Die Jagd nach der Doa-Kawi
Im April 1852 erschien in Paris eine siamesische Gesandtschaft, die dem damaligen Präsidenten der Französischen Republik, Louis Napoleon, zu seinem Geburtstag ein Geschenk dem Königs von Siam überbringen sollte. Am 20. April, dem Festtage, wurden die Abgesandten von Napoleon feierlich empfangen. Sie überreichten ihm eine in einem juwelenbesetzten goldenen Kästchen ruhende Perle von seltener Schönheit und Größe. Das Kleinod entstammte dem siamesischen Kronschatz und wurde von Kennern auf einen Wert von gut einer Million Franken geschätzt.
Am 2. Dezember desselben Jahren ließ sich dann der bisherige Präsident zum Kaiser der Franzosen ausrufen. Sein vergebliches Bestreben, eine Heirat mit einer Prinzessin aus irgend einem der regierenden europäischen Fürstenhäuser zu schließen, ist bekannt, ebenso, daß seine Wahl schließlich auf die liebreizende Gräfin Eugenie von Montijo und Teba fiel. Der Vermählungstag war auf den 29. Januar 1853 festgesetzt.
Napoleon beabsichtigte nun, die siamesische Perle, die unter dem Namen Doa-Kawi, Göttin des Meeres, weitberühmt war, als Hauptschmuck in ein Diamantendiadem einfügen zu lassen und dieses seiner Braut als Hochzeitsangebinde zu verehren. Der Pariser Juwelier Barnaux erhielt den Auftrag, das Diadem anzufertigen, und trotz der ihm zur Verfügung stehenden knappen Zeit schuf er ein ebenso geschmack- wie wertvolles Kunstwerk, das sechsunddreißig erbsengroße, wasserklare Diamanten und die Doa-Kawi-Perle auf einem leichten Goldgestell vereinigte.
[161] Am 17. Januar vormittags wurde das Diadem von dem Juwelier eigenhändig verpackt und bis zu seiner Überführung ins Louvrepalais in dem im Privatkontor Barnaux’ stehenden Geldschrank eingeschlossen. Die Überführung geschah drei Stunden später unter den größten Vorsichtsmaßregeln, und zwar sollte der Juwelier sein Kunstwerk dem Kaiser in besonderer Audienz persönlich überreichen.
Im Vorzimmer zu den kaiserlichen Privatgemächern entfernte Barnaux die Hüllen und entnahm dem eleganten Lederkasten das aus getriebenem Golde hergestellte zweite Kästchen, das, auf dem Deckel mit den Initialen der zukünftigen Kaiserin versehen, dem kostbaren Diadem zum würdigen Ruheplatz dienen sollte. Als nun der Juwelier noch mit einem letzten Blick von dem von ihm geschaffenen Kunstwerk Abschied nehmen wollte, fand er das Kästchen zu seinem Entsetzen – leer. Die Aufregung des armen Barnaux war nicht minder groß wie die seines kaiserlichen Auftraggebers. Denn während der Juwelier einen kaum wieder einzuholenden Geldverlust zu verschmerzen hatte, falls das Diadem nicht wieder entdeckt wurde, befand sich anderseits auch Napoleon in der größten Verlegenheit, weil er nicht wußte, wo er für seine Braut so schnell ein würdiges Hochzeitsgeschenk beschaffen sollte.
Daß unter diesen Umständen der mehr als rätselhafte Diebstahl von der Pariser Polizei mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln aufzuklären versucht wurde, braucht nicht besonders betont zu werden. Für alle Fälle hatte jedoch der Kaiser sofort seinen Flügeladjutanten, den Grafen Salvieux, nach London geschickt, um bei einem der dortigen Juweliere einen Ersatz für das verschwundene Diadem anzukaufen.
[162] In Paris war die Nachfrage nach einem genügend prächtigen Schmuckstück ergebnislos gewesen.
Die Zeit verstrich, und noch immer war die unersetzliche Haarkrone nicht wieder aufgetaucht. Am 28. Januar 1853, einen Tag vor der Vermählung, überreichte Napoleon dann seiner Braut eine Halskette aus Brillanten – das vom Grafen Salvieux in London beschaffte neue Angebinde. Das Diadem und mit ihm die Doa-Kawi blieben verschwunden. Es schien geradezu, als ob hier geheimnisvolle Mächte ihre Hände mit im Spiel gehabt hätten.
