Die Juden im Ghetto zu Rom und die heilige Inquisition

Textdaten
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Autor: G. R. (Gustav Rasch)
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Titel: Die Juden im Ghetto zu Rom und die heilige Inquisition
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 42–45
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Juden im Ghetto zu Rom und die heilige Inquisition.

Wenn man in Rom über den Ponte Sisto nach dem jenseits der Tiber gelegenen Stadttheil geht, so kommt man durch mehrere lange, schmale Straßen auf einen kleinen, unschönen Platz. Auf dem kleinen Platz steht ein palastartiges Gebäude im Baustyl des fünfzehnten Jahrhunderts. Die Zeit hat seine Mauern mit ihrem eigenthümlichen, dunkeln Colorit gefärbt, der ornamentale Schmuck ist hie und da heruntergefallen, und die Fensterbogen und die mit Wappen geschmückten, hohen Portale bieten den Anblick des Verfallens und der Verkommenheit. Das große Gebäude ist der Palast Cenci, einst der Schauplatz einer furchtbaren Tragödie, welche durch Shelley’s geniale Feder und in den drei berühmten Bildern des Palastes Barberini ewig leben wird. In diesen Mauern wohnte Beatrice Cenci, die schöne und tugendhafte Römerin, welche ihr eigener Vater, ein reicher und wegen seiner moralischen Verworfenheit in Rom allgemein verabscheuter Patrizier, mit seinen blutschänderischen Nachstellungen verfolgte. Der alte Francesco Cenci ging in seiner Verworfenheit so weit, sich seiner beiden ältesten Söhne durch gedungene Banditen zu entledigen, und nun [43] konnte sich Beatrice seinen Nachstellungen nicht anders entziehen, als dadurch, daß sie selbst zu dem schrecklichen römischen Dolchmesser ihre Zuflucht nahm. Ihre Stiefmutter und ihr Bruder Giacomo boten dem unglücklichen Mädchen ihre Hülfe an, und so fiel der Vater unter der Hand seiner eigenen Tochter. Beatrice, ihre Mutter und ihr Bruder büßten ihre That mit dem Leben. Im September 1599 fielen ihre Köpfe unter dem Schwerte des Henkers. Wenn ich im Palaste Barberini vor dem Bilde Beatrice’s stand und diese reinen, engelhaften Züge anschaute, wenn mich dies durch dunkle Wimpern halbverschleierte Auge so traurig anblickte, so konnte ich es mir nicht möglich denken, daß in diesem so mädchenhaften Kopfe mit den sanften, frommen Zügen ein Mordgedanke aufkommen konnte, und immer verließ ich mit Trauer im Herzen über ein so furchtbares Schicksal den Saal.

