Die Heimath in der neuen Welt/Zweiter Band/Vierundzwanzigster Brief

Dreiundzwanzigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Zweiter Band
von Fredrika Bremer
Fünfundzwanzigster Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band
Untertitel: Vierundzwanzigster Brief
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Andra delen.
Originalsubtitel: Tjugondefjerde brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Vierundzwanzigster Brief.
Chicago (Illinois), den 15. Sept. 1850. 

Hier auf dem südöstlichen Ufer des Michigansees sitzt jetzt Deine Schwester, meine liebe Agathe; aber nicht auf dem sandigen Strand, sondern in einer schönen und in italienischem Styl erbauten Villa, mit korinthischen Säulen, umgeben mit schönen Bäumen und Blumen.

Auf dem Markt in Buffalo, mitten unter Pferden, Wagen und Menschen, die handeln, wandeln und da und dorthin reisen, mitten unter Koffern und Bagage aller Art, im Gedräng und in der Hast verabschiedete ich mich von meinen jungen Freunden, die mir beinah wie Geschwister lieb und nah geworden. Wir hatten weder Zeit noch Raum, viele Worte zu sagen. Die Eisenbahn, welche sie entführen sollte, stand mit rauchendem Eisenpferd da; — die Eisenbahn, das eiserne Pferd, die eiserne Nothwendigkeit war da; warme Herzen hatten keine Zeit und keine Sprache; und so küßten wir uns still und innig, und trennten uns — vielleicht auf ewig. Lowells gedenken im nächsten Jahr nach Italien zu reisen.

Ich sah sie nicht mehr, und wurde aus dem Gedräng auf dem Markt in’s Hotel zurückgeführt von einem alten Ehrenmann, unter dessen Schutz ich meine Reise fortsetzen sollte, einem Richter Bond, der mich am Niagara aufgesucht und von Mr. Ellesworth einen Empfehlungsbrief an mich hatte.

Der kräftige, noch ganz jugendliche alte Herr gehörte zu den ältesten „Pionieren“ im Westland, war bei der Anlegung mehrerer, seither emporblühenden Städte, wie Rochester, Lockport u. s. w. mitthätig gewesen, und war jetzt wohl zu Haus in der ganzen Gegend, durch die wir fahren sollten, bis zum See Michigan; schon deßhalb und darum, weil er ganz augenscheinlich ein guter und herzlicher Mann ist, war ich sehr froh, ihn zum Gesellschafter zu haben.

Im Hotel in Buffalo wurde ich von einigen neuen Bekannten mit den alten langweiligen Fragen gequält: „Wie gefällt es Ihnen in Amerika?“ — „Wie gefallen Ihnen die Staaten?“ — „Entspricht Buffalo Ihren Erwartungen?“ auf welche letztere Frage ich antwortete, daß ich von Buffalo nichts erwartet habe. Ich muß auch sagen, daß mir die Stadt als eine der unlieblichsten erschien, die ich noch bis jetzt in Amerika gesehen habe; „Business“ (Geschäft) scheint mir das[WS 1] vornehmste Leben und der hauptsächlichste Charakter darin zu sein. Aber es ist wahr, daß ich nicht viel von Buffalo sehen konnte.

Gegen Abend ging ich an Bord des „Ocean“ eines stattlichen, dreieckigen Dampfboots[WS 2], das mich über den Eriesee führte, dessen Wellen oft sehr gefährlich und stürmisch sind, jetzt aber gleich Najaden im Sonnenschein spielten.

„Der Erie“ (sagt ein französischer Beschreiber der Gegend, Mr. Bouchette) „kann als der große Centralbehälter betrachtet werden, aus welchem sich auf allen Seiten Kanäle öffnen, so daß die Schiffe von hier aus nach allen Theilen im Land kommen können bis zum atlantischen Ocean im Osten und Norden, bis zu dem Südmeer und den Südländern, um Produkte aus allen Ländern und Himmelsgegenden zu sammeln.“

Ueber den Erie gehen die Emigranten aus allen Nationen, die jetzt westlich von den großen Binnenseen ihre Kolonieen errichten. Aber für viele von ihnen wird der Erie ein Grab. Neuerdings fing auf dem Erie ein mit Emigrirten (meistens Deutschen) angefülltes Schiff Feuer und Hunderte der armen Auswanderer fanden ihr Grab in den Wogen. Unter denen, die todt herausgezogen wurden, befanden sich 7 oder 8 Paare, die einander umarmt hielten. Der Tod hatte sie nicht zu trennen vermocht. Die Liebe war stärker als der Tod. Der Steuermann blieb am Steuer stehen, das Schiff gegen das Land hin lenkend, bis die Flammen seine Hände verbrannten. Die Gleichgiltigkeit des Kapitäns soll das Unglück verschuldet haben. Auch er ging zu Grund. Nur 30—40 retteten sich.

Für mich war die Fahrt über den Erie wie ein sonnbeglänztes Fest auf dem prächtigen Dampfboot, wo auch ein Klavier zu den Möbeln des Salons gehörte, und wo der artige Kapitän aufs Freundlichste für mich sorgte. Mein alter Pionier erzählte mir Verschiedenes aus seinem Leben, seine religiöse Bekehrung, seine erste und letzte Liebe; diese war ganz frisch. Der Greis bekannte, daß er sich in die „Yankee-Dame“, Maria Lowell, halb verliebt habe. Ich wundere mich nicht darüber. Das bewies mir, daß er guten Geschmack hat. Ueberhaupt bekannte sich der Alte als großen Liebhaber der Frauenzimmer.