Die unsinnigsten Gerüchte tauchten damals auf. So wurde zum Beispiel sogar der Juwelier Barnaux beschuldigt, den Schmuck absichtlich beiseite gebracht zu haben, um in den Besitz der seltenen Perle zu gelangen. Dieses Gerede war um so müßiger, als Barnaux der kaiserlichen Schatulle für die Doa-Kawi nicht weniger als fünfhunderttausend Franken Ersatz hatte leisten müssen und sein Gesamtverlust einschließlich der sechsunddreißig Diamanten gegen sechshundertzwanzigtausend Franken betrug, den er, selbst wenn er wirklich die Perle gestohlen haben würde, nie wieder hätte wettmachen können, da ein so berühmtes Kleinod wie die Doa-Kawi für jeden Gauner eben unverkäuflich war. Mit dieser Unmöglichkeit, die Perle weiterzuveräußern, rechnete auch der geschädigte Juwelier, als er in den Zeitungen sämtlicher Weltstädte im Mai des Jahres 1853 eine gleichlautende Bekanntmachung veröffentlichte, in der er den Dieben für die Rückgabe des Diadems die Summe von zweihunderttausend Franken zusicherte. Dies war ein letzter Versuch, das verschwundene Kleinod wiederzuerlangen. Die kostspielige Anzeige hatte ebensowenig Erfolg wie die Bemühungen der tüchtigsten Geheimagenten der fünf Erdteile.
[163] Hören mir nun, was der Kriminalinspektor A. in seinen Lebenserinnerungen weiter über die ferneren Schicksale der Doa-Kawi berichtet.
„Ich war noch kein halbes Jahr bei der Geheimpolizei beschäftigt, als der Fall Barnaux, wie wir den geheimnisvollen Diebstahl unter uns bezeichneten, alle Welt in Atem hielt. Mit meinem damaligen Vorgesetzten L. habe ich oft genug das rätselhafte Verschwinden des Schmuckes durchgesprochen. Wir waren darüber einig, daß nur einer der Angestellten des Juweliers der Täter sein könne, obwohl unsere Pariser Kollegen mit ihren Nachforschungen in dieser Richtung keinerlei Erfolg erzielt hatten und Barnaux außerdem auch nicht einen einzigen seines Personals einer solchen Tat für fähig hielt. Und doch – die Sachlage ließ gar keine andere Möglichkeit zu. Das Diadem konnte nur gestohlen worden sein, als es am Vormittag des 17. Januar 1853 die drei Stunden lang in dem Geldschrank Barnaux’ eingeschlossen lag. Der Juwelier mußte ja auch zugeben, daß er sein Privatkontor, in dem der Tresor stand, für ganze zwei Stunden verlassen hatte, um sich in seiner Wohnung für die Audienz bei Napoleon umzukleiden. Und zu diesem Privatkontor hatten nur die Angestellten der Firma Zutritt gehabt.
Aber so leicht sich die notwendige Folgerung auch aufstellen ließ, so schwer war damit etwas anzufangen. Das muß ich hier schon deshalb kräftig betonen, um die Ehre meiner Kollegen zu retten, die sich mit unermüdlicher Ausdauer den fünf Angestellten Barnaux’ an die Fersen hefteten und ein Jahr lang keinen einzigen Schritt dieser Leute, auf denen ein so schwerer Verdacht lastete, unbeobachtet ließen. Aber keiner der von seiten der Polizei mit so großer Aufmerksamkeit [164] Behandelten gab auch nur den geringsten Anlaß, um sich mit seiner Person noch eingehender beschäftigen zu können. Nach einem Jahr wurde diese Überwachung dann schon weniger sorgfältig, und wieder ein Jahr später gab man diesem nutzlose ‚Beschatten‘, wie wir vom Fach das stete Beobachten eines Menschen zu nennen pflegen, ganz auf. Inzwischen hatte die Welt den armen Barnaux und seinen ungeheuren Verlust längst über jüngeren Ereignissen vergessen.
