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Titel: Die Insel Niuafou. Ein Beitrag zur Geschichte des modernen Missionswesens
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 718–720
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bericht über die Südseeinsel Niuafoʻou und das ausbeuterische Verhalten von Missionaren
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Die Insel Niuafou.
Ein Beitrag zur Geschichte des modernen Missionswesens.


Ungefähr unter dem sechszehnten Grade südlicher Breite und dem hundertsechsundsiebenzigsten Grade westlicher Länge von Greenwich liegt im stillen Meere, oder wie es dort immer benannt wird, in der Südsee, die Insel Niuafou, die neue Insel (Niu bedeutet in der Tonga-Sprache: Insel; fou ist: neu). Meines Wissens hat noch Niemand diese Insel einer näheren Erwähnung gewürdigt, und doch ist sie in vielen Beziehungen merkwürdig; sie war vor nicht langen Jahren selbstständig und hatte ihren eigenen eingeborenen König, Fotofile mit Namen, der noch als alter Mann auf der Insel lebt und daselbst jetzt das Amt eines Gouverneurs inne hat. Die Insel wurde vor Jahren nach sehr tapferer Gegenwehr des Fotofile von König Georg von Tonga erobert; sie gehört seitdem mit zu der Tonga-Gruppe oder den Freundschaftsinseln, wie diese Eilande vom Weltumsegler James Cook benannt wurden, und ist dem König Georg tributpflichtig; einige Erdwälle und langgezogene Gräben bezeichnen noch die Stellen, wo die Niuafou-Männer gegen die in großen Canoes von Hapai und Tonga-Tabu angekommenen Tonga-Krieger kämpften. Die Insel ist von keinem sichtbaren Korallenriff umgeben, wie es sonst fast alle Südseeinseln sind; steil und dunkel steigt sie als eine zerrissene Lavamasse, von der heftigsten Brandung bespült, unmittelbar aus der Tiefe empor; ist doch die ganze Insel nur die lavafelsige Einfassung eines ausgebrannten Kraters. Der Krater selbst ist verstopft und mit Brackwasser angefüllt, welches einen See von etwa vier englischen Meilen Umfang bildet; in diesem See liegen vier kleine Felseninseln. Wer von den ungefähr fünfhundert Fuß hohen Seitenwänden des Kraters auf den See hinabschaut, vor dessen Augen entfaltet sich ein Bild, das wohl dem Pinsel des Malers einen würdigen Gegenstand darbietet.

Auf der ganzen Insel Niuafou ist kein Tropfen Süßwasser zu finden, aber merkwürdiger Weise befindet sich auf einer der kleinen Inseln im Kratersee eine frische Wasserquelle. Die Eingeborenen sind oft genöthigt, ihren wenigen Bedarf an Süßwasser, hauptsächlich zur Bereitung ihres Kawa-Getränkes,[1] von hier zu holen, wenn ihnen das Regenwasser, welches sie in ausgehöhlten Cocosnußstämmen unter ihren mit den Blättern desselben Baumes gedeckten Hütten sammeln, ausgeht. Obwohl die Erdschicht über der Lava, aus welcher die Oberfläche der Insel größtentheils besteht, nirgends sehr tief ist, so ist der Boden darum doch sehr fruchtbar; namentlich gedeiht der Cocosnußbaum hier ganz vortrefflich. Er ist hier der einzige Reichthum der Eingeborenen; vor Jahren besaßen sie auch noch Schweine und Geflügel in Menge, aber diese guten Zeiten sind für die Insel vorüber – warum? Davon später!