Jahrhunderte sind seit jener That an dem alten Palast vorübergehuscht. Das Drama, das in seinen geschwärzten Mauern spielte, wäre längst verklungen, wenn nicht der Dichter und der Maler es im Gedächtnisse der Menschen festgehalten hätten. Aber ein anderes Drama, nur ein einzelner, geringer Theil in der großen Schicksalstragödie, welche die Regierung der Päpste in der Entwickelungsgeschichte des unglücklichen italienischen Volkes spielt, wird seit Jahrhunderten täglich vor ihm und in seiner nächsten Umgebung ausgeführt, ein Drama voller Schmerzen und Thränen, voll barbarischer und roher Handlungen. Der Palast Cenci steht am Eingange des Ghetto, des Judenviertels von Rom, und von allen unglücklichen Bewohnern der römischen Staaten sind die Juden die unglücklichsten, die rechtlosesten, die Paria’s unter den Tausenden von andern Rechtlosen. Ein Paria unter den Unterthanen des Papstes! Das Schreckliche in diesem Worte versteht nur der, der die römische Regierung kennt! Die Tausende von Flüchtlingen, welche kürzlich mit Hinterlassung ihrer Habe aus den Provinzen, in denen französische Soldaten die Autorität des Papstes wieder herstellten, in die Marken und nach Umbrien über die Grenze eilten, bilden zu meiner Behauptung einen entsetzlichen Commentar. – Die Juden haben in Italien eigentlich immer eine schlechte Zeit gehabt. Mit dem Auftreten des Christenthums begannen ihre Verfolgungen; aber diese Verfolgungen steigerten sich bis zum Raffinement der ausgesuchtesten Mißhandlungen, als aus den Trümmern des untergegangenen Römerreiches das Banner der päpstlichen Tiara mit der Devise: „Extra ecclesia nulla salus“ wehte. Papst Paul der Vierte ließ in allen römischen Städten, in denen Juden wohnten, den winkeligsten, schmutzigsten und ungesundesten Theil derselben durch Mauern absperren, befahl den Juden, nur da und nicht anderswo zu wohnen, und schloß die Thore dieser Ghetto’s vom anbrechenden Abend bis zum andern Morgen. Jeder Jude mußte als Abzeichen einen gelben Hut tragen, und dieser gelbe Hut gab die Unglücklichen allen erdenklichen Verfolgungen und Beschimpfungen Preis. Bei den Carnevalsspielen auf der Piazza Navona und auf dem Corso wurden die Juden gezwungen, bei dem Wettrennen der Büffel, Pferde und Esel mitzulaufen. Die Faschingsluft reizte das Volk zu den zügellosesten Ausschweifungen gegen die Unglücklichen, und die Cardinäle saßen auf ihren Tribünen und ergötzten sich an diesen die menschliche Vernunft und die Christusreligion, die Religion der Humanität und der Liebe, schändenden Scenen. Sonntags wurden die Juden zum Anhören der Messe und von Bekehrungspredigten in die christlichen Kirchen getrieben. Juden prügeln, peinigen, sie tödten, sie mißhandeln, war kein Verbrechen. Juden hatten kein Eigenthum; denn sie wurden von Zeit zu Zeit gezwungen, ihr Hab und Gut zu bestimmten Preisen zu verkaufen, widrigenfalls dieser Verkauf von Seiten der Regierung selbst vorgenommen wurde, und alljährlich mußten sie durch einen enormen Tribut von der päpstlichen Regierung die Gnade erkaufen, diese schreckliche Existenz in den römischen Staaten weiter fortsetzen zu dürfen. Doch, wird man mir sagen, ich erzähle märchenhafte Zustände vergangener Jahrhunderte; das Alles ist vorüber! Unter der Regierung Pio Nono’s, des jetzigen, schwergeprüften Papstes, sind die Mauern des Ghetto, welche dessen unglückliche Bewohner von der christlichen Bevölkerung trennen, gefallen. Ich erwidere darauf: Es ist nichts wahr; außer den grausamen Carnevalsscherzen ist die Lage der Juden in den römischen Staaten noch heute dieselbe, wie sie vor hundert Jahren gewesen ist. Unter den unglücklichen Unterthanen des Oberhauptes der christlichen Kirche sind die Juden noch heute die unglücklichsten, die Paria’s der Gesellschaft, und die heilige Inquisition in Rom hat es sich in den letzten Jahren zur besondern Aufgabe gemacht, die Juden zu verfolgen und sie auf eine ausgesuchte Weise zu martern, wenn sie dieselben auch nicht mehr auf den Scheiterhaufen bringen kann. Die Mauern und Thore des Ghetto sind freilich gebrochen; aber die heilige Inquisition hat eine Mauer geistigen und bürgerlichen Druckes um diese schmutzigen und winkligen Straßen aufgebaut, daß man bei der Entscheidung in Verlegenheit kommen möchte, welche Mauer höher und schrecklicher war, die alte steinerne, oder die neue, durch ihre Edicte und Gesetze aufgebaute Mauer. Die Juden Roms wohnen alle noch in den Winkeln des Ghetto zusammen, weil mit Christen zusammenzuwohnen und mit Christen in irgend einer Verbindung zu leben, ihnen bei den strengsten Strafen untersagt ist.

