Die Heimath in der neuen Welt/Dritter Band/Dreiunddreißigster Brief

Zweiunddreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Dritter Band
von Fredrika Bremer
Vierunddreißigster Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band
Untertitel: Dreiunddreißigster Brief
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Tredje delen.
Originalsubtitel: Trettiondetredje brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Dreiunddreißigster Brief.


Havannah (Cuba), den 5. Februar 1851.  

Mein Herzchen! Ich sitze unter dem warmen, klaren Himmel und den schönen Palmen der Tropenländer, und das ist schön und wunderbar! … Diese herrliche, liebliche Luft, diese hohen Palmbäume sind vollendete Schönheiten. Das Uebrige gewährt, fürchte ich, mehr durch seine Ungewöhnlichkeit, seine Verschiedenheit von dem, was ich früher sah, als durch wirklich größere Schönheit Vergnügen. Aber das Ungewöhnliche und Neue ist so angenehm und erfrischend, und so empfinde ich es jetzt und bin entzückt, daß ich mich hier befinde.

Ich reiste am 28. Januar früh Morgens von New-Orleans ab. Es war ein schöner, sonnenheller, sommerwarmer Morgen. Meine Freunde führten mich an Bord des Philadelphia. Harrison kam, um Abschied von mir zu nehmen, und gab mir eine rothe Camelia noch in der Knospe. Sein ehrliches, herzliches Gesicht und das Gesicht Anna W's mit seinen reinen Zügen, seinem stillen Feuer in den dunkeln Augen sind die letzten, die ich im Salon unter dem Verdeck sah. Später ging ich hinauf. Die Halbmondstadt lag in der Morgensonne gebadet da und das Wasser im Hafen erglänzte wie ein klarer Spiegel in ihrem Lichte. Ich stand da und erlabte mich an der schönen Luft, an der großartigen Scene, aber da kamen Ladies mit ihrem how do you like America (wie gefällt Ihnen Amerika?) und meine Morgenfreude war gestört und ich mußte mich mit Geduld darein finden.

Aber wir fuhren ab und ich setzte mich mit einem Buch in der Hand auf die Piazza im Hintertheil des Schiffes und betrachtete die Ufer und lebte ein Leben voll Hochgefühl. Denn ich durfte jetzt allein sein und das Schauspiel an den Ufern war wie ein schönes, südliches Feenwerk. Wir fuhren den Missisippi hinab auf demjenigen Arm, der in die Atchafalaya-Bucht ausläuft und von da in den mexicanischen Meerbusen. Plantage um Plantage erglänzte an den Ufern, mit weißen Häusern, eingefaßt in Bouquete von Pomeranzen und Cedernhainen; von blühenden Oleandern, Aloën und Palmettos. Allmälig sah man sie in weiterer Entfernung von einander. Das Land senkte sich immer mehr, bis es zu einem gras- und schilfbewachsenen Sumpfboden wurde, ohne Bäume, Gebüsche und Wohnstätten. Es hielt sich gerade noch über dem Wasser: endlich versank es in demselben, bildete aber da die seltsame, regelmäßige Figur, welche das Missisippi-Delta genannt wird, wegen ihrer Aehnlichkeit mit dem griechischen Buchstaben dieses Namens. Einige Grashalme wehten noch über dem Wasser, bewegt von den Wogen und dem Winde. Endlich hörten auch sie auf. Die Wogen herrschten allein. Und jetzt lag das Land, Nordamerikas großes Festland, hinter mir, und vor mir der große mexicanische Meerbusen mit seiner unermeßlichen Tiefe, die Südsee mit allen ihren Inseln.

Die dunkle, beinahe schwarzblaue Farbe des Wassers fiel mir auf. Man sagt, sie komme von der großen Tiefe. Der Himmel mit seinen sommerleichten, weißen Wolken lag hellblau über dem dunkelblauen Meer, das sich freudig hob und brauste vor dem frischen, sonnenwarmen Wind. Ach wie schön war das! Ich trank den Wind und das Leben, ich ruhte aus von Gedanken und Reden und von Allem, was nicht zu dem schönen Leben des Augenblicks gehörte. Das Meer! Das Meer hat eine unaussprechlich beruhigende, heilende und wiedergebärende Kraft in sich.

Willst Du ein neues Leben in Dir und außer Dir beginnen, so fahre über das Meer. Laß des Meeres Luft und Leben Tage und Wochen lang Deine Seele baden. Alles wird neu und frisch auf dem Meer.

So lebte ich den ersten Tag auf dem Meer; so lebte ich auch den zweiten. Aber jetzt erlabte ich mich auch an einem Buch, nemlich an J. Brownings Trauerspiel: die Rückkehr der Drusen, einer Dichtung, deren hochsinniger, lebenswarmer Geist in Harmonie stand mit dem schönen, großen Schauspiel umher; in beiden athmete ich das Gränzenlose, Große und Tiefe. Kam dann der eine oder andere Herr und fragte: „how do you like America?“ oder verlangte er ein Autograph, so war dieß, als surrte eine Fliege an Ohr und Gedanken vorüber. Es war auch ein Herr an Bord, der mir angenehmer war, als die andern störend. Derselbe artige Herr, der sich bei dem Unfall auf dem Pontchartrain zu meinem Cavalier gemacht, mich in den schönen Garten und dann nach New-Orleans begleitet hatte, war ebenfalls jetzt auf der Reise nach Cuba begriffen, um ein milderes Clima zu suchen, als das der Vereinigten Staaten im Winter ist. Mr. Vassar ist ein Gentleman von mittlerem Alter, von edlem gutmüthigem Gesicht und feinen, milden Manieren; er hat auf langen Reisen im Morgen- und Abendland viele interessante Dinge gesehen und erfahren. Auf dem Philadelphia machte er sich, wie wenn es sich von selbst verstände, aufs Neue zu meinem Cavalier, reichte mir den Arm zu und von den Mahlzeiten, setzte sich bei Tisch neben mich und machte mir seine Aufmerksamkeit angenehm durch sein interessantes, anziehendes Wesen.

Das Schiff hatte keine Aehnlichkeit mit den schönen, bequemen Dampfbooten, an die ich in Amerika gewöhnt worden war. Unter dem Verdeck war Alles eng und finster; Cajüten, Gänge und Speisesaal. Um allein sein zu können, hatte ich meine Cajüte weit hinten im Hintertheil gewählt, wo die Bewegung des Schiffes am stärksten empfunden wurde; aber dort befand sich auch ein einsames, dreieckiges Zellchen mit einer runden Fensteröffnung nach dem Meer hinaus. Die Seekrankheit fürchtete ich nicht und hier konnte ich allein sein.

Unter den interessanten Passagieren an Bord befand sich einer der reichsten Pflanzer Louisianas, ein älterer Mann, mit seinem einzigen Kind, einem jungen Mädchen. Ihre Mutter war an der Schwindsucht gestorben, und der Vater hatte die Tochter schon seit ihrer Kindheit so zu erziehen gesucht, daß sie vor der gefährlichen Erbschaft bewahrt bleiben sollte. Sie wuchs in großer Freiheit auf dem Lande auf, war viel draußen in der frischen Luft und durfte keinen Schnürleib tragen. So gedieh sie zu einem schönen blühenden Mädchen. So kam sie ins Gesellschaftsleben hinaus. Nachdem sie einen Winter lang sich geschnürt und in den Gesellschaftskreisen von New-Orleans getanzt hatte, war die schöne Blume gebrochen. Und die Kennzeichen der Krankheit, welche die Mutter dahin gerafft hatte, stellten sich bei der Tochter ein. Der Glanz der Augen, die Röthe der abmagernden Wangen, die ganze Haltung der langen, schlanken Gestalt zeugte von der Gefahr.

Es war rührend den alten Vater zu sehen, wie er dastand und stille die Tochter betrachtete, mit Augen, die von vordringenden Thränen benebelt schienen. Es lag ein so stummer Kummer, ein so starkes Gefühl der Hülflosigkeit in seinem Ausdruck. Sie schaute dann mitunter auf und lächelte ihm freundlich zu wie ein Sonnenschein, aber es war klar, daß die Wolke da war, daß sie im Zunehmen begriffen war, und daß alles Gold des Millionärs das Leben seines einzigen Kindes, seiner einzigen Erbin nicht zu erkaufen vermochte.

Die Reise, welche sie jetzt vorhatten, war jedoch ein Versuch dazu; sie gedachten zuerst nach Cuba, sodann nach Europa zu gehen. Ein schönes, blühendes junges Mädchen, eine Verwandte der Kranken, war ihre Gesellschaft.

Auch einige Schweden waren an Bord, auf dem Weg nach Chagres begriffen, von wo sie nach Californien abgehen wollten. Der eine von ihnen hieß Hörlin und war ein Neffe des Bischofs H. Er hatte ein gutmüthiges Gesicht und ein gebildetes Benehmen; er fuhr jetzt zum zweiten Mal nach dem Goldland, wo er sich durch Handel bereits ein nicht unansehnliches Vermögen erworben hatte.

Am Nachmittag des zweiten Tags bewölkte sich der Himmel und der Wind wurde stärker. Ich traute meinen Augen kaum, als ich hoch oben in den Wolken vor uns hohe Berge und Felsenspitzen, nicht unähnlich einer Nebelfestung mit Wällen und Thürmen sah, und man mir sagte, dieß sei Cuba. Wir konnten gleichwohl erst am folgenden Morgen dahin kommen. So hohe und kühne Berggegenden hatte ich im Westen noch nicht gesehen.

Die Nacht wurde stürmisch, aber es war sehr warm, und um Luft zu bekommen, hatte ich meine Fensterlucke geöffnet. Ich sah von meinem Bett aus dicht unter demselben den wolkenvollen Himmel und das stürmische Meer, wenn das Schiff in seinen heftigen Bewegungen bis zur Wasserfläche an meiner Seite herabgebracht wurde. Die Wogen schäumten und tosten dicht vor meinem Fenster. Sie kamen zuletzt in mein Bett herein. Aber das Wasser war so lau, daß ich es im Anfang nicht bemerkte, und dann, als ich nur die Alternative hatte, das Fenster zu schließen und in der erstickenden Luft in der Cajüte zu leben, oder die weiche Meeresluft einzuathmen und von Zeit zu Zeit von der salzigen Woge eine Umarmung zu erhalten, da wählte ich das Letztere. Ich wurde tüchtig durchnäßt, fühlte mich aber ruhig und glücklich; ich stand auf Du und Du mit der Woge und dem großen Meer. Ich lag darin, wie ein Kind in seiner guten Wiege. Es konnte mir kein Leid anthun. Am nächsten Morgen lagen wir im Hafen von Havannah.

Die Brandungen hoben sich hoch und brachen sich gewaltsam an der vorspringenden Klippenspitze, wo die Festung Morro mit Wällen und Thürmen (worunter einer sehr hoch) emporragt und den schmalen Eingang in den Hafen Cubas vertheidigt. Aber in dem schönen, beinahe zirkelrunden Hafen lagen wir still wie in dem ruhigsten Wasserbecken, und die Sonne beglänzte eine Welt von neuen Gegenständen rund um mich her.