Niuafou ist mehrfach vulcanischen Ausbrüchen unterworfen gewesen. So wurde im Jahre 1853 das große Dorf Ahafakatau gänzlich durch die Lava zerstört und viele Menschen verbrannten; oft habe ich mir von den Eingeborenen erzählen lassen, wie das Feuer auf einmal mit schwerem Getöse aus der Erde hervorgequollen sei und wie sie aus Leibeskräften gelaufen seien, um ihm zu entfliehen; die farbige Frau des damaligen Missionärs sei mit einem Kinde auf dem Rücken vom Feuer eingeholt worden und stehe, in Stein verwandelt, noch auf derselben Stelle; die weißen Missionäre hätten ihnen nachher gesagt, solches sei eine gerechte Strafe für ihre Gottlosigkeit, und solches würde sich noch öfters ereignen, falls sie nicht reichliche Gaben an die Mission gäben. Ich habe die Brandstätte mehr als einmal besucht. Ein trauriger, öder Anblick: meilenweit nichts als schwarze Lava! Auch an dem Krater bin ich gewesen, von woher die geschmolzene Masse floß oder hinausgeschleudert wurde, und habe dort in der Nähe wirklich etwas wie eine menschliche Figur mit einem Kinde auf dem Rücken, in Lava gegossen, stehen sehen, jedoch hatten die Eingeborenen der Figur den Kopf abgeschlagen, weil, wie sie behaupteten, die Frau sonst Nachts auf dem Lavafelde umherwandere und klage. Ob das Ganze nichts als ein Naturspiel ist, will ich Fachmännern zu entscheiden überlassen; gewiß ist es, daß auf dem ganzen Lavafelde jede Stelle, wo früher ein Cocosnußbaum stand, durch eine fünf bis sechs Fuß hohe hohle Lavasäule bezeichnet ist; die Säule ist nur etwas dicker als ein gewöhnlicher Cocosnußbaum.

Niuafou ist seitdem im Jahre 1867 wiederum von einem neuen Ausbruch heimgesucht worden, und es ist nichts Ungewöhnliches, daß die Insel von vulcanischen Stößen erbebt; auch der Anprall der Wellen an die hohe felsige Küste vermag die Insel sehr fühlbar zu erschüttern; besonders empfindet man dies, wenn der Wind sich zum Sturm aus Norden erhebt.

Eine andere Merkwürdigkeit der Insel ist eine eigenthümliche Vogelart, die sich auch auf dem australischen Festlande aufhalten soll. Diese seltsamen Vögel, welche zur Familie der Hühner gehören, legen in Gesellschaft von zwanzig bis dreißig Genossen ihre Eier in eine Grube von Lava-Asche, und tragen dann diese Eier in ihren Klauen nach einer neuen, von ihnen gescharrten Grube und zwar so, daß dort die neuesten, zuletzt gelegten Eier unten zu liegen kommen, worauf sie das Ganze mit Asche bedecken und das Ausbrüten der Sonne oder der Erdwärme überlassen. Die ausgebrüteten Küchlein zerstreuen sich bald im Busch und leben, in der ersten Zeit besonders, von Ameisen und deren Eiern. Jeder Vogel legt nur ein Ei, welches vollkommen so groß wie ein gewöhnliches Entenei und von rothbrauner Farbe ist; die Größe des Vogels übersteigt nicht die einer Taube oder eines kleinen Rebhuhns.

Auf dieser mit Cocosnußwäldern bis zur höchsten Spitze bedeckten lieblichen Insel lebt ein Menschenschlag, welcher mir von allen den verschiedenen Insulanern der Südsee, soweit ich auf meinen dortigen ausgedehnten Reisen in einem Zeitraum von mehreren Jahren mit ihnen in Verkehr trat und Tauschhandel trieb, am allerbesten gefallen hat; es ist ein hübsches Volk; Männer wie Frauen sind wohlgebaut und zeigen meistens sehr angenehme Gesichtszüge, ihre Farbe ist bedeutend heller, als man sie bei den Bewohnern der Fidschi-, Gilbert-, Marschall- oder Neu-Hebriden-Inseln findet. Die Männer tätowiren sich sehr geschmackvoll; die Frauen tragen ihr Haar lang, frei am Rücken herabfallend, und Reinlichkeit und Sauberkeit ist dort mehr vorherrschend als irgendwo sonst in der Südsee.