Nicht so ich selbst. Die Belohnung von hunderttausend Franken, die Barnaux später auch dem zugesagt hatte, der ihm wenigstens die berühmte Perle wieder verschaffen würde, schwebte mir als lockendes Ziel noch immer Tag und Nacht vor Augen. Damals geschah es auch gerade, daß ich Emma L., der Tochter meines Vorgesetzten, größere Beachtung zu schenken und mir einzubilden begann, ihr seien meine kleinen Aufmerksamkeiten nicht gerade lästig. Freilich dazu, meine so fröhlich aufsprossenden Herzenswünsche je verwirklichen zu können, fehlte so gut wie jede Aussicht. Ich war von Hause aus arm, und mein Gehalt betrug wöchentlich ganze sechzig Mark. Davon eine Familie unterhalten zu wollen, wäre mehr als Leichtsinn gewesen. Kein Wunder, daß unter diesen Umständen die von Barnaux ausgesetzte Summe mich recht lebhaft interessierte und meine Gedanken sich unablässig mit dem so vorzüglich geglückten Gaunerstückchen beschäftigten. Ich suchte mich sogar ständig über das Leben und Treiben der damaligen Angestellten Barnaux’ unauffällig auf dem laufenden zu halten, was auch dank meiner Beziehungen zu Pariser Kollegen leicht gelang.
So kam der Winter 1856 heran. Fast drei Jahre lag das Verschwinden des Hochzeitsdiadems jetzt zurück. [165] Noch immer waren dieselben fünf Leute, die jene für ihren Chef so furchtbare Zeit miterlebt hatten, bei Barnaux tätig, wie ich aus zuverlässigster Quelle Mitte November erfuhr. Da erhielt ich am 3. Dezember plötzlich den Auftrag, in Paris nach einer Falschmünzerbande zu forschen, die das Ausland mit tadellos gearbeiteten, kaum als falsch erkennbaren Banknoten überflutete. Zum vierten Male sah ich so die leichtlebige Seinestadt wieder. Daß ich diese Gelegenheit benützte, um mein Steckenpferd gehörig zu reiten – mein Interesse für den Fall Barnaux ist damit wenigstens nach der damaligen Lage der Dinge recht treffend gekennzeichnet – wird niemand besonders wunderbar erscheinen. Gleich am zweiten Tage nach meiner Ankunft machte ich mich an jenen französischen Kollegen heran, mit dem ich schon seit langem in Briefwechsel gestanden hatte, und dem ich auch die öfteren Nachrichten über den Juwelier und dessen Geschäftspersonal verdankte.
Durch diesen ließ ich mich bei Barnaux einführen. Ich hatte ja reichlich Zeit, auch meine Privatwünsche etwas berücksichtigen zu können. Dem Juwelier, der mich sehr höflich empfing, erklärte ich, daß ich seinem Unglück die lebhafteste Teilnahme sowohl als Polizeibeamter wie als Mensch entgegenbrächte. Bald befanden wir uns in einer äußerst lebhaften Unterhaltung, die leider in Barnaux sehr trübe Erinnerungen auffrischte, da sie sich lediglich um das rätselhafte Verschwinden des Diadems drehte. Im Laufe des Gespräche erfuhr ich dann auch, daß der langjährige Buchhalter der Firma aus Gesundheitsrücksichten seine Stellung am 1. Dezember habe aufgeben müssen, was der Juwelier mit Ausdrücken tiefsten Bedauerns über den Verlust dieses seines trefflichsten Mitarbeiters [166] erwähnte. Der arme Sartier habe eine kranke Lunge und müsse auf dringendes Anraten seines Arztes für längere Zeit nach dem Süden.