Da lag die große Stadt Havannah an der Küste entlang, rechts vom Eingang, mit niedrigen Häusern von allen Farben, blau, gelb, grün, orange, gleich einem ungeheuern Lager von hübschen Gläsern und Porcellansachen in einem Galanterieladen, und kein Rauch darüber, nicht die geringste Rauchsäule gab die Atmosphäre der Stadt, das Küchen- und Fabrikleben zu erkennen, an das ich bei den amerikanischen Städten gewöhnt gewesen war. Gruppen von Palmen erhoben sich zwischen den Häusern.

Eine Anhöhe links von uns war von einer Menge wunderlicher Pflanzen bedeckt, die hohen, grünen Candelabern mit vielen Doppelarmen glichen. Zwischen den grünen Höhen rund um den Hafen lagen Gruppen von Landhäusern und Haine von Cocospalmen[WS 1] und andern palmartigen Bäumen, und über all dem ruhte der klarste, mildeste Himmel, athmete man die lieblichste Luft. Das Wasser im Hafen glänzte krystallhell, und überhaupt schienen mir Luft und Farben von der reinsten Klarheit und Zartheit zu sein. Unter den Gegenständen, die ins Auge fielen, waren die Festung, wo die Staatsgefangenen sitzen, ein anderes Gefängniß und ein — Galgen. Aber die schönen wogenden Palmen und die grünen Höhen bezauberten meine Augen.

Kleine halbbedeckte Boote und Ruderer mit spanischen Physiognomien legten am Schiff an, um die Passagiere ans Land zu führen. Aber die Passagiere durften nicht landen. Es verlautete, daß ein gewisser Oberst White, nebst Lopez einer der Anführer bei dem früheren Räuberzug gegen Cuba, sich an Bord des Schiffes befinde, daß die spanischen Behörden auf der Insel einen Wink davon erhalten und den Passagieren sammt und sonders das Landen bis aufs Weitere verboten haben. Dieß war nicht sehr angenehm. Einige der Herren waren sehr erzürnt und ganz und gar nicht freundlich auf den Oberst White zu sprechen, der, eine lange, hoch aufgeschossene Gestalt mit rothem Gesicht, irischer Nase und unbekümmertem, gleichgültigem Wesen, jetzt seine Erscheinung auf dem Verdeck machte und daselbst auf- und abspazierte, mitten vor ihren zornigen Blicken eine Cigarre rauchend. Er beabsichtigte, sagte man, nach Chagres und von da nach Californien zu gehen.

Sechs Stunden mußten wir im Hafen liegen bleiben. Für mich waren sie nicht lang. Der Anblick der Ufer und der Gegenstände auf denselben war für mich so bezaubernd, das Wetter war göttlich, und wir hatten große Büschel von schönen goldenen Ananas an Bord bekommen. Artige Herrn tractirten damit und ich frühstückte mit Hochgenuß meine Lieblingsfrucht, für mich eben so angenehm und wohlthuend wie die tropische Luft selbst. Auch Zuckerrohr wurde umher geboten und von Liebhabern ausgesogen. Es war ein ächtes tropisches Frühstück im Sonnenschein auf dem Meere.

Endlich kam ein Boot mit der spanischen Flagge und verschiedenen Militärpersonen. Sie stiegen an Bord unseres Schiffes. Oberst White wurde auf die Seite geführt und ihm das Ehrenwort abgefordert, daß er nicht auf der Insel landen, sondern seine Reise nach Chagres fortsetzen wolle, ohne hier das Schiff zu verlassen. Ich sah verschiedene von den Offizieren (schöne Leute mit feinen Zügen) dem Räuberhauptmann Blicke zuwerfen und was für Blicke! Es funkelten spanische Dolche darin.

Die spanischen Herrn fuhren wieder ab und jetzt durften wir unschuldige Passagiere ans Land kommen. Einige freundliche Herrn sorgten für meine Landung, und dieß war nöthig, denn größere Schwierigkeiten, um ans Land zu kommen, als hier, habe ich nirgends gefunden. Ich wurde von einem amerikanischen Wirth Mr. Woolcott übernommen, der mich und meine Sachen ans Land, sodann nach dem Zollhaus und von da in sein Hotel führte, wo er mich comfortabel zu halten unserem ehrlichen Capitän des Philadelphia versprach. Und bald saß ich in einem freundlichen Saal mit Marmorboden an einer vortrefflich servirten Tafel in großer Gesellschaft, während die schöne Luft und das Licht durch offene Thüren und Fenster hereinströmten. Denn auf Cuba hat man keine Furcht vor dem Sonnenlicht.

Ich erfuhr hier, daß Jenny Lind noch in Havannah sei und erst in einigen Tagen abreisen werde. Ich schrieb ihr daher einige Zeilen und schickte sie mit meinem jungen Landsmann Hörlin ab, der mit Vergnügen das Briefträgeramt übernahm. Es war gegen Abend, und ich nahm darauf ein Licht und ein Glas Wasser und ging die Treppe nach meinem Zimmer hinan, um mich zur Ruhe zu begeben. Aber kaum war ich einige Stufen hinangestiegen, als ich unten Jemand meinen Namen nennen hörte. Verwundert schaute ich mich um, und da stand am Fuß der Treppe am Geländer sich haltend eine Dame, die mit freundlich strahlendem Gesicht emporblickte. Es war Jenny Lind. Jenny Lind hier und dieser strahlende, frische, heitere Gesichtsausdruck, unvergeßlich für Jeden, wer ihn einmal bei ihr gesehen hat! Der ganze schwedische Frühling erblüht darin. Ich war hoch erfreut. In einem Augenblick war Alles vergessen, was zwischen mir und ihr früher vorgefallen war. Ich mußte sogleich hinabgeben, mich über das Geländer hinbeugen und sie küssen. Der angenehme junge Schwede, Max Hjortsberg, war bei ihr. Ich drückte ihm die Hand, aber Jenny Lind nahm ich mit mir auf mein Zimmer. Wir hatten uns nicht getroffen seit Stockholm, wo ich ihr einen europäischen Ruf prophezeite. Jetzt hatte sie ihn gewonnen, und noch in höherem Grad als bis jetzt irgend eine Künstlerin, denn das Lob und die Lorbeeren, die sie überall geerntet hat, gelten nicht blos ihrem Talent als Sängerin.

Ich verbrachte mit ihr jetzt den größern Theil der zwei Tage, die sie noch in Havannah blieb, theils daheim bei ihr, theils auf Ausfahrten in den schönen Promenaden rings umher, theils daheim bei mir, wo ich ihr Profil abzeichnete. Und ich mußte sie wieder so unendlich lieb gewinnen. Unter den Palmen auf Cuba sprachen wir bloß von Schweden und gemeinschaftlichen Freunden daselbst und weinten zusammen über schmerzliche Verluste.

Wir sprachen viel von alten Freunden und alten Verhältnissen in Schweden, ja eigentlich von nichts Anderem, denn alles Andere, Ehre, Ruf, Reichthum, was sie außerhalb Schweden gewonnen, scheinen nicht die mindeste Wurzel in ihrer Seele geschlagen zu haben. Ich hätte jetzt gerne Etwas darüber gehört, aber sie hatte keinen Sinn dafür und keine Lust davon zu sprechen. Bloß Schweden, die alten Freunde und Religionsgegenstände standen hoch in ihrer Seele, und nur davon wollte sie sprechen.

Ich werde in gewissen Beziehungen nicht ganz klug aus ihr. Aber eine ungewöhnliche und vielfach überlegene Natur bleibt sie immer und dabei ist sie so frisch schwedisch. Jenny ist mit dem Trollhätta, mit dem Niagara und allen frischen, unmittelbaren Naturmächten verwandt, und die Wirkung, welche sie hervorbringt, ist ungefähr dieselbe, wie die Wirkung dieser Naturmächte.

Die Americaner sind entzückt über ihre Wohlthätigkeit. Ich kann sie hierin nicht bewundern, sondern bloß glücklich schätzen, daß sie dem Drang ihres Herzens folgen darf. Aber daß Jenny Lind bei all der Macht, deren sie sich bewußt ist, bei all der Gewalt, die sie ausgeübt hat, bei all dem Lob und der Verehrung, womit sie überhäuft wird, bei der Menschenmenge, die sie zu ihren Füßen gesehen hat, gleichwohl dabei geblieben ist, zu etwas Höherem über all dem und über sich selbst emporzuschauen, und daß sie diesem Höhern gegenüber sich selbst und alles das als gering betrachtet, dieser Blick, dieser Drang nach dem Heiligen und Höchsten, der unter manchen Veränderungen immer wiedergekehrt ist und sich als ein vorherrschender Zug bei Jenny Lind gezeigt hat, das ist in meinen Augen das Größte, Ungewöhnlichste und Beste an ihr.

Sehr, sehr liebenswürdig und angenehm war sie gegen mich, so daß es mich rührte. Ich hätte nie gedacht, daß wir unter den Palmen des Wendekreises einander so nahe kommen würden.

Bei ihr sah ich über Mittag ihre ganze Reisegesellschaft, Belletti, Mademoiselle Ahrström, Herrn Barnum und seine Tochter u. s. w. Das beste Verhältniß schien zwischen ihr und ihnen vorzuwalten. Sie lobte sie Alle und rühmte Barnums Benehmen gegen sie sehr. Sie hatte jetzt aufgehört auf Cuba Concerte zu geben; sie erlabte sich jetzt an der Ruhe und an der schönen tropischen Natur und Luft. Mir sang sie unaufgefordert (denn ich wollte sie nicht bitten zu singen) das Lindbladsche Lied: Spreche ich, so hörst du mich u. s. w. und ihre Stimme schien mir so frisch und jugendlich wie früher.

Eines Tags führte sie mich zu Wagen nach dem Garten des Bischofs, einer schönen parkartigen Anlage bei Havannah, wo sie sichs angelegen sein ließ, mir den Brodbaum und andere tropische Gewächse zu zeigen, was ihren frischen Natursinn bewies. Abends fuhren wir auf der prachtvollen Promenade el Passeo de Isabella seconda, die gewiß eine halbe schwedische Meile weit durch breite Alleen mit Palmen und andern Tropenbäumen führt, durch viele Blumengruppen, an Marmorstatuen und Springbrunnen hin und eine der schönsten Promenaden ist, die man sich nur denken kann, zumal unter Cubas klarem Himmel. Der Mond war im Zunehmen und schwamm gerade wie ein kleines Boot über dem westlichen Horizont. Jenny Lind machte mich auf seine verschiedene Stellung hier und bei uns, wo der Neumond immer in geneigter Richtung über der Erde steht, aufmerksam. Der ganze Ring des Mondes kam ungewöhnlich klar zum Vorschein.

Dieser beginnende sanfte Mondschein über den grünen, wogenden Feldern mit ihren Palmengruppen war unbeschreiblich schön.

Ich meinte zu finden, daß Jenny Lind ihres Reiselebens und ihrer Reise als Sängerin müde sei. Sie wünschte offenbar ein Leben von stillerem und tieferem Inhalt. Wir sprachen von Ehe und häuslichem Leben.

Ganz gewiß steht Jenny Lind eine Veränderung dieser Art bevor. Aber wird dieselbe ihre Seele ausfüllen, wird sie ihr genügen? Ich zweifle daran.