Nachmittags 4 Uhr (NB. einen Tag nach demjenigen, wo wir an Bord gingen) waren wir in Detroit, einer Stadt, die zuerst von Franzosen angelegt wurde, auf dem schmalen Sund zwischen dem Erie- und St. Clair-See, welcher Michigan von Canada trennt. Von dem Fahrzeug aus scheint die Küste mit kleinen Höfen bebaut auf regelmäßig abgetheilten und bepflanzten Landstücken. Das Land schien mir niedrig, mit wogenförmigen Hügeln und fruchtbar.

Detroit ist, wie auch Buffalo, eine Stadt mit überwiegendem Geschäftsleben, sieht jedoch schöner und freundlicher aus als Buffalo. Im Hotel traf ich einige lästige Frager, aber auch mehrere recht angenehme Menschen, mit denen man ganz gemüthlich und offen sprechen und die man in jeder Beziehung lieb gewinnen konnte. Unter ihnen erinnere ich mich besonders des episkopalen Bischofs in Michigan, eines offenen, freundlichen und denkenden Mannes, sowie einer Mutter mit ihren zwei Töchtern. Ich konnte da einige herzliche Worte wechseln, Worte aus des Lebens ernstestem Grund, und so etwas thut mir wohl. Die Bevölkerung in Detroit war übrigens mit ihrer Stadt und ihrem Leben allda wohl zufrieden, zufrieden auch mit sich selbst und mit einander. Und dieß scheint mir das Verhältniß an den meisten Orten, in die ich kam, hier im Westen zu sein.

Am folgenden Abend waren wir in „Anne-Arbour“, einem schönen, ländlichen Städtchen. Auch hier erhielt ich Besuch und mußte wie gewöhnlich ein Verhör ausstehen. Mein alter Pionier liebt es nicht incognito zu reisen, sondern will, daß die Leute von den Leuten wissen sollen, und kann nicht begreifen, daß man auch müde werden und Ruhe vor Vorstellungen und Fragen bedürfen könne. Auch in „Anne-Arbour“ waren die Leute sehr vergnügt mit sich, ihrer Stadt, ihrer Lage und ihrer Lebensweise. Die Stadt hat ihren Namen von dem Umstand, daß, als die ersten Kolonisten hieher kamen, sie vornehmlich aus einer Familie bestanden; und während der Wald ausgerottet und die Erde gepflügt wurde, hatten die Arbeiter keine andere Wohnung als eine zeltartige Hütte von Laub und Lehm, wo die Familienmutter „Anna“ die Speisen kochte und für das Gedeihen Aller sorgte. Da war der Familienherd, da war der ruhige Hafen, wo alle Arbeiter in Mutter Anna’s Schutz Ruhe und Erfrischung fanden. Deßhalb wurde das Zelt „Anne-Arbour“ (Anna’s-Hafen) genannt, und die Stadt, die allmählig um das Zelt herum anwuchs, behielt den Namen. Mit seinen zierlichen Häusern und Gärten auf grünen Hügeln und Abhängen sah das Städtchen auch wie ein freundlicher und friedvoller Hafen aus.

Wir blieben die Nacht über in Anne-Arbour. Am nächsten Morgen reisten wir auf der Eisenbahn ab und fuhren quer über den Staat in die Halbinsel Michigan. Ueberall unterwegs sah ich kleine Farmen, wohl bebaut, von gut bestellter Erde umgeben, Aecker mit Waizen und Mais, wie auch Obstgärten mit Apfel- und Pfirsichbäumen. In milderen Gegenden glänzte der Boden von allerlei blauen Blumen, an deren näherer Betrachtung ich durch die hastige Fahrt verhindert wurde, sowie von hohen Sonnenblumen, mit Kronen so groß, wie an jungen Bäumen. Dieß war recht hübsch und anmuthig. Mein alter Pionier sagte mir, daß er nirgends einen so großen Reichthum an hübschen Blumen gesehen habe, wie in Michigan, besonders in älterer Zeit, wo der Boden überall Wildniß war. Der Staat ist einer der jüngsten in der Union, hat aber ein fruchtbares Erdreich, besonders gut für den Weizenbau, und ist in starkem Wachsthum begriffen. Seine Gesetzgebung ist eine der liberalsten und hat aus ihrem Strafcodex die Todesstrafe verbannt. Aber ich hörte von Verbrechen erzählen, die neuerdings im Staat begangen wurden und welche die Todesstrafe oder lebenslängliches Gefängniß wohl verdient hätten, wenn irgend ein Verbrechen dieß verdient. Ein junger Mann aus einer angesehenen Familie in Detroit hatte auf der Jagd heimlich und zu wiederholten Malen auf einen andern jungen Mann (seinen besten Freund) geschossen, blos um sich seiner Banknoten bemächtigen zu können. Er wurde wegen Mordversuchs, den er auch eingestand, blos zu zwanzigjährigem Gefängniß verurtheilt. In dem Gefängniß wurde er von jungen Damen besucht, die ihn Französisch und Guitarrespielen lehrten. Eine von ihnen war mit auf dem Eisenbahnzug. Sie sprach von dem einnehmenden Wesen des jungen Gefangenen. Es gibt eine Milde gegen das Verbrechen und den Verbrecher, die widerlich ist und von Schlaffheit der moralischen Gefühle zeugt.

