Die Heimath in der neuen Welt/Erster Band/An meine amerikanischen Freunde!

Textdaten
Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band
Untertitel: An meine amerikanischen Freunde!
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Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden
Originalsubtitel: Till Mina Amerikanska Vänner.
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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fertig
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Stockholm, im Mai 1853. 
An meine amerikanischen Freunde!

Diese Briefe sind in eurer Heimath geschrieben worden, während ich dort mit euch lebte wie eine Schwester mit ihren Geschwistern, im Norden, im Westen, im Süden eures großen Gebietes. Im vertraulichen Umgang mit euch sind sie zu Stande gekommen. Und ohne euch wären sie nicht geworden, was sie jetzt sind, denn ohne euch hätte ich die Heimath in der neuen Welt nicht kennen gelernt, hätte nicht aus den unverletzlichen Räumen des heimischen Herdes das Gesellschaftsleben draußen betrachten dürfen. Darum widme ich euch diese Briefe. Sie sollen euch Zeugniß bringen von mir und von meinem Leben unter euch.

Ihr sagtet zu mir: „Wir hoffen, daß Sie uns die Wahrheit sagen werden.“ Etwas Anderes wünschtet ihr nicht von mir. Was ihr gewünscht, habe ich zu erfüllen gesucht. Seid meine Richter!

Was ich in der neuen Welt gesehen und gefunden, habe ich in diesen Briefen niedergelegt. Sie sind zum größeren Theil Ergießungen eines Herzens in ein anderes Herz, aus eurer Heimath in die meinige in Schweden. Als ich sie schrieb, dachte ich nicht daran, sie im Druck herauszugeben, dachte nicht daran, ein Buch über Amerika zu schreiben, am allerwenigsten in diesen Briefen; und das sieht man ihnen auch deutlich genug an. Hätte ich daran gedacht, so wären sie anders geschrieben worden, weniger unmittelbar und kunstlos, mehr aufgeputzt und im Gesellschaftskleide; ob darum auch besser, weiß ich nicht. Ich war in Amerika zu sehr bedacht zu leben, als daß ich hätte daran denken können, über das Leben zu schreiben. Das Leben war übermächtig.

Der Gedanke, „Briefe über Amerika“ zu schreiben, entstand erst spät, nämlich als ich nahe daran war, das große Westland zu verlassen, und das Gefühl immer mächtiger in mir wurde, daß das, was ich auf meinen zweijährigen Reisen, bei meinem zweijährigen Aufenthalt allda gesehen und erfahren, nicht mein Privateigenthum sei, sondern daß ich damit zugleich einen Auftrag zu erfüllen bekommen habe. Dass die große neue Welt mir manchen Denkstoff, Stoff für späteres Handeln, vielleicht auch für Bücher geben würde, darüber hatte ich zwar meine Ahnungen gehabt; aber welche Handlungen, welche Bücher, darüber besaß ich keine Klarheit. Ich gestehe euch, daß ich in Amerika mit dem Gedanken umging, ganz Amerika in — einen Roman zu verwandeln, und euch, meine Freunde, in Helden und Heldinnen desselben; aber dieß so fein, daß Niemand von euch weder Amerika noch sich selbst zu erkennen vermocht hätte.

Aber die Scenen der Wirklichkeit in eurem großen Lande wollen sich nicht in einen Roman einrahmen lassen. Der Roman zerfloß wie ein Regenbogen in den Wolken, und die Wirklichkeit trat immer stärker hervor „in all ihrer Größe und Kleine, Lieblichkeit und Bitterkeit, Schönheit und Häßlichkeit, mit einem Wort in ihrer ganzen Wahrheit.“ Und ich fühlte, daß meine beste Arbeit blos ein getreues Bild dieser Wahrheit sein konnte. Wie es ausgeführt werden sollte, wußte ich noch keineswegs klar, als ich Amerika verließ.