Gestern reiste sie in melancholischer und nicht sehr glücklicher Stimmung nach New-Orleans ab. Das Schiff, mit welchem sie ging, war überfüllt mit Californienfahrern (man sagte 400 Personen), die nach New-Orleans zurückehren wollten. Und Jenny Lind hatte kurz vorher gerüchtweise erfahren, daß Capitän West, der sie von England nach America herübergeführt hatte, auf einer unglücklichen Seefahrt umgekommen sei. Alles das bedrückte sie und meine Zusprüche — ich ging an Bord des Schiffes, um Abschied von ihr zu nehmen, um ihr Glück zu wünschen und ein Rosenbouquet zu schenken, — sowie die Zuvorkommenheit des Capitäns, der ihr seine Cajüte und den Salon anbot, wo sie über dem Verdeck, ungestört von den Californienfahrern unten, leben könnte, vermochten sie nicht aufzumuntern. Sie blieb blaß und einsylbig. Sie sah meine armen Rosen kaum an, obwohl sie schön waren, die schönsten, die ich in Havannah bekommen konnte. Aber als ich wieder in meiner kleinen Gondel saß und mich bereits vom Schiff entfernte, da sah ich auf einmal Jenny Lind sich über das Geländer hin gegen mich vorbeugen. Und all die schönen regelmäßigen Gesichter des Westens erblaßten vor der strahlenden, lebensvollen Schönheit im Ausdruck des Gesichtes, das ich hier in Thränen gebadet, die Rosen küssend und in seinem leuchtenden Blick einen ganzen Sommer von reichem, entzückendem, innig warmem Leben ausstrahlen sah.

Und sollte ich in Zukunft Jenny Lind nie wieder sehen, so werde ich sie künftig immer so sehen, immer so lieben.




Ich bin jetzt im siebenten Tag in diesem ganz guten, aber sehr theuern Hotel. Ich bezahle fünf Dollars täglich für meine Kost und ein Stübchen, das man sich nicht dürftiger denken kann, und in ein paar Tagen muß ich sechs Dollars bezahlen oder mein Stübchen mit irgend einem unbekannten Gaste theilen. Denn in ein paar Tagen wird ein Dampfschiff mit neuen Gästen aus New-Orleans erwartet. Ich habe mich deßhalb nach einer neuen Wohnung erkundigt. Inzwischen haben freundliche Menschen, theils Deutsche, theils Engländer und Americaner, auch hier sich meiner angenommen, sie denken darauf es mir angenehm zu machen, und ihrer Sorgsamkeit habe ichs zu verdanken, daß ich morgen auf ein paar Tage in eine ländliche Wohnung ziehen werde, ganz nahe bei dem schönen Garten des Bischofs, wo ich dann frei und ungestört mit den Bäumen und Blumen Cubas Bekanntschaft machen kann. Ist das nicht angenehm? Ist mein kleiner Reisekobold nicht recht artig?

Meinen Tag habe ich bisher folgendermaßen zugebracht: Morgens um halb Acht kommt Mrs. Mary zu mir mit einer Tasse Kaffee und einem Waizenbrödchen, das ganz appetitlich aussieht. Und Mrs. Mary ist eine Irländerin, eine der gemüthlichsten, artigsten, sorgsamsten, gutmüthigsten und freundlichsten Frauen, die man sich nur denken kann, und sie ist der größte Schatz dieses Hotels, wenigstens für mich. Mrs. Marys Gutmüthigkeit und freundliche Sorgsamkeit macht, daß ich hier das Gefühl einer Heimath habe und mir unendlich wohl gefallen würde, wenn es nicht so unmenschlich theuer wäre.

Nachdem ich meinen Kaffee getrunken und mein Brod gegessen habe, gebe ich aus, zuerst nach der Plaza de Armas, wo der Gouverneur, der Intendant und der Großadmiral, die drei großen Würdeträger auf der Insel, ihre Paläste haben, welche drei Seiten des Marktes einnehmen, während die vierte aus einer baumbepflanzten Einzäunung besteht, durch deren Eisengitter man eine Marmorbüste auf ihrem Piedestal und hinter ihr eine Capelle sieht. Dieß ist der Platz, wo Columbus zum ersten Mal die katholische Messe auf der Insel lesen ließ. Die Büste ist sein Bild und steht nebst der Capelle zur Erinnerung an diesen ersten Gottesdienst da. Mitten auf dem Markt steht eine große, weiße Marmorstatue von — Carl V., glaube ich, und um sie herum einige hohe, prächtige Königspalmen, wahre Könige unter den Bäumen, und rings herum liegen kleine Felder mit andern Bäumen und Gebüschen. Unter diesen habe ich Bäume bemerkt, deren Laub und Kronen große Aehnlichkeit mit unsern Linden besitzen, obschon sie nicht groß sind, und feuerfarbige Blumen, nicht unähnlich unsern indianischen Kresseblumen, aber dunkler, so wie Gebüsche, welche dieselbe Art von Blumen haben und auf deren Stämme kleine, grüne, zierliche Eidechsen umherspringen und mich ganz ruhig anschauen, wenn ich sie anschaue. Hier stehen eine Menge weißer Marmorbänke, auf denen man im Schatten der Palmen sitzt. Aber sie geben keinen großen Schatten und man muß die Zeit und den Ort abwarten, wo ihre stolzen Kronen auf eine kleine Weile Schutz gegen die Sonne gewähren. Aber es ist ein Vergnügen ihre Zweige sausend im Winde wogen zu sehen; ihre Bewegungen sind so majestätisch und zugleich so graziös.

Später gehe ich auf eine Esplanade oder hohe Terrasse, la Cortina de Valdez (der Mittelwall des Valdez) genannt, am Hafen entlang, auf der entgegengesetzten Seite vom Morro. Dieß ist ein beschränkter Spaziergang, der aber die schönste Aussicht darbietet. Und hier wandle ich den Seewind trinkend und sehe die Wogen vom Meer her, selbst wenn es ruhig ist, in hohen weißschäumenden Brandungen am Felsen Morro sich brechen, welcher die Unruhe des Meeres ausschließt und den Hafen ruhig macht; sehe durch die Oeffnung des Hafens die weißen Segel über das große blaue Meer hinfliegen, sehe kleine Eidechsen herumspringen oder da sitzen, und sich auf der niedrigen Mauer an der Esplanade entlang dem Meere zu sonnen, und weiße Tauben herabfliegen und trinken aus einem weißen Marmorbecken unter einem schönen zu Ehren des Valdez errichteten Monument, welches die Promenade abschließt. Ein heller Wasserstrahl springt immer aus der Marmorwand des Monuments in das Bassin.

Um halb Zehn gehe ich wieder nach Haus und nehme das zweite Frühstück in großer Gesellschaft in dem hellen Marmorsaal an reich besetzter Tafel ein; aber ich verzehre außer Caffee bloß meine liebe Carolina-Reisgrütze und ein Ei. Sodann gehe ich auf mein Zimmer und schreibe Briefe, zeichne oder male bis zum Mittag. Nachmittags kommt der eine oder andere meiner neuen Freunde her und holt mich in seiner Volante (Cubawagen) zu einer Fahrt außerhalb der Stadt, auf einer ihrer schönen stattlichen Promenaden. Abends nach dem Thee gehe ich auf das Dach des Hauses, das wie alle Häuser hier platt ist, Azoteon genannt wird und von einer niedrigen Mauer oder einem steinernen Stacket umgeben ist, worauf Urnen von einer grauen Steinart mit grünen, hohen Verzierungen und vergoldeten, ehernen Flämmchen stehen. Hier gehe ich allein bis spät in der Nacht, betrachte den Sternenhimmel über mir und die Stadt unter meinen Füßen. Das Morrolicht — so nennt man das Licht des hohen Leuchtthurms auf der Morrofestung — wird angezündet und leuchtet gleich einem großen strahlenden Stern mit dem klarsten Schein über Meer und Stadt. Die Luft ist lieblich und still, sie athmet bloß wie ein schlafendes Kind, und um mich her höre ich mitunter das anmuthigste, hellste Gezwitscher, dem unserer Sperlinge ähnlich, aber klarer oder milder klingend. Man sagt mir, es komme von den kleinen Eidechsen, die sich in so großer Menge vorfinden und hier Stimme bekommen haben.

Die Stadt hat ein höchst eigenthümliches Aussehen. Die Häuser sind niedrig, nie über zwei niedrige Stockwerke hoch, die Straßen eng, so daß eine Menge Leinwandtücher, welche Budenschilde vorstellen, von der einen Häuserreihe bis zur andern herüber hängen. Die Mauern der Häuser, Paläste und Thürme sind blau, gelb, grün, orangefarbig angestrichen, und man sieht oft Frescomalereien. Man fürchtet die weiße Farbe und den Sonnenschein darauf für die Augen. Man sieht keine Rauchsäule, keine Schornsteine. Ueberall platte Dächer mit steinernen oder eisernen Stacketen und Urnen mit ehernen Flämmchen. Ich begreife nicht, wohin das Feuer und der Rauch ihren Weg nehmen. Die Atmosphäre der Stadt ist krystallhell. Die engen Straßen sind nicht mit Steinen gepflastert, und wenn es geregnet hat, wie dieß ein paar Tage in Strömen geschah, so entstehen ungeheure Pfützen und Gruben; wenn es trocken ist, wiederum viel Staub. Kleine Trottoirs, selten breit genug, daß zwei Personen an einander vorbei gehen können, ziehen sich an den Häuserreihen entlang.

Auf den Straßen springen und drängen sich nach allen Richtungen eine Art großer Insekten, mit ungeheuren Hinterbeinen und einer langen Nase, auf welcher ein hohes schwarzes Horn oder eine thurmartige Erhöhung sitzt. So nämlich kamen mir die cubanischen Equipagen oder Volanten, welche das einzige Fuhrwerk Havannahs ausmachen, zuerst vor. Und willst Du sie näher beschauen, so sehen sie aus wie eine Art von Cabriolets, aber die zwei ungeheuren Räder sitzen hinter dem Wagenkorb selbst. Dieser ruht auf Federn zwischen den Rädern und dem Pferd, das ihn zieht. Auf dem Pferd, das ein gutes Stück von dem Wagenkorb entfernt ist, reitet der Kutscher, immer ein Neger, in großen hinausstehenden Reitstiefeln. Er wird Calashero genannt und ist zuweilen, gleich dem Pferd, reich mit Silber behangen, man sagt, manchmal im Werth von mehreren tausend Dollars. Die ganze Equipage ist ungewöhnlich lang und erinnert an eine Schnacke.

Wenn die Volante sehr aufgeputzt ist oder auch zu längeren Reisen bespannt wird, so hat sie zwei, auch drei Pferde. Das zweite Pferd befindet sich zur rechten Hand des Calashero und springt ein wenig vor dem Sattelpferd. Du siehst dann zuweilen zwei oder drei Signoren darin sitzen, immer in bloßem Haar, zuweilen mit Blumen darin, mit bloßen Armen und Hälsen, in weißen Florkleidern, wie zum Ball angezogen. Wenn sie zu drei sind, so sitzt die jüngste in der Mitte, etwas vor den zwei andern. Dieß ist ein allerliebstes Bouquet von lebendigen Blumen. Man sieht es oft Nachmittags auf den Promenaden oder Abends, wenn Musik da und viel Volks versammelt ist. Nur selten sieht man einen Schleier über Kopf und Hals, beinahe niemals einen Hut. Zeigt sich ein solcher, so gehört er einer Ausländerin.