Häufig führte mich mein Weg durch jenen Stadttheil, welchen die Tiber zwischen den Brücken Ponte Sisto und Quatro Copi begrenzt. Es ist ein sumpfiger, ungesunder Moorgrund, der fast im Niveau des Tiberspiegels liegt, das ungesundeste Viertel in dem im Sommer so heißen und ungesunden Rom. Im Norden und im Süden ragen die Architrave und gebrochenen Säulen der Tempel des Marcellus und Pompejus über so enge, schmutzige und elende Gassen empor, daß selbst die Gassen des St. Gilesviertels in London und die jetzt verschwundenen Straßen in Paris, in denen Eugen Sue’s einst so berühmter Roman spielte, dagegen licht und freundlich zu nennen sind. Mehrere Gassen sind so eng, daß kaum zwei Menschen nebeneinander gehen können. Ich blickte in sie hinein: ein entsetzlicher Dunst, ein höllischer Qualm, will ich lieber sagen, schlug mir entgegen, und in diesem schmutziggelben Qualm lagen halbnackte Kinder in zerrissenen Lumpen auf dem Pflaster, und verkümmerte Gestalten krochen an den Häusern umher. Ich kroch nun auch in die Gasse, und schaute rechts und links in Höhlen hinein, in denen ich nicht eine Stunde hätte leben mögen. Alle die verkrümmten Gestalten in ihren Lumpen streckten mir die magern Hände entgegen, und baten um einen halben Bajocch. Es waren nicht die privilegirten römischen Bettler, welche die Regierung des Papstes täglich zu vielen Hunderten mit ihren aussätzigen Gliedern, mit ihren ekelhaften Beulen und Wunden auf dem Corso und auf der Via Condotti auf die Straße setzt, um das Mitleid aller Vorübergehenden in der widerlichsten Weise anzuflehen – eine in einem civilisirten Lande unerhörte Sitte –; es waren nicht die braunen Bettelmönche, welche mit ihren klappernden Büchsen in Rom sogar in alle Häuser dringen; nein, es waren die Paria’s unter den Paria’s des Judenviertels. Keine Straße in St. Giles hat ähnliche Gestalten aufzuweisen; die Bettler Roms sind gegen diese Bettler vornehme, reichgekleidete Herren.

Lange konnte ich es in diesem Dunst, in dieser Enge, mitten unter diesen Elenden nicht aushalten; ich warf ihnen alle Kupfermünzen zu, welche ich in der Tasche hatte, und ging in eine andere Straße, welche die enge Gasse rechtwinklig durchschnitt. Sie war die Handels- und Verkehrsstraße des Viertels. Alle unteren Räume der Häuser bestanden aus Läden, Magazinen und Arbeitsstuben; aber die Straße war nicht so breit, daß ein Wagen durchfahren konnte. Alle Läden und Magazine waren enge, halbdunkle Räume, in welche das Licht der Sonne nur von einer Seite, durch die Thüre und durch die Verkaufsfenster hineinfiel. Die Wände derselben bestanden aus den nackten Steinen, denen der Rauch, der Dunst und der Schmutz dasselbe dunkle Colorit gegeben hatte. Drinnen saßen sie, Männer und Frauen, lauter jüdische Physiognomien, und stopften und flickten die alten Kleider und die zerrissenen Lumpen, welche an den Schaufenstern – wenn man viereckige, große Löcher ohne irgend eine Fensterbekleidung so nennen kann – zum Verkauf ausgehängt wurden, und schwatzten und redeten, und aus jedem dieser Löcher rief es mir ein „Signor, commanda, Signor!“ entgegen. Zum ersten Mal hörte ich den wohltönenden römischen Dialekt mit jüdischem Accent sprechen. Vor den engen, schmalen Thüren hockten Judenknaben und Judenmädchen auf den Steinen, und alle möglichen Lumpen und Kleiderfetzen Roms waren an den Mauern ausgehängt und wurden den Vorübergehenden mit der widerwärtigsten Zudringlichkeit von der Welt zum Verkauf angeboten. Hie und da stand ein französischer Soldat in seinen rothen Hosen vor einem Laden und feilschte um ein baumwollenes Hemde, oder ein vornehmer, privilegirter Bettler handelte um ein paar mit Nägeln beschlagener, grober Schuhe, und die ganze Familie, welcher der Laden gehörte, stand um ihn zusammen und bemühte [44] sich, ihm mit orientalischer Lebendigkeit die Preiswürdigkeit der Waare auseinanderzusetzen. Außer Lumpen und alten Kleidern gab es in der langen, engen Straße aber nichts zu verkaufen. Der Rinnstein ging mitten durch die Straße, und das Pflaster war mit Schmutz und Resten von Vegetabilien bedeckt. Dann kam ich auf den Gemüsemarkt, auf dem kleinen Platze, welchen die Trümmerreste des Theaters des Marcellus überragen. Hier war das Centrum des Verkehrs im Ghetto. Gemüse, Hühner und Stücken Rindfleisch wurden zum Verkauf ausgeboten. Der ganze Platz war ein großes Convolut von Schmutz, zerlumpten Weibern und unappetitlichen Vorräthen – doch ich will hiermit meine Schilderei des Ghetto’s in Rom beendigen, ich weiß, wie bald der Anblick dieser widerlichen Zustände mich immer aus den engen und winkeligen Straßen hinaustrieb, und ich kann dem Leser nicht mehr zumuthen, wie meinen eigenen Augen.