„Sie werden alles das verstehen und einsehen lernen, wenn Sie daheim sind!“ sagte manchmal der theure Freund zu mir, der mir am Gestade der neuen Welt zuerst begegnete, der mich zuerst in sein Haus aufnahm, den ich so gerne „meinen amerikanischen Bruder“ nannte, und der mit dem Zauber seiner Freundschaft und mit dem Leitstern seines klaren Blickes, seiner brüderlichen Sorgfalt, mein Leben in dieser neuen Welt unaussprechlich verschönte; dieser Mann, dessen Bild in meiner Seele ewig vermählt ist mit ihren schönsten Scenen, ihrem morgenfrischen Leben, ihrem indianischen Sommertag, und vor Allem mit den Hochlandsscenen an dem herrlichen Fluß, wo er sein schönes Haus gebaut und jetzt sein Grab hat. Doch nein, nicht blos im Verein mit diesen Bildern lebt er für mich. Zeit und Raum schließen eine Persönlichkeit wie die seinige nicht ein. Heute, wie gestern und in Ewigkeit, werde ich seinen Blick, seine Stimme, seine Worte wahrnehmen, wie ich sie einst wahrnahm, denn sie sind mit Allem vermählt, was schön und edel ist im großen Reich der Schöpfung. Seine Worte sind für mich in Schweden maßgebend, wie sie es in Amerika waren. Ich liebe jedes Einzelne von ihnen in mein Gedächtniß zurückzurufen. „Sie werden das einsehen, wenn Sie in Ihre Heimath kommen,“ sagte er bei mancher Frage, die bei meinem Abschied von Amerika dunkel vor meinem Blicke stand.

Der Gedanke, die Briefe, die ich aus Amerika nach Haus geschrieben, ganz oder doch im Wesentlichsten so herauszugeben, wie sie zum ersten Mal aus der Feder auf das Papier geflossen, entstand erst mehrere Monate nach meiner Heimkehr, als ich mit muthloser und halb unwilliger Hand diese Schreiben an eine geliebte Schwester öffnete, die sich jetzt nicht mehr auf Erden vorfand. Ich gestehe, daß das Leben darin mich belebte, mein Herz so schlagen ließ, wie zur Zeit, da sie geschrieben wurden, und ich mußte zu mir selbst sagen: „Diese Kinder des Augenblicks und des warmen Gefühls sind trotz all ihrer Mängel reinere Ausdrücke der Wahrheit, die meine Freunde von mir wünschen, und die ich selbst auszusprechen wünsche, als irgend Etwas, was ich mit ruhiger Besinnung und kalter Hand schreiben könnte. Und ich beschloß, die Briefe so herauszugeben, wie der Eindruck des Augenblicks sie eingegeben hatte. Beim Abschreiben habe ich blos einige Ausmerzungen und einige Zusätze vorgenommen. Die Zusätze betreffen hauptsächlich historische und statistische Thatsachen, die ich in meinen Briefen oder in meinen Aufzeichnungen flüchtig berührt finde und jetzt weiter ausführte. Die Auslassungen betreffen eigene oder fremde Angelegenheiten, von denen ich dachte, sie seien allzu privatlicher oder delikater Natur, als daß sie vor das Publikum kommen dürften. Ich habe mich in meinen Mittheilungen aus dem Privatleben innerhalb der vom Edelsinn und Zartgefühl festgesetzten Grenze zu halten gesucht, nämlich aus vertraulichen Mittheilungen genannter Personen nichts anzuführen, was diese Personen nicht selbst veröffentlicht wissen möchten. Ich fühle hierin tief die Heiligkeit der Forderungen des Zartgefühls, und Nichts würde mich mehr schmerzen, als wenn ich aus Unbedachtsamkeit gegen ihre Gebote gesündigt haben sollte.

Einige meiner Freunde werden jedoch, fürchte ich, ihr Feingefühl durch ein Lob verletzt finden, das ich nicht immer zurückhalten konnte. Mögen sie mir um meiner Liebe willen verzeihen!