Das Wetter war den ganzen Tag herrlich. Die Sonne ging vor uns im Westen unter. Wir fuhren gerade gegen die Sonne zu, und je näher sie gegen die Erde herabsank, um so höher glühte der Abendhimmel wie vom hellsten Gold. Das Erdreich war auf dem ganzen Wege niedrig und einförmig. Da und dort ein kleiner schöner Waldstrom; da und dort am Wald kleine Blockhäuser, und daneben auch der eine und andere hölzerne Laden, an welchem ein Brettchen befestigt war, auf dem man in weißen halbellenlangen Buchstaben das Wort „Spezereiladen“ las. Die urbaren Gegenden waren überall regelmäßig eingetheilt und mit Farms bebaut, die unsern bessern Bauernhöfen gleichen. Die Kolonisten im Westen kaufen Ackerland von 80 bis 160 und auch 200 Morgen, selten mehr. Das Land kostet in der ersten Hand (was man den „Regierungspreis“ nennt) 1¼ Dollar der Morgen, und kann bei gutem Anbau binnen wenigen Jahren reichliche Erndten geben. Die Farmers hier arbeiten tüchtig, leben begnügsam, aber gut, und erziehen tüchtige Kinder, die aber selten beim Geschäft ihrer Eltern bleiben. Sie werden in die Schulen geschickt und suchen dann höher im Staatsleben emporzukommen. Diese kleinen Farms sind Pflanzschulen, aus denen die nordwestlichen Staaten ihre besten Beamten, Lehrer und Lehrerinnen beziehen. Ein kräftiges, gutmüthiges und arbeitsames Geschlecht wächst hier empor. Manche Aufklärung in dieser Beziehung erhielt ich von meinem alten Pionier, der mit seinem gottesfürchtigen Gemüth, seiner rastlosen Thätigkeit, seiner Menschenliebe und seinen vielfachen Kenntnissen, seinem noch im Alter jugendwarmen Herzen ein guter Typus für die ersten Bebauer der Wildniß und die ersten Gesetzgeber in diesem Land bildete. Er verließ mich unterwegs, um sich in seine Heimath, nach dem Städtchen Niles zu begeben.

In Gesellschaft eines freundlichen Mr. Hunt und seiner angenehmen Schwägerin bestieg ich das Dampfboot, um auf dem Michigansee zu fahren. Die Sonne war jetzt untergegangen, aber der Abendhimmel brannte im hellsten Purpur über dem meergleichen See. Bei seinem Schein und dem Licht des Neumonds fuhren wir ab. Es war die schönste, stillste Nacht. Das Wasser war spiegelglatt.

Am Morgen, den 13. September, sah ich die Sonne über Chicago leuchten. Ich hatte erwartet, in Chicago von Freunden empfangen zu werden, die mich da zur Hand nehmen würden. Aber Niemand kam. Ich erfuhr, daß diejenigen, die mich erwartet hatten, jetzt fort waren. Kein Wunder, da ich zwei Monate über die festgesetzte Zeit ausgeblieben war. Ich fand mich jetzt ganz allein mitten in dem großen unbekannten Westen. Einige kleine Widerwärtigkeiten mit meinem Gepäck trugen auch dazu bei mich in eine minder behagliche Stimmung zu versetzen. Aber just als ich ganz allein auf dem Verdeck stand (meine freundlichen neuen Bekannten hatten das Dampfboot früher verlassen), so wandelte mich eine innige Freude an. Ich fühlte, daß ich nicht allein war; ich fühlte mich frisch an Seele und Leib; die Sonne war auch da, und ein so inniger Jubel über ihren Schöpfer und über den Schutz, den ich gefunden, erfüllte mich, daß ich mich glücklich pries, mich in einem einsamen Zimmer in einem Hotel der Stadt einschließen zu können, um allda mit meiner Freude allein zu sein.

Aber meine Einsamkeit währte nicht lange. Schöne freundliche Menschen kamen zu mir, boten mir Haus und Wohnung, Freundschaft und alles. Gute an, und Alles in Chicago wurde Sonnenschein für mich.

Am Abend befand ich mich in der schönen Villa, wo ich Dir jetzt schreibe, und in der schönen Nacht erklang in dem mondscheinbeglänzten Garten eine Serenade nach der bekannten Melodie: „Einsam bin ich, nicht alleine.“ Es war ein Gruß von Deutschen in der Stadt.

Den 17. Sept.  

Die Prärien! Ein Anblick, den ich nie vergessen werde.