Als ich zum ersten Mal die schwankenden Bewegungen der Volante auf den Straßen sah, da dachte ich: das muß ein schrecklich unbequemes Fuhrwert sein. Als ich darin saß, meinte ich auf Wolken zu schaukeln. Ich habe niemals eine weichere Bewegung empfunden.

Die creolischen Damen (die eingebornen der Insel) suchen keinen Schutz vor der Sonne oder dem Wind. Sie bedürfen dessen auch nicht. Nach der Mittagszeit, wenn die Brise vom Meer her kommt, ist die Luft nicht heiß, auch brennt die Sonne hier nicht, wie auf dem Festland. Die Haut der Creolinnen ist blaß, aber ohne Kränklichkeit; sie hat eine weiche, helle Olivenfarbe, die ihnen, nebst ihren schönen, dunkeln, aber dennoch weichen Augen, etwas sehr Einnehmendes verleiht. — Die Priester in langen Kutten, in großen, curiosen Hüten, sieht man zu Fuß gehen. Der größere Theil der Bevölkerung auf den Straßen besteht aus Negern und Mulatten; auch in den Buden sieht man Mulatten als Verkäufer, besonders in den Cigarrenläden. Ueberall sieht man Cigarren rauchen, besonders eine Art kleiner Cigarren oder Cigarritos. Die farbige Bevölkerung scheint sich im Tabaksrauch zu berauschen. Oft sehe ich Neger und Mulatten halbschlafend mit der Cigarre im Mund vor der Bude sitzen. Der Calashero steigt, wenn er vor einem Hause warten muß, ab, setzt sich in der Nähe des Fuhrwerks, raucht und schlummert ein wenig im Sonnenschein. Aber wohin nimmt all der Rauch seinen Weg? Man sieht ihn nicht. Er muß von der Seeluft absorbirt werden.

Aber ich muß meinen Tag schließen. Nachdem ich bis gegen Mitternacht auf dem Azoteon gewandelt oder gesessen und die Luft, die mir hier ein eigenthümliches, heilkräftiges, wohlthätiges Leben zu haben scheint, so wie eine Ananas, denen eine ähnliche Kraft innewohnt, genossen habe, begebe ich mich auf mein Zimmer und lege mich zur Ruhe in mein Zeltbett, das beinahe keine Tücher hat, wo ich aber vortrefflich ruhe und schlafe beim Säuseln des Windes, der durch das eiserne Gitter mit Thüren und Fenstern, die weder durch Glas, noch durch Läden verschlossen sind, hereinspielt.

Mein Zimmer hat, nebst einer Reihe anderer Zimmer, einen Ausgang auf das Dach, was mir sehr angenehm ist, da ich jeden Augenblick da Luft schöpfen kann, und von meinem Dach aus habe ich nur noch eine kleine Treppe bis hinauf zu dem eigentlichen Azoteon. Das Azoteon ist der vornehmste Versammlungsplatz der cubanischen Familien, wenn sie am Abend den Seewind genießen wollen.

Ich muß Dir jetzt Einiges von den Familien erzählen, die sich in Güte meiner annehmen. Es sind dieß vor allem eine Familie Tolme, ein hochgeachtetes Handelshaus in der Stadt, und ein junges Paar, Herr und Frau Schaffenberg, Tochtermann und Tochter von Herrn und Frau Tolme. Herr Tolme ist ein Engländer und war auf Cuba Agent des Rothschildschen Hauses in London, hat aber jetzt das Geschäft auf seinen Tochtermann, Herrn Schaffenberg, einen Deutschen, übertragen. Er ist ein alter, aber noch jugendlicher Mann, sein Gesicht und sein ganzes Wesen verkünden Wohlwollen und gute Laune; er ist ein heiterer und munterer Gesellschafter. Seine Frau stammt von dänischen Eltern; sie ist auf der dänischen Insel St. Croix geboren, war früher eine große Schönheit, und ist noch jetzt mit ungefähr 50 Jahren ein ganz hübsches Weib, mit feinen Zügen und einem Ausdruck von Güte, der mich bezaubert. Das Haus ist voll von schönen Kindern, vier Söhnen und fünf Töchtern. Besonders sind die Töchter schön, und die zwei ältesten, die verheirathet sind, haben etwas unendlich Anmuthiges. Sie können wegen der feinen Schönheit ihrer Züge und der Anmuth ihrer Gestalten mit Fanny und Charlotte Franzen verglichen werden; die jüngste von ihnen ist hellfarbig und hübsch, wie eine nordische Jungfrau. Der älteste Sohn des Hauses hat aus England eine junge Schönheit heimgeführt, blühend, wie nur Europa's Töchter es sind; und das ganze Haus ist voll von Schönheit und Liebe und Freude; Neuvermählte und Neuverlobte, Liebesgezwitscher und Liebesblicke in jeder Ecke. Die Familie hat überdieß einen heitern Gesellschaftskreis, wo muntere Herren aus Europa, Deutsche, Engländer, Schotten und Franzosen, musiciren und sich tüchtig lustig machen.

Vorgestern führte mich die gute Frau Tolme in ihrer Volante auf Schaffenbergs Villa in einem Dorf, ein paar Meilen von Havannah. Es war eine schöne Gesellschaft versammelt; sie war nicht eingeladen, sondern nur gekommen, weil dieß der Empfangsabend im Hause war. Man hatte lebende Bilder, Musik und Tanz. Die ausgezeichnet schönen Damen, die in den Costümen der Gemälde wahrhaft entzückend waren, die artigen, muntern Herren, die gute Musik (die jungen Schwestern Tolme singen hübsch), der cubanische Contretanz und seine so eigenthümliche Musik, so treu bezeichnend für den Charakter und das Leben der Creolen, ein weiches, spielendes, genußreiches und doch wehmüthiges Leben, worin mir die Hauche des Seewinds, die Zweige der Palmen zu säuseln und zu schwanken schienen, der heitere freie Umgangston, die vielen Sprachen, die gesprochen wurden, der schöne Abend, die sanften Nachwinde, die da wehten, und die Sterne, welche in der finstern Nacht durch geöffnete Thüren und Fenster hereinblickten, alles das machte diesen Abend zu einem der schönsten und vollkommensten Feste, denen ich angewohnt habe. Da war keine Mühe und kein Zwang; man ruhte, genoß und belustigte sich auf einmal.

Ich habe ein paarmal der Morgenmesse in der Domkirche dahier angewohnt und habe recht großes Priesterspectakel und die Priesterherrlichkeit in vollem Flor gesehen. Man glaubt sich hier um zwei oder drei Jahrhunderte zurückversetzt. Betende sah ich beinahe gar keine in der Kirche. Die Priester schritten in Procession einher, räucherten, zündeten Lichter an, und beschäftigten sich mit vielen kirchlichen Ceremonien, aber augenscheinlich ohne Andacht. Aber die Musik betete; die Musik war schön und voll von inniger Andacht. Ein frommer und inspirirter Geist hatte seine Seele ihr eingehaucht, und ich betete mit ihr. Die Domkirche ist schön und hell, obschon nicht groß. Es sind einige Gemälde da, die mir Vergnügen machen. Eines von ihnen stellt die Geister im Fegfeuer dar; über den Flammen schwebt die Madonna mit dem Kind, erbarmungsvoll herabblickend. Einige Seelen bemerken sie, werden von ihrer Schönheit ergriffen, und während sie zu ihr emporschauen und unwillkürlich anbeten, erheben sie sich aus den Flammen, ohne es selbst zu bemerken.

Ein anderes Gemälde zeigt die heilige Jungfrau, die auf der Erdkugel steht. Ihr Blick ist im Himmel, ihr Gebet, ihre ganze Seele lebt da, und ohne daran zu denken, tritt sie auf die Schlange, die über die Erde hinschleicht. Diese Gemälde sind offenbar aus einer Zeit von tiefem geistlichem Leben.

Die Gebeine des Columbus ruhen in der Domkirche; eine weiße Marmortafel in der Wand neben dem Chor zeigt den Platz. Sie enthält auch seinen Kopf in Basrelief; unter demselben sind einige Symbole von sehr gewöhnlichem Schlag, und unter diesem eine Inschrift, matt, platt und schlecht zusammengesetzt, des Inhalts, daß sein Staub hier ruhe, daß aber sein Ruf durch mehrere Jahrhunderte leben werde.

Ich besuchte eines Tags die Kirche mit Mr. Vassar und wurde dahin von einem Jüngling geleitet, der zu den jungen Priestern der Kirche zu gehören schien. Als er hörte, daß Mr. Vassar in Jerusalem gewesen, wurde er ganz vergnügt, hörte so angelegentlich seine Erzählungen von dem heiligen Grab und den heiligen Orten in der Nähe der Stadt, und zeigte uns mit solchem Eifer alles Merkwürdige in der Kirche, daß es eine wahre Freude war ihm zuzusehen. Dieser Jüngling hatte offenbar noch ein unverdorbenes Gemüth und einen festen Glauben.

Gestern, während einer großen Procession in der Kirche und eines großen Handkusses bei dem Bischof, der ein schöner Prälat mit fetten, weißen, von blitzenden Juwelen bedeckten Händen war, sah ich einen der vornehmen Herrn (ich glaube, daß es der Admiral war) lachen, während er vor dem heiligen Vater niederkniete und Miene machte seine Hand zu küssen; aber es ist wahr, daß der Bischof ebenfalls lächelte. Beide wußten, daß es ein Spectakel war. Die Costüme der priesterlichen und der Beamtencorporation, die in Lehnstühlen einander gegenüber in der Kirche saßen, waren pittoresk und so imposant und kleidsam, als sie in gegenwärtiger Zeit nur sein können. Und ich bin weit entfernt mich aller Einwirkung davon erwehren zu können, so lange ich wenigstens nicht gesehen habe, daß es bloß betrügerische Masken sind.

Ich höre viel über die Regierung auf der Insel, über Monopole, Ungerechtigkeiten und officielle Räubereien nach allen Seiten, verübt von Beamten und Advocaten, klagen. Man sagt, daß sie buchstäblich den Antheil der Erben und Waisen verschlucken. Ich habe beinahe unglaubliche Geschichten davon gehört. Jetzt hofft man Gutes von dem neuen Gouverneur, General Concha, der vor zwei Monaten aus Spanien hieher gesandt wurde, und ein braver, ehrenhafter Mann sein soll. Der in der letzten Zeit abgesetzte Gouverneur zeichnete sich durch Erpressungen aus, die ihn zu einem reichen Manne machten. Die Priester werden als ganz unpriesterlich geschildert und sollen größtentheils in offenem Streit mit ihren Gelübden leben; die Religion ist so viel wie todt. Der Sklavenhandel wird noch immer betrieben, obschon im Geheimen. Die Regierung weiß davon, aber sie bekommt 30 oder 40 Pesos (Dollars) für jeden Sklaven, der aus Afrika eingeführt wird, und da drückt sie die Augen zu, ja sie soll den Handel sogar begünstigen.

Ach daß dieses irdische Paradies so von der alten Schlange vergiftet sein muß!




Serro, den 10. Februar.  