Welch weitgehende Folgen diese von dem Juwelier ganz nebenbei getane Äußerung haben sollte, ahnte ich an dem Tage selbst noch nicht. Anders sah es damit schon am folgenden aus. Denn ohne einem Menschen etwas von meinen Absichten zu verraten und nur getrieben von jenem dunklen Ahnungsvermögen, das man uns Geheimpolizisten nach meinen Erfahrungen ganz ruhig als sechsten Sinn zugestehen sollte, prüfte ich die Angaben des kranken Herrn Sartier umgehend nach. War er doch der erste der Angestellten, der jetzt den Staub der Pariser Boulevards von seinen Schuhen schütteln wollte. Den Arzt des Buchhalters hatte ich bald gefunden. Ich zeigte ihm meine Legitimation und fragte geradeheraus, wie es mit dem Gesundheitszustande seines Patienten Sartier stände, der – es war dies nicht die erste Lüge meines Lebens – sich bei einer Lebensversicherungsgesellschaft habe hoch versichern lassen, und um dessen Wohlergehen die genannte Gesellschaft daher sehr besorgt sei.
Der Doktor hielt mit seiner Wissenschaft auch keineswegs hinter dem Berge. Sartier sei nichts als ein Hypochonder, der sich nur einbilde, schwer lungenkrank zu sein, und für den es am dienlichsten wäre, wenn er das Pariser Nachtleben einmal recht ordentlich auskosten würde, um die törichten Gedanken loszuwerden. Auf meinen Einwurf, ob er denn dem Buchhalter nicht geraten habe, in einem milderen Klima Erholung zu suchen, mir wäre etwas davon zu Ohren gekommen, schüttelte der Arzt ärgerlich den Kopf. Kein Wort sei hiervon wahr.
Mit Mühe nur gelang es mir damals, meine Erregung [167] auch nur einigermaßen zu verbergen. Sartier hatte also seinen Chef beschwindelt, fraglos, um nur auf gute Art aus Frankreich fortzukommen! Grund genug für mich zu hoffnungsfreudigsten neuen Plänen. Den Doktor verpflichtete ich noch zu tiefstem Schweigen und verabschiedete mich dann.
Eine Stunde später verhandelte ich bereite mit Barnaux. Ich entwickelte ihm meine Verdachtsgründe gegen seinen früheren Buchhalter und erreichte auch schließlich, allerdings erst nach langem Hin- und Herreden, da er von der Harmlosigkeit Sartiers allzu fest überzeugt war, daß er mir die Mittel zur Verfügung stellte, um den angeblich Kranken weiter beobachten zu können. Noch an demselben Abend bat ich um längeren Urlaub, der mir dann auch umgehend bewilligt wurde.
Nun begann die Jagd. Daß Sartier nicht als harmloser Reisender Paris verlassen wollte, merkte ich bald an der Art und Weise, wie er seine Abfahrt in Szene setzte – genau wie ein Verbrecher, der sich verfolgt weiß und hinter sich alle Spuren verwischen will. Trotzdem wurde er mich nicht los. Auf demselben Dampfer fuhren wir von Marseille nach Kapstadt. Bereits in Marseille gesellte sich ein Mann zu ihm, den er offenbar schon seit langem kannte, wenn die beiden auch den Eindruck zu erwecken suchten, als ob es sich bei ihnen nur um eine zufällige Reisebekanntschaft handelte.
Sartier und der Fremde, der als Kaufmann Morvin aus Bordeaux in der Schiffsliste stand, hielten sich ganz für sich und schienen ständig höchst wichtige Dinge zu verhandeln, während dieser stets sehr leise geführten Gespräche benützten sie auch, wie ich des öfteren feststellen konnte, einige Landkarten. Trotz all meiner Bemühungen gelang es mir aber nicht, auch nur ein [168] einziges Wort ihrer Unterhaltung aufzufangen. Meine Lage wurde immer unangenehmer, da ich bisher nicht das geringste greifbare Ergebnis erzielt hatte. Verdächtige Momente hatte ich freilich genug gesammelt. Damit ließ sich jedoch nichts anfangen.