Chicago liegt im Prärienland, und der ganze Staat Illinois ist eine große rollende Prärie (d. h. ebenes Land mit niedrigen, wogenden Höhen), aber eine eigentliche Prärie findet sich erst 18 Meilen von der Stadt. Meine neuen Freunde wollten mich einen Tag Prärienleben mitmachen lassen. Wir fuhren am frühen Morgen aus, 3 Familien in 4 Wägen. Unser Pionier, ein brauner, schöner Jäger, fuhr voraus mit seinen Hunden, und schoß unterwegs, wo wir Halt machten, das eine und andere Prärien-Huhn im Fluge. Der Tag war herrlich, der Himmel vom hellsten Blau, die Sonne vom reinsten Gold, die Luft lebensvoll, aber ruhig, und hier in dem strahlenden Licht streckte sich weit, weit hinaus ins Unendliche, soweit das Auge reichen konnte, ein oceanartiger Raum, dessen Wogen Sonnenblumen, Astern und Genzianen waren. Der Boden glänzte von ihnen, besonders von den Sonnenblumen, die oft mehr als 4 Fuß hoch waren und ihre Kronen hoch über den Köpfen unserer größten Herren neigten.

Wir verzehrten unser Mittagsmahl in einem kleinen Hain, der gleich einem grünen Gebüsch auf dem waldlosen Blumenfeld lag. Er war auf einer Erhöhung des Bodens und von da aus zog sich die Prärie sanft wogend gegen den Horizont hinab. Da und dort in diesem Raum erhoben sich kleine Blockhäuser. Sie glichen kleinen Vogelnestern, die auf dem Ocean schwimmen. Da und dort hatte man auch Heu gemäht. Es sah aus wie Kinderversuche und Kinderspiele. Die sonnbeglänzte Erde lag hier noch in ihrer ursprünglichen Größe und Pracht, unbezwungen von Menschenhänden, mit ihren Blumen bedeckt, beobachtet, bewacht allein von der Sonne Auge. Und die Sonnenblumen nickten und winkten leuchtend im Wind, als wollten sie Millionen von Wesen zum Festmahl am reichen Tische der Erde einladen. Für mich war es ein Lichtfest. Es war ein wahrhaft großer und herrlicher Anblick, für mich ungewöhnlicher und belebender, als selbst der Niagara.

Der braune Jäger, ein Mann von wenig Worten, aber sichtlich starken Gefühlen, stützte sich auf seine Büchse und sagte langsam: „Hier stehe ich oft ganze Stunden und blicke in die Schöpfung hinein …“ Wohl mag er das thun! Diese Landschaft gleicht einer Extase des Naturlebens. Sie badet im Licht, sie ruht glückselig im Schooß des Lichts. Die Sonnenblumen lobsingen der Sonne.

Ich ging in dem Hain umher und pflückte Blumen. Die Astern reichen mir über den Kopf. Beinah alle Blumen, die jetzt die Prärie bedecken, gehören dem gleichen Geschlecht an, und unter ihnen sind die Solidagos und Helianthen die überwiegenden. Jeden Monat sollen sich die Prärien mit verschiedenen Blumenarten bedecken, im Frühling mit weißen, sodann mit blauen, jetzt meistens mit gelben. Wir blieben den ganzen Tag außen in der Prärie, bis wir die Sonne in ihr Bett von Sonnenblumen untersinken sahen.

Den Tag über besuchten wir eines der Blockhäuser auf dem Feld. Eine angenehme ältere Frau war daheim. Die Männer waren draußen auf der Heuerndte. Das Haus war ein Jahr alt und ziemlich den Winden ausgesetzt, aber drinnen war es sauber und ordentlich, wie gewöhnlich wo Amerikanerinnen wohnen. Ich fragte die gute Frau, wie es ihr in der Einsamkeit der großen Prärie gefalle? Sie langweilte sich. „Es sei so einförmig.“ Ja, ja. Es ist ein großer Unterschied, diesen Himmelsraum und diese Erde blos einen Tag oder ein ganzes Jahr zu sehen. Aber ich wollte es ein Jahr lang versuchen.

Wir sahen nicht eine einzige Wolke an diesem Tag und verspürten keinen Windhauch. Aber die Luft war dennoch ebenso frisch als lieblich. Der indianische Sommer beginnt bald. Das ganze Prärienfest war wolkenfrei, bis auf den kleinen Umstand, daß die Büchse des Jägers los ging und eines unserer Pferde ins Ohr schoß, und daß ein Wagenrad zerbrach; aber dieß war gegen das Ende der Fahrt; man nahm den kleinen Unfall munter hin und ließ sich durchaus nicht davon stören.




Chicago, den 22. Sept.  

In der herzlich angenehmen Familie, wo ich jetzt meine Heimath habe, bei Mr. und Mrs. Kinzie, bekomme ich viel von den Indianern zu hören. Mr. Kinzie ist der Regierungsagent für Unterhandlungen mit den indianischen Stämmen in den nordwestlichen Staaten, und ist mit seiner Familie einer der ersten Ansiedler in der Wildniß dahier gewesen. Mrs. Kinzie, die leicht und gut schreibt, hat schriftlich mehrere Ereignisse aus dem Leben der ersten Kolonisten und ihren Kämpfen mit den Indianern aufbewahrt, Dinge, die sich zum Theil in ihrer eigenen Familie zutrugen; und die Lesung oder Erzählung dieser Geschichten ist eine der vornehmsten Vergnügungen des Abends. Einige davon sind in hohem Grade interessant. Sie enthalten mehrere grausame und schreckliche, aber auch oft rührend schöne, und zuweilen recht komische Auftritte.