Wie schon seit Jahren das ganze Inselreich Tonga zum Christenthum bekehrt ist, so sind die Einwohner auf Niuafou auch [719] darunter mit einbegriffen; schon jahrelang wird diesen Leuten das Evangelium von weißen und farbigen Dienern des Herrn unter allerlei Formen gepredigt, und zwar hauptsächlich in einer Auslegung, die für die Bewohner der Insel besonders eingerichtet ist. Die englische Secte, die das Glück gehabt hat, dieses ergiebige Eiland ganz für sich zu gewinnen, ist die Wesleyanische. Ihr kirchliches Oberhaupt wohnt in Nukualofa, der Hauptstadt der Freundschaftsinseln, auf der Insel Tonga-Tabu, und ist jetzt der Missionär Reverend Baker; dieser geistliche Herr läßt sich alljährlich jedoch herab, die Insel mit seinem Besuche zu beehren, nicht sowohl, um sich von dem geistigen Wohlbefinden seiner Gemeinden zu überzeugen, als um die großartige Contribution von Copra[2] und klingender Münze für gottgefällige Werke, wie den Eingeborenen gegenüber hervorgehoben wird, mit schwungvoller Rede und imponirendem Auftreten zu einer Höhe hinaufzutreiben, wie solche in der ganzen Südsee auch nicht einmal annähernd ein Seitenstück findet, was gewiß sehr viel sagen will. Jeder Erwachsene auf der Insel hat an das Tonga-Gouvernement alljährlich sieben Dollars, ungefähr M. 28, als Abgabe zu entrichten; dieser Betrag wird in vier Terminen bezahlt. Früher zahlten die Eingebornen ihre Abgaben an die Regierung ausschließlich in Copra, die von dem Regierungsfahrzeug regelmäßig abgeholt und zum größten Theile nach Sydney hin verkauft wurde; nachdem aber weiße Tauschhändler sich auf der Insel ansässig gemacht hatten, liefern die Meisten ihren Copra an diese ab und mit dem Erlös bestreiten sie ihre königlichen Abgaben. Es erwächst ihnen daraus ein kleiner Vortheil, weil sie von dem Tauschhändler einen bessern Preis erzielen, als die Regierung ihnen für ihre Producte zugesteht.

Rev. Baker ist jedoch ein viel zu tüchtiger Geschäftsmann, um sich ein so bewährtes System so leicht aus den Händen reißen zu lassen; er besteht noch hartnäckig und leider bis jetzt auch mit Erfolg darauf, die „freiwilligen“ Beiträge für seine Mission nur in Copra empfangen zu wollen; er hat etliche seiner Jünger dort angestellt, die solchen Copra in Empfang nehmen und denselben aufspeichern, bis es sich einmal für ihn lohnt, mit einem Schiffe die Waare nach Sydney zum Verkaufe zu bringen. Daß solches ein für die Mission einträgliches Geschäft ist, mag daraus hervorgehen, daß Rev. Baker zu einer Zeit, wo der Marktpreis in Sydney per Tonne Copra à 2240 Pfund englisch Gewicht 15 Pfund Sterling (306 Mark) war, den Eingeborenen auf Niuafou nur 4½ Pfund Sterling (92 Mark) für dasselbe Quantum bewilligte.

Schreiber dieses war vor nicht langer Zeit auf der Insel anwesend, als Rev. Baker seine alljährliche Ansprache an die Eingeborenen hielt; Jeder von ihnen mußte den Beitrag, den er willens sei im Laufe des nächsten Jahres an die Missionsgesellschaft zu verschenken, nennen, und diese Beiträge wurden mit unabänderlichen Schriftzügen von Rev. Baker sorgfältig notirt. Der Ort, wo solches stattfindet, ist die von Rohr erbaute Kirche. Rev. Baker besteigt die Kanzel und redet die versammelte Menge etwa folgendermaßen an:

