Die Gräber der Patriarchen

CLXXXXIX. Barnard-Castle in der Grafschaft Durham in England Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CC. Die Gräber der Patriarchen
CCI. Burgos in Spanien
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HEBRON UND ABRAHAMS GRAB
(Palestina)

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CC. Die Gräber der Patriarchen.




Die Nation der Israeliten lebt ihr viertes Jahrtausend. Zwar ist sie seit lange von der politischen Schaubühne verschwunden, zwar haben wir uns daran gewöhnt, mit mitleidigem Lächeln auf die niedrigen, unscheinbaren Trümmer des längst eingesunkenen Volksbaues herabzublicken: aber der Weltphilosoph betrachtet sie mit Ehrfurcht und in der Bildungsgeschichte der Menschheit steht das Judenthum da als die merkwürdigste aller Erscheinungen.

Judenverachtung ist Rohheit und Unrecht zugleich. Daß in dem Verhältniß, in welchem die Juden zerstreut unter andern, andersgläubigen und anders erzogenen, Völkern leben, sich weder Begeisterung noch Heldengröße (Eigenschaften, an denen sie übrigens nie reich waren,) bei ihnen entwickeln können, ist wohl begreiflich. Der Druck, in dem sie gehalten wurden und noch werden, hat bei den Juden den Funken der Begeisterung nothwendig ausgelöscht, die thatenreiche Energie des Geistes vernichtet, Hoheit und Schwung der Gesinnung zu Unmöglichkeiten gemacht. Aber genetisches Wesen und Charakter seines Volks hat der Hebräer dennoch unverändert bewahrt. Er ist so unauslöschlich, als er für uns räthselhaft bleibt; er ist so alt wie das Land, das die Patriarchen bewohnten. Der Jude gehört, wie jedes andere selbstständig ausgeprägte Volk, seinem Weltstriche an; diesem aber für immer und unwiederbringlich entrissen und verpflanzt in alle Völker, erscheint er nothwendig aller Orten wie ein fremdes, nicht hergehöriges Gewächs. Was der Jude sich an seinem Jehova denkt, denken wir uns nicht an demselben; was wir für Wirksamkeit und Freiheit des Geistes, für männliche Ehre, für Würdigkeit und Tüchtigkeit halten, denkt jener sich anders. Von Vielem, was uns edel, gut und groß, der Aufopferung und Begeisterung werth erscheint, ermangelt dem Juden selbst der Begriff; und anderer Seits sind wir Völker, die wir jene Nation zwei Jahrtausende lang des Rechts und der Ehre beraubt und sie unter einem mehr als asiatischen Drucke geknechtet haben, selten geneigt, gerecht zu seyn in Würdigung ihrer Tugenden, und oft nicht einmal fábig, sie zu erkennen.

„Spotte nicht des Unglücklichen,“ mahnt der Herr, und unglücklich ist das „Volk Gottes,“ denn es ist ohne Vaterland, ohne Ehre und ohne Wohnung. Nicht einmal die Ruhestätte der Ahnen gehört ihm im Lande seiner Väter. Ueber den Gräbern der Patriarchen wölbt sich der Tempel eines andern Glaubens, und ein anderes Volk bedroht mit Todesstrafe den Israeliten, der seiner Ahnen Gruft zu betreten wagt.

Die Gräber der Patriarchen sind bei Hebron gelegen, in dessen Umgebung Abraham, der biblischen Tradition nach, seine Heerden weidete. Hebron liegt eine Tagereise von Jerusalem in einer hügelichten, [36] noch jetzt weidereichen Landschaft. El Hhalil nennen es die Türken und Araber, welche, 400 Familien stark, den Ort bewohnen. Es ist ein durch Obst-, Oel-, Wein und Seidenbau gut genährtes Städtchen, freundlicher und reinlicher als die meisten Landstädte Palästinas. Doch ist die Gegend als unsicher verschrieen, der streifenden Araber wegen, und deshalb wird Hebron selten von christlichen Pilgern besucht.

Die Mausoleen der Erzväter befinden sich in einem mit Reben bepflanzten Kalksteinhügel über der Stadt. Sie umfassen die des Abraham und der Sarah, Isaak’s und Jakob’s und ihrer Frauen, der Rebekka und Lea, das Grab Joseph’s und mehrer seiner Brüder. Alle bestehen aus einzelnen Todtenkammern, überbaut von einem anfänglich christlichen, seit Eroberung des Landes durch die Araber mohamedanischen Tempel. Nach der Beschreibung Ali Bey’s,[1] der im Jahre 1807 Hebron besuchte, ist es ein klosterähnliches Gebäude von großem Umfange, auf einer steilen Anhöhe gelegen. Eine breite Marmortreppe führt zum Eingange, an den ein offener Hof stößt, von wo ein Kreuzgang der Kirche zuführt. Das Thor derselben schmückt ein schöner, von Säulen getragener, antiker Portikus. Die Vestibule enthält zwei Grüfte: die des Abraham und der Sarah. Im Schiff, zwischen zwei Säulen, steigt man zur Todtenkammer Isaak’s hinab; ihr gegenüber ist die seiner Gattin. Auf der hintern Seite, in einer Kapelle, sind die Gräber Jakob’s und der Rebekka. Ein langer Bogengang führt zu einer zweiten Kapelle, in deren Gruft die Asche Joseph’s ruht. Diesen und Abraham, welchen die mohamedanische Legende, sonderbar genug, die erste Tempelgründung von Mekka zuschreibt, halten die Türken in besonderer Verehrung.

Alle die Grabgewölbe umschließenden Räume sind auf das Kostbarste verziert, die Wände starren von edlem Metall, die Thüren sind mit dicken Silberplatten benagelt, Bänder, Riegel und Schlösser massiv von demselben Stoffe. Die Grüfte selbst sind mit persischen Teppichen, voll der köstlichsten Stickerei in ächten Perlen und edlen Steinen ausgeschlagen und über den Grabsteinen sind reiche Stoffe mehrfach über einander gebreitet. Die meisten dieser Kostbarkeiten sind Geschenke der Kalifen und Sultane. Mohamedanische Priester und ihre Trabanten bilden bei jeder Gruft eine immerwährende Wache. Ein Mufti unter dem unmittelbaren Befehl des Großherrn, steht an der Spitze des Etablissements, welches ansehnliche Einkünfte, man sagt über 100,000 Piaster, bezieht.




  1. Travels of Ali Bey, Vol. II. p. 232.