Stoff zum schönsten Drama könnte die Geschichte von der Gefangenschaft und Freilassung der Mutter Mr. Kinzies werden. Ich weiß nichts Dramatischeres, als zuerst die entsetzlichen Scenen, die sich an den Raub des kleinen Mädchens schließen, sodann die Neigung des Indianerhäuptlings für das Kind, die zunehmende Liebe, deren Gegenstand sie wird, während sie in seinem Zelt aufwächst und von dem wilden Stamm die weiße Lilie genannt wird; die Episode mit dem Mordversuch der eifersüchtigen Frau des Häuptlings gegen das Mädchen, und endlich den Augenblick, wo der Häuptling, nachdem er mehrere Jahre alle Unterhandlungen und Geschenke von Seiten der Eltern und der weißen Regierung, welche das Kind wieder bekommen wollte, abgewiesen, endlich ihren Bitten nachgibt und eine Zusammenkunft zwischen der Mutter und dem Kinde bewilligt, aber mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß sie nicht verlangen soll es wieder zu bekommen, und wie er sich dann am Zusammenkunftsort mit seinen Kriegern in ihrer Rüstung einfindet, allein, trotz der Vorstellungen derselben, über den kleinen Strom reitet, der das Lager der Weißen von dem der Indianer trennt, wie er Kind und Mutter mit Thränen einander in die Arme stürzen sieht, von diesem Anblick überwältigt Halt macht, mit dem Ausruf: „die Mutter muß ihr Kind haben!“ umwendet, über den Strom zurückreitet und sich mit seinem Volk fortbegibt, ohne einen Blick zurück auf den Liebling seines Herzens zu werfen, die „weiße Lilie,“ die jetzt in ihrem fünfzehnten Jahr zu den Ihrigen zurückkam.

Ich hoffe, Mrs. Kinzie wird eines Tags diese schönen Erzählungen, wie noch mehrere andere, die ich an diesen Abenden gehört habe, veröffentlichen. Das Gemetzel in Chicago gehört zu den grauenhaftesten unter ihnen, und noch sieht man in Chicago frische Spuren davon. Doch wird auch diese Geschichte von einer menschlichen Handlung verschönt.

Des Indianerhäuptlings Fyrabent Freiwerbung für seine Tochter bei meinem edeln, gentlemännischen Wirth und die Ankunft der dicken Miß Fyrabent auf ihren Büffelhäuten nach der Stadt, wo sie jedoch von dem beabsichtigten Gatten mit Protest zurückgewiesen wird, gehört zu der komischen Indianer-Kronik. Im Uebrigen hat der sanfte, feine Mr. Kinzie, wie mehrere, die viel mit den Indianern gelebt haben, eine wahre Ergebenheit für dieselben, und scheint ein offeneres Auge für die Tugenden als für die Fehler zu haben, welche dieses wunderliche Volk kennzeichnen. Kinzies haben lange in Minnesota gewohnt, und sind erst in den letzteren Jahren nach Chicago in Illinois gezogen, wo sie jetzt ein schönes Haus mit einem großen Garten besitzen.

Chicago ist eine der unangenehmsten und garstigsten Städte, die ich noch in Amerika gesehen habe, und verdient ihren Namen „Königin der Binnenseen“ ganz und gar nicht. Denn so wie sie da am Ufer des Sees in grobem Negligé sitzt, gleicht sie mehr einer Trödlerin als einer Königin. Gewiß ist, daß die Stadt meist aus Kaufbuden zu bestehen scheint. Man sieht beinahe kein schönes Landhaus mit Gärten in oder außer der Stadt — was sonst in amerikanischen Städten so gewöhnlich ist — und auf den Straßen meistens Bretterhäuser auf bretterbelegten oder breiten, sonnigen Straßen ohne Bretter. Und man sieht es an Allem, daß die Leute hieherkommen, um zu handeln, um Geld zu machen, nicht aber um zu leben. Gleichwohl habe ich hier in Chicago einige der angenehmsten, einnehmendsten Menschen kennen gelernt, die ich irgendwo auf Erden gesehen habe; gute, schöne, geistreiche Menschen, mit denen sichs gut leben und sprechen läßt, Menschen, die man liebhaben kann, sowohl Männer als Frauen, Menschen, die nicht Hunderte von Fragen an den fremden Gast stellen, sondern ihm Gelegenheit verschaffen Alles was er wünschen kann selbst auf die angenehmste Weise zu sehen und zu erfahren; wahrhaft seltene Menschen! Und überdieß Menschen, die nicht so entsetzlich mit sich und ihrer Welt, mit ihrer Stadt und ihrem Land zufrieden sind, wie sonst die Menschen in den Städtchen hier, sondern die auch die Mängel sehen, davon sprechen und es ertragen können, auch Andere davon sprechen zu hören.

Heute (auch gestern schon) bläst hier ein heißer Wind, von dem ich mir vorstelle, daß er dem italienischen Sirocco gleicht. Man wird ganz schachmatt davon, und die Luft in Chicago ist eine Staubwolke.

Den 23. Sept.   