„Meine lieben Brüder und Schwestern in Christo! Wiederum bin ich unter Euch erschienen, um eine kurze Stunde Zeit unter Euch zu verweilen und um mit Euch durch Gebet und Gesang Erbauung in Christo zu suchen; mir ist’s eine Wonne! ja, denn wahrlich, Ihr seid des Herrn eigen auserwähltes Volk, unter Euch hat noch kein Säemann seine Saat vergebens gestreut, aber sehet Ihr denn auch nicht, daß Jehova (sein Lieblingswort) sein Auge auf Euch gerichtet hat, wie er Euch vergilt und wie er Euch stets mit Wohlthaten überhäuft, die keiner anderen Insel zu Theil wurden? Wir hören von fernen Landen, von Südamerika und anderswo, wie Jehova sie dort mit Erdbeben und mit Wassersnoth heimsucht. Tausende von Menschen sind dort von Wasser und Erde verschlungen worden und ganze Städte mit allem Leben darin zerstört, aber wißt, liebe Brüder und Schwestern, die Leute, die dort wohnen, sind nicht aus unserer Heerde; es sind Katholiken (die Katholiken sind in Tonga verhaßt), die nur auf den eigenen Vortheil bedacht sind, nichts für ihre Missionäre thun. Von der Türkei hören wir von Krieg und Pestilenz. Frauen und Kinder werden dort gräßlich ermordet und Tausende von Männern hingeschlachtet; warum sucht Jehova dieses Volk so hart heim? Wisset, liebe Brüder und Schwestern, es sind Mohammedaner, die nicht an Christum glauben und keine Missionäre unter sich dulden wollen; auf diese Art, sehet Ihr, werden die Ungläubigen heimgesucht. Ihr auf Eurer friedlichen Insel wißt nichts von Krieg oder Pest; auch hat kein Feuer Eure Insel in langen Jahren heimgesucht, nein, denn ich sage es noch einmal: Ihr seid des Herrn eigene Heerde. Ihr seid Christen! Ja (zum alten Gouverneur gewendet) Du, Fotofile, und Du, Paula Fusitua (ein alter eingeborener Richter), Ihr seid Christen; hier vor der ganzen Versammlung rufe ich es aus: Ihr seid Christen. Seid Ihr nicht immer Euren Untergebenen mit einem würdigen Beispiele vorangegangen? Habt Ihr nicht immer reichliche Beiträge zur Mission gegeben? Ihr habt es nicht geachtet, wenn solche fast Eure Kräfte zu übersteigen drohten, aber werft einen Blick auf Eure Cocosnuß-[WS 1] und Brodfruchtbäume sowie auf Eure Yams- und Tarrofelder! Wahrlich, Jehova hat sie reichlicher gesegnet, als diejenigen Eurer Brüder in Hapai und Vawao. Wißt Ihr nicht Alle, wie der Viehstand des Nehume (indem er sich zu diesem Manne wendet) mit neun schönen Ferkeln (wörtlich) erst vor Kurzem gesegnet wurde, gab aber auch nicht derselbe Mann 150 Dollars voriges Jahr an die Mission? Sehet seinen Nachbar an! Seine Cocosnußbäume sind leer, und seine Yams gedeihen nicht. Der Mann hängt am Mammon und theilt nichts mit den Lehrern, die, um seine Seele für Christum zu gewinnen, sich es sauer werden lassen müssen.“

Nachdem nun Rev. Baker noch nach verschiedenen Seiten hin Diesen und Jenen angeredet und angefeuert hat, sonst auch noch derjenigen Gemeinde, welche den größten Beitrag gebe, Lampen und Stühle etc. für ihre Kirche oder Schule, sowie allerhand Segen verheißen hat, rückt er endlich, zu Fotofile gewendet, mit der Frage hervor, wie viel ihm von Christo eingegeben sei, im kommenden Jahre aus seinen eigenen Mitteln für den heiligen Zweck zu gewähren.

Der alte Mann, schon durch die lange Rede und durch von solchem Munde empfangene Lobhudelei halbwegs in ein Stadium der Unzurechnungsfähigkeit versetzt, richtet sich von seinem Sitze langsam empor; vergebens sucht sein armes schwarzes Gesicht dem drohenden Blicke des Christusverkünders auszuweichen. Alles schweigt; man würde eine Nadel fallen hören; er blickt langsam umher, doch nirgends eine Hülfe für ihn; er steht im Begriffe, sich wiederum für ein ganzes Jahr elend zu machen; seine verworrene Gedankenreihe spottet aller Versuche, sie zu sammeln. Endlich murmelt er etwas; Keiner hat es recht gehört, viel weniger verstanden. Eine augenblickliche Verklärung erhellt jedoch momentan die strengen Züge des in den Augen der Einfältigen allmächtigen Rev. Baker; sein Ohr hat die Worte des alten Mannes vernommen oder hat sie vernehmen wollen. Er ruft mit weithin hörbarer Stimme: „Sechshundert Dollars,“ und macht gleich eine Notiz. Hatte Fotofile solche Summe genannt? Sicherlich nicht; er ist überhaupt nur zum Schein befragt worden, und Rev. Baker hatte schon lange vorher auscalculirt, wie viel Fotofile nothwendig zu geben habe. Rev. Baker hat gewonnen Spiel: der große Coup ist ihm gelungen, denn Fotofile fällt zurück und bleibt stumm. Es folgen die Anderen alle, die in den Augen des gnädigen Rev. Baker’s nicht schlechter sein wollen: Paula Fusitua mit 400 Dollars Beitrag (sein ganzes Salair) und so herunter bis zum letzten Manne, Einer den Andern, alle zu Fanatismus aufgestachelt, unsinnig überbietend.

Als Rev. Baker wenige Tage darauf stillvergnügt den Staub von seinen Füßen schüttelte und der Insel ein: Auf Wiedersehen! zurief, da wußte Alles und Jedes dort, daß der genügsame Mann um 12,000 Dollars, ungefähr 48,000 Mark, reicher war, als da er dort ankam. Von einer Insel wie Niuafou, deren Einwohnerzahl, im Abnehmen begriffen, jetzt nicht 1100 Köpfe übersteigt, Erwachsene und Kinder beiderlei Geschlechts mitgerechnet, ist solche Einnahme geradezu enorm zu nennen; denn jene Zahl repräsentirt nur ungefähr 300 Steuerpflichtige!