Seit drei Tagen befinde ich mich in einer ländlichen Wohnung, in einem kleinen Dorfe oder Marktflecken Serro, ein paar Meilen von Havannah, bei einer deutschamerikanischen Familie Schneidler, die mich freundlich auf einige Tage eingeladen hat, damit ich, wie ich so sehr wünschte, mit dem Land und mit dem ganz nahe an ihrem Haus gelegenen schönen Garten des Bischofs Bekanntschaft machen könnte. Ich habe ein neugebautes Häuschen, bestehend aus zwei luftigen Zimmern, für mich allein. Unter dem Fenster meines Schlafzimmers steht eine kleine Gruppe üppiger Bananasbäume mit schönen Früchten und sammtweichen, hellgrünen, ellenbreiten Blättern, die im Winde wogen, und unmittelbar vor dieser Gruppe braust ein kleiner Bergstrom. Jenseits unseres Gärtchens und ihm gegenüber erblicke ich innerhalb einer blauangestrichenen Mauer auf einem Hügel Gruppen von herrlichen Cocospalmen, Pappeln und Bambusbäumen; unter ihnen springt in prächtigem Marmorbassin eine Wasserkunst. Das ganze Dorf besteht aus Gärten und kleinen Häusern, und außerhalb derselben liegen weite Felder, überdeckt von Königs- und Cocospalmen, wie auch von mehreren Baumarten, deren Namen ich noch nicht kenne.

Die erste Nacht, wo ich hier in meinem kühlen Zeltbette lag, den Strom brausen und die Bananenblätter vor meinem Fenster sausen hörte und mich von den lieblichen Nachtwinden wie von Engelsschwingen umweht fühlte war für mich bezaubernd schön, so schön, daß ich kaum schlafen konnte. Ich mußte mehrere Male aufstehen, um Himmel und Erde zu betrachten. Da sah ich eine Constellation von unvergleichlicher Pracht und Herrlichkeit über der Anhöhe mit den Cocospalmen hinschreiten. War es das Schiff Argo oder das Sternbild des Schützen? Ich weiß es nicht. Ich habe noch nicht ausgemittelt, welche Sternbilder der südlichen Hemisphäre hier gesehen werden können, und ich habe noch Niemand getroffen, der es mir zu sagen vermöchte. Man denkt hier weit mehr an Handel und Vergnügen als an die Sterne. Gewiß ist, daß ich noch niemals eine prachtvollere Constellation gesehen habe. Als die Morgenröthe mit schönem Gold und rosenfarbigen Federwolken anbrach, mußte ich wieder aufstehen und sie begrüßen. Da sah ich den Morgenstern so wunderbar klar und groß über der Erde stehen. Ich weiß nicht warum, aber er machte einen wehmüthigen Eindruck auf mich. Er erschien mir als ein Auge, das voll von klarem, aber melancholischem Wissen, mit tiefem, reinem Ernst still auf die Erde herabschaute. Er wußte von der Erde Sünden und Sorgen. Der klare Stern stand über der schönen Insel wie ihr klares, vorwurfsvolles Gewissen.

Es hatte seit ein paar Tagen sehr heftig geregnet und gewittert, aber der Morgen war hell und schön, und ich wollte durchaus nach dem Frühstück den bischöflichen Garten besuchen, der bloß einige Minuten von unserem Serro abliegt. Mrs. S. sagte: „Sie werden nicht hinkommen können. Sie werden im Boden stecken bleiben, da er vom Regen jetzt ganz aufgeweicht ist.“ Ich wollte ihr nicht glauben, sondern begab mich an Ort und Stelle. Aber sie hatte Recht; ich konnte wirklich nicht fortkommen; bei jedem Schritt klebten meine Füße in einem dicken röthlichen Erdteig fest, von dessen Beschaffenheit ich nie eine Idee gehabt habe. Ich mußte wieder umkehren und warten, bis die Sonne die Erde getrocknet hatte, was schnell genug vor sich geht. Die Regenschauer, die mich auf Cuba empfangen und beinahe etwas böse gemacht hatten, sind, sagt man, Abschiedsgrüße der nassen Jahreszeit, die jetzt zu Ende geht und für die trockene (la seca) Platz macht, welche bis in den Mai hinein währt. Gestern schien die Sonne den ganzen Tag, und heute, heute habe ich im bischöflichen Garten, lustwandelnd unter Palmen, Bambus und mannigfachen schönen Tropenbäumen, unter prächtigen, ungewöhnlichen Blumen und Schmetterlingen den herrlichsten Morgen gefeiert, allein ein lobpreisender Geist unter den stummen Naturgeistern. Ach, da der Schöpfer uns schon hier auf Erden eine solche Schönheit schauen, eine solche Freude empfinden läßt, was hat er nicht von den Schätzen seines Reichthums für seine vom Staub befreiten, auferstandenen Kinder jenseits des Grabes?

Die Schönheit dieser Bäume und Blumen, die Lieblichkeit dieser Luft läßt mich eine Herrlichkeit der Schöpfung, eine Fülle des Daseins ahnen und gibt mir ein Gefühl von Naturleben, das Alles übersteigt, was ich bis jetzt empfunden habe. Wenn die Natur in einer vollendeten Welt ein Lobgesang von Schönheit, von harmonischer Größe und Lieblichkeit ist, wie wird da nicht das Leben empfunden werden, wie werden wir nicht lobpreisen?! … Wir sind nicht kühn genug, wir sind zu kleingläubig in unsern Blicken ins Himmelreich, jenseits des Todes; wir besitzen zu wenig Phantasie in unsern Ideen von der Macht und dem Reichthum des Schöpfers.

Cubas Palmenalleen, seine Bambushaine, die gelben Jasmine, die sich in duftenden Ranken von Stamm zu Stamm warfen, die liebliche, vom reinsten Leben erfüllte Luft, Alles flüsterte mir diesen Morgen Ahnungen und Gedanken darüber zu. Und ich ging allein durch die stattlichen Alleen in den stillen Hainen, wo hundert prächtige, mir unbekannte Schmetterlinge aus dem feuchten Gras aufflatterten, und ich pries Gott im Namen aller Wesen. Wie glücklich war ich nicht diesen Morgen!

„Aber die Sklaven! die Sklaverei rings um dieses Eden!“ wirst Du sagen. Ja, ich weiß. Allein die Sklaverei wird vergehen und die Kette der Sklaven wird abfallen, aber Gottes Güte und Herrlichkeit währt ewig. Ich lebte hier in ihrer Anschauung. Der Sklave wird es dereinst auch thun.

Der Garten, oder richtiger der Park, ist sehr verwahrlost seit dem Tode des alten Bischofs und seit ein schrecklicher Orkan (tornado) im Jahr 1846 das bischöfliche Haus, wovon nur noch eine Ruine übrig ist, zerstört und eine Menge von Bäumen und Statuen beschädigt hat. Aber ich freue mich über den weniger gepflegten Zustand des Parkes, denn dadurch wird er einer schönen Natur ähnlicher.

Ich bleibe wohl noch einige Tage hier, um dem schönen Park Gesellschaft zu leisten, sodann reise ich nach Havannah zurück, wo die liebenswürdige Familie Tolme mich als Gast eingeladen und ein Zimmer für mich in Bereitschaft gesetzt hat. Ich werde dann auch mit dem Botaniker Don Felipe Poe Bekanntschaft machen und von ihm Einiges über die Bäume und Wurzeln der Insel erfahren. Hierauf werden wir sehen, wie sich meine Angelegenheiten ferner gestalten.

Gestern war ich über Mittag bei Schaffenbergs auf ihrer Villa; es wurde ein ausgesuchtes Mahl servirt auf der offenen Veranda gegen den Garten hin, die uns eine herrliche Aussicht über die Insel darbot. Der Garten war, wie andere schöne Gärten, die ich hier gesehen habe, sehr zierlich, aber steif. Palmen von mehreren Arten, prächtige Blumenreihen, wohlgesandete oder gepflasterte Wege, Marmorbassins mit Goldfischen darin u. s. w. Ein schöner Junge von zwei Jahren ist des Hauses bester Schatz. Abends war ich bei der Familie Tolme, sah junge Liebende und munteres junges Volk nach Herzenslust tanzen und hörte wieder diese bezaubernde cubanische Tanzmusik. Sie hat eine gebrochene, besondere, aber höchst lebensvolle rythmische Bewegung. Mein freundlicher, angenehmer Wirth, Herr Schneidler, spielt sie mit deutschem Mutsiktalent auf dem Fortepiano.




Serro, den 12. Februar.  

Gestern war Sonntag, und obschon unser Dörfchen nicht in die Kirche ging, denn es hat keine, so sah es doch ganz festtäglich aus, und zur Mittagszeit hörte ich von verschiedenen Seiten her den lebensvollen Rythmus der africanischen Trommel, nicht unähnlich dem Getöne der Dreschflegel in unsern Dörfern, wenn gedroschen wird, nur daß hier weit mehr sprühendes Leben ist. Es war ein Zeichen, daß die freien Neger jetzt ihre Tänze auf ihren Versammlungsplätzen in der Gegend hatten. Mein Wirth hatte die Güte mich nach einem derselben, ganz nahe bei unserem Serro zu begleiten. Hier in einem Saal, der einer großen Wirthsstube bei uns glich, sah ich drei Neger, nackt bis auf den Gürtel, mit wilden, energischen Figuren und Gesichtern, munter und kräftig die Trommel schlagen. Die Trommeln bestanden aus ausgehöhlten Baumstämmen, über welche man ein Fell gespannt hatte. Auf das gespannte Fell trommelten die Neger theils mit Schlägeln, theils mit den Händen, Daumen und Handwurzeln mit merkwürdiger Fertigkeit und einer wilden, artistischen Vollendung, die ich eine vollendete Naturkunst nennen möchte. Sie trommelten, wie die Biene surrt, wie der Vogel singt und der Biber baut. Tact und Rythmus, die man zuweilen wechselte, waren meisterhaft; man kann sich keine natürlich vollendetere, lebensfrischere Bestimmtheit in dem beständig gleichen Tacte denken. Die Trommeln hielten sie zwischen ihren Knieen. An den Handwurzeln trugen sie große Kugeln, von innen mit Steinen und andern rasselnden Dingen angefüllt, von außen mit einer Quaste von Hahnenfedern geschmückt. Die Hauptsache schien zu sein, soviel Geräusch als möglich zu Stande zu bringen. Einige tanzende Paare fanden sich ein, Damen von verschiedenen Farbenschattirungen, in nachläßigem Aufzuge, Männer (Neger) ohne sonderlichen Aufputz und beinahe ohne Kleidung auf dem oberen Theile des Körpers. Ein Mann nahm ein Weib bei der Hand, und so begannen sie zu tanzen: sie, indem sie sich mit niedergeschlagenen Augen auf einem Fleck herum drehte; er, indem er sie mit einer Menge zärtlicher Cabriolen umgab, worunter die hübschesten Purzelbäume und Volten, die wegen ihrer Kühnheit und Geschmeidigkeit Bewunderung verdienten. Andere Neger erhoben dabei von Zeit zu Zeit wilde Rufe und schlugen mit Stöcken auf Wände und Thüren. Die trommelnden Neger schwitzten und sahen verzweifelt eifrig aus. Da der Saal sich mit Leuten zu füllen begann, so wollte im meinen Wirth und sein Töchterchen nicht lange aufhalten, aber ich werde alles Mögliche thun, um diese africanischen Tänze mit ihrem eigenthümlichen wilden Leben, das zu gleicher Zeit so regellos und dennoch so rythmisch ist, noch öfter zu sehen.