Mit keiner gewöhnlichen Liebe habe ich in eurem Land und an eurem Herde gelebt; auf keine gewöhnliche Art habt ihr mich allda empfangen. Wenn der Becher zuweilen übervoll wurde und überlief, so ist das weniger meine als eure Schuld. Ueberdies ertönen Thaten der Selbstsucht und des Hasses tagtäglich in unsern Ohren, nebst den Namen derjenigen, die sie verrichten. Vergönnet daher einigen andern Namen, daß sie auf den Schwingen des Frühlings und von den Winden der Liebe in der Welt umhergetragen werden, um gleich einer himmlischen Aussaat sich mit der Erde zu vermählen und alle bessern Gefühle der Seele erblühen zu machen. Das Herz zweifelt mitunter an dem Guten und seiner Macht auf Erden. Es will sehen, um zu glauben. Ich habe ihm dazu verhelfen wollen. Ich habe von euch gesprochen.[1]

Das Beste, das Schönste in euren Herzen und in eurer Heimath ist doch nicht verrathen worden. Im Menschenherzen und in der Heimath findet sich, wie in dem Tempel des alten Bundes, ein Allerheiligstes vor, auf dessen goldenen Tafeln nur die Gesichter der Cherubim herabschauen und das Zeugniß lesen dürfen.

In Allem, was ich an eurem Land und eurem Volk getadelt oder kritisirt habe, bin ich meiner Ueberzeugung gefolgt. Was ich selbst gesehen, gehört, erfahren, gefühlt, gedacht, das habe ich ohne alle andere Furcht geschrieben, außer daß ich gegen Recht und[WS 1] Billigkeit verstoßen könnte.

Aber wenn ihr diese Briefe leset, meine Freunde, so habt wo möglich Geduld bis ans Ende, und bedenket, daß sie oft Eindrücke des Augenblicks sind, die durch spätere Eindrücke zur Reife gebracht oder verändert wurden. Betrachtet sie als Ziffern, die ihr durchgehen müsset, um ein Facit herauszuziehen. Vier von diesen Briefen, nämlich an H. C. Oersted, an J. P. Böklin, an J. M. die Königin Wittwe von


  1. In der englischen und amerikanischen Ausgabe sind blos die Anfangsbuchstaben der Namen gedruckt worden, da diese Namen Privatpersonen angehören. In der schwedischen habe ich diesen Schleier über meine Freunde für überflüssig gehalten, da ihre Namen hier jedenfalls blos wie ein Echo aus der Ferne ertönen.
Dänemark und an H. Martensen, sind als Ruhepunkte

unterwegs zu betrachten, von wo aus man die zurückgelegten Stadien überschaut und sich über Weg und Ziel besinnt. Es kommen darin einige Wiederholungen vor, die sich nicht vermeiden ließen. Daß solche auch in den andern Briefen vorkommen, fürchte ich, und sie hätten vermieden werden sollen, aber …

Von euch, meine Freunde, hoffe ich die Wahrheit, vor welcher man sich gerne beugt, selbst wenn sie schmerzt. Wo ich geirrt, wo ich mich getäuscht habe, da hoffe ich von euch öffentliche Belehrung darüber. Was ich Wahres und Gutes gesagt habe, werdet ihr, das weiß ich, anerkennen. Von euch fürchte ich kein unbilliges Urtheil. Die wahrheitsliebendsten Menschen, aber ohne Härte, glaube ich unter euch gefunden zu haben. Deßhalb liebe ich’s, an euch zu appelliren.

In eure schöne, gesegnete Heimath kehre ich hier als Geist zurück, um euch an die Fremde zu erinnern, die ihr zu Gast ludet und zu eurer Freundin machtet; um mit euch von früheren Tagen an eurem Herd zu sprechen; um euch zu danken und euch zu segnen; und nicht blos euch, deren Gast ich war, sondern die Vielen in eurem Lande, die mir mit Worten oder Handlungen wohlthaten, die Warmherzigen, Edelgesinnten, sie alle, die mich den Morgenthau einer neuen schöneren Schöpfung trinken ließen, das Lebenselixir, das die Jugend der Seele erneut.

Das Wort ist arm, es kann wenig von dem ausdrücken, was die Seele empfindet. Möchte doch Etwas von der Lebensfreudigkeit, die ihr mir schenktet, aus diesen Briefen euch wieder entgegenathmen und euch hiemit einen bessern Dank bringen, als ihn hier aussprechen kann eure schwedische Freundin

Friederike Bremer.  

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nnd