Die Gruppe Markgraf Ottos I. für die Siegesallee in Berlin
[219] Die Gruppe Markgraf Ottos I. für die Siegesallee in Berlin. (Zu dem Bilde S. 201). Im Berliner Tiergarten erwacht der Frühling, und die Spaziergänger, welche das milde Lenzwetter ins Freie lockt, betrachten neugierig die ersten Arbeiten, welche für die Standbilder der brandenburgischen Fürsten in der Siegesallee schon fertig gestellt sind. In Abständen von je 36 Metern sind längs der Straße einige von den halbkreisförmigen Taxushecken angepflanzt worden, welche den Hintergrund bilden sollen für die 32 Denkmäler, die der Kaiser zu seinem sechsunddreißigsten Geburtstag seiner Haupt- und Residenzstadt zum Geschenk gemacht hat. Die Statuen Albrechts des Bären von Schott und seines Sohnes Otto I. von Unger gehen ihrer Vollendung entgegen, so daß man hofft, sie schon in diesem Herbst ausstellen zu können.
Albrecht der Bär und sein ältester Sohn Otto entstammten dem askanischen Grafengeschlechte, das in Ballenstedt residierte. Albrecht der Bär wußte das Gebiet der Ostmark, das er im Jahre 1125 vom Kaiser Lothar II. als Lehn erhielt, durch Eroberungen zu vergrößern. Andrerseits schloß er Freundschaft mit dem Slavenfürsten Pribislaw, der dem Sohne Albrechts die Landschaft Zauche übergab und ihn zu seinem Erben einsetzte. Markgraf Otto I. regierte vom Jahre 1170 bis 1184 und vergrößerte seine Herrschaft durch die Eroberung der Landschaften Glin und Löwenberg; er gründete auch das berühmte Kloster Lehnin das in der „Gartenlaube“ (vgl. Jahrg. 1882, S.129) in Wort und Bild geschildert wurde.
Unsere heutige Abbildung auf S. 201, die unten links mit dem askanischen und rechts mit dem Wappen von Berlin geschmückt ist, stellt die Hauptpersonen aus dem von Professor Max Unger komponierten Markgraf-Otto-Denkmal dar. In der Mitte sehen wir die Gestalt des Markgrafen, die der Künstler nach seiner Phantasie schaffen mußte, da porträtähnliche Bildnisse des Verherrlichten nicht bekannt sind. Unger hat Otto I. als jugendliche Siegfriedsgestalt aufgefaßt. Das bartlose Gesicht ist von dem langen Gelock des germanischen Edlen, der im 12. Jahrhundert noch kein Schermesser an sein Haupt kommen ließ, umwallt. Die Augen blicken mild und hoheitsvoll zugleich ins Weite. Ueber dem Kettenpanzer, der Oberkörper und Beine bedeckt, trägt der Askanier einen wallenden Mantel, den die Linke an der Hüfte zusammenrafft. Die Rechte stützt sich auf das gewaltige, mit dem ledernen Gehenk umwickelte Schwert. Den Schild, der mit einem alten brandenburgischen Wappen geschmückt ist, hat der Herrscher auf den Rücken geworfen, das Hifthorn an der Seite deutet auf die Neigung des Jägers hin. Unten am Standbild ist der Stumpf einer alten Eiche. Es ist eine Wiedergabe eines Baumstumpfes, der noch heutigentags im Kloster Lehnin gezeigt wird und von dem die Sage berichtet, daß er die Stelle bezeichnet, wo dereinst Otto einen lebensgefährlichen Kampf mit einem Elch glücklich bestanden hat. Aus Dankbarkeit für die Errettung aus der Not soll der Markgraf das Kloster gestiftet haben. Die beiden Reliefs, welche den Sockel des Denkmals zieren werden, beziehen sich auf diese Ueberlieferung. Das eine zeigt den Fürsten im Kampf mit dem wütenden Tier, das andere eine Ansicht des Klosters. Die Höhe des ganzen Werkes beträgt 2,53 m. Um das Denkmal innerhalb der Taxushecke zieht sich eine Marmorbank, aus der zwei Hermen hervorragen. Sie stellen zwei bedeutende Männer aus der Regierungszeit Ottos dar, den Abt Sibold [220] von Lehnin (auf unserm Bilde rechts dargestellt) und den Herzog Pribislaw. Diesem hat der Künstler den echten Sarmatentypus verliehen, unter der Pelzmütze quellen die zu Flechten gewundenen Haare hervor, die Brust deckt über dem Panzer ein Fellmantel, aus dem die nackten, muskulösen Arme hervorschauen. Im Gegensatz zu dem kriegerischen Wenden blickt der Prälat mit vollem runden Gesicht behäbig in die Welt. Die Architektur des Denkmals zeigt romanische Formen. Die Hauptstatue wird soeben in ganz weißem carrarischen Marmor zweiter Ordnung, sogen. Ravaccione hergestellt, während für die Bank gestreckter Marmor zur Verwendung gelangt. Man hofft, daß die Güte des gewählten Materials die Unbilden des nordischen Winters gut überstehen wird. Den Fußboden wird ein in schwarz und weiß einfach gehaltenes Mosaik bedecken.
Der Schöpfer des ebenso schönen wie charakteristischen Kunstwerkes ist mit seinen 43 Jahren heute ein Mann von bester Schaffenskraft. Er ging als Schüler aus der Berliner Kunstakademie hervor, 1882/84 machte er eine Studienreise nach Rom, der die Gruppe „Der Fischer“ nach Goethes Gedicht ihre Entstehung verdankt. Dann beteiligte er sich an der Konkurrenz für das Lutherdenkmal in Berlin und an dem Preisausschreiben für ein Friedrich-Karl-Denkmal in Frankfurt a. O. Hier erhielt er nicht nur den Preis und die Ausführung des Werkes, sondern seine Arbeit brachte ihm auch auf der großen Berliner Kunst-Ausstellung des Jahres 1888 die kleine goldene Medaille. Eine Studienarbeit „Europa auf dem Stier,“ die er dann vollendete, steht heute noch als Modell, trübselig verhängt, im Atelier. „Sie teilt das Schicksal fast aller Studienarbeiten“, sagt der Meister nicht ohne Bitterkeit, „sie wurde nie ausgeführt.“ Eine gewisse Genugthuung für den Künstler war es jedoch, daß ihm in der Konkurrenz die Statue des Markgrafen Waldemar von Brandenburg übertragen wurde, die heute auf der Fischerbrücke in Berlin ihren Platz gefunden hat. Auch das Bismarckdenkmal zu Forst ist von seiner Hand und bei der Ausschmückung des Weißen Saales im königl. Schloß zu Berlin ist er durch eine Statue Friedrich Wilhelms IV. von Preußen beteiligt.