Während wir nach unserem Serro zurückkehrten, hörten wir von mehreren Seiten her die dumpfen Töne der wilden Trommeln. Es sind jedoch blos die freien Neger auf der Insel, die um diese Zeit ihre Tänze halten. Auf den Plantagen wird über die ganze Zeit der Seca das Zuckerrohr gemahlen, und die Negersclaven dürfen nicht tanzen, ja kaum genug schlafen. Aber auf Cuba befindet sich eine ganze Menge freier Neger.

Als wir wieder ins Dorf kamen, begegneten uns zwei junge Männer, die unterwegs auf Guitarren eine fröhliche Melodie spielten. Sie wurden von andern jungen Männern begleitet. Auf diese Art wurde irgend ein Geburts- oder Namenstag gefeiert. Ein schöner, poetischer Brauch!

Ich bin hier viel umhergewandelt und habe mehrere der schönen Bäume der Insel kennen gelernt. Unter diesen muß ich Dir den Ceibabaum vorstellen, eine der höchsten und schönsten Baumarten auf der Insel. Er schießt mit einem starken, weichwogenden Stamm in die Höhe, ist höher als die Palme und ohne alle Zweige, bis er auf einmal in horizontaler Richtung drei bis vier starke Arme, mit Krümmungen gleich denen der Eiche, nur etwas weicher, ausbreitet; sie theilen sich in mehrere Zweige und tragen die schönste Krone von buschigem, fingerartig getheiltem, saftgrünem Laube. Dies ist einer der schönsten Bäume, die ich je gesehen habe, und ich weiß nicht, mit was ich ihn vergleichen kann. Aber der schöne Baum hat seinen neidischen Feind, und auf den kleinen stachelartigen Auswüchsen, womit sein Stamm sich bedeckt, setzt sich gerne eine Schmarotzerpflanze an, welche den Baum allmälig umschlingt und zuletzt tödtet. Ferner bemerke ich die schönen, dunkelgrünen Bäume Mammai colorado und Mammai San Domingo, jetzt mit apfelgroßen Früchten bedeckt, die von außen grau und braun sind, von innen aber mit einem rothgelben, sehr süßen, nach meinem Dafürhalten jedoch geschmacklosen Fleische erfüllt; sowie den Sapotabaum, ebenfalls mit dunkelgrünen Blättern und braunen Früchten, so groß, wie kleine Apfelsinen und gleich diesen voll von saftigen Stücken, die sehr süß, aber von unendlich angenehmem Geschmack sind. Der Mangobaum hat eine dichte, laubreiche Krone, die in Bezug auf Form und Dichtheit an unsere Kastanienbäume erinnert. Seine Früchte sind jetzt grün und hängen mehrere an einem Stiel, an Form gleich colossalen Mandeln, herab. Sie sollen schön goldgelb werden, wenn sie reifen; man nennt sie die Aepfel Cubas und sie werden auf der Insel sehr geliebt. Der Mangobaum wirft einen dichten undurchdringlichen Schatten. Die Tamarinde hinwiederum breitet sich wie ein feiner, zarter, brodirter grüner Schleier, durch welchen Du den blauen Himmel siehst, über Deinem Haupte aus. Sie trägt Hülsen mit kleinen Bohnen darin, die einen säuerlichen, aber sehr angenehmen und frischen Geschmack haben.

Der Gourdbaum oder Calabasbaum (NB. ich sage Dir die Namen des Baumes so, wie ich sie hier nennen höre, es ist mir kein botanisches Werk zugänglich) gleicht von Gestalt einem Apfelbaum, hat seine Zweige mit Laub dicht an den Zweigen bewachsen und trägt auf diesen große kugelrunde Früchte ohne Stiel. Diese Früchte, die groß wie ein Menschenkopf werden können und eine sehr harte Schale haben sollen, versehen die armen Leute mit ihrem wichtigsten Hausgeräthe und dienen ihnen entzweigeschnitten als Schale, Schüssel, Teller, Trinkgefäß, Waschschüssel, Schöpfkanne, Kochlöffel, Alles mit einander. Die Calabasse oder der Flaschenkürbis ist besonders das vornehmste Hausgeräthe der Neger, und die Calabasse ist es auch, die ihre Handwurzeln schmückt und das Vergnügen und Geräusche bei ihren Tänzen vermehrt. Ich könnte Dir noch mehrere Bäume nennen; mehrere andere kenne ich auch noch nicht mit Namen; aber ich muß Dir erzählen, wie mein geliebter Bananasbaum blüht und Früchte trägt; denn das ist eine eigene Geschichte, die mich lange gequält hat, als ich sie aus der Ferne sah, und deshalb habe ich sie aus der nächsten Nähe studirt.

Du siehst den Bananasbaum — Du wirst ihn in meinem Album sehen — einen niedrigen Baum mit palmartiger Krone, der nicht weit über Deinen Kopf reicht. Der Stamm erhebt sich gerade, umgeben von Hülsen, die in demselben Verhältniß abfallen, wie der Stamm aufschießt, so daß er beinahe ein etwas schofles und welkes Aussehen erhält. Ist der Baum vier oder fünf Ellen hoch geworden, so wächst er nicht mehr, aber er entrollt und entwickelt dann eine Krone von langen (zwei bis drei Ellen), breiten, hellgrünen, sammtweichen Blättern, die sich bei jedem Lufthauch biegen und graciös flattern. Diese Lufthauche gehen jedoch nicht lange artig mit ihnen um, sondern zerreißen das Blatt auf beiden Seiten der starken Blattnerve oder Sehne in viele Theile, so daß es oft lumpig aussieht; aber auch unter den Lumpen behält es seine weiche Anmuth, seine schöne Bewegungen noch bei. In der Mitte der Blätterkrone schießt auf ihrem Stiel eine Knospe auf, ähnlich einer sehr großen grünen Blumenknospe. Sie schießt schnell auf und wird ebenso schnell zu schwer für ihren Stiel, der sich unter ihrer Last biegt. Die Knospe hängt jetzt am Stamm hinab und wird ungefähr so groß wie eine Cocosnuß. An Form gleicht sie einer Rosenknospe und ihre Farbe ist dunkelviolett. An beinahe allen Bananasbäumen, auch denjenigen, die üppige Büscheln reifer Früchte trugen, sah ich diese ungeheure violette Knospe hängen und war nicht wenig neugierig sie näher zu betrachten. Jetzt mußt Du sehen. Eines der äußeren Blätter der Knospe oder das Deckblatt löst sich davon ab oder öffnet sich sachte im Wipfel, und Du siehst seine inwendige Seite im prächtigsten Zinnoberroth strahlen, und in seiner Tiefe siehst Du, dicht an einander geschlossen, sechs oder sieben hellgelbe Figürchen hervorgucken, nicht unähnlich kleinen Küchlein, und sehr ähnlich den Küchlein in der Pfingstrose. Das Deckblatt öffnet sich immer mehr dem Licht und der Luft, und die kleinen hellgelben Küchlein gucken immer deutlicher hervor. Allmälig trennt sich das Blatt mit seiner kleinen Familie gänzlich von dem Knospenkopf; es entsteht ein Stück bloßen Stiels zwischen ihnen. Die kleinen Küchlein gaffen jetzt mit hellgelben Blumenschnäbeln und recken ihre Zungen (sie sind Didynamisten) hervor, um die Sonne und die Luft zu trinken; aber noch erhebt sich das Blatt über ihren Köpfen, wie eine schützende Schwinge, wie ein beschattendes Dach. Noch ist die Sonne zu heiß für die Kleinen. Aber sie wachsen immer mehr. Sie beginnen sich zu brüsten, ihre Brust zu biegen und ihre Köpfe immer mehr aufwärts zu wenden. Sie wollen selbständig sein; sie wollen die Sonne sehen, sie bedürfen des alten Daches nicht mehr. Da löst sich das Blatt, das schöne, mütterliche Blatt, und fällt auf den Boden herab. Ich habe diese Deckblätter oft unter dem Baum auf dem Boden liegen gesehen, ich habe sie aufgehoben und mit inniger Bewunderung betrachtet, mit Bewunderung sowohl für die Rolle, die sie gespielt, als auch für die seltene Schönheit und Zartheit ihrer rothen Farbe auf der innern Seite des Blattes. Man könnte sagen, es habe sich ein Blutstropfen aus einem warmen Mutterherzen hier ausgegossen. Die Jungen, die Küchlein, (die Hähne und Hennen zugleich sind) brüsten sich jetzt ganz stolz, und die Brust auswärts, den Rücken einwärts gekehrt, die Köpfe und Schnäbel hoch in der Luft, richten sie sich empor, kranzartig den Stiel umgebend, wo sie in ein paar Wochen zu der lieblichen Bananasfrucht heranreifen und büschelweise abgeschnitten werden.

Der ganze, schwere, dunkelpurpurfarbige Knospenkopf ist eine dichte Zusammensetzung von solchen Blätterhülsen, die solche Jungen umschließen. So löst sich Blatt um Blatt und fällt ab, so wächst Brut um Brut von Fruchtzweigen, bis der dicke Stiel vollbesetzt ist mit ihren Kränzen. Aber noch immer bleibt ein guter Theil des Knospenkopfes übrig, der niemals seinen ganzen innern Reichthum in dem Jahr entwickeln kann, wo der Bananasbaum lebt. Denn er lebt und trägt nur ein einziges Jahr, dann stirbt er. Doch ruft er vorher noch eine große Familie von kleinen Schößlingen ins Leben, die zu seinen Füßen aufwachsen, und wovon die ältesten bereit sind zu blühen und Früchte zu tragen, wenn der Mutterbaum stirbt.

Und dies ist die Geschichte von dem Bananasbaum, der Musa paradisiaca, wie er in der Flora des Wendekreises genannt wird. Sicherlich war er auch in dem ersten Paradiese zu Hause, wo Alles gut war.

Etwas Zierlicheres und Vollkommeneres, als diese kleinen Schößlinge, die Bananaskinder, kann man sich kaum denken. Sie sind vollkommene Miniaturbilder des Mutterbaumes, aber bei ihren jungen Blättern bekommt der Wind keine Macht. Sie stehen unter den Flügeln des Mutterbaumes in paradiesischer Friedsamkeit und Schönheit.

Man hat den Bananasbaum in den Süden Nordamerikas zu verpflanzen gesucht, wo so mancher Baum aus fremden Zonen gedeiht. Aber der Bananasbaum will da nicht gedeihen, seine Frucht will nicht reifen. Er erfordert eine gleichmäßigere, mildere Wärme. Er will nicht aus der paradiesischen Luft des Wendekreises gehen.

Gebratene Bananas sind auf den Frühstückstischen der Creolen ein so gewöhnliches Gericht wie Brod und Kaffee. Aber ich esse sie nicht anders als roh.

Den Frauen hier zu Lande macht ihre Haushaltung nicht viel zu schaffen. Die Köchin, immer eine Negerin (wenn die Familie nicht einen Koch hat, der dann ein Neger ist), erhält wöchentlich eine gewisse Geldsumme, wofür sie die Mahlzeiten der Familie bestreitet. Sie geht auf den Markt und macht Ankäufe; sie nimmt das Beste, was sie findet, oder überhaupt was sie gut findet. Die Frau des Hauses weiß oft nicht, was die Familie zum Mittagessen bekommt, bis das Mahl aufgetragen wird. Und ich kann mich bloß darüber verwundern, daß die Hausmütter diese Sache mit so vollkommener Zuverlässigkeit ihren Köchinnen überlassen können, und daß es so wohl gelingt. Aber das Talent zum Kochen und Freude an diesem Geschäft soll bei den Negern etwas Allgemeines sein, und sie setzen eine Ehre darein, gute Mahlzeiten herzustellen.