Aber am Abend, wenn die Sonne untergeht und der Wind ruhig ist, da suche ich von irgend einem höheren Punkt in der Stadt aus den Sonnenuntergang über dem Prärienland zu sehen, denn er ist schön. Und bei dem Anblick dieser Sommerpracht kommen melancholische Gedanken. In diesem sonnenbeglänzten Westland sehe ich Tausende von Buden und Tausende von Handelsleuten, aber keinen Sonnentempel und keine Verehrer der Sonne und der ewigen Schönheit. Waren die Peruaner von edlerer Bildung als diese? Hatten sie höhere Gesinnungen? Waren sie mehr Kinder des Lichts als das gegenwärtige Geschlecht, welches das Westland der neuen Welt bebaut? …

Den 24. Sept.   

Von einigen angenehmen Schweden, die hier ansässig sind, muß ich Dir ein wenig erzählen. Es sind der Kapitän Schneidau und seine Frau, Herr Unonius (jetzt Geistlicher der schwedischen Gemeinde in der Umgegend) und seine Frau. Sie gehörten zu den ersten schwedischen Auswanderern, die sich an den schönen Binnensee Pine Lake in Wisconsin niederließen, und daselbst ein arkadisches Hirtenleben zu begründen und zu führen gedachten. Aber ach, sie fanden das Gegentheil eines arkadischen Lebens. Die Gegend war schwedisch schön, aber der Boden größtentheils nicht gut. Die schwedischen Herrschaften, die hier Anbauer und Kolonisten der Wildniß zu werden gedachten, hatten sich in Beziehung auf die Arbeit und ihre Arbeitskräfte verrechnet. Dazu brachten sie die schwedische Liebhaberei für gegenseitige Bewirthung und munteres Leben mit sich, ohne genau zu bedenken, wie lange es reichen könne. Jede Familie errichtete eine nothdürftige Wohnung für sich, und lud dann ihre Nachbarn zum Schmauß ein. Sie hatten Weihnachtsfeste und Johannistänze. Aber die Ernten des ersten Jahres schlugen fehl. Die schwach bebaute Erde wollte keine reiche Ernten liefern. Dann kam ein strenger Winter mit Schnee und Sturm, und die schnellgebauten Häuser gaben schlechten Schutz; so kamen Krankheiten, Unglücksfälle, Arbeitsmangel, Geldmangel, alle Arten von Mangel. Es ist beinahe unglaublich, welche Leiden einige dieser Colonisten durchzumachen hatten. Beinahe alle gingen als Farmer unter, aber einige halfen sich und ihren Familien dadurch auf, daß sie zu Handwerken griffen, und sich als Schuhmacher und Schneider einen Verdienst verschafften, den sie durch Ackerbau nicht zu gewinnen vermochten. Es gereicht ihnen zur Ehre, daß sie in ihrer tiefen Noth redlich arbeiteten und mit geduldigem Muth viel ertrugen, ohne zu klagen, und daß es ihnen gelungen ist sich emporzuarbeiten. Sie wurden auch von der Bevölkerung des Landes, als man ihre Lage erfuhr, nicht im Stich gelassen. Margaret Fuller (später Marquise Ossoli) machte eine Reise in die westlichen Staaten in Begleitung von Mrs. Clarke, der Mutter der riesigen Söhne. Der Zufall führte sie zu den Kolonisten am Pine Lake. Der Kapitän Schneidau saß da auf seinem Krankenbett mit einem schweren Beinschaden, den er seit mehreren Monaten hatte. Seine schöne junge Frau hatte während des strengen Winters die gröbsten Geschäfte besorgen müssen und ihr erstes Kind im Bett erfrieren gesehen, in der Stube, wo Schnee und Regen hereinstöberten. Und sie waren mitten in der Wildniß allein. Sie hatten keine Mittel sich Hülfe anzuschaffen, die in diesen Gegenden so unendlich theuer war. Die Magd, die sie kurze Zeit gehabt, hatte sie verlassen, und ihre Nachbarn waren auf lange Zeit fort, oder selbst von ähnlicher Noth darniedergedrückt. Da kamen die zwei Damen von Boston.

M. Fuller schildert den Besuch in ihrem „Sommer an den Seen“ mit folgenden Worten:

„Im innern Zimmer saß der Herr des Hauses; er hatte lange Zeit da gesessen, denn er hatte an Bord des Schiffes, das ihn hieher brachte, seinen Fuß beschädigt, und er mußte seine Felder durch Fremde bestellen lassen. Seine schöne junge Frau war seine einzige Pflegerin und Wärterin, wie sie auch dem ganzen Hofe vorstand. Wie gut sie diese für sie ungewohnten Geschäfte besorgte, sah man an den Gegenständen ihrer Vorsorge. Alles zum Hause Gehörige war, obschon grob und dürftig, doch auf die netteste Weise geordnet. Der Invalide, der in einem unbequemen Holzstuhl saß (sie hatte Niemand dazu bringen können, ihr einen bequemern aus der Stadt zu holen) sah so elegant und wohlgekleidet aus, als würde seine Toilette von einem herzoglichen Kammerdiener besorgt. Er war von nordischem Blut, mit großen, hellen, blauen Augen, ruhigen Gesichtszügen, in seiner Miene eine Mischung von Militär, Student und Weltmann. Er kontrastirte stark, aber auf angenehme Weise mit seiner Frau, deren warmer Teint und dunkles, weiches Auge von der Abkunft aus einem Land zeugte, das mit der Sonne besser bekannt ist. Er sah aus, als könnte er noch lange Zeit geduldig da sitzen und den Augenblick seiner Erlösung abwarten; sie sah aus, als könnte sie Alles um der Liebe willen ertragen, aber als müßte sie die ganze Schwere jedes einzelnen Augenblickes fühlen.“