In diese ungesunden und schmutzigen Winkel sind die in Rom lebenden Juden gebannt. Das Edict der heiligen Inquisition, welches dieselbe im Jahre 1843 gegen die Juden in den päpstlichen Staaten erließ, und welches noch heute in seinem ganzen Umfange mit Ausnahme eines einzigen Paragraphen, nämlich, daß kein Jude die Nacht außerhalb des Ghetto’s zubringen darf, gültig ist, hält sie dort fest, indem es ihnen die Möglichkeit entzieht, anderswo zu wohnen. Das Edict lautet folgendermaßen – ich habe es wörtlich aus dem Italienischen übersetzt:

„Kein Jude darf Christen in seiner Behausung wohnen haben, Christen ernähren oder Christen in seinen Dienst nehmen, bei Strafe, nach den päpstlichen Gesetzen bestraft zu werden.
Kein Israelit darf in irgend einer in den römischen Staaten belegenen Stadt wohnen, ohne eine ausdrückliche Genehmigung und Erlaubniß der päpstlichen Regierung.
Kein Jude darf freundschaftliche Verbindungen mit Christen unterhalten.
Kein Jude darf mit Büchern und mit dem Dienst der Kirche geweihten Gegenständen Handel treiben, und zwar bei einer Strafe von hundert Thalern und sieben Jahr Gefängniß.
Bei einem Begräbniß eines Juden darf keine Feierlichkeit oder Ceremonie irgend einer Art stattfinden.
Diejenigen, welche diese Gesetze übertreten, sind der Gerichtsbarkeit der heiligen Inquisition verfallen.
Gegenwärtiges Edict wird in allen Ghetti und in allen Synagogen zur öffentlichen Kenntniß gebracht.
Der Großinquisilor Salua.“ 

Das Verbot, daß kein Jude außerhalb des Ghetto’s wohnen oder den Ghetto nach Belieben verlassen kann, ist durch die Bestimmung ersetzt, daß kein Jude ohne einen Paß seines Local Inquisitors weder sich vom Orte entfernen, noch eine Reise unternehmen darf. Ich will einen solchen Judenpaß, wie er mir in Rom vorgelegt worden ist, in wörtlicher Übersetzung hier mittheilen. Sein Inhalt wird mich alles weitern Commentars überheben.

