer, um vortheilhaft in Gespinnstproducten verwerthet zu werden.
In Großenzersdorf bei Wien hat Herr Alfred Russo eine große Kaninchenzucht. Genannter Herr hat sich das große Verdienst erworben, die Kaninchenzucht in Oesterreich eingeführt und gezeigt zu haben, daß Kaninchenhaare außer zu feinen Hüten, auch in gesponnenem Zustande vielfach zu verwerthen sind. Sehr feine und zarte, dabei haltbare Kaninchenhaar-Gespinnste und Strickwaaren, sowie Kaninchenwollstoffe, welche Herr Russo fertigen ließ, fanden allgemeine Anerkennung und wurden auf der Wiener Weltausstellung prämiirt.
Wie zu Gespinnsten, so benutzt man diese Haare auch zur Erzeugung sehr feiner Filzwaaren, z. B. zur Herstellung von Filzpantoffeln, Filzröcken etc.
Vergessen darf endlich nicht werden, daß der Kaninchendünger – besonders für Gärten – werthvoll ist.
Das bisher Mitgetheilte hat jedenfalls bewiesen, daß das Kaninchen ein sehr fruchtbares und in verschiedener Beziehung sehr nutzbringendes Hausthier genannt werden muß. Da dasselbe mit verhältnißmäßig wenigen Unkosten groß zu ziehen ist, ferner die Zucht dieser Thiere auch im kleinsten Maßstabe, also von ärmeren Leuten, betrieben werden kann, Franzosen, Engländer und Belgier aber uns gezeigt haben welches gewaltige Capital in und mit der Production von Kaninchen in Bewegung gesetzt wird, so muß ganz entschieden mit Freude begrüßt werden, daß sich jetzt auch in Deutschland das Interesse für die Zucht dieser Thiere gehoben hat und daß namentlich sich mehrfach (z. B. in Hildesheim, in Hannover und an anderen Orten) Kaninchenzüchtervereine gebildet haben.
Ganz besonders wünschenswerth ist es, daß der ärmere Mann, sofern seine Verhältnisse es gestatten, die Zucht der Kaninchen zum eigenen Bedarf ausübt, insbesondere in solchen Gegenden, wo die Bedingungen zur Haltung dieser Thiere auch günstige sind und notorisch die ärmere Bevölkerung der Fleischnahrung mehr oder weniger entbehren muß. Ich meine z. B. den Thüringer Wald, den Harz, das Erzgebirge. Wenn die Zahlen, welche uns die Statistik über den Fleischverbrauch in den verschiedenen Ländern des deutschen Reiches geliefert hat, auch nicht vollkommen zuverlässig sind, so bezeugen sie doch, wie nothwendig es ist, Alles zu unterstützen, was die Production eines für Menschen genießbaren und zuträglichen Fleisches heben und fördern kann. Nach Hausner beträgt der jährliche Fleischverbrauch pro Kopf der Bevölkerung in Baiern 34, Baden 25, Würtemberg 22, Preußen 19 und Sachsen 17 Kilogramm.
Könnte man ermitteln, wie sich z. B. der in Sachsen auf den Kopf der Bevölkerung kommende jährliche Fleischconsum von siebenzehn Kilogramm vertheilt auf den Reichen und den Armen, so würde entschieden ein Erstaunen erregendes Resultat über die Geringfügigkeit des jährlichen Fleischquantums, welches auf den Kopf der armen Bevölkerung kommt, zu Tage treten.
So sehr nun auch die Kaninchenzucht, namentlich für kleinere Leute auf dem Lande, empfohlen werden darf und es gewiß an der Zeit ist auch Versuche mit der Zucht dieser Thiere im Großen zu machen, trotzdem die bisherige Erfahrung lehrt, daß letzteres ein äußerst mühevolles Unternehmen ist, so ist es doch Pflicht vor allzustarken Illusionen über die Rentabilität dieses Erwerbszweiges nachdrücklich zu warnen.