„Als wir ein Album mit Gemälden und Versen sahen, die von einem Kreis anhänglicher und fein gebildeter Freunde zeugten, welche sie im Vaterland zurückgelassen, so konnten wir nicht umhin uns zu sagen, daß die junge Frau hier eine Schwester und der Mann einen Freund bedürfen mußte, um ihre Einsamkeit durch den Umgang mit gleichgestimmten Seelen zu beleben …“

„Ich habe für diese Ausländer ganz andere Gefühle, als für eingeborene Amerikaner. Die amerikanischen Männer und Frauen verdienen keine Entschuldigung, wenn sie ihre Kinder nicht so erziehen, daß sie mit den Widerwärtigkeiten des Lebens kämpfen können. Es ist die Bestimmung unseres Sternes, daß hier, gleich wie alle Menschen frei und gleich sind, alle auch den Prüfungen des freien Lebens gewachsen sein, und durch Vertrauen auf eigene Kraft von den Winden und Wogen auf dem Strom des Lebens unabhängig gemacht werden müssen. Aber Europas Stern hat ein anderes Horoscop, u. s. w.“

Was M. Fuller nicht erzählt, was ich aber hier zu hören bekommen habe, das ist der thatkräftige Edelmuth, mit welchem sie und ihre Freunde sich der unglücklichen Schweden annahmen und nach einiger Zeit eine vollständige Veränderung in ihrem Schicksal zu Stand brachten. Aus dem einsamen Hof im Wald zogen sie nach Chicago. Schneidau erhielt eine geschickte ärztliche Pflege, wurde gesund, und ist in diesem Augenblick der geschickteste Daguerreotypist, der sich wahrscheinlich in ganz Illinois vorfindet, was ihm ein bedeutendes Geld einträgt. Er ist in diesen Tagen aus Neu-York zurückgekommen, wo er ein großes und vortreffliches Daguerreotype von Jenny Lind gemacht hat. Er ist hier allgemein beliebt. Seine lebhafte, schöne Frau erzählt jetzt lachend und weinend zugleich die Ereignisse während ihres Lebens in der Wüste in einer köstlichen Mischsprache von Schwedisch und Englisch. Unonius und seine Frau zogen ebenfalls in bessern Umständen als früher hieher.

Unonius befindet sich in New-York, um Mamsell Lind seine Aufwartung zu machen und von ihr Geld zur Vollendung der lutherischen Kirche in Chicago zu erhalten. Ich verbrachte einen Abend bei seiner Frau. Das heitere, muthige Mädchen, von dem ich erzählen hörte, als sie sich in Upsala vermählte, um nach der neuen Welt hinüberzureisen, hatte harte Prüfungen durch Krankheit, Noth und Kummer überstanden. Vier Kinder hatte sie zur Ruhe in der fremden Erde niederlegen müssen. Es blieb ihr nur noch ein Knabe übrig. Sie war noch hübsch und jung, aber die Freude — sie war verschwunden. Der frische Muth hatte sich in stille Geduld verwandelt. Sie hatte jetzt ein kleines, neugebautes Haus (in einer gesunden Gegend, als wo sie früher gewohnt) ganz nah bei dem lutherischen Kirchlein. Dieses war recht zierlich, aber immer noch unvollendet. Hier sah ich ein Häuflein von etlichen und dreißig schwedischen und norwegischen Kindern zum religiösen Unterrichte versammelt: freundliche, helle, blauäugige Gesichtchen! Sie waren zum größern Theil Kinder von Leuten in geringen Lebensverhältnissen, und wohnten um die Stadt her auf kleinen Höfen. In der Schule lernten sie ihre Muttersprache, wie auch englisch, Lesen, und Schreiben. Hier sind sehr wenig Schweden ansässig. In Millwaukie und Umgegend, in Wisconsin befinden sich mehr.

Von Schneidau und seiner Frau erfuhr ich viel über Erik Janson und die Ereignisse, die seinen Tod veranlaßten, aber ich spare die Erzählung derselben bis auf unser Zusammentreffen auf. Ein räthselhafter Charakter scheint der Mann gewesen zu sein, halb Betrüger und halb betrogen von sich selbst oder seinem Dämon.

Eines Abends, als ich Schneidau besuchte, sah ich meine „Schöne von Baltimore,“ ein hübsches, stilles, junges Mädchen, dem Schlag Weiber angehörig, welche die schönsten Thaten verrichten können, ohne zu ahnen, daß sie etwas Gutes thun. Sie sind selbst moralische Schönheiten und folgen ihrer Natur wie die Blume der ihrigen folgt.

Deutsche finden sich in Menge in Chicago, besonders Kaufleute und Handwerker. Die Stadt ist blos zwanzig Jahre alt, und in dieser Zeit bis zu einer Stadt von fünfundzwanzigtausend Seelen herangewachsen. Ein ächtes „Baby“ des großen Westens, aber wie gesagt noch etwas ungeputzt. Hier ist jedoch eine Straße oder vielmehr eine Reihe von Häusern oder kleinen Villen am Ufer des Binnensees entlang, auf hohem Strand eine Straße, die ihrer Lage nach den Charakter von „highlife“ hat, und ihn gänz gewiß eines Tags erhalten wird. Denn hier sind bereits Leute aus verschiedenen Theilen der Erde, und diese werden einen guten Kern, eine frische, ächte Aristokratie ausmachen.