Schließlich wagte ich einen Gewaltstreich. Eines Tages kurz vor der Ankunft in Kapstadt schlich ich mich während des Essens in Morvins Kabine, zu der ich mir mit Hilfe eines Nachschlüssels Zutritt verschaffte. Denselben Besuch wollte ich nachher auch Sartier abstatten. In aller Eile durchstöberte ich Morvins Gepäck. In seinem Koffer fand ich dabei ein Buch, das über Perlenfischerei handelte. Und in diesem Buch lagen auch die Landkarten, die bei den geheimnisvollen Gesprächen der beiden eine so große Rolle gespielt hatten, weiter noch einige Notizen, die ich blitzschnell überflog. Es waren Kostenberechnungen für die Ausrüstung eines Fahrzeuges, Bemerkungen über Preise für Taucheranzüge und Schiffsproviant. Auf den Karten aber, die sämtlich Teile der Insel Ceylon und der indischen Koromandelküste darstellten, also Gebiete, wo hauptsächlich Perlenfischerei getrieben wird, sah ich verschiedene Stellen mit roten Kreuzen versehen. Dies alles ließ – der Gedanke schoß mir nach diesen Entdeckungen sofort durch den Kopf – nur die eine Deutung zu: Sartier und Morvin trugen sich mit der Absicht, in der Perlenfischerei ihr Glück zu versuchen. Und von dieser Erkenntnis zu einer weiteren, bedeutend wichtigeren war’s für mich nur ein kurzer Schritt.
Einen Augenblick stand ich wie versteinert da. Das Bewußtsein, endlich dieses feine Gewebe eines mehr als großzügig angelegten verbrecherischen Planes durchschaut zu haben, betäubte mich fast.
[169] Schleunigst brachte ich nun in Morvins Kabine alles wieder in Ordnung, damit nichts meinen Besuch verriete und das edle Paar, das sich offenbar völlig sicher fühlte, nicht etwa vorzeitig gewarnt würde. Von Kapstadt aus schrieb ich dann einen ausführlichen Bericht an Barnaux und erbat mir seine Antwort und eine größere Anweisung für ein Bankhaus nach Colombo auf Ceylon. Obgleich ich vermutete, daß die Gauner die Perle mit sich führten, riet ich dem Juwelier doch davon ab, die beiden jetzt schon verhaften zu lassen, um nicht den Erfolg unserer bisherigen Bemühungen in Frage zu steilen.
Meine Voraussage bestätigte sich. Sartier und Morvin reisten mit dem nächsten Dampfer wirklich nach Colombo weiter. Nun war ich meiner Sache ganz sicher. In der Verkleidung eines harmlosen Geistlichen benützte ich dasselbe Schiff. Auch in Colombo verlief alles programmäßig. Die beiden Genossen, die offenbar über reichliche Barmittel verfügten, mieteten eine alte Brigg, rüsteten sie leidlich gut aus und warben die nötige Mannschaft und einige Taucher an, wobei stets nur Morvin als der Unternehmer handelnd hervortrat.
Immerhin vergingen über diesen Vorbereitungen sechs Wochen. Inzwischen war auch das Antwortschreiben des Juweliers eingetroffen. Er war mit meinen Vorschlägen vollkommen einverstanden und hatte mich auch reichlich mit Geld versehen.
Am 17. Mai 1857 verließen Sartier und Morvin mit ihrem halbwracken Kasten Colombo und segelten längs der Westküste von Ceylon nach den Manarinseln, wo sich viele Perlmuschelbänke befinden, deren Ausbeutung die indische Regierung gegen eine mäßige Steuer jedem Beliebigen gestattet. Unweit des Küstenstädtchens [170] Kongali, das auf dem größten Eiland der Gruppe liegt und von vielen Europäern, die der Perlenhandel herbeigelockt hat, bewohnt wird, gingen sie vor Anker und ließen sich dann von dem englischen Kommissar eine Uferstrecke als Arbeitsfeld anweisen.
Die acht Monate, die ich nun, mich als Einkäufer einer großen Juwelierfirma ausgebend, in Kongali zubringen mußte, waren die entbehrungsreichste und langweiligste Periode meines Lebens. Einmal packte mich auch die Malaria. Zum Glück ging der Anfall schnell vorüber. Aber ich hielt aus. Der Gedanke, bald am Ziel zu sein, verlieh mir immer wieder neue Spannkraft. Mit Barnaux blieb ich in ständigem Briefwechsel, und so erfuhr ich denn auch, daß der vorsichtige Sartier ‚aus alter Anhänglichkeit’ an seinen früheren Prinzipal aus Kapstadt einen Brief geschickt hatte, in dem er diesem mitteilte, daß er zur Wiederherstellung seiner Gesundheit längere Seereisen unternehmen wolle, wovon er sich besseren Erfolg verspreche als von einem bloßen Landaufenthalt in einem milden Klima.