„Dem Juden N… gebürtig aus … wird hiermit die Erlaubniß ertheilt, sich während eines Zeitraumes von … von dem Ghetto, dem er angehört, zu entfernen, aber nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß während seiner Abwesenheit seine Aufführung frei von jedem Fehltritt gegen unsere heilige Religion und gegen die guten Sitten ist, und daß er bei seiner Rückkehr diesen Paß sofort bei unserm Tribunal zurückreicht, und daß er sich nicht weiter entfernt, ohne eine neue ausdrückliche Erlaubniß erhalten zu haben. Ferner erlischt gegenwärtige Erlaubniß augenblicklich, wenn der Inhaber derselben sie nicht sofort an dem Orte, wo er sich aufhalten will, dem Bischof, dem Inquisitor oder deren Stellvertreter vorzeigt und sich deren Visum geben läßt. Ferner erlischt sie augenblicklich, wenn die genannten Personen der Meinung sind, sie nicht berücksichtigen zu wollen oder ihre Zeitdauer abzukürzen. Im Gegentheil sind dieselben aber auch berechtigt, die Zeitdauer derselben zu verlängern.
Ort und Datum. F. L. D., Vicar der heiligen Inquisition.“

„Sie finden diese Bestimmungen hart?“ sagte einer meiner Freunde in Rom, der mir diesen Zwangspaß zur Abschrift übergab und gegen den ich meine Entrüstung aussprach, „hart für einen römischen Juden? O, gehen Sie in’s Ghetto und sehen Sie selbst, in welch ungesunden, schmutzigen Winkel die hohe Inquisition diese Juden bannt. Wissen Sie denn, daß die heilige Inquisition den Aerzten gebietet, sobald sie zu einem kranken Juden gerufen werden, sofort dessen Bekehrung vorzunehmen und, wenn der Jude sich nicht bekehren will, ihn sofort ohne ärztlichen Beistand zu lassen?“

Ich blieb ihm vor Erstaunen die Antwort schuldig.

„Ja wohl, mein Freund,“ fuhr er fort, „das ist wirklich so! Und was wollen Sie? das ist nur consequent. In den römischen Staaten ist ein Jude ein rechtloses und schutzloses Subject. Für ihn giebt es weder Gerichte, noch Polizei. In Rom können Sie einen Juden schlagen, Sie können ihm in’s Gesicht spucken, Sie können ihn mit Steinen werfen, o, Sie können ihn schlimmstenfalls auch tödten. Noch heute wird alle Sonntage im Ghetto eine Anzahl Juden ausgesucht und in eine christliche Kirche getrieben. Es geht nach der Reihe.“

Ich staunte. „Das sind ja die Dragonerbekehrungen Ludwig des Vierzehnten!“ rief ich aus.

„Nun ja, im heiligen italienisch-römischen Reiche. Jetzt wird Ihnen die Geschichte des kleinen Mortara, welche in Europa so viel Lärm gemacht hat, wohl weniger auffallend erscheinen. Sie ist die directe Consequenz des vollkommen rechtlosen Zustandes unserer Juden. Wissen Sie denn, daß noch heute jährlich vor dem Beginn des Carneval drei Abgeordnete des Ghetto im Palast der Conservatoren zu erscheinen haben, um in demüthiger Unterwerfung das Recht eines verlängerten Aufenthalts in Rom einzuholen und durch einen Tribut die Pflicht abzukaufen, mit den Pferden auf dem Corso Wettrennen zu müssen? Erkundigen Sie sich, fragen Sie Andere, wenn Sie glauben, ich übertreibe.“

Ich fragte und erkundigte mich. Es war Alles wahr; er hatte nichts übertrieben. „Ich selbst habe es im vorigen Carneval gesehen, wie die Abgeordneten der Juden im Palast der Conservatoren erschienen, wie sie niederknieten und mit Stößen verabschiedet wurden,“ sagte zu mir ein deutscher Kaufmann aus Triest, Herr J. P. K…, den ich im Café greco kennen lernte.