Chicago führt in seinem Wappen den Namen Gartenstadt. Und wenn das Prärienland um die Stadt her ein Garten wird, so wird sie auch eine Rechtfertigung für ihren poetischen Namen erhalten.

Helle, hohe Schulhäuser habe ich auch hier gesehen, und die Schuljugend unter Leitung eines vortrefflichen Meisters vierstimmige Lieder singen hören, so daß es mich zu Thränen rührte. Und die Kinder, wie aufgeweckt, wie lernbegierig waren sie nicht! Hurrah! der Westen baut helle Lehrsäle, wo die Jugend fröhlich lernt und rein singt. Der Westen muß mit Ehren vorangehen.

Meine Freunde hier klagen über den chaotischen und unreinen Zustand in den politischen Verhältnissen, verursacht besonders durch die starke Einwanderung der rohsten Bevölkerung Europas, sowie durch die Leichtigkeit, womit diese das vollständige Bürgerrecht erhalten können. Nach einjähriger Niederlassung im Staat erhält der Einwanderer das Staatsrecht daselbst, und nimmt an der Wahl der städtischen, sowie der Staatsbeamten Theil. Niedrig gesinnte, politische Agitatoren bedienen sich der Unwissenheit der Emigranten und wiegeln sie durch Vorspiegelungen zum Vortheil der Candidaten auf, welche sie voranschieben wollen, und von denen sie manchmal bezahlt sind. Die bessern und edlern Männer des Staats können sich nicht entschließen mit solchen Betrügern zu wetteifern, und halten sich daher zurück. Deßhalb kommen sehr oft nicht die besten Männer an die Spitze der Regierung. Die ehrgeizigen, kühnen Glücksritter gelangen leicht zum Amt, und sind sie einmal im Amt, so suchen sie sich durch alle möglichen Künste und Kniffe, welche der Volksmasse schmeicheln, zu behaupten und ihre Popularität beizubehalten. Die unwissende europäische Bevölkerung, welche glaubt, daß Könige und hohe Herrn alles Uebel in der Welt verschulden, stimmt für den Mann, der am lautesten gegen die Mächtigen schreit und ruft, daß er ein Mann des Volkes sei.

Auch darüber hörte ich klagen, daß die scandinavischen Auswanderer nicht selten mit dem Glauben hieher kommen, daß die Staatskirche und die Religion ein und dasselbe seien, und daß sie, wenn sie die erstere hinter sich gelassen, auch mit der letzteren nichts mehr zu schaffen haben. Der lange Gedankenzwang hat ihre Denkkraft bis zu diesem Grad abgestumpft. Und sie treten zuerst im Westen oft genug als Verläugner der Kirchengesellschaft und aller höheren Gesetze auf. Dieß ist natürlich genug bei Menschen, die nicht sehr ans Denken gewöhnt sind. Aber es ist ein Uebergangsmoment, der nicht lang währen kann in gesunden Gemüthern und in einem Welttheil, wo der Blick so klar und aufgeweckt ist für das, was das höchste Lebensprincip der Menschen und der Gesellschaft bildet.

Illinois ist ein junger Staat mit einer Million Einwohner soll aber auf seinem reichen Boden wenigstens zehn Millionen ernähren können. Das Klima ist jedoch nicht gut für europäische Auswanderer, die in den ersten Jahren hier von Fiebern und andern klimatischen Krankheiten leiden.

Morgen verlasse ich Chicago und reise über den Michigansee nach Millwaukie in Wisconsin. Ein angenehmer junger Mann ist gestern gekommen, um mich dahin abzuholen.

Ich bin blos wenige Tage in Chicago gewesen, und gleichwohl habe ich hier Menschen gesehen, mit denen ich gern mein ganzes Leben verbringen möchte.

Aber jetzt … diese Gefühle für liebenswürdige Menschen, die ich da und dort auf meiner Pilgerfahrt treffe, sind gleichsam „nächtliche Zelte,“ unter denen ich dankbar ausruhe.

Ich möchte gern länger verweilen, aber am nächsten Morgen muß ich aufbrechen und weiter fahren. Ich thue es mit einem Seufzer.

Lebt wohl, ihr freundlichen Menschen in einer unfreundlichen Stadt ! Habt Dank, warme Herzen in Chicago! …

N. S.

Jenny Lind ist in New-York mit amerikanischem Furore empfangen worden — dem unsinnigsten aller Unsinne. Die Versteigerung der Billete zu ihrem ersten Concert soll vierzigtausend Dollars eingetragen haben. Sie hat ihren ganzen Antheil an den Einkünften des ersten Concerts wohlthätigen Stiftungen in New-York zugewiesen. Dreihundert Ladies sollen sie täglich belagern, und Tausende von Menschen aus allen Klassen folgen ihrer Spur. Briefe an sie laufen täglich zu hunderten ein. Armes Mädchen! Herkules selbst würde unter dieser Mühe erliegen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: der
  2. Vorlage: Dampbfoots
Dreiundzwanzigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Zweiter Band
von Fredrika Bremer
Fünfundzwanzigster Brief
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