Frau Schneidler sitzt an den Vormittagen da und liest mit ihren zwei kleinen Mädchen in einem Saal, dessen Thüren nach der Piazza und von da nach der Landstraße geöffnet sind, und wenn die Landleute (Monteros werden sie hier genannt und sind immer Männer) mit ihren Pferdchen ankommen, die schwer mit Gemüsen, Früchten oder Federvieh belastet sind, so bleibt der eine und andere vor der Thüre stehen, ruft die Sennora und fragt sie, ob sie Das oder Jenes haben wolle; sie antwortet Einiges in der melodischen schönen spanischen Sprache, und die Sache wird mit wenigen Worten abgemacht, ohne daß die Dame sich von der Stelle zu bewegen braucht. Das Leben wird hier sehr leicht gemacht. Abends nach dem Thee sitzen wir in Schaukelstühlen auf der Piazza, so dünn gekleidet, als es sich schicklicher Weise thun läßt, und erfreuen uns an der Luft und einem süßen Far niente. Alles ist dann still in dem Dörfchen. Hier athmen heißt leben und genießen.

Meine guten Wirthsleute haben mich in einige der prachtvollen Gärten der benachbarten Aristokratie geführt. Sie sind zierlich, aber steif. Alles steht in Reihen auf übersandeten Gängen. Und die von Natur regelmäßigen Formen der Tropenbäume tragen zur Steifheit bei, wenn sie nicht mit einigem poetischartistischen Sinn gruppirt sind. Der schöne Garten des Grafen Hernandinos hatte jedoch einen in solchem Sinn angepflanzten Ring von Königspalmen. Dies war die schönste Pfeilerredoute, die man sich nur denken kann; die Kronen, die sich zusammenschlossen und ihre Zweige in einander verflochten, bildeten da einen riesigen grünen Kranz, der im Winde flatterte und sauste, während des Himmels blaues Gewölbe klar hindurchleuchtete.

Jeden Morgen habe ich in des Bischofs Park lustgewandelt. Aber eines Morgens wurde ich da von ein paar halbnackten, schrecklich aussehenden Negern verfolgt, die wahrscheinlich Artigkeiten sagten und bettelten, obschon ich sie nicht verstand; denn sie störten mich in meinem Behagen. An einem andern Morgen wurde ich von Etwas, was ich verzehrt hatte, ich weiß nicht, was es war, so unwohl, daß die Freuden des Paradieses mich nicht anregen konnten; an einem dritten Morgen war ich frei, behaglich und genoß das Leben wieder, doch nicht so wie am ersten. Aber das war auch nicht nöthig. Ein einziger solcher Morgen genügt zur unsterblichen Erinnerung.

Jede Nacht habe ich die große prachtvolle Constellation über dem Palmhügel von neuem begrüßt und des Morgensterns stillen, wehmüthig klaren Blick über die Erde hin betrachtet. Diese Nächte beim Gebrause der Bergströme und dem Gesäusel der Bananasbäume — sie vergesse ich nicht.

Heute früh war Mrs. S. mit mir im Park. In einem schönen Bambusbaum waren spanische Verse eingeschnitten. Ich bat Mrs. S. sie mir zu übersetzen. Sie konnte es nicht thun, denn die Verse enthielten — die gröbsten Unanständigkeiten. — Wiederum die alte Schlange!

Auf dem Lande umher sieht man kleine Höfe, alle mit Häusern aus Palmenholz, die mit vergilbten Palmblättern bedeckt sind; das spitzige Dach ist oft höher als die Hütte. Aber alle Wohnungen auf der Insel sind niedrig um der Orcane willen, welche sie sonst sicherlich zerstören würden. Mehrere kleine Negerhütten haben auch Wände von Birkenrinde oder zusammengeflochtenem Reisholz. Der Palmbaum ist für das arme Volk der wichtigste Baum. Er gibt ihm Häuser, wie die Calebasse ihm Hausgeräthe gibt. Die kleinen Höfe sehen eigenthümlich aus, obschon nicht zierlich. Aber sie schmücken die Landschaft durch ihren eigenen Character.

Man hat mir hier manches Abenteuer aus der Zeit des letzten Orcans erzählt. Man hat mir ganz in der Nähe den Platz gezeigt, wo ein kleiner Bauernhof stand. Im Wohnhaus war die ganze Familie versammelt, zwölf Personen stark. Der Orcan erschütterte das Haus. Der Hausvater ermahnte die Seinigen zu beten. Alle warfen sich rings um ihn her auf die Kniee: er stand allein aufrecht mitten im Zimmer und betete im Namen Aller. Der Sturm riß ein Loch ins Dach und in demselben Augenblick stürzte das Haus zusammen; der Mann blieb unbeweglich aufrecht stehen, aber sein Weib, seine Kinder und Diener wurden begraben. Nicht eine einzige Person entkam außer ihm selbst.

Morgen werde ich nach Havannah zurückkehren. Könnte ich doch einmal diesen guten freundlichen Menschen, die mir durch ihre Gastlichkeit so viel geschenkt haben, irgend ein Vergnügen machen! Ich verlasse sie mit Bedauern, besonders das jüngste allerliebste kleine Mädchen, das dunkeläugige Helenchen.




Havannah, den 15. Februar.  

Wieder hier! Die Wärme ist zwar eine gute Sache, aber zu viel ist zu viel. Und diese Wärme ist wirklich zu viel, sowohl für die Seele als für den Leib. Sie können sich unmöglich frisch erhalten, sondern erlahmen ein wenig — es will nicht gehen. Man wird ganz schachmatt. Ein feiner Sandstaub dringt von den Straßen her zwischen die Jalousien herein, erfüllt die Luft im Zimmer und legt sich auf Alles. Die Abende sind die einzige Zeit des Tages, wo man ein wenig frei athmen kann, theils draußen in der Luft, theils auf den luftigen Gallerien im Hause gegen den Hof zu.

Ich wohne jetzt im Haus der Familie Tolme, Calle de Obra pia (Straße der frommen Werke), wo die gute Frau Tolme ein Zimmer für mich eingerichtet hat und mütterlich für mich sorgt. Sie ist eine der schönen mütterlichen Naturen auf Erden und Alle im Hause lieben sie. Ich schätze sie auch deßwegen sehr, weil sie die Neger liebt, eine mütterliche Beschützerin der Sklaven ist, offen bei allen Gelegenheiten für den Negercharacter Partei ergreift und eine Menge schöner Züge von ihrem Edelsinn, ihrer Treue und Gutmüthigkeit zu erzählen weiß. Einen Theil des Vormittags sitzt sie ganz patriarchalisch da und näht, umgeben von ihren Sklavinnen, sowie von den jüngern Kindern, mit denen sie liest, auf einer der langen, offenen Gallerien; dort nimmt sie auch Besuche entgegen und ertheilt ihre Befehle in Betreff der Küche oder der Toilette. Abends versammelt sich der große Familien- und der Freundeskreis auf den Gallerien und im Salon um sie. Da kommen die zwei schönen verheiratheten jungen Frauen mit ihren Männern, die beide Deutsche sind, und der eine von ihnen sehr musikalisch; da kommt der englische Consul, Mr. Crawford, mit seiner schönen jungen Frau, ebenfalls einer Tochter der Mrs. Tolme aus einer früheren Ehe; da ist das verliebte Pärchen, der älteste Sohn des Hauses und seine blühende junge Frau; da ist das neu verlobte Pärchen, Louise Tolme, noch halb Kind, und ihr Bräutigam, ein verliebter und sehr hübscher junger Schotte; da sind die jüngern Söhne und Töchter des Hauses, und der jüngste von ihnen, mein ernsthafter, kleiner Maestro in der spanischen Sprache, der dreizehnjährige Gulio, und die kleine Emmeli, zierlich und graziös, wie wir uns einen Lichtelf denken; da kommen noch andere Freunde des Hauses und man spielt und tanzt und singt; aber der verliebte Bräutigam sitzt neben seiner jungen Braut und schaut sie an und will nicht, daß sie tanze oder seine Seite verlasse.

Die Einrichtung der Häuser ist ganz eigenthümlich, und man muß sich daran gewöhnen, um sich dabei wohl zu befinden. Alles in ihnen ist darauf berechnet, so viel als möglich Luft und Zug zu bekommen. Lange Gallerien mit halbrunden langen Arcaden öffnen sich auf den Hof hinaus (hier im Hause auf vier Seiten). In diesen Gallerien bewegt sich die Haushaltung und führt eine Art von öffentlichem Leben. Man ißt zu Mittag, man nimmt Besuche entgegen, die Frau des Hauses näht, umgeben von ihren Sklavinnen, und erzieht die Kinder; das Gesinde wascht oder verrichtet andere Hausarbeiten — Alles in diesen offenen Gallerien, wo die Menschen und die Luft gleich ungehindert circuliren. Vor diesen Gallerien, die gewöhnlich einen marmornen Boden haben, liegen die Schlafzimmer, durch Jalousien von ihnen getrennt; die Fenster nach der Straße zu werden im obern Stock der Häuser auf dieselbe Art geschlossen. In dem untern haben die Fenster eiserne Stangen oder Gitter, und hinter diesen Gittern ist bloß ein Vorhang, der bei Nacht herabgelassen wird. Bei Tag sieht man den Vorhang nicht, und die vergitterten Fenster mit ihren aufrechten Eisenstangen geben den Wohnungen zunächst bei der Straße ein unfreudiges, gefängnißartiges Aussehen. In den vornehmen Häusern haben jedoch die Fenstergitter mehrere Zierrathen, und man sieht hinter diesen Gittern nicht selten hübsche Sennoras sitzen, die sich auf Schaukelstühlen wiegen und mit zierlichen Fächern Kühlung zufächeln. Glasscheiben sieht man nicht. Diese Bauart der Häuser und Zimmer macht zwar, daß die Luft überall frei hereinkommt, und Cubas Luft kann nicht anders als willkommen sein, aber mit ihr kommt auch hier in Havannah eine Menge Staub, der sowohl der Sauberkeit als dem Behagen sehr hinderlich ist.

Geht man in die Stadt — und ich bin an diesen Abenden viel allein herumgewandelt — so sieht man überall durch Arcaden und halb dunkle Gänge in die Häuser hinein, deren Gestalten in einem anziehenden Helldunkel erscheinen. Sie kommen zum Vorschein und verschwinden. Ueberall, wohin Du siehst, eröffnet sich eine neue vista, neue Bilder in den dunkeln Gängen unter den mit Frescogemälden von Früchten oder Blumen geschmückten Säulenhallen. Aber Du siehst Alles im Halbdunkel. Die Oeffentlichkeit hat in ihrer Tiefe ein Mysterium, und vor dem offenen Fenster des Hauses steht das Eisengitter. In den Häusern der Stadt ist ein großes Gemisch von Regelmäßigem und Unregelmäßigem, von Altem und Neuem, von Hübschem und Verfallenem. Neben der elegant gewölbten Arcade und der zierlich bemalten Mauer kommt eine halb verwitterte Mauer, deren Frescogemälde beinahe verwischt oder gleich dem Mauerwerk abgefallen sind. Und die alte Mauer wird nicht reparirt und das alte Gemälde wird nicht wieder aufgestutzt. Alles das, die Gesichter und Manieren der farbigen Bevölkerung, die Volantes, die sich da und dort still zwischen den Häusern hindrängen, verleihen Havannah ein eigenthümlich interessantes und romantisches Leben, unähnlich dem Leben in andern Städten, die ich gesehen habe, und besonders in den Städten Englands und Nordamerikas.