Auch nach dem kleinen Mortara erkundigte ich mich. Niemand wußte, wo er geblieben war. Ein römischer Arzt versicherte mir, daß er noch in einem Kloster in Rom sei. Niemand wunderte sich übrigens in Rom über diesen Fall. In Bologna wurde mir beispielsweise eine ähnliche Geschichte erzäblt, welche die vollständige Rechtlosigkeit der Juden in ein noch helleres Licht stellt. Ein dortiger jüdischer Kaufmann hatte eine sehr schöne Frau. Ein junger christlicher Handelsmann verliebt sich in die Frau, entführt sie und flieht mit ihr nach Rom. Dort führt er sie zu einem Vicar der heiligen Inquisition; sie schwört ihren Glauben ab und verheirathet sich mit ihrem Liebhaber. Darin liegt nichts Außerordentliches; aber nun nimmt sich der Großinquisitor des neuen Paares an. Der unglückliche frühere jüdische Ehemann wird vor das Tribunal der Inquisition gefordert und wird verurtheilt, seiner frühern Frau ein jährliches Alimentationsquantum zu bezahlen. Und durch welche Gründe wurde dies originelle Erkenntniß motivirt? Die Frau des Christen, jetzt selbst eine Christin, muß dafür eine Entschädigung haben, weil sie mehrere Jahre mit einem Juden zusammen gelebt hat(!).

Man weiß im übrigen Europa gar nicht, daß das mittelalterliche Institut der heiligen Inquisition noch in Rom existirt. Mancher mag es für ein Märchen halten. Und doch ist es so. Unter die unglaublichen Dinge römischer Gerechtigkeitspflege gehört auch die Gerichtsform der heiligen Inquisition, und diese Inquisition ist mit ihren unbekannten Spionen, mit ihren heimlichen Sbirren, mit ihren düstern Gefängnissen, mit ihren Martern und Stockprügeln täglich in Thätigkeit. Eine specielle Thätigkeit entwickelt sie, wie ich schon erwähnte, seit den letzten Jahren in den Judenverfolgungen. Die weltlichen Gerichte leihen ihr ihre Gensd’armen und Polizeisoldaten, wogegen sie denselben ihre Spione borgt. In Rom und in den Provinzen besitzt sie eine Menge von heimlichen Vertrauten, welche keine Geistliche sind. Diese Vertrauten sind für die übrigen Unterthanen des Papstes äußerst gefährlich; denn sie besitzen alle Privilegien der Priester, kein bürgerlicher Gerichtshof hat ein Recht über ihre Personen. Selbst, wenn sie in flagranti bei der Ausübung eines schweren, todeswürdigen Verbrechens ergriffen werden, hat der Großinquisitor das Recht, sie abzufordern und wieder in Freiheit zu setzen, wenn er ihrer bedarf. Ihre Namen und ihre Person sind unbekannt. Wie einst die Abgeordneten der heiligen Vehme, sind sie in den Mantel düstern Geheimnisses eingehüllt. Ich habe in Rom bei meiner jetzigen Anwesenheit ein Edict dieser heiligen Inquisition gesehen, welches [45] im Jahre 1856 durch die Abgeordneten sämmtlicher Bischöfe des römischen Staates auf einem Concil in Loretto als Gesetz angenommen, publicirt und allen Inquisitionsbehörden zur Nachachtung mitgetheilt worden ist. Es waren darin die Verbrechen aufgezählt, welche die Inquisition zu richten hat, und die Strafen aufgeführt, welche dieselbe auszusprechen berechtigt ist. Die Verbrechen waren: Gotteslästerung, unmoralische Lebensweise – welch ein weiter Begriff und welch unendlicher Raum zu Verfolgungen! – ungebührliches Benehmen gegen die Kirche, Nichtheilighaltung der Feste, Vergehen gegen die Fasten. Als Strafen waren angegeben: die Excommunication, die Geldstrafe, das Gefängniß, die Verbannung, Peitschenhiebe und der Tod.

Den Schluß dieses entsetzlichen Edictes bildet die Bestimmung, daß Jeder, der zufällig Zeuge eines der angegebenen Verbrechen ist, und dies Verbrechen nicht sofort der heiligen Inquisition anzeigt, bestraft wird, als wenn er selbst das Verbrechen begangen hätte.

G. R.