Wer da glaubt Kaninchen in irgend einem beliebigen, dunklen, feuchten Stallwinkel halten zu können, wer da meint, daß diese Thiere eine besondere Aufmerksamkeit seitens des Besitzers nicht bedürfen, nicht gut gepflegt und abgewartet werden müßten, der irrt sich so sehr, wie Derjenige, der den marktschreierischen Reclamen gewisser Züchter Glauben schenkt und überzeugt ist durch die Kaninchenzucht in wenigen Jahren ein reicher Mann zu werden. Die Kaninchen bedürfen einer besonders aufmerksamen Pflege, wenn sie etwas einbringen und nicht ein bloßes Spielzeug für Kinder sein sollen; sie verlangen gut ventilirte reinliche, trockene Ställe; sie wollen einen öfteren Wechsel in der Nahrung, denn sie sind kleine Näscher; die trächtigen und säugenden Mutterthiere sind unverträglich und müssen meist isolirt werden; manche sind so beißsüchtig, daß sie die junge Zucht zerstören. Wenn den Kaninchen nicht recht genügende Abwartung zu Theil wird, verfallen sie leicht in Tod bringende Krankheiten, namentlich auch in durch Parasiten bedingte (z. B. die sogenannte Psorospermienkrankheit oder Gregarinose; die durch die erbsenförmigen Finnen – Vorstufen des im Hundedarme hausenden gesägten Bandwurms – hervorgerufene Krankheit; die Räude etc.).
Wer auf die große Fruchtbarkeit des Kaninchens pocht, der wolle bedenken, daß man zweckmäßiger Weise – um recht große und kräftige Nachkommen zu erzielen – das Weibchen im Jahr vielleicht nur vier bis fünfmal befruchten läßt, und ein solches am besten in einem Alter von acht Monaten zum ersten Male zur Zucht verwendet, über vier Jahre alte Exemplare aber von der Zucht ganz ausschließt.
Ueber die Kosten der Aufzucht und der Ernährung hat man sich auch vielfältig eine falsche Anschauung gebildet. Hochstetter behauptet in seiner vortrefflichen Broschüre „Das Kaninchen“ (Stuttgart bei Schickhardt und Ebner), „daß ein Kaninchen vom Tage der Geburt bis zum Alter von sechs Monaten etwa neun Silbergroschen zu erhalten koste, daß dieser Betrag aber wesentlich geringer sich stelle bei der Aufzucht solcher Thiere in kleineren ökonomischen Wirthschaften, in Gärtnereien etc.“
Kann man nicht darauf rechnen, daß theilweise sonst werthlose Abfälle zur Verwerthung kommen, so stellen sich die Erhaltungskosten bestimmt wesentlich höher. Bei allen Thieren, deren Benutzung in erster Linie auf Fleischproduction gerichtet ist – also auch bei den Kaninchen – muß auf gute Ernährung von erster Jugend an Bedacht genommen werden. Eine landwirthschaftliche Autorität ersten Ranges, welche sich auch praktisch mit der Züchtung größerer ausländischer Kaninchen beschäftigt hat, hatte die Güte mir mitzutheilen, daß im Durchschnitt ein Kaninchen, welches dergestalt ernährt worden sei, daß es nach Vollendung des ersten Halbjahres neun Pfund lebendes Gewicht aufzeigte, 1655/100 Silbergroschen zu erhalten gekostet habe. Rechnet man den Werth eines solchen Thieres so hoch, wie in Frankreich auf dem Markte für dasselbe gern gezahlt werden würde, nämlich vier bis fünf Franken, gleich einen Thaler zwei Silbergroschen bis einen Thaler zehn Silbergroschen, so wäre immerhin ein recht hübscher Gewinn erzielt. Ist der Preis freilich nicht höhere als er z. B. im Februar dieses Jahres sich in Berlin herausgestellt hat, nämlich zehn Silbergroschen bis zweiundzwanzig Silbergroschen fünf Pfennige, so würde entweder bedeutend zugesetzt oder doch nur wenig gewonnen worden sein.