Wir haben jetzt Mondschein, und ich muß seine Klarheit und Zartheit bewundern. Unser Mondschein in Schweden ist zwar eben so klar, aber er hat eine kältere, bläulichere Farbe. Hier ist der Schein hellgelb und kommt mir gleichsam rosenfarbig vor. Man hält hier das Mondlicht für gefährlich und geht nicht gern barhäuptig in seinem Schein.

Ein paar Abende habe ich mit den guten Ehegatten Tolme (den älteren) der Musik auf der Plaza de Armas angewohnt. Elegante Sennoras mit leichten Mantillen über ihren blumengeschmückten Häuptern lustwandeln da mit artigen Caballeros unter den herrlichen Königspalmen umher, oder sitzen sie plaudernd auf den marmornen Bänken, während die Musik cubanische Contretänze oder Märsche und Stücke aus Opern aufführt. Ein schönerer Festsaal als dieser Platz mit seinen Palmen und Palästen unter Cubas Mondschein und strahlendem Himmel läßt sich nicht leicht denken. Schöne romantische Gestalten und romantisch schöne Costüme habe ich auch da gesehen.[WS 2] Der dünne spanische Schleier ist gleich dem Mondschein ein Talisman, der durch sein mystisches Halbdunkel das Häßliche verbirgt und das Schöne hervorhebt.

Eines Tags führten mich meine liebenswürdigen Wirthsleute zu Wagen nach einem Dorf oder Marktflecken mit Namen Guanavacoa, welches das älteste auf der Insel sein soll und noch jetzt Erinnerungen an die Ureingebornen desselben, die sanften, friedfertigen Indianer bewahrt, die Cuba bewohnten, als die Spanier hieher kamen. Und es gehört zu den Eigenthümlichkeiten Cubas, daß seine Eingebornen sanft waren wie sein Klima; auch heute noch übt dieses seinen mild stimmenden Einfluß auf die Einwohner aus. Die Creolen sind sanft und gutmüthig. Es findet sich auf der Insel keine giftige Pflanze, kein giftiges Thier. Auch Cubas eingeborne Biene hat kein Gift in ihrem Stachel. Die Barbareien der Spanier auf dieser Insel haben ihre Natur nicht zu vergiften vermocht. Das Blut dieses niedergemetzelten ältesten harmlosen Volkes schreit noch jetzt von der Erde auf, aber sein Schrei ist wie eine schöne Melodie; es hat Cubas schönstes Thal Yumori getauft.

Unter den Erinnerungen, welche die Indianer in Guanavacoa zurückließen, befindet sich eine Art von irdenem Gefäß, das sie aus einer Art poröser Erde verfertigten, und das jetzt noch da verfertigt wird. Man bedient sich desselben auf Cuba allgemein, um das Trinkwasser im Zimmer kühl zu erhalten. Das Wasser dünstet aus durch das poröse Gefäß, um welches man ein Tuch schlingt, das sich immer naß erhält, und das Wasser, welches durch eine Röhre ausgegossen wird, bleibt dadurch frisch, wenn auch meines Erachtens nicht just kühl. Und der Mangel an gutem Trinkwasser ist auf Cuba ein großer Mangel. Man braucht da noch kein Eis, um das Wasser abzukühlen, außer in den großen Hotels zu Havannah.

Es war ein schöner Tag, als wir nach Guanavacoa fuhren, und die Fahrt war schön. Aber ich konnte sie nicht recht genießen. Ich war matt von zweinächtigem Wachen, verursacht durch Hitze und Mücken, und ich sah Alles in einem halb schlafenden Zustand an. Ich erinnere mich des kleinen Fleckens als eines Miniaturbildes von Havannah, die Häuser auf dieselbe Art gebaut und bemalt, mit denselben Dächern und urnengeschmückten Azoteons, aber Alles kleiner und niedriger. Das Land zeigte sich als ein weites, wogendes Feld, überstreut mit Palmen und Höfen, und im Hintergrund einwärts der Insel sah man die Bergkette sich erheben, welche Cuba von Osten nach Westen durchläuft und überall in seiner Landschaft ein stark hervortretender Zug ist. Ihre höchsten Spitzen, Potullo und Cobre, sollen über 8000 Fuß hoch sein.

Diese natürlichen Festungen und Burgen auf der Insel haben ihre eigenthümliche düster romantische Bedeutung. Geflüchtete Negersklaven leben in diesen Bergen und haben sich in ihren unzähligen Grotten und Höhlen verschanzt, so daß man es nicht wagt, sie dahin zu verfolgen. Sie haben sich Wohnungen erbaut, Schießgewehre angeschafft, und sollen eine Zeit lang stark genug (man spricht von mehreren Tausenden) gewesen sein, um der Regierung von Cuba ernste Besorgnisse einzuflößen. Aber die Schwierigkeit sich da oben zu ernähren hat zur Folge gehabt, daß sie in den letzten Zeiten bedeutend zusammengeschmolzen sind. Gleichwohl sterben sie lieber dort, frei unter den freien harten Bergen, als daß sie herabkämen, um unter den noch härteren Menschen zu leben.

Die Palmen sind immer bedeutende Gestalten in der Landschaft dahier, besonders wenn sie vereinzelt oder in kleinen Gruppen zerstreut stehen. Sie erscheinen mir als die ältesten und menschenähnlichsten von allen Bäumen. Bei unserer Heimfahrt bemerkte ich in dem klaren Mondschein zwei vereinsamte Palmen auf einem Felde. Sie standen ein Stück weit von einander, aber die Stämme hatten sich immer mehr zu einander hingeneigt, so daß ihre Kronen sich zusammenschlossen. So standen sie einander mit säuselnden Zweigen umflechtend unter dem schönen Himmelsgewölbe, selbst eine hohe gothische Arcade bildend. So nähern sich zuweilen zwei hochsinnige Feinde und wachsen zusammen, je näher sie dem Himmel entgegenwachsen.

Der Weg ging Überall zwischen lebendigen Hecken hin, die meistens aus ungeheuern Aloepflanzen bestanden, deren spitzige, dornige Blätter auf allen Seiten die Annäherung verboten. Mitten in diesen Gebüschen sah ich große, weiß und hellrothe Blumenpistille, die noch nicht ausgeschlagen waren, sich erheben, und Mr. Tolme hatte die Güte, einige von ihnen für mich abzubrechen. Sie glichen in der Entfernung ungeheuren Hyacintenpistillen und waren armsdick. Es waren die schönen Blumenpistille des Aloebusches und sie tragen später angenehm saftige Früchte mit Ananasgeschmack. In den Hecken schoßen da und dort auch Orangenbäume auf nebst den sonderbaren kandelaberförmigen hohen Pflanzen oder Bäumen, die ich auf der Höhe von Havannah gesehen hatte. Aber ich kann ihren Namen oder ihre Art nicht erfahren. Diese lebendigen Hecken sind sehr verschieden von unsern Zaunsträuchen. Aber sie sind doch mehr eigenthümlich, als wirklich schön. In dem hellen, gold- und rosenfarbigen Mondschein fuhren wir nach Hause. Man spricht von einer Menge schöner Blumen, die blos bei Nacht im Mondlicht ausschlagen. So die nächtlich blühende Ceres.

Unter den Wundern, welche die Sonne hier wirkt, ist vielleicht dasjenige, das sie in der Tiefe des Meeres hervorbringt, eines der merkwürdigsten. Denn die Sonne wirft ihren prismatischen Bogen in die Tiefe und malt damit die Fische. Ich besuchte gestern den Fischmarkt in Havannah, und kein Fremder soll es versäumen, dieses merkwürdige Schauspiel zu sehen. Die Fische strahlen in allen Farben des Regenbogens in der schönsten Klarheit und im hellsten Glanz, sie sind blau, gelb, roth, gelb und blau gestreift, goldfarbig und so weiter. Es ist die prächtigste Fischparade, die man sich denken kann. Auf dem Meeresgrund um Cuba her wachsen die schönsten Algen und Corallen.

Die gute Mrs. Tolme hatte mich mehr als einmal eingeladen mit ihr in die Oper zu fahren, aber ich bin so geizig mit der Luft und dem Mondschein hier. Ich gehe an den Abenden lieber auf die Plaza de Armas. Die Natur ist hier für mich Nro. 1; die Menschen und ihre Spectakel Nro. 2. Morgen jedoch werde ich einer großen Soiree bei dem englischen Consul, Mr. Crawford, anwohnen und werde da die spanischen Schönheiten zu Gesicht bekommen. Und dann lebe wohl Havannah auf einige Zeit! Ich habe zwei Einladungen erhalten, die mich sehr erfreuen, nemlich eine nach Matanzas in ein amerikanisches Handelshaus, und die zweite auf eine Plantage etliche Meilen von Matanzas, von einer Frau von Coninck, deren freundlicher Brief eine wahre Erquickung für mich war. Denn ich kann da aufs Land kommen und da mit den Palmen und dem Caffeebusch, dem Zuckerrohr und anderen tropischen Pflanzen Bekanntschaft machen. Ach wie mich das freut! Und ich sehne mich unbeschreiblich von Havannah hinweg, wo die drückende Hitze und neue mir fremde Lebensgewohnheiten mir eine beschwerliche Migräne zugezogen haben, die jetzt schon drei Tage anhält und mich nicht loslassen will, obschon ich ausgehen und mich in der Stadt umsehen kann. Morgen werde ich auf der Eisenbahn nach Matanzas fahren, was keine volle Tagreise ist.

Ich schließe jetzt meinen Brief, muß Dir aber zuvor erzählen, was der schwedische Consul dahier, Herr Nenninger, und Herr Schaffenberg für mich veranstalten wollen. Herr Nenninger besitzt ein kleines Landhaus, das er nicht bewohnt, in der schönen Gartengegend, ganz nahe bei der Villa Schaffenbergs. Dieß will er für mich möbliren, und da soll ich in ländlicher Ruhe und Freiheit, gepflegt von einer ehrsamen Duena, wohnen dürfen und meine Mahlzeiten bei Schaffenbergs nehmen, die mich auch eingeladen haben bei ihnen zu wohnen, sobald ihre jetzt für einige Zeit in Anspruch genommenen Gastzimmer frei werden. Ist das nicht artig? Ich werde wahrscheinlich von dem freundlichen Anerbieten keinen Gebrauch machen, aber wie innig danke ich nicht für ein so liebenswürdiges Wohlwollen! Auch Tolmes, diese guten Leute, überschütten mich mit Beweisen ihrer Güte. Gott segne sie!

Du hast jetzt Schnee und Eis, und kalte, kalte Luft rings um Dich her. Aber ich habe es hier zu warm, und das ist nicht besser als zu kalt, besonders wenn man Kopfweh hat. Doch Seele und Herz sind gesund und so umarme ich Dich von ganzem Herzen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Cocuspalmen
  2. Punkt hinzugefügt
Zweiunddreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Dritter Band
von Fredrika Bremer
Vierunddreißigster Brief
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