Auf der Insel stellen sich gar bald die traurigen Folgen solcher übertriebenen Schenkungen ein; vorerst müssen die Eingeborenen den Copra schneiden, um damit ihre königlichen Abgaben zu bestreiten; darauf hat Jeder seinen Missionscopra zu schneiden, und dabei darf er nicht unterlassen, die Kirche vier Tage der Woche jeden Tag zwei Mal und Sonntags vier Mal zu besuchen, sonst wird er in’s Kirchenbuch notirt und ihm fährt ein Unglück auf’s Dach, und zwar in Gestalt von Geldstrafen. Woher aber soll er sich die Zeit nehmen, um Copra für seinen und [720] seiner Familie Unterhalt zu schneiden, wenn sich wirklich auch noch, was in den meisten Fällen kümmerlich genug bestellt ist, Cocosnüsse dafür vorfänden, oder um sein Haus und Feld zu bestellen? Es bleibt ihm keine Zeit dafür übrig, wie mir von den Eingeborenen schon so manchmal versichert worden ist und wovon ich auch genügend überzeugt bin; sein Yams- und Tarrofeld bleibt unbestellt liegen und er muß essen, was ihm eben in die Hand wächst. Das ist der Grund, warum auch nach und nach der große Ueberfluß an Schweinen und Geflügel von der Insel verschwunden ist; die Eingeborenen hatten eben nichts weiter zu essen, denn Brodfrucht wächst nicht überreichlich und nur zu einer gewissen Jahreszeit auf der Insel.

So lange die Cocosnußbäume das erforderliche Quantum Nüsse hergeben können, werden die Eingeborenen der Insel nicht verhungern, aber schon jetzt müssen sie, um den sich lawinenartig steigernden Forderungen ihrer Seelsorger nachkommen zu können, die halbreifen Nüsse von den Bäumen herunterreißen; sonst wurde keine Nuß angerührt, ehe sie von selbst vom Baume fiel. Lange kann es nicht mehr so fortgehen. Die Bewohner der reichen, einst so blühenden Insel werden bittere Noth leiden, und wer trägt dann die Schuld daran? Die Missionäre, die unter dem Deckmantel der Christuslehre, unter dem in alle Welt ausgeschrieenen Vorwande, die Seelen der armen unwissenden Eingeborenen retten zu wollen, ihr leibliches Wohl so schamlos untergraben.

Ueber Leben und Treiben der Missionäre auf den Südsee-Inseln könnten Bücher geschrieben werden, Niuafou ist nur eine von den Inseln, wie sie zu Hunderten in der Südsee unter solchem geistlichen Druck verbluten; zu hoffen bleibt, daß die unabwehrbare Civilisation auch hier im Kampfe mit einem habsüchtigen Priesterthum über kurz oder lang endlich doch den Sieg davon tragen, und dem gutmüthigen Eingeborenen, welchem Hab- und Gewinnsucht unbekannte Leidenschaften waren, für das zum Himmel schreiende, gegen ihn in Anwendung gebrachte Erpressungssystem die Augen öffnen wird.

Ist es zu verwundern, wenn zuweilen die Eingeborenen von Niuafou selbst nicht die verzweifeltsten Mittel scheuen, um solcher geistlichen Knechtschaft zu entrinnen? Ich habe mehr als einmal den Fall erlebt, daß sich Eingeborene in ihren gebrechlichen Canoes den Wellen preisgegeben haben, um womöglich von Wind und Strömung nach irgend einer andern Insel verschlagen zu werden. Aber wie vielen gelang es, eine rettende Küste zu erlangen? Wohl nur wenigen!


  1. Kawa-Getränk wird aus Kawa-Wurzel (Piper mysticum) bereitet, indem die Eingeborenen die Wurzel kauen. Das Gekaute wird mit Wasser gemengt und, nachdem es durchgesiebt, in Cocosnußschalen zum Trinken verabreicht; das Getränk hat eine berauschende Wirkung.
  2. Copra ist der zerschnittene, an der Sonne getrocknete Kern der Cocosnuß, aus welcher das Cocosnußöl gepreßt wird, das in unseren Tagen ein bedeutender Handelsartikel ist.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Cocusnuß-