Endlich kam auch für mich die Erlösung. Am 28. Dezember 1857 verbreitete sich plötzlich in Kongali die Nachricht, der Unternehmer Morvin habe eine Perle von geradezu erstaunlicher Größe und Schönheit gefunden. Daß dies die am 17. Januar 1853 gestohlene Doa-Kawi war, die die Spitzbuben jetzt auf so harmlose Art wieder auftauchen ließen, wußte von all den aufgeregten Leuten in dem kleinen Orte nur ich allein.
Schon am nächsten Tage schaffte Morvin das Kleinod auf einem Regierungsdampfer nach Colombo und übergab es dem sicheren Tresor einer Bank zur Aufbewahrung.
[171] Doch die Freude sollte nicht von langer Dauer sein. Ich verständigte sofort die dortige Polizei, trug mein Beweismaterial vor und erreichte, daß die beiden Genossen in aller Stille verhaftet wurden. Einen Monat später waren die von dem französischen Konsulat geführten Auslieferungsverhandlungen beendet, und Sartier, Morvin und die Perle traten unter sicherer Bedeckung, zu der auch ich gehörte, auf dem Dampfer ‚Asia‘ die Rückreise an.
Der Prozeß gegen die Perlendiebe wurde in Paris verhandelt und endete mit der Verurteilung beider zu hohen Freiheitstrafen. Erst nachdem die Spitzbuben sich vergeblich an alle gerichtlichen Instanzen gewandt hatten, um eine Änderung ihres Schicksals durchzusetzen, gaben sie völlig gebrochen ihr bisheriges Leugnen auf. Sartier gestand, daß er von Morvin, den er seit langem kannte, zu dem Streiche überredet worden war. Morvin hatte alle Einzelheiten des wirklich genial zu nennenden Planen ersonnen und seinem Genossen auch den nach einem Wachsabdruck hergestellten Schlüssel geliefert, mit dem Sartier dann an dem denkwürdigen Tage vor der Hochzeit Napoleons III. das Geldspind Barnaux’ öffnete, während die übrigen Angestellten für kurze Zeit vorn im Verkaufsraum beschäftigt waren. Das Diadem wurde von dem ungetreuen Buchhalter aus seiner Verpackung hervorgeholt und in mehrere Stücke zerbrochen, die er an seinem Körper verbarg. Die Ausführung des Diebstahls nahm dabei nur so geringe Zeit in Anspruch, daß dem Personal Sartiers kurze Abwesenheit gar nicht auffiel.
Daß Morvin tatsächlich als der Hauptschuldige zu betrachten war, dafür fand sich eine ganze Reihe von Beweisen. So hatte er zum Beispiel auch die [172] sechsunddreißig Brillanten aus dem Diadem bei einem Londoner Hehler verkauft. Den Erlös teilten die beiden. Fraglos wäre ihnen auch der letzte Teil ihres mit so viel Geduld und Schlauheit ausgeklügelten verbrecherischen Unternehmens, eben das scheinbar völlig rechtmäßige Auffinden einer der Doa-Kawi ähnlichen Perle in den Perlengründen von Ceylon, geglückt, wenn Sartier nicht durch eine einzige Dummheit sich verdächtig gemacht hätte: durch seine falschen Angaben über seine angebliche Erkrankung.
Ein Vierteljahr nach diesen letzten Ereignissen wurde Emma L. meine Frau. Mit meinem Gehalt und den Zinsen der mir von Barnaux überwiesenen hunderttausend Franken ließ sich leben, das sah auch mein Schwiegervater ein.
Daß Napoleon III. die Doa-Kawi von dem Juwelier für siebenhunderttausend Franken zurückkaufte, kann jeder Besucher des Louvremuseums in Paris mit eigenen Augen auf dem Täfelchen lesen, das an dem Glaskasten befestigt ist, in dem die kostbare Perle jetzt ruht.“