Dazu kommt, daß die Interessen für das Anlagecapital häufig gar nicht in Anschlag gebracht werden. – Gewiß hat man aber auch daran zu denken, daß der Preis der Bälge und Haare von Kaninchen bei einer eintretenden Massenproduction dieser Thiere und einem daraus resultirenden vermehrten Angebote sinken wird. –
Der Verkauf von Zuchtkaninchen bei den bisher üblichen Preisen hat sich freilich als recht rentabel herausgestellt. Lapin ordinaire oder Lapin de garenne bester Qualität wird das Stück nicht unter sechs bis fünfzehn Franken, gleich einem Thaler achtzehn Silbergroschen bis vier Thalern, zu haben sein; Lapin bélier wird und zwar das Paar junger Thiere mit zwanzig bis vierzig Franken, gleich fünf Thalern zehn Silbergroschen bis zehn Thalern zwanzig Silbergroschen, das Paar zuchtfähiger Widderkaninchen aber mit sechszig bis hundert Franken, gleich sechszehn Thalern bis sechsundzwanzig Thalern zwanzig Silbergroschen, bezahlt. Diese hohen Preise haben nun auch manchen in- und ausländischen Speculanten veranlaßt, Zuchtkaninchen zu erziehen und durch marktschreierische Reclame an den Mann zu bringen. Betrügereien der mannigfachsten Art wurden ausgeführt. Bestellt man in Frankreich Lapin bélier, so bekommt man sehr häufig nur Lapin ordinaire; die Leporiden werden als echte Hasen-Kanin-Bastarde bezeichnet und als solche verkauft; alte, vollkommen werthlose und abgenutzte Zuchtthiere werden als durchaus zuchtfähig versendet u. s. f. Mancher Arme hat sein mühsam erspartes Geld dahingegeben, um aus dem Auslande recht schöne und brauchbare Zuchtkaninchen zu acquiriren, und ist abscheulich betrogen worden.
Deshalb ist es gewiß zweckmäßig, sich an bekannte ehrenwerthe deutsche Züchter zu wenden, um geeignetes Material zu [450] erhalten, oder sich bereits bestehenden Züchtervereinen anzuschließen. Auch bin ich überzeugt, daß die Redaction der „Blätter für Kaninchenzucht“ jederzeit in der Lage und bereit ist, geeignete billige und reelle Bezugsquellen anzugeben. Schließlich sei erwähnt, daß, wenn man französische Kaninchenracen zu uns verpflanzen will, der Lapin de garenne und der Lapin ordinaire, in zweiter Linie der sogenannte Leporide, der Vorzug verdienen. Das Widderkanin scheint nicht für unser Klima geeignet zu sein; die Nachzucht von demselben ist fast immer bei uns nur gering, die Kränklichkeit und Sterblichkeit der in Deutschland aufgezogenen jungen Lapin béliers aber stets eine große; Degenerationen dieser Thiere – namentlich nach der dritten bei uns gezüchteten Generation – sollen ungemein häufig sein; es bedürfen diese Thiere ganz besonders viel Pflege und gutes Futter; die Ausgabe für das erste Zuchtmaterial ist dabei keine geringe. Bei den in Deutschland weitergezogenen Leporiden kommt es häufig vor, daß sie nicht treu ihre Farbe vererben; schwarz oder gelb gefärbte Junge sind keine Seltenheit. – Es ist aber auch meine feste Ueberzeugung, daß, so gut es die Franzosen vermochten, den Lapin ordinaire in’s Leben zu rufen, wir aus dem in Deutschland heimischen gewöhnlichen Kaninchen durch sorgfältige Auswahl, Pflege und Ernährung einen Kaninchenschlag heranbilden können, der allen billigen Anforderungen entspricht und dessen Glieder sich nicht – wie die aus dem Auslande importirten Thiere – an neue Existenzbedingungen anzupassen und den Kampf mit denselben aufzunehmen haben.
Bei dem verhältnißmäßig hohen Preise, welchen die weißen Felle haben (siehe oben unter Lissa-Kanin) dürfte der Zucht weißer Kaninchen vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken sein.
In vielen Gegenden Deutschlands hat man, wie erwähnt, noch ein ganz unmotivirtes Vorurtheil gegen den Genuß des allerdings etwas süßlich schmeckenden Kaninchenfleisches. Daß durch geeignete Zubereitung letzteres recht schmackhaft werden kann, ist erwiesene Thatsache; vortreffliche Anweisung, Kaninchenfleisch auch für verwöhnte Gaumen genießbar zu machen, giebt die Broschüre: „Receptbuch für Kaninchen- (Lapin-) Fleischbereitung“, welche im Verlag von Ch. Stahl in Neu-Ulm erschienen ist.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: einhundertsechszig- bis zweimalhunderttausend. vergl. Berichtigung (Die Gartenlaube 1874/29)